Kapitel 99 – Die Gefühle haben Schweigepflicht



Zurück im Hotel ließ er sich breitschlagen noch mit in den Aufenthaltsraum zukommen. Es wäre doch noch früh. Gut, es war gerade mal neun Uhr, aber mehr als eine halbe Stunde würde er auch nicht mehr bleiben. Er war irgendwie durch. Suchend sah er sich dann aber um, ob Holger auch mitkam oder schon hoch gegangen war. Ob er sich wieder auf das Sofa legte? Philipp rechnete damit, wenn er ehrlich war. Eigentlich ein Grund aufs Zimmer zu gehen und ihn davon abzuhalten, oder? Aber es war zu spät. Er ließ sich jetzt in einem der Sessel nieder und lauschte desinteressiert dem Gespräch zwischen den anderen Jungs.



Was hast du jetzt noch vor?“, sprach Mario ihn direkt an, als er mühselig von dem Segelboot humpelte.


Weiß nicht“, zuckte Holger mit den Schultern und klang mehr als lustlos, weswegen der Stürmer ihn leicht boxte. Das konnte doch nicht mehr so weitergehen... es erschien ihm fast so, als würde sich jeder Tag verschlimmern.


Die Jungs setzen sich bestimmt noch zusammen und quatschen. Komm doch auch dazu“, forderte er ihn auf.


Holger zögerte, ehe er leicht nickte. So ganz überzeugt war er nicht davon, aber solange er nicht gegenüber, neben oder vor ihm sitzen musste, war das so in Ordnung und würde ihn hoffentlich endlich auf andere Gedanken bringen. Es war lästig, wie er sich von ihm runterziehen ließ. War es damals auch so schlimm, als er sich wegen seines Kreuzbandrisses so fertig gemacht hatte? Da hatte ihn Philipp rausgeholfen... und aus dieser Krise brauchte er eigentlich auch seinen Beistand, aber stattdessen bekam er dessen Ablehnung. Nur weil er sich verliebt hatte. Jetzt wurde man schon wegen Gefühle, für die man nichts konnte, bestraft... Es war grausam.


Eigentlich wollte er Mario folgen und sich mit ihm zu den anderen setzen, doch als er Philipps Gesicht erblickte, blieb er wie erstarrt stehen. Vielleicht würden es die anderen, die ihn bereits erspähten. komisch finden, aber Holger drehte auf der Stelle um und suchte den Weg die Treppen hinauf, um in das Zimmer zu kommen. War diese Welt nur darauf erpicht ihm eins reinzuwürgen? Warum tauchte Philipp nicht nur in seinen Gedanken, sondern auch noch in seinem Blickfeld auf? Zufall?


Philipp merkte, dass es alles nichts brachte. Er wurde zwar angesprochen, aber nie konnte er etwas erwidern. Als Toni ihn dann fragte, ob alles okay wäre, nutzte er die Chance und verabschiedete sich mit Kopfschmerzen nach oben. Zum Glück hakte keiner mehr großartig nach und Mario konnte schlecht etwas sagen hier vor allen.


Holger schlug die Tür hinter sich zu und blickte missmutig auf die Couch. Ihm stellte sich gar nicht die Frage, ob er nicht doch im Bett schlafen konnte. Philipp wollte ja nicht einmal mehr mit ihm im selben Raum sein. Was dachte dieser bloß von ihm? Dass er mitten in der Nacht über ihn herfallen würde? Traute er ihm das zu, dass er seine Gefühle nicht respektierte. Seine Gefühle, die für Holger gar nicht mehr existent zu sein schienen.
Dadurch, dass er die Treppen ziemlich schnell hochgelaufen war, schlug sein Herz direkt schneller. Allerdings glaubte der Blonde zu wissen, dass dies nicht der einzige Grund war. Wann schlug es denn schon normal, wenn er an Philipp dachte? Und sei es nur, weil er enttäuscht von ihm war. Tief durchatmend riet er sich zur Ruhe. Am besten einfach schlafen gehen, dann bekam er nicht mehr mit, wenn Philipp hochkam und musste sich nicht mehr mit seinen Erklärungen und Entschuldigungen beschäftigen. Die wollte er nämlich immer noch nicht hören.
Holger nahm das Bettzeug und breitete es auf der Couch aus, ehe er sich der Schuhe und seiner Hose entledigte, die er achtlos auf den Boden warf. Danach zog er sich das Oberteil über den Kopf, bereit dazu, es auch zu der Hose unter sich fallen zu lassen.


Philipp trottete also zu seinem Zimmer. Ob Holger wohl schon da war? Na, er würde es ja jetzt sehen. Und wie er das sah. Ohne großartige Erwartungen schloss Philipp die Tür auf, öffnete sie, trat ein paar Schritte ein und stutzte direkt. Sein Blick blieb an Holgers Körper hängen. Warum bitte stand er hier denn nur in seinen Boxershorts? So konnte Philipp doch jede freiliegende Faser dieses wirklich durchtrainierten Körpers studieren. Er wurde auch gar nicht gefragt, ob er das wollte, seine Augen gingen wie von selbst von der Brust nach unten bis zu den Füßen. Diese Bauchmuskeln waren wirklich herausragend. Nicht zu extrem, aber doch deutlich sichtbar. Dann diese muskulösen Beine… er ließ den Blick wieder nach oben wandern, versuchte nicht an seinen Shorts hängen zu bleiben und starrte schließlich in Holgers Gesicht.


Holger befreite gerade den Kopf aus dem Shirtkragen, als er das Klicken der Tür hören konnte und Philipp eintrat. Er sah ihm deutlich an, dass er mit dem Anblick nicht rechnete, aber es verwunderte den Innenverteidiger doch etwas, dass der Kapitän ihn so intensiv musterte. So als ob er noch nie einen fast vollständig entblößten Männerkörper gesehen hatte. Gerade er als Fußballer, der sich oft mit den Kollegen eine Dusche teilte, sollte da eigentlich gar nicht mehr darauf achten. Wahrscheinlich lag es auch nur wieder an ihn. Philipp war sowieso alles was er machte unangenehm. Womöglich dachte er sogar, er habe sich bewusst ausgezogen?


Mit einem Mal wurde Philipp bewusst, wie das aussehen musste. Er wurde direkt rot. „Ähm… willst du schlafen?“, fragte er total intelligent und schloss erst mal die Tür hinter sich, drehte sich dabei aber nicht um, so dass er immer noch den Blick auf Holger liegen hatte, bemüht ihm ja ins Gesicht zu schauen.


Seine Nachfrage, nachdem er ihm endlich ins Gesicht sehen konnte, bestärkte Holger in seinem Verdacht. Am liebsten hätte er bissig geantwortet und geschnauzt, dass er jetzt jedenfalls nicht plante über ihn herzufallen.
Er reduzierte es auf ein Nicken, warf das Shirt dann zu Boden und setzte sich nachdenklich auf das Sofa. Er hätte mit einem normalen Gespräch anfangen können, irgendetwas belangloses, damit er die Stimmung irgendwie retten konnte, aber nicht mal danach war ihm mehr. Holger hatte das Vorhaben das Zimmer zu tauschen unsagbar hart getroffen und verletzt. Und er ärgerte sich darüber, dass es soweit gekommen war. Dass er seine Nähe zugelassen hatte, dass er es genoss bei ihm zu sein und sich schließlich in ihn verliebte. Den Blick wieder einmal konsequent zu Boden gerichter, schwang er seine Beine auf die Couch und deckte sich zu, bevor er tiefer rutschte, damit er seinen Kopf gemütlich auf dem Kissen betten konnte. „'Nacht.“ Mehr nicht. Er konnte ihm noch nicht einmal mehr eine ''Gute'' Nacht wünschen. Denn seine eigene würde auch nicht gut werden, da er sich unwohl und schlecht fühlte. Holger mochte es nicht, dass Philipp hier sein musste, obwohl er es gar nicht wollte. So als hätte man ihn Philipp ohne andere Optionen aufgedrängt. Wie gut konnte es einem also nach so einem Wissen gehen?


Philipp fühlte sich direkt noch schlechter. Dass das überhaupt möglich war… unfassbar. Einfach unfassbar. So schlecht hatte er sich noch nie wegen jemandem gefühlt.
Stumm sah er zu, wie Holger sich hinlegte. „Gute Nacht“, wünschte er dann. Er klang traurig. Diese Traurigkeit konnte und wollte er nicht verbergen. Philipp wollte Holger auch keinen Vorwurf machen dadurch, aber er wollte ihm zeigen, dass ihm das alles nicht egal war. Ganz und gar nicht.


Er hörte die Traurigkeit, die in Philipps kurzem Wunsch mitschwang. Holger tat es auch Leid, dass es jetzt so gekommen war, aber man konnte es nicht rückgängig machen. Nicht die Gefühle und auch nicht die Abweisung, die das Resultat des Ganzen war.


Philipp Blick fiel auf die Kleidung am Boden. Kurzerhand griff er danach und legte sie ordentlich über einen Stuhl. Alles kommentarlos. Er wusste auch nicht, ob Holger das mitbekam, aber das war ihm auch egal. Er konnte nicht mal genau erklären, warum er das tat. Er wollte helfen, irgendwie für ihn da sein, auch, wenn das alles war…


Holger schielte vorsichtig zu Philipp, der seine Kleidung aufräumte. Fing er jetzt an ihm hinterher zu räumen? Die Frage war bloß warum er das tat. Weil er ihm helfen wollte? Oder weil er es einfach nicht ertrug, dass Kleidung unordentlich im Raum verteilt war.


Danke“, nuschelte er und war sich nicht sicher, ob Philipp es auf seinem Weg ins Badezimmer noch hören konnte.


Philipp hatte den Dank nicht mehr gehört, aber er hatte auch nicht damit gerechnet, von daher machte ihm das nichts aus, dass Holger sich – seines Wissens nach – nicht bedankt hatte. Er hätte es auch nicht verdient gehabt. Er verschwand kurz im Bad, putzte sich die Zähne, ehe er zurück ins Hauptzimmer ging und sich auszog.


Der Innenverteidiger schloss die Augen, drehte sich auf die Seite und kuschelte sich in die Decke. Doch der Schutz der Decke, konnte seine Sehnsucht und die Traurigkeit nicht bessern. Das Klicken der Tür sagte ihm, dass Philipp wieder im Hauptzimmer sein musste.


Ob Holger wohl schon schlief? Er könnte ihm sagen, dass er ins Bett kommen konnte oder er auf dem Sofa schlafen würde, aber er wollte sich nicht die Worte anhören, die ihm entgegen fliegen würden. Aber er hatte es verdient, oder?
Philipp stand hier also nun selbst nur in Boxershorts als er etwas um das Bett herum trat, aber immer noch genügend Abstand zu Holger hatte.


„Holger“, fing er zögerlich an, suchte nach den richtigen Worten, obwohl er wusste, dass es sie in dieser Situation nicht geben würde. „Du musst nicht auf dem Sofa schlafen. Du kannst auch im Bett… oder ich schlafe auf dem Sofa...“
Philipp stellte fest, dass er das so noch nie erlebt hatte. Dass er so unsicher war in dem Umgang mit einem anderen Menschen. Der Kapitän erkannte sich selbst kaum wieder. Ob sich das jemals wieder legen würde?


Gekonnt stellte er sich schlafend, falls der Kapitän nochmal mit ihm reden wollte. Und das schien er zu wollen, in dem er ihn anbot, dass er zurück ins Bett konnte, oder Philipp statt ihm auf dem Sofa nächtigte. Beinahe hätte er gehässig geschnaubt. Was war das für ein enttäuschendes Angebot? Auch, wenn die Unsicherheit des Kapitäns ihm deutlich zeigte, dass er mit der Situation nicht umzugehen wusste, enttäuschten ihn diese Aussagen. Holger tat weiter so, als würde er schlafen, während ihm eine Träne stumm und gescholten aus den Augen lief. Warum musste sich das so drastisch verschlimmern? Von Tag zu Tag litt einer von ihnen mehr unter der bedrückten Stimmung. Keine Aussicht auf Besserung...


Holger hatte die Augen geschlossen. Eigentlich glaubte Philipp nicht, dass der Innenverteidiger schon am Schlafen war, aber er wollte sich wohl zu seinen Worten nicht äußern. Traurig seufzte er und verzog sich selbst auch ins Bett. Schlafen konnte er nicht. Dieses Gefühl zerriss ihn innerlich. Er spürte auch eine gewisse Angst, von der er aber nicht wusste, was genau sie ausdrücken wollte. Es war einfach nur grauenvoll. Und das hier war erst die zweite Nacht im Trainingslager, wie sollten denn dann die anderen nur werden?


Holger presste seine Augen fester zusammen, machte aus seinen Händen eine Faust und zog sich so die Decke noch dichter an sich, igelte sich geradezu ein. Zum Glück sagte Philipp nichts mehr, nur noch das leichte Quietschen der Matratze war zu vernehmen, was ihm sagte, dass er ohne Antwort bekommen zu haben, ins Bett ging.


Alles war ruhig im Raum und trotzdem schaffte es Holger nicht einzuschlafen. Ob Philipp schon schlief? Doch er wagte es nicht sich umzudrehen, hoffte lediglich, dass er selber bald einschlafen konnte. Es dauerte, aber irgendwann mitten in der Nacht sehnte sich sein Körper nach Ruhe und brachte ihn dazu einzudösen und in einen Schlaf zu sinken.

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Julia -28 (Dienstag, 09 Dezember 2014 21:44)

    Hallo ihr beiden :)
    Was machen die beiden bloß ?
    Reden nicht mehr richtig miteinander, ignorieren sich gegenseitig & das belastet doch ihre gesamte Freundschaft ...
    An Philipps Stelle wäre Ich auch verzweifelt und wüsste nicht was ich machen sollte aber die beiden distanzieren sich immer mehr voneinander womit man sich die Frage stellt ob sie noch irgendwann in der Lage sind wieder normal miteinander umgehen zu können.
    LG Julia :)

  • #2

    Engel (Donnerstag, 11 Dezember 2014 12:41)

    Wir müssen uns wohl echt in Geduld üben
    Aber lasst das bitte nicht mehr lange so
    Da wird man als Leser ja auch gleich depri
    Aber ich hab ein wenig den Verdacht, dass es erst besser wird, wenn Philipp mit sich klar kommt