Kapitel 81 – Zusammen, wie Schnitzel mit Pommes



Philipp zog sich das weiße Shirt mit dem Adidas-Logo über und begutachtete sich kurz im Spiegel. Passte gut zu der dunklen, verwaschenen Jeans. Er verschwand kurz im Bad und fuhr sich durch die kurzen Haare. Mit etwas Haargel waren sie fix zurecht gerückt. Handy und Geldbörse eingesteckt, dann trat er auf den Flur. Claudia war mit Julian unterwegs, deswegen konnte er sich von niemandem mehr verabschieden.
Er seufzte stumm während er in seine Schuhe schlüpfte. Sie war nicht begeistert gewesen, das hatte er ihr angesehen, aber gesagt hatte sie auch nichts. Ihr Blick hatte aber deutlich ausgesagt: „Schon wieder Holger?“
Dabei war es nicht so schlimm wie vor Hawaii. Aber alles, was sie sah, war, dass ihr Mann mit diesem Kerl unterwegs war. Warum auch immer sie das so störte.
„Ich werde es wohl nie verstehen“, murmelte er zu sich selbst als er schon mal durch die Tür nach draußen trat. Holger müsste jeden Moment kommen.



Während Holger sich vor dem Spiegel kritisch beäugte, dachte er an das Gespräch mit Dr. Engbert zurück. Sie einigten sich darauf, dass er sich jetzt regelmäßig an einen Mentaltrainer wandte, der sein Durchhaltevermögen steigern konnte. Aber er schien den Fortschritt, den Holger durchlebte, erkannt zu haben und wirkte deshalb so, als ob er wirklich keine Zweifel mehr daran hatte, dass der Innenverteidiger das schaffen würde. Und das würde er garantiert! Der Kampf gegen seine Verletzung musste gewonnen werden. Außerdem hatte diese Verletzung für seine Denkweisen auch seine Vorteile. Holger würde mental stärker werden als alle anderen im Verein, das versicherte ihm Dr. Engbert. Zudem merkte er, welch ein Privileg es war so erstklassig spielen zu dürfen.

Nur leider änderte es nichts an der Tatsache, dass er nicht wusste, was er anziehen sollte. Obwohl er sich schon ein Outfit zurecht gelegt hatte, stellte er fest, dass das einfach nicht so aussah, als würde er mit Philipp ein Camp besuchen... viel eher wirkte es so, als wäre er Trauzeuge oder sowas. Sinn also verfehlt, auch wenn er gerne vor dem Kapitän was hermachen wollte.

Seufzend drehte sich Holger zum Bett und blickte auf den riesigen Stapel an Kleidungsstücken, von denen er ein paar schon zu seiner schwarzen Hose anprobierte. Wenigstens hatte er sich schon auf eine Jeans festgelegt, daher fehlte nur noch das Oberteil...

Es blieb die Frage welches... ein lockeres Shirt? Er verwarf den Gedanken an das beige Oberteil und sortierte es auf einen anderen Stapel. Dadurch kam sein schwarz/weiß kariertes Hemd mit grauen Einfärbungen zum Vorschein. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Das war genau das richtige. Schnell ersetzte er sein weißes Hemd durch das karierte und stülpte die Ärmel zurück, damit sie nur dreiviertelt seinen Arm bedeckten. Nachdem er auch noch nach dem schwarzen Cappy griff, eilte er in den Flur. Holger war schon viel zu spät dran, deshalb beschloss er seine Kleidung erst nach dem Camp aufzuräumen. Jetzt würde es zu knapp werden, da er noch mit Philipp essen gehen wollte. Im Grunde war es auch egal, Philipp würde normalerweise sein Schlafzimmer nicht betreten. Nicht heute... aber auch sonst nie.

Eben jenes Lächeln nahm traurigere Züge an. Wie oft in letzter Zeit hatte er sich gewünscht, dass Philipp bei ihm schlief. Aber seit es ihm besser ging, war das alles nur noch bloßes Wunschdenken.

Zügig schlüpfte er in seine braunen Schuhe mit weißer Sohle, richtete seine Jeans penibel und griff sich die Autoschlüssel, ehe er die Wohnung verließ. Natürlich vergaß er seine Krücken, die er zur Sicherheit noch behalten sollte. Aber ganz so dringend würde er sie bestimmt nicht brauchen, dessen war sich Holger sicher. Sein Knie fühlte sich heute nämlich erstaunlich gut an. Schon mal ein gutes Zeichen.


Im Auto kontrollierte er dann noch, ob er Geldbeutel, Wohnungsschlüssel und Cappy dabei hatte, welches er aber auf den Rücksitz warf. Die Uhr zeigte schon halb zwölf. Die Uhrzeit, zu der er Philipp eigentlich schon abholen wollte... Man, normalerweise war er doch immer pünktlich. Naja, Philipp würde sich hoffentlich nicht beschweren.

Er fuhr etwas schneller, um so Zeit einzusparen, aber in München war das sowieso so eine Sache von A nach B zu kommen.


Philipp schaute ungeduldig auf die Uhr. Wo blieb Holger denn? Na, vielleicht war der Verkehr so schlimm, das konnte ja in München schon mal vorkommen.
Die Tasche, die er geschultert hatte, ließ er auf dem Boden nieder. Dort waren kleine signierte Fußbälle vom FC Bayern drin, die Philipp bekommen hat. Sie waren noch von der letzten Saison übrig. Außerdem hatte er auch Autogrammkarten dabei. Seine und Bastians, er hatte tatsächlich dran gedacht.


Gerade als er sein Handy zücken wollte, fuhr Holger aber schon vor.


Bis er ankam, vergingen auch wieder endlos scheinende Minuten, weswegen er mit einem entschuldigenden Lächeln vorfuhr, als er Philipp schon bei der Einfahrt warten sah. Unbewusst studierte er das Aussehen des Kapitäns. Herausgeputzt hatte er sich auch nicht, trotzdem sah er irgendwie gut aus. Aber konnte er das überhaupt noch objektiv bewerten? Holger war es eigentlich egal, was Philipp anhatte. Er fand ihn hübsch, egal in welcher Kleidung er steckte. Als der Kapitän näher kam, erkannte er das rasierte Gesicht und auch die gestylten Haare, worauf er erschrocken feststellte, dass er das Haargel vergessen hatte, nachdem er sich seine Frisur zurecht gekämmt hatte. Gut, es würde Philipp vermutlich nicht mal auffallen, da er sowieso selten mit Haargel einzelne Strähnchen fixierte und trotzdem immer eine schöne, gepflegte Frisur aufweisen konnte.


Lächelnd kam Philipp ihm entgegen und stieg ein.
„Hey“, grüßte er, stieg ein, schnallte sich an und drehte sich dann noch mal zu ihm.


„Tut mir Leid, dass du so lange warten musstest“, entschuldigte er sich. Auch wenn er Philipp nicht direkt ins Gesicht blickte, da er schon damit beschäftigt war weiterzufahren, bemerkte er dennoch, dass dieser gar nicht nachzufragen schien oder böse wirkte wegen der doch recht einschlägigen Verspätung. Aus dem Augenwinkel sah er bloß die Blicke, mit denen er angesehen wurde und fühlte sich etwas unwohler. Der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, war, ob vielleicht sein Shirt doch nicht so gut aussah, wie er eigentlich dachte.


Philipp winkte bloß ab wegen der Entschuldigung. War ja kein Problem. In München konnte man das halt auch nicht immer sagen.

Er kam nicht umher ihn zu mustern. „Du siehst ja richtig gut aus“, stellte er überrascht fest. „Das Hemd ist voll schön“, er zupfte leicht an dem Stoff am Ellenbogen und grinste Holger an. „Da können wir ja jetzt richtig schick essen gehen.“


Philipp aber bestätigte ihm, dass es gut aussah. Dass er gut aussah. „Sonst etwa nicht?“, erwiderte er schmunzelnd. Noch bevor diese Frage seinen Mund verließ, zuckte er er wegen der leichten Berührung zusammen und schaute einen kurzen Augenblick auf die Hand, die an dem Stoff zupfte.


„Immer“, gab er grinsend zurück und zwinkerte. Das war nicht mal gelogen, aber normalerweise achtete er nicht unbedingt auf die Kleidung von Holger. Er achtete nicht mal jeden Tag auf Claudias Kleidung. Musste man das als Ehemann? Bisher hatte sie sich noch nicht beschwert.


Holger schluckte beklommen und spürte, wie sein Kopf sich richtig heiß anfühlte. Jetzt nicht zu erröten, durfte sich doch nicht als so immens schwer herausstellen. Schließlich war das nur ein Witz von Philipp. Als würde der ihn wirklich attraktiv finden. Womöglich fand er nur das Hemd hübsch und machte ihm deshalb ein Kompliment. Sagte man nicht immer „Kleider machen Leute“? War dann wohl so ein Fall.

„Ach, ich hab mir einfach schnell was angezogen, war so knapp dran“, spielte er herunter, kam aber nicht umher zu schmunzeln, schließlich stand er seit der Sitzung bei Dr. Engbert vor dem Spiegel und suchte sich ein Outfit. Und wenn er ehrlich war, überlegte er sogar schon seit Philipps Anruf. Der würde ihn sicherlich für verrückt erklären, wenn er das wüsste. Sogar der eitle Mario würde ihn wahrscheinlich deshalb auslachen. Auch wenn er es nicht so zeigen konnte, wie er gerne wollte, freute er sich wahnsinnig darüber, dass Philipp sein Äußeres überhaupt wahrnahm.


„Sieht ja trotzdem echt gut aus“, er richtete den Blick wieder nach vorne durch die Scheibe. „Ich freu mich“, gab er zu. „Das wird bestimmt ein schöner Tag.“ Das Lächeln auf seinen Lippen war ehrlich und seine Augen begannen zu leuchten. Er freute sich wirklich. Das Camp, die Kinder, Holger… vielleicht eine komische Mischung, aber für ihn erschien sie perfekt zu sein.


Holger nahm den Blick für zwei Sekunden von der Straße, sah halbwegs das Lächeln in Philipps Gesicht und nickte leicht. „Glaub auch. Wenn die Kinder genug gute Laune mitbringen, wird das bestimmt“, bekräftigte er seine Zustimmung nochmal. Auch wenn er schon ein wenig nervös war wegen der Fragen der Kinder. Philipp würde auch zuhören, was es für ihn nicht unbedingt leichter gestaltete. Holger mahnte sich, sich nicht selbst so sehr unter Druck zu setzen.


„Dahinten links“, dirigierte er Holger. Inzwischen wusste er den Weg auswendig zum Camp und von dort aus wusste er auch den Weg zu dem Restaurant.


Er war fast so tief in seinen Gedanken, dass er die Anweisung des Kapitäns beinahe überhörte und einfach an der Kreuzung geradeaus weiter fuhr. Gerade noch lenkte er sein Auto nach links, fuhr noch etwas weiter und entdeckte dann einen großen Parkplatz. "Ist es das?", fragte er erwartungsvoll.


Philipp nickte. „Genau, da parken wir gleich, du fährst jetzt erst da vorne noch mal rechts und die nächste direkt wieder links. Da ist das Restaurant, wo ich uns einen Tisch bestellt habe.“


Holger fuhr den Weg wie angekündigt und parkte vor dem Lokal. Philipp ließ die Tasche im Auto und stieg aus. Er hielt sich eine Hand vor das Gesicht, da die Sonne ihn blendete. „Dann wollen wir mal.“

Er wartete bis Holger zu ihm rumgekommen war und gemeinsam betraten sie das Restaurant. Sie wurden direkt nett empfangen, Philipp nannte seinen Namen und die Kellnerin brachte sie an einen Tisch am Fenster, reichte ihnen auch sofort die Karten als sie sich gesetzt hatten. „Ich komme sofort wieder wegen den Getränken“, lächelte sie und verschwand.
Philipp lächelte ebenfalls. „Schön hier, oder? Ich mag das Ambiente“, erklärte er und schlug direkt die Karte auf. Vermutlich würde es eh auf Hirschragout mit Spätzle hinauslaufen.


Das Lokal war wirklich sehr schön eingerichtet und vermittelte einem das Gefühl sich prompt wohlzufühlen. Ein Tisch am Fenster war dann auch ganz nach Holgers Geschmack.

Danach widmete er sich allerdings der Karte, die reich an bayerischen Spezialitäten war. Da eine Entscheidung zu fällen, war nicht einfach, es klang alles lecker. Dennoch zog ein Gericht Holgers Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte ja sowieso seine Vorlieben, so wie er oft in einer Pizzeria lieber Pasta bestellte als eine Pizza. Auch hier experimentierte er nicht, sondern entschied sich für ein klassisches Gericht.


Die Kellnerin kam wieder an ihren Tisch und stellte die Getränke mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht vor den Gästen ab. Holger und Philipp bedankten sich mit einem Nicken.


„Wissen Sie schon, was Sie essen wollen?“, zückte sie ihren Notizblock und schaute die Fußballer erwartungsvoll an.


Holger suchte den Blick Philipps, der noch auf die Karte gerichtet war. Na dann konnte er als erstes bestellen. „Schnitzel mit Pommes, bitte.“


Danach wandte sie sich an Philipp und wartete auf seine Bestellung.


Der Kapitän bestellte, was er sich schon überlegt hatte und die Bedienung verschwand. Sofort sah er Holger an. „Es gibt hier so tolle Sachen und du isst Schnitzel mit Pommes?“, er lachte leicht. „Du bist auch einer.“


Verschreckt sah er ihn an und zuckte mit den Schultern. Vielleicht hätte er sich doch ein anderes Gericht bestellen sollen, da man Schnitzel mit Pommes eher Kindern zuordnete. „Naja, ich hab das schon immer gern gegessen“, erklärte er seine Essensauswahl.


Philipp nahm einen Schluck von seinem Wasser. „Was macht die Reha? Geht es weiter voran?“ Philipp hoffte es.


Bevor Holger sich aber noch weiter rechtfertigen konnte, schnitt Philipp ein anderes Thema an. Warum verunsicherten ihn nur so einfache Fragen von dem Kapitän immer gleich? Ach ja, er wollte nichts falsch machen.

„Einigermaßen. Mein Knie fühlt sich jedenfalls heute gut an, aber richtig von Fortschritt kann man nicht sprechen, solange kein Kreuzband eingesetzt ist.“ Die Reha beschränkte sich lediglich darauf, dass er sein Knie wieder belasten konnte, während die Knochenheilung ihr eigenes Tempo vorgab, wann es heilte. Solange musste er wieder einmal Geduld beweisen.


Nickend verfolgte er die Worte zum Fortschritt. Das stimmte wohl. Erst mal musste das neue Band rein. Aber wenn er dann doch eh nicht so viel machen konnte, machte es doch keinen Unterschied, ob er in Deutschland oder in Trentino war, oder? Der große Unterschied lag darin, dass es mental für ihn sehr wichtig war. So kam er auch auf das nächste Thema zu sprechen.

„Weißt du eigentlich schon, ob du mit nach Trentino kommst?“ Zwar fragte er sich, ob er dort wieder eine empfindliche Stelle getroffen hatte, aber inzwischen war Holger doch mental stärker, oder? Allerdings gab es da immer noch die Sache mit Sarah… schwächte sie ihn wieder? Er wusste es nicht. Aber es würde auf Dauer nichts bringen, wenn er Holger nur mit Samthandschuhen anfassen würde.


Holger seufzte. Er wusste es gar nicht, ob Trentino für ihn relevant war und er dort seine Reha weitermachen konnten, während die anderen trainierten.

„Ich hoffe, dass ich mit kann, weil ich dann auch mal wieder bei der Mannschaft wäre.“ Ansonsten war er doch immer nur außen vor, wenn der FC Bayern ihre Siege feierten. Er war verwundert und gleichermaßen erstaunt, dass Philipp so die Initiative mit Fragen ergriff. Irgendwie war er sogar positiv überrascht, weil ihm das wesentlich lieber war als nur schweigend auf das Essen zu warten.


„Ich pack dich zur Not in meinen Koffer“, grinste Philipp. „Du musst mit. Wenn es nichts Wichtiges ist, was du nur hier in Deutschland machen kannst, musst du mit. Da gibt es keine Widerrede. Wir wollen dich doch auch alle dabei haben.“
Und es war einfach für Holger total wichtig. Eigentlich wäre es verantwortungslos ihn hier zu lassen. Na ja, ein bisschen Zeit war zwar noch, aber vielleicht würde Philipp Müwo einfach mal fragen. Oder Pep? Gerry? Wer entschied das denn?


„Dann leg dir mal einen größeren Koffer zu“, schmunzelte er, sah Philipp kurz an, ehe er wieder schüchtern die Tischdecke musterte. Sie war fast ganz rot, genau wie die Servietten, auf denen das Besteck lag. Und wie sein Gesicht, was die Folge von Philipps nächstem Satz war. Am wichtigsten war ihm natürlich, dass Philipp ihn dabei haben wollte. Aber es tat sehr gut zu wissen, dass die Mannschaft hinter einem stand. „Ich werde morgen mal mit Gerry drüber reden“, versicherte er. Oder war es ein schlechtes Zeichen, dass der Physiotherapeut noch nicht von sich aus dazu was gesagt hatte? Hoffentlich nicht... Mitkommen würde er wirklich gerne, auch weil er sehen wollte, wie Pep die Mannschaft trainierte, um wenigstens gedanklich auf der Höhe zu sein, wenn er schon körperlich nicht teilnehmen konnte.


„Was gibt es da denn alles für Workshops?“, fragte er dann, um zwar das Gespräch aufrecht zu halten, aber lieber vom Verletzungsthema wegzukommen. Der Zukunft würde er sowieso erst wieder positiv entgegen blicken können, wenn die vierte Operation nach seinen Wünschen verlaufen würde.


Sofort legte sich ein Lächeln auf seine Lippen. Das Interesse klang ehrlich und das freute Philipp ungemein. „Also die drei großen Säulen sind ja Bewegung, Ernährung und Persönlichkeit“, fing er an zu erklären. „Einzelne Bereiche werden an den einzelnen Tagen abgearbeitet. Heute gibt es drei kleine Workshops und die Kinder rotieren, damit sie einmal alles gemacht haben. Du kannst dir im Prinzip aussuchen, was du machen möchtest. Den genauen Ablauf haben sich die Betreuer überlegt. Bei der Ernährung wird den Kindern Obst und Gemüse gegeben. Also sie kriegen die Augen verbunden und müssen dann etwas essen. Viele schrecken die Wörter Obst und Gemüse ja ab, so wollen wir ihnen zeigen, dass es auch gut schmecken kann. Sie kriegen dann eine Postkarte mit, wo angekreuzt ist, wie es ihnen geschmeckt hat. Daumen nach oben, in die Mitte oder nach unten. Später können sich auch die Eltern daran orientieren und das kaufen und kochen, was ihren Kindern schmeckt.“


Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, da er merkte, dass Philipp vollkommen in seinem Element zu sein schien, als er über die verschiedenen Workshops berichtete. Auf den Bewegungs-Workshop würde er wohl oder übel verzichten müssen, aber das andere konnte er schaffen.

Unbewusst hatte sich Holger an den sich bewegenden Lippen des Kapitäns festgestarrt, sich dabei regelrecht vorgestellt wie es wäre sich jetzt einfach über den Tisch zu beugen und ihn zu küssen.


Philipp nahm einen Schluck Wasser, ehe er weiter redete.
„Bei der Bewegung geht es natürlich nicht nur um Fußball, eigentlich gar nicht. Es geht um ausgewogene Bewegung quasi. Um Spiele, die Kinder fit halten oder Übungen, die sie machen können, damit sie sich ausgelastet bewegen und zum Beispiel nicht nur ihre Beine beanspruchen. Soweit ich weiß, wird es heute die Möglichkeit geben verschiedene Sportgeräte auszuprobieren. Inlineskater, Skateboard, Balance-Board, solche Sachen. Der Bereich Persönlichkeit ist mir fast schon am Wichtigsten, wenn ich mich entscheiden müsste. Es geht um Teamarbeit, Konfliktlösungen, was ist einem wichtig, wie verhält man sich jemandem gegenüber, Vertrauensübungen und alles, was in diese Richtung geht. Ich glaube genau das machen sie heute. Verschiedene Vertrauensübungen, die man dann zu zweit macht. Aber ich bin mir nicht sicher.“


Jetzt hatte Philipp ihm aber einen regelrechten Vortrag gehalten. Passend kam auch schon das Essen.


Erst bei Beendigung löste der Innenverteidiger seinen Blick, auch weil die Kellnerin ihr Essen brachte.


„Guten Appetit“, wünschte er Holger und widmete sich seinem Essen, was köstlich roch.


„Danke, dir auch“, nickte er und schob sich den Teller zurecht. „Die Portion sind hier ja riesig“, stellte er fest. Aber war in den Bayrischen Lokalen oft so, dass sie mit den Portionen nicht geizten, während es in Sternerestaurants ganz anders aussah


„Damit du mal wieder ordentlich was zu essen bekommst“, grinste Philipp und spießte ein Stück Fleisch auf, ehe er es sich genussvoll in den Mund schob. Ja, das war Essen nach seinem Geschmack.


Holger fände es unhöflich sich nicht zu dem ganzen Vortrag über die Workshops zu äußern. „Das klingt nach Spaß. Da würde man ja schon mal gerne wieder Kind sein, wenn man dir so zuhört. Ich bin auch gespannt auf das ganze Gelände. Hoffentlich schaffen wir das noch vorher.“


Philipp war etwas überrascht, lächelte aber dann.

„Danke. Wenn wir es vorher nicht mehr schaffen, schauen wir es uns halt hinterher an. Ich hab nichts anderes geplant heute.“ Wenn Holger so großes Interesse zeigte, nahm er sich auch gerne ein oder zwei Stunden mehr Zeit dafür. Den ganzen Abend, wenn er wollte.


Irgendwie kam der Gedanke in ihm auf, wie es wäre abends beim Lagerfeuer zu sitzen, den klaren Sternenhimmel über ihnen und die knisternden, warmen Flammen vor ihnen. Ein schöner Gedanke. Schon als Kind hatte Philipp das Lagerfeuer am Ende einer jeden Fußballfreizeit gemocht. In dem Zusammenhang dachte er daran, dass sein Haus am Tegernsee ja auch so eine Feuerstelle hatte, aber er würde gewiss nicht mit Holger dorthin fahren, nur, um einmal ein Lagerfeuer zu machen. Oder?


Holger lächelte darüber, dass Philipp ihm mitteilte, dass er nichts anderes mehr vorhatte. Irgendwie war das doch der Wink mit dem Zaunpfahl, dass sie auch danach noch Zeit gemeinsam verbringen konnten. Der Blonde freute sich auf jeden Fall darauf. „Ich auch nicht. Wir können uns ja einen gemütlichen Abe... Tag machen.“ Das was er eigentlich sagen wollte, war die Wahrheit. Nicht die Korrektur, die er hastig einschob und beschämt auf sein Schnitzel schaute, das ihn nicht so derart nervös werden ließ, wie Philipp.


Philipp nickte lächelnd. Er hatte sehr wohl gehört, dass Holger eigentlich etwas anderes sagen wollte, aber er ignorierte es. Die Frage war, warum Holger doch nicht von „Abend“ sprach. Weil er dachte, Philipp müsste wieder nach Hause? Wegen Julian und Claudia? Er hatte keine Zeit abgemacht… er würde es wohl spontan entscheiden.


Holger versuchte sich nun nichts mehr dabei zu denken, schließlich nickte Philipp nur lächelnd zu seinem Versprecher. Wäre es ihm unangenehm, hätte er schon etwas gesagt oder die Miene verzogen.

Skeptisch schaute Holger dann auf das riesige Schnitzel und schmunzelte. „Da hätte ich mir mal lieber ein Kinderschnitzel bestellt.“ Er sah auch kurz auf Philipps Essen. Eine ebenso große Portion, die auch noch richtig lecker aussah. Aber er war total zufrieden mit seinem Schnitzel und den vielen Pommes.


Die nächsten Worte des Innenverteidigers rissen ihn aus seinen Gedanken. „Ach Holger“, er grinste breit. „Du bist doch schon groß. Das schaffe ja sogar ich.“


Als er sagte, er wäre schon groß, lachte Holger leicht auf. Philipp war gegen ihn ein richtiger Zwerg, wenn man ihre Größe mal verglich. Deshalb konnte er den Spruch wohl nicht zurückgeben. Wollte er auch nicht, Philipp beschwerte sich nicht über die Portionen.


„Soviel zu gesunder Ernährung“, merkte er an, ehe er sich ein Stück des Schnitzels zurecht schnitt und in den Mund schob. Es roch nicht nur gut, sondern schmeckte definitiv auch super.


„Hin oder wieder muss ein bisschen Fett auch mal sein, um den Haushalt zu regulieren. Das lernst du gleich alles“, gab Philipp zurück. Es stellte sich ihm die Frage, was Holger wohl sonst so kochte, aber er traute sich nicht zu fragen. Dann wären sie wieder bei dem Thema, dass er ja Junggeselle war und so waren sie auch wieder bei Sarah. Der Kapitän fragte sich, wieso er sich so dagegen sträubte es zu glauben. Er verstand es nicht.
Was aber vielleicht daran lag, dass er gerade auch sehr viel verdrängte – oder es zumindest versuchte. Es klappte mal mehr, mal weniger gut. Er dachte nicht immer an den Kuss betrunken im Auto, an den Kuss im Mondschein in Vail, an den Kuss bei Holger im Bett, an die vielen Küsse, die er ihm immer wieder aufs Haar gehaucht hatte. Aber hatte er das nicht nur gemacht, um ihm zu vermitteln, dass Holger nicht alleine war? Seit er aus Hawaii wieder da war, hatte er das noch gar nicht wieder gemacht, oder? Na, vielleicht als er die Magenschmerzen hatten, aber sonst? Nicht mehr. Es ging ihm ja auch gut. Da brauchte er das nicht mehr. Daran lag es doch, oder?


Erst war er etwas erstaunt, dass er nach den Angaben des Kapitäns gleich selber mehr über Ernährung erfahren würde, nickte dann aber schmunzelnd. „Man lernt wohl nie aus. In allen Bereichen des Lebens“, meinte er, um auch wieder seine Sprache wiederzufinden. Danach schnitt er wieder sein Schnitzel und stach in die Pommes, um ein paar davon zu essen. Typische Fritteuse Pommes, die fetter als die aus dem Ofen schmeckten. Kauend riskierte er wieder einen Blick zu Philipp, der sein Wasserglas fixierte. Holger zog leicht die Stirn kraus, sagte aber nichts dazu. Weswegen war er denn auf einmal so nachdenklich? Seine Miene ließ sich auch nicht sonderlich gut deuten, also war es sinnvoller darüber zu schweigen und sich dem Essen zu widmen.


Gedankenverloren starrte Philipp auf sein Wasserglas, vergaß sogar für einen Moment zu essen, ehe er aufschreckte, schnell einen Schluck nahm und sich dann wieder dem Hirsch widmete.


Schien Philipp nach wenigen Augenblicken auch wieder als sinnvoller zu erachten, da er das typische Geräusch von dem Geschirr hören konnte. Philipp war etwas schneller fertig mit seinem Essen, während Holger zwar die Pommes schon aufgegessen hatte, aber noch mit seinem Schnitzel kämpfte. Es war ihm etwas unangenehm, dass sie jetzt nur auf ihn warten mussten.


„So, jetzt hab ich auch endlich aufgegessen“, schmunzelte er und legte das Besteck wie es sich gehörte auf den Teller, um auch der Kellnerin zu signalisieren, das er fertig war. Holger merkte, wie trocken sein Mund sich anfühlte und stärkte sich noch mit einem großen Schluck Wasser. Nun standen sie wieder an dem Punkt, der letztes Mal das große Problem darstellte. Wer bezahlte das Essen? Holger wagte es nicht das anzusprechen, sondern überlegte einfach seinen Geldbeutel zu zücken. Philipp würde dann schon reagieren. Dieser Moment war dann auch gekommen, als die Kellnerin an den Tisch trat, um abzuräumen und dann zu kassieren.

An diesem Tag stand eine andere Entscheidung an. Oder besser gesagt jetzt. Die Kellnerin nahm ihre Teller und versprach direkt wiederzukommen.


Philipp suchte Holgers Blick. Das Thema war eigentlich total banal, aber es stand irgendwie zwischen ihnen. Es waren zu oft so banale Themen, weswegen sie sich stritten. Es störte ihn irgendwie, aber was konnte man daran ändern? Nichts.


„Holger“, begann er zögerlich, „darf ich dich als Dankeschön einladen? Oder lieber nicht?“
Es stand ihm frei zur Wahl. Und er würde es verstehen, er würde auch nicht meckern. Des Frieden Willen.


Erstaunt ließ der Innenverteidiger die Hände vom Geldbeutel. Unschwer zu erkennen war Philipps Zögern, das sich auch in seine Stimme einschlich. Holger konnte ihm keinen Vorwurf machen, da das letzte Mal, als es zu so einer Situation kam, fast böse endete. Wäre Philipp nicht wieder auf ihn zugegangen, hätten sie sich wohl wieder Tage oder Wochen angeschwiegen. Sollte er sich einfach einladen lassen? Oder wäre es besser, wenn jeder selber zahlte? Allerdings klang Philipps Grund plausibel. Er schenkte ihm ein warmes Lächeln. Ja, er würde sich heute mal einladen lassen.

Noch bevor er antworten konnte, kam die Kellnerin zurück und stellte die entscheidende Frage, die Holger beantwortete.


„Zusammen oder getrennt?“


„Zusammen“, nickte er und richtete seinen Blick auf Philipp, der der Kellnerin mit einem ordentlichen Trinkgeld das Essen und die Getränke bezahlte.


Philipp lächelte, zahlte und lächelte weiter. Er war Holger in gewisser Weise dankbar. Vor allem nahm er ihm das ab. Der Innenverteidiger machte nicht den Eindruck, dass er sich dazu zwingen musste, so musste Philipp kein schlechtes Gewissen haben.


„Dann wünsch ich noch einen schönen Tag“, verabschiedete sie sich mit diesen Worten und kümmerte sich um ein paar neuangekommene Gäste.


Holger nutzte die Gelegenheit, wie sie noch gemütlich hier saßen, um sich zu bedanken und etwas klarzustellen. Nicht, dass der Kapitän von ihm dachte, er würde wirklich etwas verlangen für seine Bereitschaft ihn ins Camp zu begleiten.

„Danke“, lächelte Holger ihn an. Wieder zierte dieses warme Lächeln sein Gesicht, dass er gerne bei jeder Gelegenheit Philipp entgegenbrachte. Er wollte ihm zeigen, dass er wieder viel positiver gestimmt war. Aber vor allem, dass er sich keine Sorgen mehr machen musste.

„Es ist aber nicht so, dass ich nur gegen eine Gegenleistung oder so mitgekommen bin. Ich bin wegen dir hier, weil ich dir endlich mal was zurückgeben will für alles, was du in Vail... und auch in München für mich getan hast.“ Das war wahrlich eine Menge, was der Kapitän da mit sich machen ließ und für den angeschlagenen Innenverteidiger in Kauf nahm.


Mit diesen Worten hatte Philipp nicht gerechnet. Er sah ihn anfangs überrascht an, ehe er lächelte. „Du weißt doch, dass ich das gerne getan habe. Und ich würde es immer wieder machen. Ich erwarte nicht, dass du mir etwas zurückgibst, aber ich freue mich, dass du es tun möchtest.“ Denn das zeigte ihm, dass Holger es nicht als selbstverständlich ansah, was er für ihn getan hatte. Wenn Philipp nämlich ehrlich war, wusste er, dass es nicht selbstverständlich war, was er für ihn getan hatte. Nicht jeder hätte so lange ausgehalten und hätte sich das alles gefallen lassen. Aber Philipp hatte es getan und Holger so aus seinem Loch heraus geholfen.


Es stellte sich Holger die Frage, warum er das nach seinen Aussagen nach ''gerne'' tat. War das möglich, dass man für einen verzweifelten Freund sich tagtäglich anstreiten ließ, nur um ihm weiterhin das Gefühl zu geben nicht allein zu sein? Für Philipp anscheinend schon. Holger glaubte ihm. Auch weil der Blonde seine Ansichten hundertprozentig teilte.


Philipp nickte zur Tür. „Lass uns fahren, noch haben wir etwas Zeit, uns das Gelände anzusehen.“


Zügig verließen sie das Lokal, stiegen ins Auto um das kurze Stück zurück zum Parkplatz für das Camp zu fahren.


Philipp stieg aus dem Wagen, ließ seinen Blick schweifen und hatte direkt ein Strahlen im Gesicht.


Noch ehe Holger den Wagen absperren konnte, sah er zu Philipp, an dessen Gesichtsausdruck man seine Vorfreude auf das Camp mit den Kindern ablesen konnte.


„Komm mit. Willst du die Krücken mitnehmen oder gehen längere Strecken schon ohne?“


„Ich hab sie gar nicht dabei, also muss es gehen“, antwortete er. Gut, eigentlich war es leichtsinnig, aber sein Knie war heute beschwerdefrei.


„Ohne Krücken hier?“, Philipp klang so überrascht, wie er war. „Dann geht es schon so viel besser mit dem Knie? Das ist doch toll.“ Er strahlte Holger regelrecht an. Das war wirklich toll. Er freute sich ungemein darüber. Es hoffte nur auch inständig, dass es genauso gut weiter ging! Ein weiterer Rückschlag musste wirklich nicht sein.


Erst dachte sich Holger Philipp würde ihn tadeln, dass er das mit dem Knie nicht ausreizen sollte, lächelte aber erleichtert, dass dem nicht so war. „Es gibt gute, aber auch schlechtere Tage“, berichtete er, zeigte aber seine Freude direkt wieder: „Aber heute ist definitiv ein guter Tag.“ Für sein Knie und auch für Holger.


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