Kapitel 64 - Backe, backe, Pizza



Gut, eigentlich dachte Holger, er wäre nochmal davon gekommen ohne eine Ausrede, aber dem war wohl nicht so.
„Ich fand nur den Gedanken daran auszugehen schöner“, improvisierte er kurzerhand. Und die Ausrede war gar nicht mal schlecht und hörte sich auch plausibel an.

„Also doch ein romantisches Date ohne Arbeit“, grinste Philipp, lachte wieder kurz und damit war das Thema für ihn gegessen.

„Was? Nein“, schüttelte Holger eifrig den Kopf. Irgendwie fühlte er sich ertappt. Hatte er übertrieben mit seinem Styling? Oder beruhte es wirklich nur auf Spaß?
Da Philipp sich aber nicht mehr dazu äußerte, ließ er es ebenfalls gut sein.

Es dauerte nicht sehr lange, bis sie die Pizzeria erreichten, obwohl sie relativ gemütlich nebeneinander hergeschlendert waren.

In der Pizzeria suchten sie sich einen Tisch, der nicht direkt im Blickfeld des Eingangs lag und setzten sich hin. Eine Bedienung brachte ihnen die Karten und nahm schon mal die Getränkebestellung auf.
Philipp blätterte durch die Seiten. „Ich bin unschlüssig, ob ich Pizza oder Nudeln essen soll“, gab er zu. „Weißt du schon, was du nimmst?“

„Ich nehm Nudeln“, beschloss Holger, da Pasta zu seinen Lieblingsgerichten gehörte. Er ließ den Blick zu den Preisen, die hinter den Gerichten standen, schweifen. Billig war die Pizzeria verhältnismäßig nicht wirklich. „Ich wette so ein großer Unterschied zwischen großer und kleiner Portion ist da gar nicht“, vermutete Holger bei weiterer Ansicht des Preises. Nicht, dass er sich das nicht leisten konnte, aber es war schon immer ein Mensch, der nicht wahllos Geld zum Fenster hinauswarf. Egal, wie reich er war und noch werden würde, seine Bodenständigkeit würde er nicht verlieren.

„Mir ist groß oft zu viel“, gab Philipp zu. „Vor allem, wenn es vorher noch eine Vorspeise gibt und das ist ja häufig der Fall. Allerdings werde ich wohl Pizza nehmen… oder? Ich bin mir unschlüssig“, er legte den Kopf schief als ihm etwas einfiel.

Holger schmunzelte leicht, als Philipp erzählte, dass er eine große Pizza selten schaffte. Irgendwie passte das ja auch zu ihm.

„Ach ja, weißt du was? Sieh dich als eingeladen an“, er schenkte Holger ein ehrliches Lächeln und hoffte ihm so eine Freude machen zu können.

„Nimm ei-“ Holger stockte und sah von der Karte auf, als er hörte, dass er eingeladen war. Hatte Philipp seine Aussage zu den Nudeln so interpretiert, dass er es sich nicht leisten konnte oder wie?
„Danke, das ist nett, aber… ich hab den Vorschlag gemacht, also bist du eingeladen.“ Das wäre ja noch schöner, wenn der Kapitän alles bezahlte...

„Ja, und? Ist doch egal, woher der Vorschlag kam“, Philipp zuckte mit den Schultern und ging weiter die Speisen durch. Er sah erst gar nicht auf, da das für ihn alles kein Problem war. „Lass mich dich einfach einladen und fertig.“ Eigentlich war das Thema damit auch durch für ihn. Warum
sollte er Holger auch nicht einladen? Er meinte es doch nur als nette Geste.

Holger verengte seine Augen und betrachtete Philipp ganz genau. Er wusste nicht woher, aber seine Worte klangen plötzlich so überheblich. Wo auch immer er den Hauch von Überheblichkeit wahrgenommen hatte...
„Willst du mir damit zeigen, dass du mehr verdienst und ich nur Krankengeld beziehe, oder was?“, brachte er über die Lippen und legte die Karte beiseite. „Das Essen kann ich mir echt gerade noch leisten.“

„Was?“, vollkommen verwirrt sah Philipp auf und erschrak leicht über den Anblick. Holger wirkte in seinen Augen verletzt. Aber wegen was? Ging das jetzt schon wieder los?
„Du spinnst auch“, rutschte ihm raus. Seufzend schloss er die Karte, um sich nicht ablenken zu lassen. „Ich meine es nur gut, unabhängig vom Geld. Eine nette Geste. Was ist daran verkehrt?“ Stur sah er Holger in die Augen.

Holger war überrascht von dieser Aussage. „Ich spinne nicht“, zischte er. Wieder waren sie beim Thema. Alles was Philipp sagte war vernünftig, alles was Holger meinte, verkehrt.
„Erzähl mir doch nicht, dass du keinen Hintergedanken dabei hattest. Vielleicht nicht absichtlich, aber so denkst du doch als Topverdiener“, unterstellte er ihm in seiner eigenen Unzufriedenheit.

Jetzt wurde Philipp sauer. Es war doch alles so gut. Warum musste er jetzt wieder mit dem Mist anfangen?

Als Holger noch etwas hinzufügen wollte, trat ein Kellner heran, da beide die Karte schon zur Seite legten. „Haben Sie sich schon entschieden?“

„Nein, einen Moment bitte noch“, bat Philipp freundlich. Der Kellner nickte und entfernte sich wieder. Sofort widmete der Kapitän sich wieder Holger. „So denkst du von mir?“, er klang verletzt und das war er auch. Er wusste nicht mal mehr darauf etwas zu erwidern.

Philipp schickte den Kellner weg, aber sofort änderte sich sein Gesichtsausdruck und auch seine Stimmlage. Holger schluckte schwer. Wieder hatte er ihn vor den Kopf gestoßen. Warum konnte er es nicht einfach mal sein lassen?

Eigentlich wollte Philipp nicht kleinbeigeben, aber hatte er eine andere Wahl? Anders konnte er den Abend nicht retten, aber er sah auch nicht ein, dass sich alles immer nur nach Holgers Nase gehen musste.
„Dieses Mal zahle ich und nächstes Mal du. Ist das ein Deal?“ Kompromiss war das Zauberwort.

Holger beantwortete seine Frage gar nicht mehr und senkte den Blick. Auch mit dem Kompromiss konnte er nichts anfangen, weil der Abend jetzt sowieso schon versaut war. Langsam schüttelte den Kopf.

Tief atmete der Kapitän durch. Konnte Holger jetzt nicht mal mehr etwas sagen?
„Verdammt, Holger. Was willst du?“ Philipp seufzte. Er hatte sich so auf den Abend gefreut und wieder drohte alles im Chaos zu versinken. Langsam beschlich ihn das Gefühl, dass es anders gar nicht ging. Vielleicht waren sie so programmiert, dass es gar nicht harmonisch ging zwischen ihnen beiden. Irgendwie war das traurig.

Verschreckt sah er auf und war mehr als dankbar, dass der Kellner doch nochmal zu ihnen an den Tisch kam.
„Gehen“, sagte er mit fester Stimme. Er hatte jetzt keine Lust mehr auf ein Abendessen. Es war so ernüchternd, dass sie jetzt wieder stritten. Nicht mal 24 Stunden hielten sie es zusammen aus, ohne aneinander zu geraten. Und das alles nur wegen eines dämlichen Streits wegen dem Bezahlen. Holger sah ein, dass er seinen Mund hätte halten sollen, aber jetzt war es eben zu spät. Mit den Konsequenzen durfte er jetzt leben.
„Entschuldigen Sie, wir haben es uns doch anders überlegt“, richtete er die Worte an den Kellner, der kurz nickte und wieder von dannen zog.

Vermutlich war das wirklich das Beste. Während Holger schon durch die Tür ging, steckte Philipp den Kellner noch fünf Euro Trinkgeld als Entschuldigung zu, immerhin standen ihre Getränke schon fertig auf der Theke.

Draußen holte er ihn schnell ein. Er wollte etwas sagen, aber er wusste nicht was. Wie so oft erschien ihm alles irgendwie falsch. Philipp seufzte. Er hatte wirklich geglaubt, dass sie das hinter sich gelassen hatten. Gut, vielleicht war er auch stur gewesen, aber wenn Holger nicht wieder mit so verletzenden Worten um sich geworfen hätte, würde das Ganze auch wieder anders aussehen.
Aber wollte er sich gerade den ganzen Abend versauen lassen? Nein, das wäre es nicht wert.
„Es tut mir leid“, fing er an. „Ich hätte nicht darauf beharren sollen.“

Wieder war es Philipp, der sich entschuldigte, klein bei gab und sich von Holger dominieren ließ. Holger erwiderte den ganzen Weg über gar nichts, denn er musste für sich selbst überlegen, ob die Unterstellung der Wahrheit entsprach. Dachte er wirklich so von Philipp? Dennoch kam er zu dem Entschluss, dass seine Stimmungsschwankungen damit zusammenhingen, dass er das eben alles nicht hatte. Nicht sein übliches Gehalt, seine Kollegen nicht um sich, keine Fußballspiele nach der Sommerpause...
Seufzend stellte er fest, dass sie wieder vor der Haustür angekommen waren und er den ganzen Weg über geschwiegen hatte.

„Kommst du noch mit rein?“ Konnte schließlich sein, dass er ihn nur heimbringen wollte, da ja auch sein Auto noch auf dem Parkplatz vor dem Haus stand.

Die Frage irritierte Philipp. Für ihn war das irgendwie klar gewesen. Warum auch nicht? Zweifelte Holger so sehr? Dachte er schon wieder, dass Philipp nicht bei ihm sein wollte?
Er beschloss aber nicht darauf zu antworten, er wollte Holger ärgern. Ohne ein Wort zu sagen, ging er langsam zu seinem Auto, öffnete die Fahrertür und tat als würde er einsteigen, griff aber eigentlich nach der Flasche Wein, die er noch im Auto liegen hatte.

Hieß also nein. Philipp tat es Holger also gleich, schwieg einfach und haute ab. Seltsam, dass es diesesmal der Kapitän war, der die Flucht ergriff. Ohne es zu wollen, starrte er Philipp hinterher.

Danach ging Philipp zurück zu Holger und hielt sie hoch. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

Erst als Holger die Autotür öffnete, drehte er sich weg und stieß die Haustür auf, ehe er Schritte hörte und sich perplex umdrehte. Er wollte schon fragen, was denn noch war, als die Flasche Wein vor seinen Augen auftauchte und das lächelnde Gesicht des Kapitäns. Zwar war er nun genau an der selben Ausgangslage, wie vorher, aber er wollte sich nicht beschweren, wenn Philipp schon wieder mal über seinen Schatten springen musste, um Streit und Schweigen zu entgehen.

„Die war eigentlich für die Pizza gedacht… ich würde sagen, wir backen doch, oder?“

„Gerne“, nickte Holger, obwohl es zum Teil eine Lüge war. Wenn man es genau nahm, würde doch sowieso nur Philipp backen und das wusste der Kapitän genau.

Begeisterung sah eindeutig anders aus, aber er verbot es sich darauf rumzureiten. Gemeinsam gingen sie hoch und Philipp steuerte direkt die Küche an. Er stellte den Wein in den Kühlschrank und sah Holger, der ihm gefolgt war, dann abwartend an. „Wo sind die ganzen Sachen? Ich krieg langsam echt Hunger“, grinste er, bemühte sich um gute Laune. Immerhin brachte es nichts, wenn er sich noch über die Szene in der Pizzeria aufregte. Er wollte doch einen schönen Abend mit Holger verbringen.

Eigentlich richtig traurig, wie Philipp versuchte sich zusammenzureißen und so zu tun, als hätte er gute Laune. Das hatte er jetzt wieder ganz toll hinbekommen. Wenn es das wenigstens wert gewesen war, aber die Diskussion ums Geld war einfach nur überflüssig.
„Weißt du denn, wie man das alles zusammenmischt?“, hakte der Jüngere nach, während er Hefe und Öl aus dem Kühlschrank nahm. Was brauchte man noch? Ach ja, Mehl. Schnell stand auch das bereit auf dem Tisch. „Fehlt noch was?“, fragte er und überlegte selbst nochmal, was alles zu einem Teig dazugehörte. Da die Pizza auch nach etwas schmecken sollte, war Salz vielleicht nicht verkehrt.

„Ich geh mich mal schnell umziehen“, erklärte er, nachdem er das alles bereit gestellt hatte. Wenn er es geschickt genug anstellte, war der Teig schneller fertig, als er sich anzog und seine eigene Hilflosigkeit würde ihm nicht so bewusst werden.

Holger war schneller weg als Philipp gucken konnte. Was sollte das denn jetzt? Wollte er nicht helfen oder wie?
Einen Moment starrte er noch auf die Tür, ehe er beschloss langsam mal anzufangen. Er durchsuchte die Schränke nach einer Schüssel und einer Waage und stellte alles auf den Tisch.
In seinem Handy hatte er das Rezept gespeichert und er legte es auf den Tisch. Noch einmal ging der Blick zur Tür. Philipp zögerte. Anfangen, warten oder Holger hinterherlaufen? Er beschloss es anders zu machen. Kurzerhand griff er wieder nach seinem Handy und schickte dem Hausherrn eine SMS.


//Willst du mich verhungern lassen? Schwing deinen Hintern hier rüber oder glaubst du ich fange ohne dich an? Das hättest du wohl gerne, dass ich die ganze Arbeit alleine mache ;)//

Im Schlafzimmer suchte Holger sich andere Kleidung. Er tauschte die feine Hose gegen eine locker sitzende Jeans und auch das schwarze Shirt wurde von einem anderen ersetzt. Vorsichtig ließ er sich auf dem Bett nieder und ließ sich extra viel Zeit beim Anziehen. Ob es letztlich durch das Anziehen allein oder die Übungen mit Gerry passierte, wusste Holger nicht, aber das Pochen im Knie suchte ihn wieder heim. Instinktiv griff er zu seinen Schmerztabletten, ehe dem Innenverteidiger einfiel, dass MüWo stärkere verordnete. Er humpelte zum Schrank und kramte in der Jackentasche, in der sich die Schachtel befand. Zum Glück hatte er immer eine kleine Flasche Wasser neben dem Bett stehen, damit er nachts nicht aufstehen musste, wenn er Durst hatte. Auch jetzt war es mehr als praktisch, da Philipp in der Küche herum wuselte. Eben jener Name erschien auch auf seinem Handys, dessen Display aufleuchtete, als er gerade die kleine Tablette schluckte. Verwundert zog er die Augenbrauen hoch. Mit einer SMS hatte er jetzt wahrlich nicht gerechnet und sein Plan das Backen zu "verpassen" schien ja mal richtig gut aufgegangen zu sein. Na, wenn das später der Hefeteig auch tun würde, konnte ja nichts mehr schief gehen.
Holger stellte das Wasser wieder auf den Boden und begab sich zurück in die Küche. Philipp schien die Küchenwaage und eine Schüssel alleine gefunden zu haben, die er eben vergaß herauszustellen.

„Du hast nach mir verlangt?“, schmunzelte er. Vielleicht würde es ja doch ganz spaßig werden. Bald würde die Wirkung der Tablette einsetzen und dann passte das alles schon.

Philipp sah auf als er Holger hörte und sofort bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen, als er sah, dass seine Mundwinkel nicht mehr nach unten hingen.
„Ausnahmsweise mal“, gab er zurück. „Wiegst du schon mal das Mehl ab? Dann hole ich Wasser“, schlug er vor und suchte direkt nach einem Messbecher in diversen Schränken. Irgendwie war er gerade echt froh. Er freute sich, dass sie jetzt doch zusammen backten. Das war wohl doch die bessere Alternative.

Was hieß denn hier ausnahmsweise? Lächelnd schüttelte der Blonde den Kopf und versuchte sich an der Arbeit. Eine Krücke lehnte er an den Tisch, mit der anderen stützte er sich noch leicht, während er auf einem Bein stand. Er fand es richtig schön, dass Philipp ihm nicht alles abnahm, sondern auch was alleine machen ließ. Die Befürchtung hatte er nämlich, wenn er ehrlich zu sich war.
Er schüttete das Mehl in die Schüssel, las auf dem Rezept die empfohlene Menge ab und stoppte dann, als die Anzeige genau dieses Gewicht anzeigte.
Philipp hatte derweil das Wasser in den Messbecher gefüllt.
„Also Öl, Salz und Mehl in die Schüssel und dann Hefe und Wasser dazu, oder?“

„Ja, genau“, Philipp nickte. „Und dann matschen.“ Er stellte den Messbecher auf den Tisch und holte dann einen Teelöffel für die Hefe und einen Esslöffel für das Öl.
„Welche Reihenfolge ist eigentlich egal“, er zuckte mit den Schultern und griff zur Hefe. Allerdings gestaltete es sich schwierig die zu öffnen.

„Sicher?“ Holger beäugte etwas kritisch das Rezept. Er war nicht ganz so überzeugt davon, dass die Reihenfolge egal war, aber er wollte Philipp auch nicht reinreden. Er wirkte jedenfalls entschlossen, dass es so funktionierte.Weniger Entschlossenheit legte er dann beim Öffnen der Hefe an den Tag.

Die Tüte wollte nicht so wie er. „Bin ich blöd? Ich krieg die nicht auf“, meckerte er und zerrte an der Verpackung. Irgendwie wurde es peinlich. Warum wollte die nicht aufgehen? Das war doch nicht normal.

„Soll ich helfen?“, grinste er, als er ihn eine Weile beobachtet hatte. Er verkniff sich jeden fiesen Kommentar und machte einen Schritt auf Philipp zu, um zu helfen, doch in dem Moment sprang das Tütchen doch auf und verteilte den Inhalt auf Philipps Gesicht und Kleidung.
Geistesgegenwärtig schnappte sich Holger den Lappen auf dem Tisch, konnte aber ein leichtes Lachen nicht länger unterdrücken. Er meinte es nicht böse, es sah nur irgendwie niedlich aus, wenn man Philipps bekleckertes Gesicht und der daraus resultierenden Mimik betrachtete. Auch wenn sich die zarten Teilchen der Trockenhefe kaum abzeichnete, waren sie doch sichtbar, wenn man genau hinsah.

Vollkommen perplex schloss Philipp aus Reflex die Augen, öffnete sie dann blinzelnd wieder und schaute Holger ins Gesicht. Der lachte auch noch… ein Schmunzeln konnte der Ältere aber auch nicht unterdrücken.
„Lach nicht“, beschwerte er sich mehr oder weniger ernst. Er klopfte sich das Shirt ab und fuhr sich ungeschickt über das Gesicht. „Mist“, grummelte er. War ja auch gar nicht peinlich. Ihm lag auf der Zunge, dass sie doch hätten Essen gehen soll, aber er verkniff sich den Kommentar lieber.

„Sorry, aber das sah eben so...“ Holger suchte nach dem richtigen Wort, ehe ein Lachen ihn unterbrach, als Philipp in seine Richtung sah. „unbeholfen aus“, vollendete er den angefangenen Satz, schüttelte aber im nächsten Moment den Kopf.

„Hab ich viel im Gesicht?“, fragend drehte er den Kopf in Holgers Richtung und heftete sich automatisch an den blauen Augen fest.

„Halb so wild.“ Wäre Philipp nicht rasiert, hätten sich die feinen kleinen Körnchen sicher darin verhangen, aber so war es wirklich nicht der Rede wert. Lächelnd fand er sich unmittelbar vor ihm wieder, stupste mit dem Lappen an seine Wange und blickte gar nicht erst auf die Bewegung seiner Hand, sondern verlor sich in Philipps Augen. Fasziniert von diesem Farbenspiel ließ er den Lappen einfach auf seiner Wange ruhen und schenkte dem Kapitän ein sanftes Lächeln. Unbewusst näherte sich sein Gesicht etwas an, hoffte stumm auf Entgegenkommen. Aber das geschah nicht. Sich seiner eigenen Tat bewusst werdend, machte er einen Rückzieher und wischte unbeholfen über Philipps Gesicht.

Der Moment war komisch gewesen. Philipp konnte es nicht genau in Worte fassen und er wollte auch nicht darüber nachdenken, was das war… wie das war. Es war einfach seltsam gewesen. Er lächelte unsicher. „Danke, aber ich glaub, ich geh mal eben ins Bad.“ Fast schon entschuldigend sah er Holger an und verschwand. Raus aus dem komischen Moment.

Holger schluckte beklommen, als Philipp ihn so unsicher anlächelte und dann auch schon verschwand. Ebenso schnell, wie er selber ins Schlafzimmer abgehauen war. Was hatte er sich nur dabei gedacht und sich so den Kapitän angenähert? Dass das kein gutes Ende nehmen würde, hätte er sich ja denken können. Wieder kamen Zweifel auf, ob es nicht besser war, wenn er Philipp nicht weiter belästigte und ihn wegstieß. Aber er brachte es bewusst nicht übers Herz. Es müsste sich schon so eine Situation wie im Restaurant anbieten.

Im Bad spritzte er sich Wasser ins Gesicht und schaute sich dann im Spiegel an. Sein Blick war fragend, ehe er ein Lächeln aufsetzte. Er bildete sich das sicher ein. Das war ganz normal gewesen gerade. Er trocknete sich also ab und ging zurück in die Küche.

Traurig blickte er zur Tür und senkte dann den Kopf, visierte das abgewogene Mehl an, ehe er Philipp wieder in die Küche marschieren sah.

„So, jetzt noch mal ohne Sauerei.“ Er griff die Hefe und zählte vier Löffel ab. Mit dem Öl machte er das Gleiche.
„Ist schon Salz drin?“

Holgers Meinung nach versuchte Philipp ziemlich schnell das Backen hinter sich zu bringen. Zumindest interpretierte Holger seinen Eifer so. Aber jetzt wieder damit anfangen, dass er wohl schnell wieder von hier abhauen wollte, konnte er doch nicht. Philipp würde womöglich nochmal die Hand ausrutschen. Oder er bejahte es. Auf beide Varianten konnte Holger verzichten.
„Nein, noch nicht.“ Holger griff nach dem Salz und fügte es auch hinzu, damit er nicht nur blöd irgendwo herum stand.

„Okay und wer knetet nun? Bist du Pussy oder machst du dir auch mal die Hände schmutzig?“, provozierend grinste er Holger an. Fast schon krampfhaft wollte er wieder eine gute Stimmung herstellen. Oder kam nur ihm das so vor, dass es krampfhaft war. Er konnte es nur hoffen. Würde Holger das bemerken, würde es sicher nur noch komischer werden.
„Der andere kann sich ja schon mal um das Backblech kümmern. Ich weiß nicht, benutzt du Backpapier oder wollen wir das einfetten?“

Philipps Frage brachte ihn ernsthaft aus dem Konzept. Wenn er ehrlich war, war ersteres der Fall, aber das zugeben?
„I-ich kann nicht wegen den Krücken.“ Demonstrativ sah er auf die Krücken und war froh, dass er sich so rausreden konnte. Kneten wollte er nun wirklich nicht.
„Besser ist, wenn ich mich um das Backblech kümmere“, entschied er und holte aus einem Schrank einen Pinsel, um das Blech mit etwas Öl auszuschmieren.

Ein Schmunzeln schlich sich auf Philipps Lippen. Er verkniff sich den Kommentar und fing einfach an den Teig zu kneten. Die Hände hatte er ja eben im Bad gewaschen. Es war schon ein ganz schönes Gematsche, aber er wusste ja, dass es sich lohnte.

„Glaubst du, die Pizza wird schmecken?“, hakte er nach, da Philipp das sicher noch nicht allzuoft – wenn überhaupt – gemacht hatte.

„Klar schmeckt die. Wir bestreichen die gleich schön mit Ketchup und Gewürz, belegen die dann und wenn die fertig gebacken hat, können wir essen. Ich krieg echt Hunger langsam.“

Sie taten es dann, wie Philipp gesagt hatte, nachdem er den fertigen Teig ausgerollt hatte. Als die Pizza ihm Ofen war, suchte er nach Tellern und deckte den Tisch. Dann holte er den Wein aus dem Kühlschrank. „Bleibst du dabei, dass ein Glas okay ist? Ich will nicht schuld sein nachher, wenn das doch nicht gut ist.“

Holger schaute durch das durchsichtige Fenster im Ofen und beobachtete die Pizza. Sie sah wirklich lecker aus, wenn sie auch so schmeckte, war das perfekt. Als Philipp den Wein erwähnte, überlegte Holger kurz. Die Tablette hatte er vor etwa einer halben Stunde genommen. Dazu würde er ja noch was essen und dann den Wein trinken, deshalb glaubte er, dass das kein Problem wäre. So stark waren die Tabletten bestimmt auch wieder nicht, obwohl er zugeben musste, dass sie extrem schnell gegen den Schmerz im Knie wirkten.
Er nickte einfach mal. Ein Glas war doch auch nicht der Rede wert. Während Philipp den Tisch deckte und auch Servietten bereit legte, wartete Holger schweigend ab, bis die Pizza fertig war. Großen Hunger hatte er zwar nicht, aber er hatte schon als kleines Kind den Plätzchen dabei zugesehen, wie sie langsam aufgingen und eine goldene Färbung bekamen.
Als etwas Zeit verstrich, öffnete Holger den Ofen und winkte Philipp zu sich. „Kannst du sie rausnehmen?“

„Klar“, er nahm zwei Topflappen und stellte das Backblech auf den Untersetzer auf der Anrichte. Mit einem Pizzaschneider schnitt er einige Stücke. Er füllte Holger und sich je eins auf bevor er die Teller auf den Tisch stellte. Es folgte der Wein und Philipp hielt ihm das Glas hin, wollte mit ihm anstoßen. „Auf einen schönen Abend. Vielleicht hab ich ja Glück und kann sogar gegen dich bei Fifa gewinnen, aber da stehen die Chancen ja leider schlecht“, er grinste. Es war nicht so, dass er nicht auch mal gerne zockte, aber er war nicht besonders gut und vor allem gegen Holger konnte er froh sein, wenn er im einstelligen Bereich verlor. „Gut, ich sollte nicht so hochgreifen. Ein Tor würde mir schon reichen“, revidierte er seine Aussage etwas.

Dankbar nahm Holger den Teller und das Glas und grinste Philipp breit an, als er sein Glas leicht an das des Älteren stieß. „Wenn du's nicht schaffen solltest, lass ich Manu auch mal absichtlich daneben greifen“, lachte er. Weg war die miese, beklemmende Stimmung, die beide doch nur runterzog. Im Moment schien auch keiner von ihnen an die Szene im Restaurant zu denken. War sowieso vollkommen unnötig jetzt noch einen Gedanken daran zu verschwenden.

"Wie großzügig", schmunzelte Philipp. "Dann verliere ich ja ausnahmsweise nicht zu Null."

Holger nahm einen großen Schluck vom Wein. „Hm, der ist gut“, fand er und nippte nochmal kurz daran. Allerdings schmeckte man deutlich den Alkohol heraus. War wohl auch nicht ganz ohne.
„Jetzt muss nur noch die Pizza schmecken“, lächelte er und schnitt sein Stück in einen mundgerechten Happen, den er erwartungsvoll aß. Genüsslich kaute er und nickte dem Älteren zu. „Ich muss gestehen, ich hatte ja so meine Zweifel, aber die sind jetzt alle weg.“ Und das war nicht gelogen. Die Pizza war mehr als gelungen.

Holgers weitere Worten ließen Philipp aufhorchen. "Wie Zweifel? Du hast nicht etwas gedacht, ich könnte keine Pizza backen?", etwas überrascht war er dann doch über diese Tatsache. Er aß auch einen Happen, während er überlegte. "Ich frage mich, ob ich eingeschnappt sein sollte. Basti wäre das sicher jetzt." Na ja, ein Argument war das nicht, aber ein Gedanke.
"Das ist mein Lieblingswein", gab er dann aber zu und trank genüsslich einen Schluck. "Freut mich, dass er dir auch schmeckt."

„Als ob du mir einen Vorwurf machen könntest nach der Nummer mit dem Tütchen Hefe“, neckte er ihn. Basti hätte sicher schon mal gar nicht mit ihm Pizza gebacken, sondern hätte darauf bestanden Essen zu gehen. Und Holgers Launen hätte der sich auch nicht so bieten lassen.
Holger inspizierte die Flasche Wein und nickte anerkennend. Da bewies der Kapitän wirklich guten Geschmack.

"Als ob das ein Grund wäre", murmelte Philipp und richtete den Blick beschämt auf die Pizza. Er spürte, wie er leicht rot wurde um die Nase.

Er warf einen amüsierten Blick auf Philipp. War ihm das jetzt peinlich? Holger fand es viel eher lustig, es diente dazu die Stimmung zu lockern. Aber er verbot sich das als Argument zu bringen, am Ende schwiegen sie sich nur wieder an.

Sie aßen in Ruhe auf und Philipp räumte die Teller in die Maschine. Als ihre Gläser dann auch leer waren, schaute er zur Flasche und dann zu Holger. "Noch ein Glas oder lieber nicht?"

Holger musste schon kurz überlegen, ob er sich noch ein Glas genehmigte, aber er entschied sich dafür, da es ihm jetzt ziemlich gut ging und er auch genügend gegessen hatte, um den Alkohol zu kompensieren.
„Etwa ein halbes Glas geht noch“, bestimmte er deshalb und streckte Philipp sein Glas entgegen, verschwieg Philipp guten Gewissens die Einnahme der Tablette. Am Ende würde der den Wein alleine trinken, damit Holger nicht mehr in Versuchung kam sich daran zu bedienen.

"Gut", er schüttete ihm ein, zögerte bei sich aber. "Ich muss ja gleich noch fahren... ach, ein halbes geht auch." Also füllte er sein Glas genau wie Holgers.

Verwundert stellte Holger fest, dass der Kapitän sich fast nichts einschenkte. Er wollte schon nachfragen, da erläuterte Philipp den Grund für seine Zurückhaltung, die den Innenverteidiger stumm seufzen ließ. Was hatte sich sein Kopf nur wieder eingebildet? Dass der Kapitän über Nacht bleiben würde? Ja, vorgestellt hatte er sich das, aber es war doch ein ziemlich unwahrscheinlicher Gedanke, dass das dann auch wirklich eintreten würde.

„Bist du sicher, dass du nicht mehr trinken willst?“, lächelte Holger neckend, um seinen eigentlichen Hintergedanken zu verbergen, „Du wirst es sicher brauchen, wenn du 10:1 verlierst.“

"Wollen wir direkt ins Wohnzimmer gehen?", schlug der Außenverteidiger dann vor, überging den Witz. Er fand es dort irgendwie gemütlicher. "Dann kannst du auch dein Bein hochlegen. Das ist sicher besser, oder?" Philipp schenkte Holger ein ehrliches Lächeln. Das war gerade nicht böse gemeint oder so, sondern einfach nur fürsorglich.

Philipps Frage beantwortete nur mit einem Nicken und indem er ins Wohnzimmer hopste. Zwar beschwerte sich sein Bein gerade nicht, aber schaden würde das sicher nicht. Sie mussten sowieso ins Wohnzimmer, um Fifa zu spielen.
Holger bediente zuallererst seine Playstation, bevor er sich einen Hocker zurecht schob, auf dem er sein Bein betten würde, beide Controller auf die Couch legte und sich wartend auf das Sofa setzte. Er freute sich schon richtig darauf mit Philipp zu zocken.



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