Kapitel 147 - Sorgen und Ängste


Philipp dachte fieberhaft nach, mit welcher Ausrede er bei Holger übernachten könnte. Claudia wusste ja, dass er bald wieder nach Vail musste wegen einer Operation. Sie hatte nicht gefragt, ob Philipp dabei wäre, aber damit rechnete dieser auch nicht. Er würde nicht schon wieder weg können. Aber er machte sich auch keine großen Sorgen um den Jüngeren.
Vail war aber ein guter Aufhänger.


„Ernsthaft?“ Claudia war nicht wirklich begeistert.


„Ja, wir wollen Zocken und da morgen kein Training ist, soll es länger werden. Ich werde dann bei Holger übernachten.“ Philipp sah sie an. Das war keine Frage, es war eine Tatsache, das wussten sie beide.


Das einzig Positive, was Claudia sah, war die Tatsache, dass der Innenverteidiger operiert wurde und er so seiner Genesung einen großen Schritt näher kam. „Gut, ich wünsche euch viel Spaß.“ Danach wandte sie sich ab und kümmerte sich um die Wäsche.


Das Grinsen auf seinen Lippen verbarg Philipp gekonnt. Schnell zückte er sein Handy.


//Wir sehen uns wie geplant morgen Abend. Soll ich noch was mitbringen? Also außer mein Schlafshirt… ;) //



Holger holte seinen Koffer aus dem Schrank und platzierte ihn praktisch hinter der Tür. In ein paar Tagen ging es mit Mutter Helga auf die Seychellen auf eine traumhafte Urlaubsinsel im indischen Ozean. Der FC Bayern sponserte diesen Urlaub für zwei Personen, da Holger sich während seiner ersten Reha überhaupt keinen Urlaub gegönnt und ein bisschen Entspannung bitter nötig hatte. Laut dem Verein zumindest. Holger war im Hinblick auf die intensive Affäre keinesfalls überzeugt von diesem Urlaub, da er die Zeit vor der nächsten Operation viel lieber mit Philipp verbracht hätte.
Mit einem schweren Seufzen löste er träge den Blick von seinem Reisekoffer und bewegte sich, nachdem seine Handy sich bemerkbar gemacht hatte, ins Wohnzimmer. Es war ohne July und Milly wieder still und hellhörig in seiner Wohnung geworden. Seine Mutter hatte sich über die Häschen riesig gefreut und Holger würde das Strahlen in ihrem Gesicht nie vergessen. Das war es allemal wert sich von den beiden zu trennen, dennoch konnte er auch nicht abstreiten, dass die Kaninchen ihm fehlten. Noch mehr fehlte ihm aber Philipp. Die Ahnung, dass er sich besonders in Vail nach ihm sehen würde, verfolgte ihn sogar bis in seine Träume. Je näher die Operation rückte, desto schlimmer wurden die Nächte. Immer handelten sie von den selben Ereignissen. Holger erwachte in seinem Krankenbett und erfuhr von Dr. Steadmann, dass er seine Karriere beenden musste. Wieder gab es mit dem Knie Komplikationen, irreparable Schäden blieben und hinterließen ihn hilflos im Rollstuhl. Es war schrecklich und grausam. Nacht für Nacht fürchtete er sich die Augen zu schließen und sehnte sich immer nur nach dieser starken Hand, die diese besondere Kraft besaß, einen regelrecht magischen Rückhalt auszulösen, was einen freien Fall geradezu unmöglich machte.
Holger wischte über den Bildschirm und offenbarte die Nachricht, die ihn lächeln ließ. Die Andeutung mit dem Schlafshirt konnte nur auf eines hindeuten. Philipp hatte es also geschafft sich wieder eine Nacht freizuschaufeln. Der Ältere hatte ihm zwar versichert, dass sie sich mindestens noch eine ganze Nacht vor dem Flug um ihn kümmern würde, aber Holger hatte es ihm nicht geglaubt. Zu oft hatte Claudia schon dazwischen gefunkt.


//Bring einfach nur gute Laune mit :-*//


Erst hatte da "ein Lächeln" gestanden, aber der Innenverteidiger war sich dumm vorgekommen und änderte es in gute Laune.



Die Antwort überraschte Philipp etwas, wenn er ehrlich war. Schnell verfasste er die nächste Nachricht.


//Brauche ich nicht, die bekomme ich eh, wenn ich dich sehe :-*//


Das klang vielleicht kitschig, aber es war die Wahrheit. Philipp wusste genau, dass er spätestens dann lächeln würde, wenn er Holger sehen würde und direkt würde er bessere Laune bekommen. Oder würde Holger seine Laune trüben? Begeistert war der Jüngere ja nicht darüber, dass er in den Urlaub flog, dabei hatte er ihn bitter nötig. Sie würden sich ja danach auch wiedersehen, wenn Holger endlich operiert war. Zwar wäre Philipp gerne wieder dabei, aber das ging nicht. Er war auch recht optimistisch, dass die OP gut verlaufen würde. Sie musste einfach gut verlaufen.



Die gute Laune und das Lächeln auf den Lippen hatte Philipp tatsächlich bekommen, als er Holger gegenüber gestanden hatte. Jetzt lagen sie im Bett, trugen nur Shorts und ein seliges Lächeln im Gesicht, während Holger zärtlich mit den Händen des Älteren spielte, die er um ihn gelegt hatte. Mit dem Hinterkopf lag er auf Philipps Brust und musste so seinen Kopf etwas drehen, um in sein Gesicht sehen zu können. Er wollte etwas sagen, aber er grinste ihn nur zufrieden an, seufzte und bettete seinen Kopf wieder gemütlich auf den Kapitän. Andächtig strich er über Philipps Arm und spürte den starken Halt, der von ihm ausging. So etwas hatte er dringender nötig als ein Urlaub auf den Seychellen. Aber das konnte er den Verantwortlichen des FC Bayern München kaum mitteilen.
Das Seufzen wurde schwermütiger. Sogar seinen Blick senkte er und richtete ihn starrend auf die Bettdecke.


Was ist los?“, fragte Philipp. Die Sorge schwang in seiner Stimme mit, denn er konnte an Holgers Seufzen erkennen, dass etwas nicht stimmte. Oder zumindest nicht so war, wie er es gerne hätte. Sanft fuhr er durch Holgers Haare. „Du weißt, dass du mit mir reden kannst.“
Er wollte sich doch keine Sorgen machen müssen um seinen kleinen Innenverteidiger.


Holger wartete mit seiner Antwort, denn er zögerte, ob er Philipp überhaupt davon erzählen sollte. Aber warum eigentlich nicht? Ein so großes Geheimnis, dass er ihn gerne wieder an seiner Seite wissen würde, war es wirklich nicht. Wahrscheinlich konnte es sich der Ältere sowieso denken.
Holger drehte den Kopf wieder etwas und lächelte traurig. „Ich hab gerade nur daran gedacht, wie schön es wäre, wenn du in Vail mit dabei wärst.“ Dabei drückten diese Worte noch nicht mal ansatzweise aus, wie schön und auch total beruhigend es wäre, zu wissen, dass er sich jederzeit an ihn klammern konnte, wenn die Operation doch wieder nicht so lief, wie ursprünglich erwartet.


Eigentlich hätte Philipp es sich denken können und wenn er es genau nahm, dann hatte er auch damit gerechnet. Trotzdem war es etwas anderes, diese Worte zu hören und dabei das traurige Lächeln auf den Lippen zu sehen, die er so gerne küsste.
Philipp lächelte ebenso traurig und fuhr erneut zärtlich durch die hellen Haare. „Du schaffst das auch ohne mich. Du bist nicht lange weg. Wir skypen zwischendurch, okay? Und wir schreiben uns. Es dauert ja nicht lange, dann bist du wieder da.“


Philipps Lächeln glich seinem eigenen. Optimismus wollte zu dem Innenverteidiger nicht richtig durchdringen.
„Nicht lange?“, hakte Holger nach und lächelte gutmütig. Wäre es nur wirklich nicht lange, wie Philipp gesagt hatte. Doch das stimmte nicht. Für den Blonden war es lang. „Der Urlaub dauert schon an die zwei Wochen und danach bin ich etwa vier Wochen in Vail. Hört sich wie eine halbe Ewigkeit an.“ Er seufzte und versuchte trotz allem das Positive zu sehen. „Skypen und schreiben klingt gut.“ Sofern es Philipps Zeit denn zulassen würde.


Philipp versuchte das Lächeln optimistischer werden zu lassen, als ihm ein Gedanke kam. „Oder… Holger… hast du Angst?“ Es wäre nicht verwunderlich und außerdem würde es ihn nicht wundern, wenn gerade das Holger ihm nicht sagen wollen würde.


Das nächste, was Philipp ansprach, leider nicht. Holger drehte den Kopf wieder, damit er den Älteren nicht ansehen musste. „Nein,... ich -“, fing er unbeholfen an. Er war nicht auf so eine direkte Nachfrage eingestellt und suchte hilflos nach Worten. Aber war die Mühe nicht sowieso vergeblich? Der Jüngere kannte Philipp mittlerweile gut genug, dass er wusste, dass dem Kapitän längst klar war, dass seine Angst auch ein Problem darstellte.


Philipp wusste in dem Moment, dass er Recht hatte, als Holger wegsah und den Blickkontakt verwehrte. Es brauchte auch keine Ausreden, die er eh nicht geglaubt hätte. Aber das alles schien dem Innenverteidiger klar zu sein.


Zögerlich suchte Holger wieder den Blick des Älteren und nickte schwach. „Ich hab Angst vor der Operation und noch mehr vor dem Aufwachen. Was, wenn wieder etwas ist?“ Aus hilflosen blauen Augen sah er seinen starken Kapitän an. „Es ist albern, ich weiß“, gab er zu und versuchte sich an einem Lächeln. „MüWo hat mir auch versichert, dass das schon gut gehen wird... aber das hat er das letzte Mal auch getan“, gab er zu Bedenken. „Ich will nicht wieder aufwachen und die Nachricht bekommen, dass es nicht so abgelaufen ist, wie geplant.“ Er schluckte schwer, senkte den Blick und schwieg. Von dieser nächsten Operation hing alles ab. Würde diese missglücken, war es endgültig vorbei mit seiner Karriere. Dieser Gedanke kurbelte seine Angst vor der bevorstehenden OP noch weiter an.


Langsam schüttelte Philipp den Kopf. „Das ist nicht albern, Holger, ich verstehe dich. Aber es wird nicht so ablaufen. Jetzt ist alles anders, hörst du? Es ist eine ganz andere OP als damals.“


Holger traute sich wieder zu ihm zu schauen, nachdem er seine Ängste nicht als albern abgestempelt hatte. Ihm tat das unwahrscheinlich gut, dass er mit dem Älteren über alles reden konnte. Umso mehr wuchs der Wunsch, dass Philipp in Vail an seiner Seite war.
„Eine schwierigere als die letzte“, merkte er an. „Wahrscheinlich mache ich mir einfach zu viele Gedanken. Immerhin kann ich das nicht beeinflussen, sondern muss dem Ärzteteam vertrauen.“


Am liebsten hätte Philipp seine Arme um ihn geschlungen und ihm versprochen mitzukommen und da zu sein, wenn er aufwachen würde. Aber das ging nicht. Außerdem wollte er optimistisch sein, ihm so die Angst nehmen. Hoffentlich. Wobei sie berechtigt war. Er selbst hätte womöglich auch Angst. Aber Holger zustimmen und noch mehr verunsichern? Das ging nicht. Und es ging auch nicht, dass er mitflog… oder? Wenn er einfach mal fragen würde? Fragen kostete nichts, aber das durfte er Holger nicht sagen. Zu enttäuscht wäre er, wenn er nicht dürfte und genau damit rechnete Philipp.
Er legte eine Hand an Holgers Wange. „Ich bin bei dir. Ich werde immer bei dir sein, auch, wenn du mich nicht siehst. Ich denke die ganze Zeit an dich und es wird nichts passieren, hörst du? Die OP wird gut verlaufen und du wirst wieder neben mir auf dem Platz stehen. Ganz sicher.“


Kurz huschte sein Blick zu der Hand, die sich so zärtlich an seine Wange schmiegte und lauschte den Worten des Kapitäns. „Nicht, wenn du im Mittelfeld spielst“, schmunzelte Holger, wurde aber wieder ernster. „Danke, Phil.“ Philipp musste einfach recht behalten. Er wollte wieder bei ihm und seinen anderen Kollegen auf den Platz stehen und dafür sorgen, dass es keine Gegentore gab. Er vermisste dieses überwältigende Gefühl auf dem Rasen zu stehen und die jubelnden Fans im Hintergrund rufen zu hören. Unweigerlich kam die Erinnerung an die Wette, von der er mal geträumt hatte, zurück. Sie war für die Weltmeisterschaft gedacht. Eine Weltmeisterschaft, die ohne ihn stattfinden würde. Der Gedanke daran schmerzte.


Holger“, schmunzelte Philipp tadelnd. Er wusste doch, was er damit sagen wollte. Und es war doch egal, ob Mittelfeld oder außen in der Vergangenheit. Es ging darum, dass sie gemeinsam auf dem Platz standen und das würden sie wieder. Auf jeden Fall.


Holger hatte sich so gefreut, hätte die Wette mit Philipp wohl auch tatsächlich abgeschlossen. Aber das war, wenn die Operation gut verlief, nicht das Ende. Dann führten sie die Wette eben erst zur Europameisterschaft 2016 durch. Spätestens dann würden sie gemeinsam auf dem Platz stehen und sich durch das Turnier kämpfen.
Dennoch stand erstmal die Operation an. So dachte er automatisch auch an Schwester Anna. Er lächelte leicht bei dem Gedanken an diese herzliche Krankenschwester. „Was Schwester Anna wohl sagen würde, wenn du wieder mit dabei wärst?“


„Stimmt, Schwester Anna… sie würde sich sicher freuen. Sie ist eine so herzliche Frau. Da sie ja da ist, weiß ich, dass du gut versorgt wirst und muss mir keine Sorgen machen.“


Du musst dir auch keine Sorgen machen“, machte Holger ihm klar und legte eine Hand sanft an Philipps leicht raue Wange. „Konzentrier dich auf die kommenden Spiele.“ Er wollte noch sagen, dass das wichtiger war, aber er sparte es sich. Er ahnte nämlich, dass Philipp ihm widersprechen würde, obwohl er ganz genau wusste, dass beim FC Bayern Leistung verlangt wurde. Man durfte sich keine Patzer erlauben, oder zumindest nicht zu viele. Ein Gedanke, der ihn teilweise zusätzlich unter Druck setzte, immerhin war es klar, dass er nach einer sehr langen Verletzungspause den ein oder anderen Patzer sicher unvermeidlich sein würde.


Doch, er musste sich Sorgen machen, aber er würde Holger nicht widersprechen, nickte nur lächelnd, um ihn zu beruhigen. Philipp kannte Holger inzwischen ziemlich gut und wusste, dass es besser war dem zuzustimmen. Unnötige Diskussionen waren jetzt eh fehl am Platz.
Philipp schob Holger sanft von seiner Brust und beugte sich dann über ihn, damit er ihn sanft küssen konnte. „Ich bin immer da, das weißt du. Ruf an, wenn was ist, ja? Egal, was ist.“ Erneut berührte er die weichen Lippen. Es war ihm wichtig, dass Holger das noch mal zu hören bekam. Er sollte es ja nicht vergessen. Nicht jetzt, wo er mehrere Kilometer entfernt war.


Holger spürte das Kissen, auf dem er zum Liegen kam und Philipps warmen Atem auf seiner Haut. Mit der freien Hand, die nicht auf Philipps Wange verweilte, schlüpfte er zwischen Matratze und Philipps Seite hindurch und streichelte so zart über den nackten Rücken.

Werde ich“, versprach er. „Ich weiß, dass du bei mir bist.“ Holger erwiderte zärtlich diese leichten und doch so gefühlsintensiven Küsse.


Die Berührungen auf seinem Rücken hinterließen eine angenehme Gänsehaut. Diese Zärtlichkeiten würden ihm fehlen in der Zeit, in der Holger weg war.
„Dann ruf ich ganz oft an. Einfach nur, um zu wissen, dass es dir gut geht und um deine Stimme zu hören.“ Er führte die Hände, die Holger verschränkt hatte an seine Lippen und hauchte einen Kuss auf seinen Handrücken. Ja, er würde Holger wirklich vermissen. Viel zu fest hatte sich der Innenverteidiger in sein Herz hineingebrannt.


Philipp sah aber auch die Angst in den schönen, blauen Augen und der Gedanke mit Pep zu reden, verfestigte sich. Wenigstens für zwei/drei Tage nach der OP, mehr wollte er gar nicht.


Ich liebe dich“, hauchte er und legte sich auf Philipps Arm, mit dem er sich auf dem Bett abstützte. „Du darfst mich aber auch anrufen, wenn was ist“, bot er ihm schmunzelnd an. Es würde ihn ganz bestimmt ablenken, obwohl es Holger ja schon gut tat einfach nur die Stimme des Älteren zu hören. Langsam löste er seine Hand von Philipps Wange und und ergriff die Finger des Kapitäns. Er liebte solche Momente mit ihm, vielleicht sogar noch ein klein wenig mehr, als das unbändige Gefühl an Nähe, wenn sie miteinander schliefen.

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Engel (Montag, 23 November 2015 17:01)

    Hey :)
    schönes Kapitel! Hat mir total gut gefallen.
    Claudia war ja ziemlich kooperativ, aber sie hofft vermutlich dass sich das mit Holger von allein erledigt, wenn er ernst mal wieder hergestellt ist.
    Dass Philipp wirklich mit in die USA fliegen will, finde ich end klasse. Ich hoffe, Pep erlaubt es ihm!
    Das wäre so eine tolle Überraschung für Holger.