Kapitel 13 - Philipps Rückkehr


Das Taxi kam diesmal pünktlich und Philipp wusste, was auf ihn zukommen würde. Claudia hatte sich zwar etwas beruhigt, aber sie hatte angedroht, wenn Philipp nach dem DFB-Pokal noch mal fliegen müsste, würde sie persönlich beim FC Bayern antanzen und sie fragen, was denn ihr Problem mit Philipp wäre, dass sie ihn verbannten.
Er hatte ihr nicht sagen können, dass er es nicht so schlimm fand, aber… so war es nun mal. Ein Teil von ihm freute sich, der andere nicht.
Den ganzen Flug über stritten die beiden Teile. Er dachte viel nach. Über seine SMS, über Holgers SMS, über ihre Gespräche, über die Worte von Schwester Anna, über die Diagnose von Dr. Steadman…
„Mist…“, murmelte er plötzlich kurz vor dem gewohnten Zwischenstopp. Er wollte Holger doch einen Bayernpulli mitbringen, hatte er gesagt. Er hatte eh nichts dabei. Brachte man nicht immer was mit? Na gut, er hatte sich, das war schon was. Aber wollte Holger ihn da haben? Er würde ihn eh irgendwann wieder wegstoßen… lohnte es sich da? Dieser elendige Flug, die Zeitverschiebung und die Strapazen? Wollte er nicht Samstag das Triple perfekt machen? Statt mit den Jungs zu trainieren, hockte er dann in Vail bei einem scheißgelaunten Holger, der ihn spüren ließ, wie wenig er erwünscht war. Ganz toll! Am besten, er erkundigte sich bei dem Zwischenstopp direkt nach einem Rückflug. Das wichtigste hatte er in seinem Handgepäck. Auf seinen Koffer konnte er auch zwei oder drei Tage verzichten.
Ja, das erschien ihm fast schon nach einem guten Plan.

~*~

Die ganze Stunde, die er beim Physiotherapeuten verbrachte, dachte er an die Formulierung dieser einen SMS. Aber was machte er sich da eigentlich vor? Er würde sie doch eh nicht verschicken. Philipp würde die SMS nur herumzeigen und alle hielten ihn für ein verdammtes Kind. Oder redeten auf ihn ein, dass er endlich mal optimistischer sein sollte.
Der Flur war richtig lang, wenn man ihn nur humpelnd entlang gehen konnte. Er lehnte sich gegen die Tür, die aufsprang und sein Zimmer offenbarte. Sein leeres Zimmer.
Träge und mit einem Seufzen untermalt setzte er sich aufs Bett, lehnte die Krücken neben sich und nahm wieder das Handy zur Hand. Erst las er einmal über die Nachricht, dann ein zweites Mal und beim dritten Mal löschte er sie komplett. Verwarf den Gedanken aber schnell wieder sich überhaupt nicht bei ihm zu melden. Das war ein richtiges Labyrinth. Wer wusste schon, was der richtige Weg war? Automatisch huschten seine Finger wieder über die Tasten, korrigierten jeden Satz einige Male, ehe er anerkennend nickte. Jetzt nur noch abschicken. Die SMS war lediglich einen Tastendruck von Philipp entfernt. Eine sehr, sehr schwierige Hürde für Holger.

//Auch wenn es im Moment schwierig ist und du mir vielleicht nicht glaubst, aber ich freue mich wirklich für dich. Ich weiß, wie sehr du dir diesen Titel gewünscht hast und hätte dir auf die SMS nicht antworten sollen. Also zumindest nicht so, wie ich es getan habe. Das war nicht fair dir gegenüber, tut mir Leid. Die Geste mit meinem Trikot weiß ich zu schätzen, aber deine Worte haben mich in dem Moment einfach verletzt. Zehn Monate ist eine lange Zeit und wer weiß schon was noch in Zukunft auf mich zukommt. Oder eher, was nicht mehr auf mich zukommt. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich wollte dir nur schreiben, um die Frage, die ständig im Raum stand, zu beantworten: Es wäre toll, wenn du mich nochmal besuchen kommen würdest. Aber ich verstehe auch, wenn du das nicht willst.//

„Warum zögern Sie denn?“

Holger erschrak fürchterlich und fuhr mit seinem gesamten Körper herum.

Schwester Anna lächelte ihm freundlich entgegen. „Entschuldigen Sie. Ich habe geklopft und da niemand geantwortet hat, dachte ich Sie wären noch beim Therapeuten.“

Und sie hatte also nur rein zufällig über seine Schulter gesehen und die SMS gelesen?

Ohne weiter darauf einzugehen, legte er das Handy weg und winkte ab: „Die schreib ich später noch um oder so.“

Schwester Anna wollte schon etwas erwidern, da klopfte es an der Tür und Dr. Steadman reckte seinen Kopf ins Zimmer.

„Herr Badstuber, könnte ich Sie kurz in meinem Büro sprechen? Es geht um ein paar Formalitäten.“

Holger lächelte und nickte. Allerdings schenkte er den Krücken neben sich einen entnervten Blick, da er schon wieder durch den Flur hoppeln musste. Er achtete gar nicht darauf, dass die Krankenschwester im Zimmer blieb, als er Dr. Steadman folgte.

Vorsichtig schlich Schwester Anna zur Zimmertür, lugte hinaus und sah gerade noch, wie Holger und Dr. Steadman in dessen Büro einbogen. Diese einmalige Gelegenheit, die sich ihr bot, wollte sie ausnutzen. Dem verletzten Innenverteidiger musste aber auch geholfen werden! Ohne weiter Zeit verstreichen zu lassen, bemächtigte sie sich Holgers Handy, las nochmal über den Text und drückte dann den Senden-Button. Anschließend legte sie das Smartphone wieder auf den Tisch, so als habe sie es nie angerührt. Mit sich und ihrer Aktion mehr als zufrieden verschwand sie selig grinsend aus dem Zimmer.


~*~


Da war Philipp also raus aus dem Flugzeug und echt in Versuchung sich nach einem Rückflug zu erkundigen. Allerdings war das auch albern, oder?
Seufzend setzte er sich auf eine Bank, ließ sein Handgepäck neben sich fallen und holte sein Handy erst mal wieder aus dem Flugzeugmodus zurück. Direkt gingen einige SMS ein. Die erste war von Basti.


//Sag mal, dir geht’s auch zu gut, oder? Schon wieder nach Vail? Man, man, man… willst du nicht in Ruhestand gehen, dann werde ich erster Kapitän und kann auch Geschäftsreisen machen nein, ernsthaft… ich find’s toll, dass du fliegst. Trotz der SMS. Holgi kann dich sicher gut gebrauchen. Grüß ihn lieb und gib ihm nen Busserl von mir //


Philipp schmunzelte leicht. Wenn er da ankommen würde. Er hob den Blick und sah die Anzeigetafel. Viele Städte waren ausgeschildert. Allerdings in der nächsten Stunde kein Flug nach München. Dafür würde seine Maschine in gut einer dreiviertel Stunde wieder abheben.
Er richtete seine Augen wieder aufs Handy. Basti würde er später antworten. Erst recht nachdem er sah, dass Holger ihm geschrieben hatte. Allein diese Tatsache ließ Philipps Herz schneller schlagen. Vor Aufregung? Er konnte es nicht deuten. Was er wohl geschrieben hatte? Vielleicht wollte er ihn nie wiedersehen und damit hätte Philipp seine Antwort, mit welcher Maschine es weiter gehen würde.
Aber was dachte er darüber nach, was da stehen könnte? Er musste die SMS doch nur öffnen und lesen, dann wüsste er es. Öffnen und lesen… wieso war das so schwer? Philipp kam sich plötzlich ziemlich dämlich vor. Schließlich öffnete er sie doch einfach. Wow, war die lang!
Er las sie einmal. Zweimal. Dreimal.
München? Wer wollte schon nach München? Sein Ziel würde Vail sein! Da gab es jetzt aber gar keine Zweifel mehr dran.
„Holger“, hauchte er und konnte nicht anders als zu lächeln. Das war so unwahrscheinlich süß und lieb von ihm. Irgendwie passte es nicht zu ihm und Philipp hatte das Gefühl, als könnte man in der SMS lesen, wie schwer es dem Innenverteidiger gefallen sein musste, sie zu schreiben. Das war Wahnsinn!
Allerdings machten ihm die Zeilen zu seiner Verletzung Sorgen. Gab es neue Erkenntnisse? Sollte er deswegen wieder nach Vail fliegen? Mit einem Mal überkam ihn ein eher beklommenes Gefühl. Er mahnte sich zur Ruhe. Vielleicht hatte Holger auch einfach Angst, dass er nie wieder fit werden würde. Einen kurzen Moment überlegte er, ob er ihm schreiben sollte, aber er ließ es bleiben. Wenn er Glück hatte, wusste Holger noch nichts von diesem Besuch und er konnte ihn überraschen. Allerdings nicht ohne Geschenk… er sah auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde? Die reichte ihm, um sich in den Läden hier umzusehen.

Tatsächlich fand er sogar eine kleine Spieluhr, beziehungsweise so was in der Art. Es war ein Häschen, aber wenn man das linke Ohr herunterdrückte, sagte es „Get well soon“. Natürlich konnte es sein, dass Holger es wieder unpassend fand, aber dann sollte er ihm mal sagen, was er machen durfte und was nicht. Der Kapitän fand es auf jeden Fall ziemlich süß.


Irgendwann kam Philipp auch mal in Vail an. Herr Stevens holte ihn wieder ab. Irgendwie war der Kerl etwas komisch. Sprach nur das Nötigste, wirkte so in sich gekehrt… sehr suspekt der Gute, aber es konnte Philipp egal sein. Hauptsache es war jemand da, der ihn abholte. Alleine hätte er schlechte Karten gehabt. Er hätte weder den Namen des Hotels, noch die Straße gewusst – geschweige denn den Namen des Krankenhauses!
Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie planlos er bei seinem ersten Besuch eigentlich gewesen war.
Als Herr Stevens ihn vor dem Hotel absetzte, galt Philipps erster Blick dem Krankenhaus. „Ich bin gleich da“, flüsterte er. Dann schüttelte er über sich selber grinsend den Kopf und checkte erst mal ein. Er wollte sich kurz frisch machen, bevor er Überraschung spielte.


~*~


Holgers Tag war mal wieder von Langeweile geprägt. Den Klinikgarten fand er alleine uninteressant und in den Aufenthaltsraum wollte er auch nicht. Blieb also sein Zimmer und der Fernseher, den er anstarren konnte. Sollte er Basti, Mario oder Thomas vielleicht mal anrufen? Oder war das ungünstig? Nachdem er sich endgültig gegen das Verschicken der SMS entschieden hatte, drehten sich seine Gedanken nur noch um seine Verletzung. Er schien seine hereinbrechende Lethargie allerdings kurz unterbrechen zu müssen, denn Schwester Anna stand nach mehrmaligen Klopfen im Raum.

„Ich hab gerade Feierabend und wollte noch einen Kaffee trinken, wollen Sie vielleicht auch einen?“

„Nein danke“, verneinte Holger und lächelte die freundliche Krankenschwester an. „Schönen Feierabend.“

Seufzend ließ Schwester Anna die Schultern hängen. Musste sie wohl tiefer in die Trickkiste greifen. „Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Mein Mann und meine Kinder sind heute nicht zu Hause und alleine will ich auch nicht Kaffee trinken. Zu zweit ist das doch viel unterhaltsamer. Sie würden mir wirklich eine große Freude machen.“ Sie betete insgeheim, dass wenigstens das jetzt klappen würde, sonst müsste sie ihm wohl mit einem Tesastreifen die Mundwinkel nach oben kleben und ihn aus dem Bett prügeln.

„Hm, wenn das so ist“, schmunzelte Holger, nickte schließlich und schwang seinen Körper aus dem Bett, „Bei so einem netten Angebot kann man ja nicht ablehnen.“

Erleichtert, dass der verletzte Sportler sich doch noch überreden ließ, hielt sie ihm einladend die Tür auf. Gemeinsam machten sie sich auf zum Aufenthaltsraum. Dieser eingebaute Raum in Form einer praktischen Wandnische, lag direkt entlang des Ganges, den man zu den Patientenzimmern durchqueren musste. Obwohl dieser stilvoll und wirklich sehr einladend eingerichtet war, herrschte gähnende Leere. Schwester Anna bat Holger sich schon zu setzen, während sie für die Getränke sorgte. Fast hätte sie für den verletzten Innenverteidiger eine heiße Schokolade besorgt, weil sein Verhalten sie ein wenig an ihren Sohn erinnerte und der trank das warme Kakaogetränk so gern.
Bewaffnet mit zwei großen Tassen Kaffee kam sie in den Raum und setzte sich Holger gegenüber.

„So, jetzt erzählen Sie mir doch ein bisschen was von sich. Gibt es etwas außer Fußball, was Sie interessiert?“
Vielleicht fanden sie ja ein paar Gemeinsamkeit, über die man sich unterhalten konnte.

Überrascht über die forsche, aber doch sehr herzliche Art, überlegte Holger kurz, was er ihr antworten könnte. Sie erschien ihm nicht so, als könnte sie mit Hip Hop, oder allgemein Musik etwas anfangen.
„Fußball nimmt schon einen ziemlich großen Teil meines Lebens ein...“
Soviel Zeit für weitere Hobbies blieb da gar nicht. Aber es war toll sein Hobby zum Beruf zu machen und sich damit einen großen Traum zu erfüllen.

Schwester Anna lächelte den blonden Verteidiger die ganze Zeit über an, wollte aber das leidige Thema Fußball besser vermeiden und ihn stattdessen lieber zum Lachen bringen. „Ich mag ja die deutsche Comedy!“, erzählte sie dann und trank einen Schluck von ihrem Kaffee, „Diesen Humor von dieser Monika Gruber finde ich zu köstlich. Sagt Ihnen der Name etwas?“

Holger kramte in seinem Gedächtnis. Irgendwo hatte er diesen Namen schon mal gehört... ach ja! Im Training, als Basti und Franck darüber Witze machten, was die Kabarettistin über Philipp äußerte. Irgendwann hatte der Kapitän dann doch noch in das Lachkonzert seiner Kollegen eingestimmt. Holger erinnerte sich jetzt wieder gut daran, wie sie ihm beteuert hatten, dass sie mit ihm und nicht über ihn lachten, bevor er die Sache auch endlich mit Humor genommen hatte.
„Ja, die kenn ich“, antwortete er dann.

„Auch die Witze über Ihren Kollegen?“, schmunzelte Anna, „Das dürfen Sie ihm aber auch nicht verraten, wenn ich diese Monika jetzt zitiere.“ Verstohlen sah sich die Krankenschwester um, erhaschte einen Blick auf das erwartungsvolle Gesicht des blonden Fußballers und ahmte die Komikerin nach.
„Den mechst du doch am liabsten sei Kindergartentascherl packen und song, 'Gey Bubi, etz dou schey dei Sunkiss trinken, deine Milchschnitte essen, gehst nicht zu fremden Schiedsrichtern in die Kabine'.“

Es war beeindruckend, wie sie sogar den bayrischen Dialekt imitieren konnte. Zum ersten Mal seit seiner Operation lachte Holger herzhaft und unbeschwert. So wie früher, wenn er an etwas Freude hatte. Und es tat gut. Richtig gut sogar. Aber er konnte nicht anders, die Vorstellung von Philipp genügte, um das lustig zu finden. Er würde sowieso nicht davon erfahren.


Frisch geduscht, mit dem Hasen im Schlepptau, einem weiteren Geschenk und einem Grinsen auf den Lippen betrat Philipp das Krankenhaus. Schnell nahm er die Treppe in den ersten Stock. Er öffnete die große Tür zur Abteilung in der Holger lag. Der Flur war ziemlich leer, aber das nahm er nur unbewusst war. Er machte sich auf geradem Weg zu Holgers Zimmer, als er stockte. Das… das war doch Holger! Ein lachender Holger? Das konnte nicht sein.
Neugierig wie er nun mal war, ging Philipp ein paar Schritte zurück und lugte in den Aufenthaltsraum. Tatsächlich. Da saßen Schwester Anna und Holger. Der Innenverteidiger lachte so unbeschwert, dass Philipp vor Freude beinahe Tränen in den Augen bekam. Sofort lächelte er aber. Da konnte er nichts gegen tun. Es passierte einfach.
Langsam ging er näher. Sollte er was sagen? Er wusste nicht was. Außerdem war sein Mund seltsam trocken. Er schluckte schwer. Er war echt kurz davor zu heulen. Es war aber einfach auch wundervoll Holger so lachen zu sehen. Philipp wusste nicht, warum er so lachte, aber es war egal. Sicher hatte Schwester Anna was gesagt. Sie war ein Engel! Der Kapitän nahm sich vor sich später bei ihr zu bedanken.
Ein paar Meter entfernt blieb er schließlich stehen, starrte den Blonden einfach nur an, trug ein seliges Lächeln auf den Lippen, aber schwieg. Fast schon nervös drückte er das Paket mit dem kleinen Hasen an sich. In der Hosentasche fühlte er das Gold, was er in dem Umschlag gefunden hatte, den Jupp ihm gegeben hat. Er hoffte einfach, dass er ihn bemerken würde.

„Oder haben Sie gehört, dass Herr Lahm seit Samstag eine neue Badewanne hat?“
Schwester Anna saß mit dem Rücken zu Philipp, konnte ihn daher gar nicht sehen und war unglaublich froh einen Witz gefunden zu haben, mit dem sie den verletzten Fußballer zum Lachen bringen konnte.

„Den Champions-League Pokal“, grinste Holger breit, sah lachend vom Tisch auf zu der Krankenschwester.
Schlagartig erstarb sein Lachen, das Lächeln in seinem Gesicht allerdings blieb, als er an Schwester Anna vorbei blickte und den Kapitän erkannte.


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