Kapitel 47 - Ehe in Gefahr?



Holger ignorierte es, dass Philipp sich mal wieder oben ohne präsentierte und versuchte panisch zu retten, was zu retten war. Er setzte einen Fuß ins Schlafzimmer, zog es aber dann doch vor, sich aus dem Staub zu machen. Lieber nicht dazu äußern. Wie sollte er ihm schon erklären, warum sein Shirt unter seinem Kopfkissen lag?

Im Wohnzimmer war das Handy schnell ausfindig gemacht und ans Ladekabel angeschlossen. Er wartete kurz, bis es etwas Strom tankte und schaltete es dann ein. Einige neue Nachrichten, auch eine von Ute war dabei, die schrieb, dass seine Mutter und sie ihn am Dienstagabend besuchen kamen. Auch eine SMS von Mario sprang ihm sofort ins Auge. Er wollte vorbeikommen? Jetzt?
Holger bewegte sich zur Fensterfront und schaute zur Einfahrt. Noch stand da nur Philipps Auto... und zu dieser Uhrzeit war das schon etwas merkwürdig. Hoffentlich verschwand Philipp, bevor Mario kam, sonst hatte er ein Problem mehr sich zu erklären.

Philipp überlegte hin und her, beschloss aber es einfach wieder unter das Kissen zu tun. Wenn es Holger in irgendeiner Art und Weise half, sollte er es vorerst behalten. Früher oder später würde er schon noch herausfinden, was genau es damit auf sich hatte.
Er zog sich also seine schmutzigen Klamotten wieder an, steckte sich auch sein Handy ein. Akku leer. Na ja, war vielleicht besser, wenn er nicht wusste, was Claudia noch geantwortet hatte. Wenn sie überhaupt was geantwortet hatte.
Als er fertig war, ging er zurück in die Küche, die aber leer war. Intuitiv suchte er Holger im Wohnzimmer.

„Was guckst du denn?“, fragte der Kapitän und trat zu ihm ans Fenster. „Ist dort jemand?“ Er sah zumindest niemanden.

Holger drehte seinen Kopf zu Philipp. Er war verwundert darüber, dass er das Shirt gar nicht ansprach. Aber er wollte sich weiß Gott nicht beschweren. Musste er ihn wenigstens nicht anlügen, um seine Gefühle für den Kapitän weiter geheim halten zu können.
„Nein, ich hab nur geschaut, ob Mario schon da ist.“ Er hob das Handy zur Verdeutlichung an. „Er hat sich eben per SMS angekündigt, dass er vorbeikommt.“

„Ach so.“ Philipp nickte als er die SMS sah. Irgendwie kam ihm das ganz gelegen. So konnte er doch mit einem nicht ganz so schlechten Gewissen fahren.

„Ich würde dann jetzt fahren“, ging er es zögerlich an und suchte Holgers Blick. Er wollte die Bestätigung, dass es wirklich okay war.

Holger merkte, wie unsicher Philipp diesen Satz aussprach. Hatte er Bedenken ihn allein zu lassen?
„Okay“, nickte Holger lächelnd. „Jetzt kommt ja eh gleich mein nächster Babysitter“, witzelte er. Obwohl es ja doch der Wahrheit entsprach, oder?
Vorher ließ er es sich aber nicht nehmen auf Philipp einen Schritt zuzugehen, eine Krücke ans Fenster zu lehnen und den freien Arm um ihn zu schlingen.

Eigentlich wollte Philipp etwas erwidern, aber Holger schlang einen Arm um ihn. Nahm ihm so jedes Wort, sorgte aber für ein seliges Lächeln auf den Lippen.

„Danke, dass du da warst. Du hast was gut bei mir.“ Bevor er sich wieder löste, spielte er mit dem Gedanken dem Kapitän einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Sollte er es wagen? Philipp hatte das in Vail eigentlich auch des Öfteren getan... aber nein, es wäre zu auffällig. Holger ließ es bleiben und zog sich zurück.


„Nichts zu danken. Ich weiß, dass du das gleiche für mich getan hättest.“ Hätte er doch, oder? Ja, eigentlich war Philipp sich da sicher.

Holger nickte lediglich. Er wusste, dass er das selbe für ihn getan hätte, aber ihm war auch klar, dass er das an seiner Stelle gar nicht hätte tun müssen. Philipp hatte seine Frau als Rückhalt, da brauchte es keinen Holger.

„Ich melde mich später noch mal bei dir. Und wenn was ist, ruf an, ja? Ich bin dann in wenigen Minuten hier.“

„Okay, mach ich“, antwortete Holger, aber auch hier konnte er sagen, dass er es nicht tun würde. Würde er Philipp anrufen, käme er sich reichlich blöd vor.

Ein letztes Lächeln, ehe Philipp aus der Wohnung verschwand.


Währenddessen kam Mario auch schon, wie in seiner SMS angekündigt, an. Ohne zu ahnen, dass die Einfahrt von einem Auto mit bekanntem Kennzeichen bereichert wurde, lenkte er seinen Audi in die Straße, in der Holger wohnte. Schlagartig betätigte sein Fuß die Bremse und ließ Mario das Auto kurz zum Stillstand bringen, als er das Kennzeichen las. „Pippo...?“, murmelte er und runzelte die Stirn. Wie viel Uhr war es denn? Gerade mal kurz nach neun. War etwas passiert oder warum war der Kapitän um diese Uhrzeit bei Holger?
Mario parkte sein Auto der Straße entlang und stieg irritiert aus. Noch einmal vergewisserte er sich, ob das Auto auch wirklich zu Philipp gehörte, doch dem war definitiv so. Das war mehr als komisch... Der Blick des Stürmers glitt zu den vielen Fensters, ehe er mit einem leisen Seufzen ins Haus marschierte.

Philipp zog die Tür hinter sich zu, nahm die Treppe und wäre fast in Mario gerannt.
„Oh, hey, guten Morgen“, grinste Philipp ihn an.

Etwas skeptisch musterte Mario ihn. „Morgen, Pippo… was machst du denn schon hier?“

„Schon ist vielleicht nicht die richtige Frage“, murmelte er leise und sagte dann lauter: „Frag das am Besten Holger.“

„Okay, wenn du meinst.“

Philipp hörte deutlich die Skepsis heraus. Er lächelte bloß, legte kurz die Hand auf seine Schulter und verabschiedete sich dann. Er musste nach Hause. Und hier war wirklich von müssen und nicht von wollen die Rede. Wie brachte er das seiner Frau nur am Besten bei, dass er nicht mitkam nach Hawaii?

Holger ahnte schon, dass sich die beiden wohl getroffen haben mussten, da er das parkende Auto Marios bereits am Straßenrand entdeckte. Vielleicht hätten sie ihre Ausreden aufeinander abstimmen sollen. Woher wusste Holger auch, was der Kapitän dem Stürmer erzählen würde, warum er hier war?
In dem Moment klingelte es an der Tür und Holger hopste so schnell er konnte dorthin, um Mario zu öffnen.

„Ich hoffe der frühe Überfall stört dich nicht“, begrüßte der Schwarzhaarige seinen verletzten Freund und schloss die Tür hinter sich. „Ich hab grad Philipp getroffen“, fing er sofort an und entlockte Holger ein entnervtes Seufzen.

„Ja... er hat mir nur was vorbeigebracht.“

„Um diese Uhrzeit?“

„Du bist doch auch schon um diese Uhrzeit hier“, konterte Holger und ging in die Küche.

„Ja... schon“, murmelte Mario. Für ihn ergab das einfach keinen Sinn, aber weiter nachhaken wollte er nicht, da es darum jetzt nicht ging.

„Möchtest du Kaffee?“, bot der Innenverteidiger an und erklärte sofort: „Und bevor du fragst. Ja, auch Philipp hab ich welchen angeboten. Wir haben miteinander gefrühstückt, da er eben gerade da war.“

Der Stürmer grinste etwas: „Schon gut, ist ja eure Sache.“ Das Angebot mit dem Kaffee nahm Mario gerne an, sein Blick fiel dabei auf die Zeitung. Traurig lächelte er seinen Freund an. „Wir gehören zu den Bayernspielern, die ein scheiß Los gezogen haben.“

Holger setzte sich gegenüber von Mario und fragte sich, ob er das hören wollte, was jetzt kam. Nein... wollte er nicht, aber er kam nicht drum herum.

„Ich bin hier, weil ich das von gestern nicht so stehen lassen wollte. Die Triple-Saison war wirklich nicht meine Saison... der Meinung wirst du auch sein. Es macht mir irrsinnig Spaß mit dem FC Bayern Titel zu holen, aber ich will auch selbst aktiv mitwirken.“

„Der Einzige, der nicht aktiv mitwirken kann, bin ich. Du kannst doch spielen, dann sorg dafür, dass du das auch tust“, gab Holger zurück. Es klang böser als er es ursprünglich meinte, aber eigentlich wollte er Mario nur dazu bewegen weiterzukämpfen. Um seinen Stammplatz. In München. Aber warum nahm er sich dieses Recht heraus Mario beeinflussen zu wollen, wo er doch selber schon aufgegeben hatte?

„Werd ich auch, Holger.“

Die Blicke der Fußballer trafen sich. Holger sah den Älteren verständnislos an. Er ahnte, was dieser Satz bedeutete.


Was Mario sich jetzt wohl dachte? Aber es war ihm egal. Sollte er doch denken, was er wollte. Philipp beschlich immer mehr ein ungutes Gefühl als er den Wagen in seiner Einfahrt parkte und ausstieg. Was Claudia wohl dachte? Vor allem, wenn er so rumlief…
Er schloss die Tür auf.

„Philipp?!“

„Ja, ich bin es, ich bin wieder da. Ich springe eben schnell unter die Dusche“, rief er zurück und verzog sich sofort ins Badezimmer. Wollte er seiner Frau ausweichen? Er konnte es nicht mal genau sagen. Schnell verschwanden die schmutzigen Klamotten in der Wäschetonne und er duschte, putzte sich die Zähne, rasierte sich und kam dann nur mit einem Handtuch um die Hüfte wieder raus.

„Schatz, ich bin im Schlafzimmer“, rief Claudia direkt. Sie hatte wohl darauf gelauert, dass er wieder herauskam. Ihre Stimme konnte er nicht deuten, aber sie klang nicht sauer.
Barfuß ging er zu ihr.

„Was machst du da?“ Er stockte als er eintrat.

„Ich suche schon mal ein paar Sachen raus, die ich mit in den Urlaub nehme. Du kennst mich doch, ich kann mich nie entscheiden“, sie kicherte und wandte sich wieder dem Kleiderschrank zu.

Philipps Blick fiel auf das Bett. Überall lagen T-Shirts und Tops. Sogar zwei ihrer Sommerkleider.

„Habt ihr gestern noch schön gefeiert? Ich muss ja sagen, dass ich nicht begeistert über deine SMS war, aber ich versteh es natürlich. Wann wird man schon mal Triple-Sieger? Und das als Kapitän.“

„Claudia…“ Wie sollte er ihr das sagen? Wie sagte man seiner Frau, dass man nicht mit in den Urlaub konnte? Und wie sagte man ihr, dass man sie belogen hatte?

„Was denn?“ Sie drehte sich lächelnd um, stockte aber. „Philipp, was ist los?“ Der Rock, den sie in der Hand gehalten hatte, fand den Weg aufs Bett und sie trat näher zu ihm, legte ihre Hände an seine Wangen und zwang ihn sie anzusehen, da er den Boden anscheinend interessanter fand. „Was ist los?“, fragte sie erneut.

„Ich… ich kann nicht mit dir wegfahren“, flüsterte er. Traurig sah er sie an. „Ich kann jetzt nicht weg.“

Ihr entglitten jegliche Gesichtszüge. „Wir fahren nicht? Warum?“

„Nein“, er nahm ihre Hände von seinen Wangen und hielt sie fest, schaute sie aber weiter an. „Ich fahre nicht. Du fährst. Du hast doch auch Sarah und Basti.“

„Warum kannst du nicht mit?“ Völlig unverständlich blickte sie ihm entgegen.

„Ich… Claudia, ich war gestern nicht bei Manuel. Ich war nochmal bei Holger und… nein, lass mich bitte ausreden“, unterbrach er sich selber, als sie dazwischen gehen wollte. „Ich wollte wirklich wiederkommen, aber es ging nicht. Holger hat mich gebraucht und…“, er zögerte.

„Sag nicht, dass es wegen Holger ist! Sag nicht, dass du nicht mitkommst, weil du Babysitter spielen willst!“ Ihre Worte waren fast schon abfällig. Als Philipp schwieg, entriss sie sich ihm. „Was ist los mit dir, Philipp? Immer ist er wichtiger! Warum? Du gibst sogar unseren Sommerurlaub dafür auf?“ Sie ging im Schlafzimmer umher, warf die Arme in die Luft.

„Er ist am Ende. Er kann nicht mehr. Ich muss ihm helfen, Claudia, bitte… versteh mich dieses eine Mal. Ich kann…“

„Dieses eine Mal? Andauernd muss ich dich im Moment verstehen! Ich dachte gestern wirklich, du bist feiern, ich hab mich für dich gefreut, dabei hast du mich belogen und warst bei Holger? Und jetzt soll ich alleine in den Urlaub fahren, weil du lieber bei ihm bleibst? Und dann ist Basti die ganze Zeit alleine im Hotel, weil ich nur mit Sarah rumlaufe, oder wie stellst du dir das vor?“

„Ihr könntet Lukas fragen“, versuchte es Philipp und lächelte leicht.

„Dann ist Monika alleine“, Claudia blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Bitte, wenn er wollte, konnte er das haben.

„Die kann mit Louis zu ihren Eltern fahren oder so.“

„Philipp!“

„Claudia, bitte! Ich will mich mit dir nicht streiten. Wir können gerne weg. Später. Aber nicht jetzt, nicht die nächsten Wochen.“

„Du ziehst ihn mir also vor?“

„Claudia, ich bitte dich, das kann man nicht vergleichen.“

„Ich kann auch ganz gehen.“

Philipp stockte. „Das meinst du nicht ernst.“

„Doch, das meine ich ernst! Ich höre nur noch Holger hier, Holger da! Denkst du auch mal an mich?“

„Seine Verletzung ist gerade mal etwas mehr als zwei Wochen her und er hat die Diagnose bekommen, dass er zehn Monate ausfällt. Ihm fehlt schon ein halbes Jahr und jetzt sogar ein ganzes Kreuzband. Es ist nicht nur die WM in Gefahr, sondern seine ganze Karriere! Fußball ist alles für ihn und er ist ein Freund. Wärst du nicht auch in einer schweren Zeit für deine Freunde da?“

Mit zusammengepressten Lippen sah Claudia ihn an. Dann rauschte sie einfach an ihm vorbei. Er hörte, wie sie wohl ihre Schuhe anzog, sich ihre Tasche schnappte und dann die Haustür laut zuschlug.

„Scheiße!“, rief er aus. Warum verstand sie ihn denn nicht? Sie konnte doch nicht ernsthaft verlangen, dass er sich zwischen Holger und seiner Ehe entscheiden musste.
Den Tränen nahe wankte Philipp in die Küche, nahm sich etwas zu trinken und ließ sich kraftlos auf einen Stuhl fallen. Er war gerade mehr als dankbar, dass seine Eltern mit Julian unterwegs waren.
Die Ellenbogen stützte er auf den Tisch und bettete den Kopf in den Händen. „Was mache ich nur?“, hauchte er. Er glaubte zwar nicht, dass Claudia ihre Drohung wahrmachte, aber zu groß war die Angst, dass sie es doch tat.

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