Kapitel 109 – Einfühlsam, einfühlsamer, Philipp



Holger hatte längere Zeit einfach nur vor sich hingestarrt und überlegt, ob er sich ins Bett verkriechen oder die Zeit sinnvoll nutzen sollte. Er entschied sich, sie sinnvoll zu nutzen und tigerte deshalb in den Geräteraum. Gerry hatte ihm Übungen gezeigt, die nicht schaden würden, egal wie oft er diese wiederholte. Um auch noch an seiner Ausdauer zu arbeiten, setzte er sich auf den Fahrradergometer und spulte einige Kilometer runter, während er das Geschehen am Pool nochmal Revue passieren ließ. Objektiv betrachtet, war er schon ziemlich ausgeflippt, aber es hätte durchaus etwas mit seinem Knie passieren können, weswegen man seine Überreaktion doch darauf schieben konnte. Es war geradezu auffällig, wie er sich krampfhaft davon abzulenken versuchte, was Philipp von der ganzen Scharade denken musste. Bestimmt war er genervt von seinem Verhalten. Und er fühlte sich bedrängt, weil er glauben könnte, dass der Kuss absichtlich entstand, um ihn unter Druck zu setzen.


Der Kapitän war aber froh, als sie endlich fertig waren. Er kletterte aus dem Pool und stellte sich unter die Dusche, um schon mal etwas den Chlor abzuwaschen. Er mochte diesen Geruch einfach nicht.

Bevor ihn aber noch irgendjemand aufhalten konnte, schnappte er sich das Handtuch, trocknete sich grob ab, schlüpfte in die Flip Flops und ging nach oben. Ob Holger sich wohl beruhigt hatte? Er hoffte es. Auf jeden Fall würde er noch mal mit ihm reden.
Der Außenverteidiger schloss also die Tür auf und betrat ihr gemeinsames Zimmer.

Zu seiner Überraschung war das Zimmer leer. Wo Holger wohl war? Er ging ihm aber jetzt nicht aus dem Weg, oder? Philipp seufzte leise als er direkt den Weg ins Badezimmer suchte. Er tropfte und wollte nicht mehr als nötig nass machen. Die Badehose zog er sich direkt von den Beinen und hing sie über die Brause in der Badewanne, damit sie abtropfen konnte. Die Tür fiel einfach hinter ihm ins Schloss. Dann stieg Philipp unter die Dusche.
Das heiße Wasser lief über seinen Körper und er dachte nach, während er sich einseifte. Über Holger. Er hoffte, dass er sich beruhigt hatte. Es war doch nicht schlimm gewesen. Ja, es war eine total blöde Situation gewesen, aber trotzdem. Oder ging es ihm bloß um das Knie? Das konnte er nicht so ganz glauben. Aber er musste mit ihm reden, um zu erfahren, wo genau denn sein Problem nun lag.

Verschwitzt und ausgelaugt stieg er vom Fahrrad und schleppte sich wieder nach oben. Holger hatte genau auf die Zeit geachtet, um als erstes, noch vor Philipp wieder im Zimmer zu erscheinen und zu duschen. Irgendwie wäre es einfach komisch, wenn der Ältere schon mit ernsten Blick auf ihn wartete und ihn wegen der Szene am Pool zur Rede stellte.

Holger öffnete die Zimmertür und stellte zufrieden fest, dass er der erste war. Wäre er ein paar Sekunden eher zurückgekommen, hätte er die Dusche noch hören können, doch so war es einfach nur noch mucksmäuschenstill im Zimmer, weswegen Holger nicht ahnen konnte, dass Philipp im Badezimmer sein Unwesen trieb.


Philipp spülte das Duschgel und das Shampoo von seinem Körper, ehe er das Wasser ausstellte. Danach öffnete er die Duschkabine und wollte auf den Badvorleger treten. Wie immer halt, wenn er fertig war mit duschen.


Holger nahm sich vor, bevor eben jener zurück kommen wurde, noch zu duschen und stiefelte deshalb auch ohne Umschweife in das nicht abgeschlossene Badezimmer. Die Klinke drückte er nach unten, schob die Tür auf und rechnete mit niemandem, aber seine Erwartungen erfüllten sich nicht. Philipp schien gerade nach einem Badetuch greifen zu wollen und wirkte nicht minder überrascht von Holgers plötzlichem Erscheinen. Er schaffte es noch nicht einmal etwas zu sagen, nur die deutlich sichtbare, und für Holger spürbare, Schamesröte stieg in sein Gesicht und verfärbten es gänzlich rot, zeigte, dass es ihm wirklich nicht gerade angenehm war, Philipp splitterfasernackt durch Zufall überrascht zu haben. Holger machte es meistens schon nervös, wenn er wie eben beim Pool, nur Shorts trug, aber das war jetzt sogar noch ein Stückchen weiter.


Der Kopf des Kapitäns schnellte nach oben als die Tür plötzlich aufging. Ein Fuß auf dem Vorleger, eins in der Dusche, eine Hand an der Kabine, die andere griff schon zu dem Handtuch und dazu Holger, der vollkommen perplex in der Tür stand.


Verkrampft suchte er den Blick in Philipps Gesicht, wollte ihn nicht schamlos anstarren und zeigen, wie sehr er ihn begehrte.


Der Moment schien nicht bloß nur wenige Sekunden, sondern ganze Minuten zu dauern. Wie versteinert sah er Holger an, der direkt rot anlief. Aber so richtig rot.


Ich wusste nicht, dass du da bist“, brachte er leise über seine Lippen, trat einige Schritte zurück und schloss hastig die Zimmertür.


Es war nicht so, als hätte Holger es so gewollt, aber irgendwie hatte er seinen Blick ja doch über den ganzen Körper des Kapitäns wandern lassen. Über seinen Kopf, zu der starken Brust, den muskulösen Beinen und eben auch über die Körperpartie, die er sonst immer verdeckte. Eigentlich war ja nichts dabei, sie waren beide Männer, aber es gab eben eine Tatsache, die alles veränderte. Sie empfanden mehr als nur bloße Freundschaft.
Holger taumelte zum Bett, ließ sich darauf nieder und fiel rückwärts quer auf die Matratze. Warum hatte Philipp nicht einfach abgeschlossen, dann wäre wenigstens das nicht passiert. Jedoch konnte er nicht abstreiten, dass ihm gefiel, was er gesehen hatte.


Philipp stand da immer noch genauso und wieder dauerte es einige Sekunden bis er sich bewegte. Der zweite Augenblick am Tag, der Holger unangenehm war, wenn er das richtig deutete. Er trat also aus der Dusche und griff direkt nach dem Handtuch. Halbherzig trocknete er seinen Körper ab, band sich dann das Handtuch um und folgte dem Innenverteidiger ins Zimmer. Dieser lag auf dem Bett.


Holger schloss erschöpft die Augen. Konnte er nicht einfach einschlafen und am nächsten Morgen war das alles vergessen? Nein, das ging nicht. Rein logisch gesehen, war das nicht möglich und schon gar nicht, als er das Öffnen der Türe hörte und kurz darauf leise Schritte, die sich näherten.


Hey“, zögernd trat Philipp näher. „Ist doch nicht schlimm. Mein Fehler, hätte ja abschließen können.“ Er lächelte leicht und wartete darauf, dass Holger reagierte. Erst, wenn das vom Tisch war, wollte er das andere ansprechen. Gut, er hätte sich auch vorher ganz abtrocknen und etwas anziehen können, aber so weit, dass das angenehmer für Holger sein könnte, dachte er nicht. Für ihn war ja auch weder die eine, noch die andere Situation schlimm. Der Kuss war Zufall und wie oft hatten sie sich schon nackt gesehen? Gut, mit Sicherheit hatten sie sich nicht genau studiert, aber… war ja auch egal. Das gerade war nicht schlimm für Philipp und fertig. Dann war doch alles gut, oder nicht?


Holger seufzte stumm, ehe die Stimme des Kapitäns vernahm und sich mutig aufrichtete. Aber... er hatte ja immer noch nichts an außer einem Handtuch? Das würde seine Gesichtsfarbe sicher nicht normalisieren können. Aber er durfte sich nicht so anstellen, wenn es für Philipp laut seiner eigenen Aussage kein Problem darstellte. Holger wollte doch alles richtig machen, weswegen es am besten war sich locker zu geben. Nur wie gab man sich denn locker, wenn einem etwas sehr unangenehm war?


Holger setzte sich auf, was es Philipp einfacher machte. Sonst wäre es etwas blöd gewesen mit ihm zu reden. Jetzt konnte er ihn ansehen und sah ihm regelrecht an, dass ihm diese Situationen heute gar nicht passten.


„Ich war auch nur überrascht... weil ich halt nicht damit gerechnet habe, dass du schon da bist“, redete Holger drum herum. Was sollte er sonst sagen? Dass es komisch war ihn jetzt nackt zu sehen im Hinblick auf seine Gefühle, von denen Philipp wusste? Würde er es als aufdringlich interpretieren? Dabei ging es Holger doch gar nicht um das eine...


Der Kapitän hatte seine Zweifel diesen Worten zu glauben. Aber warum schwieg Holger? Wollte er schon wieder damit anfangen und alles in sich reinfressen? Das hatten sie doch schon hinter sich, oder nicht?


Unsicher sah er den Kapitän in die Augen, mahnte sich dazu den Blick jetzt nicht schweifen zu lassen.


Als Holger unsicher aufsah, lächelte Philipp leicht, wartete die folgenden Worte ab.


Der Kuss unter Wasser war keine Absicht. Also falls du das gedacht haben solltest, weil du glaubst, ich wollte dich bedrängen.“ Als er die Worte stockend über seine Lippen brachte, wandte er seufzend den Blick ab und beobachtete seine Hand, wie sie eine Falte auf der Bettdecke glatt strich.


Quatsch. Mir ist schon klar, dass das nicht geplant war. Warum sollte ich denn denken, dass du mich bedrängen willst?“ Diesen Zusammenhang verstand Philipp nicht. Was hatte Holger sich denn da für einen Floh ins Ohr gesetzt?


Holger war wirklich erleichtert, dass Philipp abermals erklärte, dass er das nicht für Absicht hielt. Aber er fragte eben auch nach, worauf er mit den Worten Bedrängen hinaus wollte. Eine Frage, die nicht ganz so einfach war. Wobei es doch egal geworden war, wenn Philipp ihm versicherte, dass er sich nicht bedrängt fühlte. Dann musste Holger seine Gedankengänge auch gar nicht mehr erklären.

Ich will nur nichts falsch machen...“, murmelte er unverständlich.


Beinahe traurig lag sein Blick auf dem Jüngeren, der aber nach unten schaute und etwas sagte, was Philipp nicht verstand. Es war zu undeutlich.
„Was hast du gesagt? Ich habe das nicht verstanden“, hakte er nach und setzte sich erst mal neben Holger. Ungefragt legte er eine Hand auf seinen Oberschenkel, strich leicht darüber, ehe sie liegen blieb.


Eigentlich hätte Holger sich denken können, dass man sein Murmeln nicht verstand und da er auch noch seinen Kopf abgewandt hatte, sprach er mehr in Richtung Bettdecke anstatt zu Philipp. Er stellte sich die Frage, ob er es einfach gut sein lassen würde, aber er täuschte sich.


„Was ist los, Holger? Du weißt doch, dass du mit mir reden kannst.“ Da waren so viele offene Fragen in Philipps Kopf. Er hoffte einfach, dass Holger ihm Antworten geben würde.


Das wurde ihm bewusst, als Philipp sich neben ihm setzte und eine Hand auf den Oberschenkel legte. Holgers Blick richtete sich sofort darauf. Wieder hakte er nach, beteuerte, dass er mit ihm reden konnte. Das stimmte und das wusste Holger auch, aber die Worte nochmal zu sagen, so dass Philipp sie verstehen konnte, waren trotzdem nicht so leicht. Vor Mario war ihm das ja schon mehr als unangenehm und jetzt noch direkt zu Philipp, der ihn am Ende wohl für krank erklärte. Unsicherheit war einfach keine Eigenschaft, die man ihm für gewöhnlich zuschrieb.


Philipp machte sich doch Sorgen um ihn. Jetzt noch mehr als vorher. Deswegen ließ er auch von dem Oberschenkel ab und griff seine Hand, verschränkte ihre Finger und drückte sie sanft. Er wollte ihm zeigen, dass er da war und dass alles gut war. Hoffentlich half das irgendwie. Oder war er es jetzt, der hier jemanden bedrängte?


Interessiert verfolgte er die Hand Philipps, die sich von seinem Oberschenkel löste und seine suchte, die teilweise immer noch damit beschäftigt war über die Falten zu streichen. Erstaunt, aber durchaus zufrieden schenkte er Philipp ein Lächeln. Irgendwie nahm durch diese Geste seine Unsicherheit ab. Es war nur das Halten seiner Hand und schon fühlte sich Holger besser, das war einfach toll so zu fühlen.


Holger sah endlich zu ihm auf als er dessen Hand berührte. Er lächelte und Philipp erwiderte es. Er sah Holger so gerne lächeln, das wurde ihm gerade wieder bewusst.


„Ich will einfach nichts falsch machen“, sagte Holger nun mit festerer Stimme. „Ich will das zwischen uns nicht wieder kaputt machen.“
Das wäre das letzte, was er wollte. Philipp vergraulen durch irgendein Wort, durch eine blöde Äußerung oder eine ungeschickte Tat.


Die Worte lenkten Philipp von seinem Lächeln ab. Er war überrascht. Damit hatte Philipp nun wirklich nicht gerechnet. Es passte nicht zu Holger, oder schon, aber er hätte so etwas eben nicht erwartet. Früher hätte er gedacht, dass es nicht zu ihm passen würde, aber die letzten Wochen hatten ihm anderes gelehrt. Als wenn eine ganz neue Person vor ihm sitzen würde. Oder die alte Person mit ganz neuen Seiten. Tollen neuen Seiten.
Philipp suchte Holgers Blick, trug immer noch das Lächeln auf den Lippen, als er den Kopf schüttelte und sich vorbeugte, um seine Lippen zu einem kurzen Kuss einzufangen.


Das Lächeln auf ihren Gesichtern war ein Zeichen dafür, dass sie sich wohl fühlten im Moment, oder? Zumindest spürte Holger, dass er sich weniger unwohl fühlte. Eben durch jenes Lächeln, was Philipp ihm so offenherzig schenkte und auch durch das sanfte Drücken seiner Hand. Er ließ den Blickkontakt nicht abreißen, ließ zu, dass Philipp seine Augen suchte und sich näherte. Philipps Küsse löste so viele Schmetterlinge in seinem Bauch aus, dass es ihm langsam schon unheimlich wurde, wie gut ihm diese Nähe tat. Ob es wohl daran lag, dass er sich so lange dagegen gewehrt hatte und danach, als er selber dazu stehen konnte – mehr oder weniger – Philipp ihn abwies? Er musste eine gefühlte Ewigkeit auf genau solche Momente warten, weswegen sie sich bestimmt jetzt doppelt so schön anfühlten.


Mach dir doch nicht so viele Sorgen. Du verschreckst mich schon nicht, nur, weil du reinkommst, während ich dusche oder weil Basti dafür sorgt, dass wir uns küssen.“
Wegen so etwas würde Philipp Holger nie verlassen. Aber diese Sache machte ihm etwas anderes nur noch deutlicher. Holger brauchte ihn und er wollte ihn bei sich haben. Philipp hingegen wusste nicht, was er machen sollte wegen Claudia. Solche Aktionen beeinflussten die Entscheidung wirklich nicht, aber seine Worten machten er nur noch schwerer, zeigten ihm, dass er ihn nicht alleine lassen konnte, wenn er ihn nicht wieder am Boden sehen wollte.

Philipp schob die Gedanken wieder beiseite. Er wusste, dass er das nicht ewig vor sich her schieben konnte, aber gerade ging das. Hier in Trentino musste er sich auch keine so großen Gedanken machen und die Zeit würde früh genug kommen. Wichtig war, dass sie nicht jetzt war.

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Kommentare: 2
  • #1

    Minnie (Donnerstag, 29 Januar 2015 00:56)

    Haaaaa~ :3
    Das Kapitel ist total süß!
    Ich kann verstehen, das es Holger unangenehm war, als er ins Bad wollte...hihi... :3
    Ich fühl immer so schön mit mit ihm <3
    Philipp...er braucht doch keine Frau mehr...sie bleibt ja trotzdem die Mutter und er der Vater von seinem Sohn...deswegen müssen sie doch nicht zusammen sein bzw. zusammen leben...
    Sie könnte doch einfach ausziehen und ihren Frieden haben und müsste Holger nicht mehr sehen oder etwas von ihm hören...
    Problem gelöst? :3 xD
    Ich befürchte allerdings das es nicht so glatt ablaufen wird, wie es meiner Meinung nach könnte...

    <3 Minnie

  • #2

    Engel (Montag, 02 Februar 2015 22:51)

    Wie süß :)
    Der Titel hat ja schon einiges versprochen und wurde gehalten :)
    Philipp hat heute wirklich alles richtig gemacht und ich hätte nicht gedacht, dass Holger ehrlich sagt, dass er Angst hat etwas falsch zu machen
    Find ich gut :)

    Schön, dass ihr Philipps Problem klein haltet, es aber allgegenwärtig ist
    Damit kommt Super rüber, dass es ihm dauernd im Kopf rum geht, er aber lieber ihre gemeinsame zeit genießen will ohne es sich durch Kopfzerbrechen kaputt machen zu lassen