Kapitel 34 - Getrennte Wege


Die Landung erfolgte ohne Zwischenfälle. Philipp nahm Holgers Handgepäck und gemeinsam verließen sie als letzte das Flugzeug. Im Wartebereich blieben ihnen nur noch wenige Minuten.

Dankbar lächelte Holger den Kleineren an, als dieser sein Handgepäck die ganze Zeit über mitschleppte.

„Meldest du dich gleich, wenn du in München angekommen bist?“ Fragend sah Philipp ihn an. Sie saßen auf einer der vielen Bänke. Die Stimmung war irgendwie beklemmend, er konnte es gar nicht richtig beschreiben. Aber er wurde sich dem Gefühl bewusst, dass er Holger nur ungern alleine ließ. Er wollte weiter für ihn da sein. Holger brauchte ihn doch.

„Hm, kann ich machen“, willigte er ein und erhaschte einen Blick auf die Anzeigetafel. Philipps Flug würde in einigen Minuten starten. Seiner hingegen erst in gut vierzig Minuten. Und umsteigen durfte er in Kopenhagen auch noch einmal, ehe es dann direkt nach München ging. Er seufzte. Die ganze Mannschaft war in Berlin und er flog in eine komplett andere Richtung. Diese Tatsache schmerzte. Aber er durfte seine Enttäuschung Philipp zuliebe nicht weiter zeigen.

Begeisterung klang anders, aber was wollte er auch erwarten? Ganz ehrlich… Philipp seufzte stumm. Er wünschte sich wirklich, er könnte mehr tun.

Leicht lächelnd sah Holger ihn an. „Du solltest aber zuerst schreiben, da du als erstes ankommst.“ Wieder erschien ihm der Blick nach unten angenehmer, als er sich zurücklehnte und seine Beine etwas ausstreckte. Das war etwas gemütlicher.

„Klar, mach ich“, versprach Philipp. Es wäre ihm lieber, wenn er Holger noch zum Flugzeug begleiten könnte, aber der Innenverteidiger war ja auch kein kleines Kind mehr, er konnte das auch alleine.

„Ihr müsst Stuttgart schlagen, okay? Ich verlass mich auf euch.“ Er bemühte sich wirklich um eine feste, euphorisch klingende Tonlage. Philipp sollte sich schließlich keine Sorgen machen müssen.
„Ich will wenigstens am Rathausbalkon richtig mit euch feiern und das geht nur, wenn ihr das Triple holt.“
Sie... die Mannschaft ohne Holger.

Philipp sah Holger an, aber der Blick wurde nicht erwidert. Er war in Versuchung ihn erneut dazu zu zwingen ihn anzusehen, aber er ließ es bleiben.
„Ich habe dir auch versprochen, dass wir Dortmund schlagen und ich verspreche dir hiermit, dass wir auch Stuttgart schlagen. Wir werden das Triple holen. Für uns. Für Jupp. Für dich.“

Holger nahm die ganzen Reisenden gar nicht wahr, die überall herum wuselten. Es war, als ob nur er und Philipp ganz allein im Wartebereich saßen und miteinander sprachen. Er lächelte. Philipp würde sein Versprechen halten, da war sich der Innenverteidiger sicher. War es vielleicht gerade wegen dieser Erkenntnis, dass das Triple zum Greifen nah war, so schrecklich für den Blonden? Für Philipp und die anderen musste diese Saison ein Traum sein. Für ihn dagegen ein einziger Albtraum. Die neue Saison würde beginnen und für ihn war sie auch schon wieder gelaufen.

Philipp legte eine Hand auf Holgers Oberschenkel und verstärkte seinen Griff kurz, ehe er die Hand wieder wegnahm. Ein Seufzen entwich ihm.

Der Jüngere war erstaunt über die Hand auf seinem Oberschenkel, aber sofort zierte ein seliges Lächeln sein Gesicht. Den Blick richtete er konsequent auf diese Hand. Er musste unweigerlich an die vielen Situationen denken, in denen der Kapitän nach seiner Hand gegriffen hatte... wie oft hatte er von sich aus die Hand des anderen berührt? Ein- oder zweimal?

„Ich muss los“, flüsterte er und zog Holger in eine Umarmung. Letztes Mal war er ohne gegangen und hatte es bereut, das würde er nicht noch mal machen. Philipp war jemand, der aus seinen Fehlern lernte und das war wahrlich einer gewesen.

Holger sagte auch hierzu nichts mehr. Er wusste ja, dass Philipp los musste, aber es war überflüssig zu äußern, dass es Holger lieber wäre, wenn sie nicht in unterschiedliche Flugzeuge steigen mussten.

„Halt die Ohren steif, solange ich nicht da bin“, hauchte der Ältere und schloss für einen Moment die Augen. Diese Umarmung tat gut, aber er musste los. Leider.

Holger drehte etwas verwundert seinen Kopf, erwiderte die Umarmung aber stärker, in dem er kurz über seinen Rücken strich. Musste er nicht immer die Ohren steif halten? Sogar noch mehr, wenn Philipp da war, um ihm nicht die Laune zu verderben?
„Du auch“, lächelte er leicht, „Lass dich von den Stuttgartern nicht klein kriegen.“ Schwester Anna hätte jetzt sicher gelacht, wenn sie diesen Satz gehört hätte.

Philipp lächelte leicht als er sich von Holger löste, aufstand und nach seiner Tasche griff.

„Wir sehen uns auf dem Rathausbalkon.“ Etwas optimistischer grinste er und wuschelte Holger neckend durch seine Haare, ehe er sich auf den Weg machen wollte.

Protestierend sah Holger den Älteren beim Durcheinanderbringen seiner Frisur an.

Nach einem kurzen Blickkontakt drehte sich Philipp schließlich um und ging davon.

Philipp drehte sich nicht noch mal um. Es fiel ihm sichtlich schwer Holger dort so alleine sitzen zu lassen, das Bild wollte er sich nicht antun. Aber er wollte ihn auch nicht alleine lassen, wenn eine Woche Hawaii auf dem Plan stand. Er hatte sich darauf gefreut, ja, aber er hatte nicht mehr daran gedacht. Wenn Bastian auch noch mitkommen würde, wer war denn dann noch da? War Mario nicht auch weg? Dann war er ganz alleine…

Der Blonde hatte ihm noch lange nachgesehen, bis er ganz unter dem Gewirr der anderen Menschen verschwand und aus seinem Blickfeld gestrichen wurde. Musste ein ziemlich jämmerliches Bild abgeben, wie er hier mit seinen Krücken recht verloren auf einer Bank saß.


Philipp hing die ganze Zeit mit seinen Gedanken bei Holger, ehe er merkte, dass er ja schon im nächsten Flieger saß. Dieses Mal saß er am Fenster. Neben ihm eine fremde Frau, die ihn gekonnt ignorierte. War ihm recht so, er hatte keine Lust auf Smalltalk. Nicht mit dieser Frau.
Seufzend schaute er aus dem Fenster und beobachtete, wie sie immer weiter abhoben und Boden unter den Füßen verloren. Den hatte Holger auch verloren nach der Diagnose. Hoffentlich konnten sie ihn irgendwie wieder dorthin zurückholen. Aber wenn Holger erst mal wieder in München war und mit Bastian, Thomas und Mario rumalbern konnte, sah die Welt sicher ganz anders aus. Ach nein, Sommerpause. Holger kam wieder und alle fuhren weg.
„Scheiß Timing“, murmelte Philipp und schloss die Augen. Gleich würde er in Berlin landen und hatte nur wenige Stunden bis zur Pressekonferenz. Er hatte keine Lust darauf, aber das war nun mal seine Pflicht.


Durchgehend ertappte Holger sich dabei, wie er einen Blick neben sich warf und seufzte. Jetzt hatte er Ruhe. Aber die wollte er nicht haben. So erdrückend das Schweigen zwischen Philipp und Holger auch war, so schön war es doch zu wissen, dass jemand da war, nach dessen Hand man greifen konnte. Je mehr der Innenverteidiger aber an Philipp dachte, umso klarer erschien ihm plötzlich ein Gedanke... War da mehr als nur Dankbarkeit und Freundschaft? Mehr als der Halt und die Geborgenheit, die Philipp ihm vermittelte, wenn er die Arme um ihn legte?
„Das kann gar nicht sein“, flüsterte er tonlos und schüttelte ganz leicht den Kopf, bevor er richtig froh zur Kenntnis nahm, dass es langsam an der Zeit war sich zum Flugzeug zu begeben. Denn jetzt musste er sich darauf konzentrieren sein Handgepäck zu tragen und trotzdem sicher auf Krücken zu laufen.

Im Flugzeug saß der Innenverteidiger wie gewohnt am Fenster. Es ärgerte ihn, dass sich Philipp wieder in seine Gedanken schlich. Das musste man doch irgendwie abstellen können! Anderseits würde er dann an sein kaputtes Knie denken und in Selbstmitleid verfallen. Wofür sollte er sich da schon entscheiden? Über Gefühle nachdenken, wo keine sein sollten oder über seine Verletzung?


~*~


In Kopenhagen gelandet warf Holger einen Blick auf sein Handy. Sein Flug nach München würde in wenigen Minuten gehen, dann war auch diese Hürde gemeistert. Seufzend ließ er es wieder in die Tasche gleiten. Philipp war wohl auch noch nicht angekommen. Mit dem Vorhaben nicht weiter an ihn zu denken, stieg er in das Flugzeug, das ihn nach Hause bringen sollte. Holger kramte seinen Ipod mit Kopfhörern hervor und entschied sich dafür den restlichen Flug mit seiner Lieblingsmusik zu verbringen.

~*~

Etwa drei Stunden später war Philipp endlich im Hotel angekommen. Er hatte niemanden mehr gesehen. Keinen Trainer, keine Spieler. Ihn hatte nur jemand vom DFB abgeholt. Aber Philipp war es ganz recht so, er war echt müde.
Er schälte sich aus seinen Sachen, warf sich ins Bett und stellte sich den Wecker, ehe er noch die versprochene SMS schrieb.


//Ich bin jetzt im Hotel und schlafe. In vier Stunden muss ich schon auf der PK sein. Keine Lust :( Hoffe, du kommst auch bald an! Bis morgen und drück uns die Daumen! Ich denke an dich. Phil//


Erst als die SMS schon weg war, stutzte er über den letzten Satz. Warum hatte er das geschrieben? Er war wirklich zu müde. Schnell legte er sein Handy weg und fiel alsbald in einen tiefen Schlaf.

~*~

Im kühlen und etwas regnerischen Deutschland angekommen, wartete Holger schließlich und stieg als letztes aus, um niemanden mit seinen Krücken zu behindern. Reichte schon, wenn er sich selbst im Weg stand. Er humpelte ins Gebäude, wartete auf sein ganzes Gepäck und holte währenddessen sein Handy heraus. Einige neue Nachrichten, aber nur eine interessierte ihn im Moment wirklich. Auch wenn sein letzter Satz etwas... seltsam war. Für Holgers Verhältnisse, aber wahrscheinlich nicht für Philipps. Der hatte ihm im Flugzeug ja schon offenbart, dass seine Gedanken bei ihm waren.
Sollte er gleich antworten? Oder würde er Philipp aufwecken?


//Ich bin auch angekommen und werde mir jetzt ein Taxi schnappen. So schlimm wird es schon nicht werden. Häng dich beim Spiel ordentlich rein! Und grüß bitte die anderen von mir//


Er schickte sie sofort ab und widmete sich dann der Beschaffung eines Taxis. Aber wie so oft schweiften seine Gedanken ab. War die SMS in Ordnung? Er sollte aufhören das zu hinterfragen und lieber zusehen, wie er nach Hause kam.

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