Kapitel 52 - In Bedrängnis



Da Bastian und Sarah später gebucht hatten, waren ihre Plätze einige Reihen hinter denen von Philipp und Claudia. Aber Bastian, wäre nicht Bastian, wenn er die Chance nicht nutzen würde.
„Wir fliegen doch so lange, wollen wir nicht tauschen? Phil und ich sitzen zusammen und ihr beide“, er lächelte von einer Frau zur anderen. Diese tauschten einen Blick.

„Warum eigentlich nicht“, Sarah zuckte mit den Schultern. Sie hatte nichts dagegen, hatte aber auch das Gefühl, dass ihr Freund das mit Absicht tat.

„Okay“, stimmte auch Claudia zu. Es kam ihr ganz gelegen, dass sie mit Sarah die Sache mit Philipp vor dem Urlaub noch mal besprechen konnte, dann musste sie auf Hawaii nicht daran denken.

Der einzige, dem das nicht gefiel, war Philipp, aber er schwieg. Er war eh überstimmt.
Sie gaben also ihre Koffer ab, checkten ein und saßen dann irgendwann im Flugzeug. Die Herren vorne, die Damen rund zehn Reihen dahinter.

Der Flieger war gerade gestartet, da suchte Bastian Philipps Blick. „Warum bist du plötzlich doch mitgeflogen?“, fragte er direkt.

„Ist das nicht egal?“

„Philipp, du bist nicht jemand, der andauernd abblockt. Was ist los mit dir? Oder sollte ich fragen was ist los mit euch? Mit dir und Holger?“

Und genau deswegen wollte Philipp die Plätze nicht tauschen, aber es war zu spät. Jetzt war er fast zehn Stunden an diesen Sitz gebunden. Der Kapitän seufzte. Was sollte er Bastian denn erzählen? Er konnte Holger nicht schon wieder verraten. Zwar ist er bei Jupp auch nicht ins Detail gegangen, aber das war trotzdem was anderes als wenn er es Bastian erzählen würde. Holger würde ihn dann hassen. Philipp könnte es aber auch nicht mit seinem Gewissen verarbeiten, also musste er sich seine Worte gut überlegen.
Der Mittelfeldspieler wartete geduldig, wollte den Kleineren nicht unter Druck setzen, da er doch wusste, dass er dann erst recht nichts sagen würde.
Philipp öffnete den Mund, wollte zum Satz ansetzen, brach dann aber doch wieder ab, ehe er es noch mal versuchte. „Basti, ich… was soll ich dir dazu sagen? Was willst du hören?“ Er wusste nicht, was er sagen sollte.

„Die Wahrheit“, antwortete Basti ohne Umschweife. Sonst bekam er aus Philipp wieder nichts raus. Vor allem schien er jetzt schon wieder eine Ausrede zu suchen oder weiter abzublocken. Aber Der Vize beschloss nicht eher nachzugeben, bevor er nicht Bescheid wusste. Zehn Stunden war Philipp an diesen Sitz gefesselt und er würde ihn so lange auf die Nerven gehen, bis er endlich was sagte.


„Weißt du, warum Philipp jetzt doch mitkommt?“, suchte auch Sarah direkt das Thema.

„Nein“, gab Claudia zu. „Aber ich weiß auch nicht, ob das was ändern würde, weißt du… er ist dabei und darauf kommt es doch an, oder nicht?“

Sarah zögerte. „Aber was ist, wenn dieses Thema mit Holger wieder zwischen euch steht, ist es dann nicht besser, wenn du die Gründe weißt?“

Sie zuckte nur mit den Schultern. Eigentlich hatte Sarah Recht, aber Claudia wollte nicht über Holger reden. In gewisser Weise war er ihr ein Dorn im Auge.

~*~


Helga stellte das Geschirr in die Spüle und beschloss auch gleich noch abzuspülen, wenn sie schon mal hier war. So konnte sie ihrem Sohn eine kleine Stütze sein, wenn sie doch sonst nichts für ihn tun konnte.

Ute hingegen verzog sich mit Holger ins Wohnzimmer. „Was machst du eigentlich am Donnerstag?“, tastete sie sich plötzlich heran. Vielleicht war er ja ehrlich.

„Reha“, murmelte er schulterzuckend.

„Brauchst du jemanden, der dich dorthin fährt?“, probierte sie es weiter, „Ich würde das machen, das wäre kein Problem.“

„Was? Nein!“ Holgers Ausdruck war von Unverständnis geprägt. Was sollte das denn jetzt?
„Mario bringt mich meistens hin“, log er. Er konnte nur hoffen, dass Ute nicht weiter nachhakte, aber irgendwie fragte er sich mittlerweile schon, wie sie gerade auf Donnerstag kam... Instinktiv fiel sein Blick auf das Regal und den Umschlag, der eigentlich recht gut erkennbar dort lag.

Ute folgte dem Blick ihres Bruders und lächelte matt. „Ich hab ihn gestern entdeckt... tut mir Leid.“

~*~


„Du weißt nicht, was du von mir verlangst“, Philipp senkte wieder den Blick. Seine Beine waren plötzlich total interessant.
„Ich will dir keinen Vorwurf machen, ich verstehe ja, dass du dir Sorgen machst, aber ich kann dir da einfach nichts erzählen.“ Der Kapitän zögerte, ehe er doch wieder den Kopf anhob und Bastian ansah. Sein ganzer Ausdruck war von Verzweiflung geprägt.

„Es sind Dinge passiert über die ich nicht reden kann… ich habe es Holger versprochen. Kannst du nicht einfach einsehen, dass ich dich im Ungewissen lassen muss?“ Er fühlte sich schlecht, einfach nur schlecht. Bastian war ein verdammt guter Freund von ihm und er musste schweigen. Lügen konnte er nicht, aber er hatte keine andere Wahl. Nie könnte er Bastian alles erzählen. Von dem Zusammenbruch, von der Ohrfeige, von dem Kuss… automatisch wurde er rot und schaute wieder weg. Vor allem nicht von dem Kuss.

Wieder sagte er nichts dazu, sondern äußerte nur, dass er nichts dazu sagen konnte. Oder durfte, weil er es Holger versprochen hatte. Bastian sah Philipp an, dass er verzweifelt war, aber das ignorierte er. Er selber war auch verzweifelt, weil er sich sorgte und nicht wusste, was los war mit zwei von seinen sehr guten Freunden.
„Nein, kann ich nicht verstehen“, antwortete er kleinlaut. Was er aber noch weniger verstand, war die plötzliche Änderung von Philipps Gesichtsfarbe... Da gab es einen Gedanken in seinem Kopf, den er nicht weiter denken wollte. Auch wenn diese Röte im Gesicht des Kapitäns durchaus dazu beitrug das zu verfolgen.
„Versteh mich nicht falsch, Phil. Ich versuchs zu verstehen, dass du es nicht sagen kannst, aber ich bin keine von diesen Tratschtanten, wie die da hinter uns.“ Basti nickte lächelnd zu den hinteren Sitzen, auf denen Sarah und Claudia saßen. „Bitte, Phil. Holger wird nicht erfahren, dass du etwas weitererzählt hast.“
Einerseits war Basti begeistert von seiner Loyalität, anderseits wollte er aber endlich wissen, was Sache war.

~*~

Holger schnaubte nur und sah auf den Boden. Leicht schüttelte er seinen Kopf. Seit wann schnüffelte seine Schwester in seinen Sachen herum?

„Der lag ganz offen da und... eigentlich wollte ich nur den Hasen ansehen“, erklärte sie sich, aber hatte das Gefühl gar nicht an den Innenverteidiger heranzukommen.
Langsam ging sie auf ihren Bruder zu und legte eine Hand auf seinen Oberarm. „Wo hast du den denn überhaupt her?“

Abermals schnaubte Holger und drehte sich von Ute weg. Schon wieder nistete sich Philipp in seine Gedanken ein, und auch die Begebenheit, in der er den Hasen von ihm bekommen hatte. Da war noch alles in Ordnung zwischen ihnen. Zumindest bis auf die Gefühle, die Holger da für ihn hegte.


~*~


Natürlich gab Bastian nicht nach. Es wäre ja auch zu schön gewesen.
„Basti, das hat alles nichts damit zu tun, dass ich dir nicht vertraue, aber…“, er seufzte und fuhr sich angestrengt durch die Haare. Er wollte darüber reden, er wollte es wirklich, aber er konnte es einfach nicht.
„Ich hab schon Jupp zum Teil eingeweiht“, flüsterte er beklommen. „Ich hab Holger damit ziemlich verletzt, dabei ist es nur zu seinem Besten. Ich habe ihm versprochen nichts zu sagen… würde er das erfahren, dann…“, Philipp schüttelte den Kopf. „Bitte setz mich nicht unter Druck, Basti“, traurig lächelte er den Mittelfeldspieler an. Er fühlte sich gerade echt mies. Konnte Bastian nicht endlich aufhören ihn so zu löchern?

Basti war alles andere als begeistert und wandte den Blick von Philipp ab. Er hatte zwar so seine Theorien, aber solange er nichts konkretes wusste, brachte ihn das auch kein Stück weiter. Und mittlerweile hatte er auch das Gefühl, dass es zu nichts führen würde, wenn er weiter nachhakte. Aber da war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vielleicht wurde Philipp nach einem Drink etwas erzählfreudiger, wenn sie auf Hawaii in einer Bar hockten.
„Naja, wie auch immer“, seufzte er und lächelte Philipp an, „Mir kam da gestern ein Gedanke. Mario wird sich die Tage mal vorsichtig rantasten, aber Holger sollte nicht länger Single bleiben. Er braucht jemand, der für ihn da ist.“ In gewisser Weise war er gespannt, welche Reaktion ihn jetzt erwarten würde. Er hoffte so sehr, dass da jetzt keine Eifersucht ins Spiel kam, denn das würde seinen vorherigen Gedanken wieder etwas mehr festigen. Und das wollte er wirklich nicht.
„Und ich denke Sarahs Cousine ist da eine gute Lösung. Was hältst du davon? Oder hat Holger dir gegenüber was erwähnt, ob es da schon jemand gibt?“ Konnte ja auch sein, dass sie darüber sprachen, als sie in Vail waren.

~*~


„Holger...“

„Nein, nichts Holger“, äffte er seine Schwester gehässig nach und fuhr herum. Er fixierte sie mit seinen blauen Augen und man sah ihm deutlich an, wie unzufrieden er war.

„Ich hab doch nur gefragt...“ Ute versuchte ihn zu beruhigen und streichelte erneut über seinen Oberarm, doch Holger wies sie barsch ab.

„Tut doch nicht alle so, als würdet ihr verstehen, wie es mir geht. Meine Profikarriere ist im Eimer und ...“

„Nein, ist sie nicht“, widersprach Ute sofort und unterbrach ihn damit. Angst hatte sie vor ihrem kleinen Bruder schließlich nicht, egal wie sehr dieser auch aus der Haut fuhr.

„Ach, lass mich einfach!“ Er humpelte davon, zurück in sein Schlafzimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Sein Blick fiel auf das Kaffeeshirt, weswegen sich sein Herz unangenehm zusammen zog. Zögerlich näherte er sich dem Bett und setzte sich, ehe seine Hände Philipps Oberteil berührten.

Anfangs bemerkte er nicht mal, dass Ute ihm gefolgt war. Erst als sich die Matratze senkte, schaute er erschrocken auf.

Sie verstand es nicht, warum ihr Bruder das Shirt so seltsam ansah und über den zerknitterten Stoff strich. „Das solltest du mal bügeln“, lächelte sie.


~*~



Philipp war mehr als erleichtert als Bastian erst mal aufgab. Allerdings wusste er nicht, was er von dem nächsten Thema halten sollte. Sie wollten Holger verkuppeln? Wieder dachte er an den Kuss. Warum war es überhaupt so weit gekommen? Aber sagte Holger nicht selbst, dass es nur ein Versehen war? Ein Versehen, bei dem sie beide aktiv wurden… aber kam ihm nicht damals schon der Gedanke, dass es vielleicht daran lag, dass Holger lange niemanden mehr gehabt hat? Außerdem wäre er dann nicht mehr allein und Philipp konnte mehr bei Claudia und Julian sein.
Allerdings beruhigte ihn diese Tatsache nicht wirklich. Er würde sich dennoch Sorgen und Gedanken machen.
„Na ja“, fing Philipp zögerlich an und legte den Kopf schief. „Ich weiß nicht, ob das jetzt so der richtige Zeitpunkt ist. Er hat gerade andere Sorgen. Vielleicht in ein paar Tagen oder Wochen.“ Er zuckte lediglich mit den Schultern und ignorierte das Gefühl, dass ihm deutlich sagte, dass ihm das nicht passte. Aber er schob es darauf, dass er dann nicht mehr einfach so bei Holger vorbeischauen konnte, wie er wollte.
„Also überzeugen tut mich das gerade nicht.“ Und Bastian auch nicht, wenn er Holger gesehen hätte. Denn dann wüsste er, dass eine Freundin die geringste Sorge des Innenverteidigers war.

Philipp machte einen wenig begeisterten Eindruck auf Basti. „Wann ist denn schon der richtige Zeitpunkt bei Holger? Es tut ihm mit Sicherheit gut, wenn er mit jemanden Zeit verbringen kann, der ihn ablenkt und vielleicht auch mal in den Hintern tritt. Was schweißt denn mehr zusammen als so eine Situation, in der sich Holger befindet?“ Das war Bastis Argument. Natürlich konnte das alles nach hinten losgehen, aber ein Versuch war es zumindest mal wert. Bastian überlegte, ob er es ansprechen sollte, dass Philipp sich dann nicht mehr solche Sorgen machen musste, wenn jemand anderes bei ihm war. Aber er entschied sich dagegen.
„Mal sehen, was Mario für Infos liefert“, grinste er dann.

Ganz Unrecht hatte Bastian nicht, aber Philipp wusste einfach, dass es gerade nicht passte. Holger zumindest nicht. Und ihm auch nicht, wenn er nur ehrlich zu sich selber wäre.
„Ja, guck mal, was Mario für Infos bekommt. Ist der denn genauso begeistert von deiner Idee?“

„Nicht ganz so begeistert wie ich, aber er findet, dass man es mal ausprobieren kann.“

„Und Sarahs Cousine? Steht sie auf Holger oder wie?“, hakte Philipp nach. Er fand die Fragen durchaus berechtigt. Und selbst wenn sich beide nett fanden, hieß das nicht, dass aus ihnen gleich ein Paar wurde. Und was sollte Holger machen? Sie zum Essen ausführen und dann nach Hause bringen? Haha…

Philipps nächste Frage bejahte Basti nickend. „Das hoff ich doch. Wie kann sie ihn auch nicht mögen? Ganz so schlecht sieht Holger nicht aus, er hat Geld, sie haben die selben Hobbies und wenn er sich nicht gerade wegen irgendetwas beschwert, ist er sogar sehr umgänglich“, zählte Basti grinsend auf. „Nein, aber mal im ernst, sie hat schon ein paar Mal nach ihm gefragt.“


Sarah und Claudia waren relativ schnell von dem Thema Philipp weggekommen und redeten über Mode, andere Spielerfrauen und die neusten Nagellackfarben, die Sarah alle dabei hatten. Sie beschlossen auch einen Beautyabend einzulegen. Die Männer konnten sich ja dann in eine Bar verkrümeln oder so, das war ihnen dann egal. Hauptsache sie hatten ihre Ruhe.


~*~


„Hm“, stimmte Holger murmelnd zu. Er würde ihr mit Sicherheit nicht sagen, dass das gar nicht sein Shirt war.

Eine Zeit lang schwiegen sich die Geschwister nur an, bis Ute aufstand und ihren Bruder mitleidvoll ansah. „Ich soll dich allein lassen, oder?“

Stumm nickte Holger. Die Situation war ihm einfach unangenehm, als dass er die Nähe zu seiner Schwester genießen konnte.

„Okay.“ Ute nickte traurig. „Ich sag Mama, dass du dich nochmal hingelegt hast... wir werden dann auch fahren. Wenn was ist, sind wir sofort da.“ Mit diesem Satz verließ sie fast schon schleichend Holgers Schlafzimmer. Es tat so unglaublich weh ihren kleinen Bruder so zu erleben. Warum musste es auch immer ihn treffen? Sie verstand es nicht, wieso die Welt so ungerecht war. Warum sie plötzlich so ein merkwürdiges Gefühl beschlich, woher das Shirt war, das Holger andächtig berührte und ansah, konnte und wollte sie nicht einschätzen. Das war ja auch ein völlig hirnrissiger Gedanke. Als würde eines von Philipps Shirt bei Holger lagern, damit er etwas hatte, während dieser im Urlaub war.

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