Kapitel 26 - Treffer versenkt



Philipp genoss diese Umarmung sichtlich, erschrak aber, als Holger so plötzlich wegzuckte.

„Was ist passiert?“ Irritiert sah Philipp Holger an, dann den Ball, der ihn wohl getroffen haben musste und schließlich die Jungs, die tuschelnd in der Nähe standen. Sprachen sie Deutsch? Umso besser.

„Hey, kommt mal her! Ist das euer Ball? Ihr müsst besser aufpassen und entschuldigt euch gefälligst.“

Unsicher kamen die fünf Jungs näher. „Tut uns leid, wir haben nur trainiert, wirklich, das war keine Absicht!“, sagte einer von ihnen direkt.

Sie warfen sich einige Blicke zu.

Philipp stand seufzend auf und hielt ihnen den Ball hin. „Ist ja zum Glück nichts passiert. Und Holgers Kopf wird wieder“, lächelte er sie an.

„Du… du bist doch Philipp Lahm, oder?“, platzte einer plötzlich heraus.

„Ähm… ja, ja bin ich“, im ersten Moment war Philipp etwas überrascht. Er lächelte aber, als er sah, wie die Augen der Jungs plötzlich anfingen zu glänzen.

„Kannst du uns ein Autogramm geben?“ „Nein, spielst du mit uns?“ „Oh ja, bitte!“

Philipp lachte etwas. „Ja, kann ich machen. Aber nur kurz, okay? Geht schon mal vor, ich komme sofort.“

Einer von ihnen nahm ihm den Ball ab, nickte eifrig und die Jungs liefen wieder ein paar Meter weg.

Holger schmunzelte leicht, als Philipp das Wort ergriff. Die Jungs entschuldigten sich auch sofort, obwohl die mit einem Mal ziemlich verstört wirkten. Natürlich, so war das eben wenn man ganz unerwartet auf Prominenz traf. Es war schon richtig niedlich, als sie Philipp baten mit ihm zu spielen, sich aber erst vergewisserten, ob er auch DER Philipp Lahm war. Holger schwieg, er ließ den Kapitän alleine mit seinen 'Fans' reden, senkte sogar den Kopf, während seine Hand vom Kopf abließ. So weh tat es auch nicht mehr.

„Du bist nicht böse, oder? Ich will ihnen nur eine kleine Freude machen“, jetzt war es Philipp, der etwas Unsicherheit an den Tag legte. Irgendwie fragte er sich, wie lange sie sich wohl noch umarmt hätten, wenn nicht der Ball gekommen wäre.

Überrascht sah Holger wieder auf. „Nein, geh ruhig.“ Er lächelte in Richtung der Jungs, „Die freuen sich schließlich schon so mit dem großen Philipp Lahm zu kicken.“ Und ihn erkannten sie gar nicht, das war schon ein prima Gefühl. Vor allem jetzt in seiner Situation. Aber davon sollte sich Philipp nicht beirren lassen.

„Ist denn mit deinem Kopf alles okay? Wir können auch direkt zurück…“ Besorgt sah er Holger an. Es ging diesmal um den Kopf, nicht um das Knie, aber es würde ihn nicht wundern, wenn Holger ihn wieder barsch abweisen würde. Womit sie wieder beim Thema wären, was sie eigentlich totschweigen wollten. Vielleicht hätte Philipp gar nicht fragen sollen, aber es ging doch nun mal um den Kopf und unerwartet konnte so ein Ball besonders schmerzen.

Nun sah Holger ihn wieder direkt an und erkannte so auch die Besorgnis, die in der Mimik des Kapitäns auszumachen war. „Ja, hat nur anfangs weh getan, weil es so unerwartet kam“, winkte er ab, „Meinen Eisenschädel macht so schnell nichts kaputt. Und jetzt hau schon ab, die Jungs warten.“

„Danke“, lächelte Philipp und ließ Holger dann alleine auf der Bank zurück.

„Wow, ist das cool“, schwärmte einer der Jungs und war ganz hibbelig gleich mit seinem großen Idol spielen zu dürfen.

„Da können wir morgen in der Schule angeben, dass wir mit Philipp Lahm Fußball gespielt haben!“, pflichtete der andere bei und ließ den Ball auf die Wiese fallen.

„Bereit?“, fragte Philipp die Jungs und hatte eigentlich Zustimmung erwartet und keine Frage.

Die Freude war ihnen deutlich anzusehen und auch das Gesicht des Kapitäns zierte ein Lächeln.

„Will dein Freund eigentlich nicht mitspielen?“ Ein Junge stoppte den Ball und sah zur Bank, die einige Meter weg stand.

„Nein, du Depp. Der hockt doch im Rollstuhl, hast du das nicht gesehen?“, warf der Größte und wohl auch Älteste der Truppe ein.

Aus einer Mischung von überrascht und verwirrt sein, sah Philipp sie an. Dann lächelte er traurig. „Holger ist verletzt. Es dauert noch etwas bis er wieder Fußball spielen kann“, erklärte er ihnen.

„Oh, das ist aber blöd!“, rief einer der Jungs aus.

„Vielleicht kann er ja im Tor stehen, da muss er ja nicht spielen können“, meinte er Kleinste unter ihnen.

„Nein, das geht auch nicht“, schüttelte Philipp den Kopf. „Er muss erst gesund werden und dann langsam wieder mit dem Training anfangen.“

„Okay…“

„Man, los jetzt! Wir wollten Fußball spielen“, drängte einer und sofort waren die anderen Jungs Feuer und Flamme.

Holger versuchte derweil den Blick nicht zu Philipp und den Jungs wandern zu lassen und konzentrierte sich stattdessen auf den glitzernden See, der von der Sonne beschienen wurde. Doch er ertappte sich selbst immer wieder dabei wie er doch zu ihnen schielte. Wie gern hätte er auch mitgespielt. Aber er wäre auch gerne erkannt worden.
Vielleicht war es aber auch ganz gut, dachte Holger, so konnte er schon mal sehen, wie das normale Leben sich so abspielte prinzipiell nicht mehr erkannt zu werden.
Es war nicht so, dass der Innenverteidiger den Rummel um sich liebte. Deshalb mochte er München so, da er sich frei bewegen konnte, aber dennoch tat es seinem Ego gut, wenn ab und zu Fans zu ihm kamen und um ein Autogramm baten.

Philipp kickte mit den Jungs hin und her, diese hatten ordentlich Spaß daran, forderten ihn auch zu Zweikämpfen auf, aber der Kapitän konnte ohne schlechtes Gewissen behaupten, dass er jeden gewonnen hatte.

Trostlos starrte sich Holger langsam aber sicher fest. Die Jungs hatten kurz mit Philipp geredet, bevor sie anfingen zu spielen. Kurzzeitig konnte er sogar nicht anders als zu lächeln beim Anblick von manchen Zweikämpfen, welche die Jungs mit dem Profi eingingen. Es war ohnehin klar, wer gewann, aber es war niedlich, dass Philipp ihnen immerhin eine Chance ließ. Holger hoffte wenigstens, dass das Absicht war, sonst verstand er Jupps Entscheidung nicht mehr, Philipp dem Training fern zu halten.

In seinen Gedanken war Philipp nicht hundert Prozent bei der Sache. Hin und wieder schielte er rüber zu Holger. Es war nicht richtig, ihn da so alleine sitzen zu lassen, aber er hatte diesen Jungs halt zugesagt.

Es verging eine viertel Stunde und Holger seufzte schwer. Vielleicht hätte er Philipp einfach sagen sollen, dass ihm der Kopf weh tat und sie in die Klinik zurück gehen sollten, dann würde er sich jetzt nicht so dämlich vorkommen, wie er hier herumhockte. Holger spielte sogar mit den Gedanken sich in das Match zu mischen und irgendwie mitzukicken. Mit Krücken eben. Aber Philipp hätte es ihm sicher verboten, Holger hätte auf stur gestellt und alles war wieder dahin.

Irgendwann, vielleicht waren fünfzehn Minuten vergangen, vielleicht auch zwanzig, verabschiedete Philipp sich von ihnen. Jeder bekam noch ein Autogramm und dann ging er wieder zu Holger.

Holger war so in seine Gedanken vertieft, dass er erst als Philipp ihn ansprach, reagierte.

Philipp ließ sich auf die Bank fallen. „So, ich möchte aber, dass du Jupp auch erzählst, dass ich heute eine Extraschicht gemacht habe“, stellte Philipp direkt klar und grinste etwas. Er legte den Kopf in den Nacken, strich sich durch die Haare und warf unwillkürlich einen Blick in den Himmel. Nicht schon wieder.

„Mach ich“, seufzte Holger. Das war doch zum Verrückt werden. Schon wieder merkte Holger den Umschwung seiner Laune. Er wollte sich beschweren, warum ständig nur Philipp erkannt wurde und er schon gar nicht mehr existierte, aber dafür konnte der Kapitän nichts. Besser darüber zu schweigen.

War es jetzt schon wieder falsch, dass er den Jungs eine Freude bereitet hat? Philipp lag ein bissiger Spruch auf den Lippen, aber Philipp verkniff ihn sich. Vielleicht tat er ihm ja auch nur Unrecht und das wollte er nicht.
„Wir sollten gleich gehen“, brummte er.

Erstaunt sah Holger zu Philipp und folgte seinem Blick in den Himmel. Auf die Wettervorhersage konnte man sich also leider verlassen.

„Da hinten wird es schon wieder schwarz und mein Shirt für den Wet-T-Shirt-Contest hatte ich gestern schon an.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen in der Hoffnung, dass auch Holger etwas lachen konnte.

Das weiße Shirt von gestern. Daran konnte sich Holger noch gut erinnern, wie es an Philipps Körper klebte und sämtliche seiner Muskeln offenbarte, sie betonte und markante Akzente setzte. Irgendwie erinnerte er sich schon fast zu gut daran. Holger fragte sich, warum er sich das so eingeprägt hatte. Und wieso er seinen Blick gestern kaum davon abwenden konnte.
Er lächelte leicht und nickte. Sie sollten sich sowieso beeilen, wenn sie nicht vom Schauer überrascht werden wollten. Stumm setzte er sich in den Rollstuhl, unnötige Diskussionen vermeidend, obwohl er gerne zu seinen Krücken gegriffen hätte.
„Dann müssen wir den restlichen Tag, oder wenigstens bis das Wetter sich bessert, im Aufenthaltsraum bleiben.“

Irgendwie hatte Philipp den Verdacht, dass er ihm wirklich Unrecht getan hätte, denn Holger setzte sich freiwillig in den Rollstuhl.
„Wir kriegen uns schon beschäftigt“, meinte Philipp und löste die Bremsen, um Holger zurückschieben zu können. „Und zur Not kuscheln wir uns in dein Bett und schlafen eine Runde.“ Es sollte ein Witz sein, lustig klingen, aber nach dem Kuss gestern klang es plötzlich seltsam. Oder kam es nur Philipp so vor?

Holger schnappte nach Luft. Wie war das? Sollte das ein Scherz sein? Holger hätte sich ohrfeigen können, da er sich extra umdrehen musste, um es an Philipps Mimik ablesen zu können. Das konnte doch nicht möglich sein, dass ihn so ein Vorschlag derart aus der Fassung brachte. Langsam musste sich Holger wirklich fragen, was da mit ihm los war. Der gestrige Kuss war schon viel zu viel...
Normale Freunde, oder auch nur Kollegen küssten sich nicht. Sie sollten nicht einmal ein gewisses Verlangen verspüren, die Lippen des anderen zu berühren.

Den ganzen Weg über schwiegen sie. Es wurmte Philipp, dass sie sich anscheinend so wenig zu sagen hatten. Vielleicht hätten doch Bastian, Mario oder Thomas fliegen sollen. Immerhin war es ja auch nur „okay“, dass er da war… Philipp seufzte. Warum zweifelte er eigentlich andauernd? Das war doch schrecklich!

Auf dem Flur im ersten Stock wurden sie gleich von Schwester Anna empfangen. „Schon wieder da?“

„Der Himmel zog sich zu und wir wollten dieses Mal nicht nass werden“, erklärte Philipp ihr. „Haben Sie hier irgendwelche Gesellschaftsspiele oder so?“

„Hm… ich glaube, wir haben ‚Mensch ärgere dich nicht‘, ‚Schiffe versenken‘ und zwei oder drei Spiele für Kinder. Was soll ich Ihnen holen? ‚Schiffe versenken‘ kann man doch super zu Zweit spielen. Gehen Sie doch schon mal in den Aufenthaltsraum, ich komme dann zu Ihnen.“

Schwester Anna verschwand und verwirrt sah Philipp ihr nach. Hatte sie nicht gerade noch gefragt, was sie spielen wollten und wählte jetzt selber für sie? Belustigt schüttelte er den Kopf. „Na gut, klingt ja nicht schlecht, oder?“

Er schob Holger in den Aufenthaltsraum und setzte dort die Bremsen fest. „Raus mit dir, dann verbanne ich das Ding wieder“, schmunzelte der Kapitän und reichte Holger die Krücken, damit er aufstehen konnte.

Schiffe versenken? Das hatte er schon lange nicht mehr gespielt. „Haben die hier keine Playstation?“, schmunzelte er und erhob sich nach Philipps Aufforderung vom Rollstuhl. Er war dankbar für seine Krücken. Auch wenn er viel dankbarer wäre, wenn er die gar nicht mehr brauchen würde und sich auf den Trainingsauftakt konzentrieren könnte.

„Ich hätte dir deine mitbringen sollen“, stellte Philipp auf Holgers Frage fest. „Na ja, muss ich wohl noch mal wieder kommen. Oder Mario oder Basti bringen sie mit. Vielleicht kommen sie ja auch mal vorbei.“ Es war besser, wenn nicht immer er kommen würde. Die anderen konnten ihn sicher besser aufmuntern. Es war ja offensichtlich, dass Philipp wohl andauernd irgendetwas falsch machte bzw. mit Holger und seinen Launen nicht umgehen konnte.


Der Innenverteidiger stützte sein Gewicht nun auf die Krücken und beobachtete aus dem Augenwinkel, dass Philipp den Aufenthaltsraum wieder verließ um den Rollstuhl wegzubringen.
„Wäre schön.“ Holger lächelte, bis ihm schlagartig bewusst wurde, dass man das auch falsch verstehen konnte. Er wollte damit sicher nicht behaupten, dass es schön wäre, wenn mal Mario oder Basti vorbei kommen würden und nicht immer nur Philipp. Sondern, dass es schön wäre, wenn Philipp ihm das nächste mal die Playstation vorbei brächte.

Philipp war sich nicht sicher, ob er sich verhört hatte, als er sich vom Tisch entfernte. Wäre schön? Wenn Basti, Mario oder Thomas kommen würde? Na, danke auch. Wieder so ein Moment, in dem er sich wünschte, er wäre gar nicht hier. Langsam wurde das echt albern. Oder übertrieb er jetzt? Er sollte einfach das Beste aus dem restlichen Tag machen. Morgen war er ja wieder weg.

Abwartend setzte Holger sich an einen Tisch und rätselte, wer sich wohl als erstes wieder blicken ließ. Entweder Schwester Anna oder Philipp. Seine Frage beantwortete sich schnell, als Philipp sich zu ihm setzte. Er platzierte sich schon genau richtig für Schiffe versenken. Nämlich direkt gegenüber.
Holger wurde ein weiteres Mal bewusst, dass er doch ziemlich froh war, dass Philipp da war. Einen Moment überlegte er, ob er es ihm vielleicht doch nochmal sagen sollte. Schließlich wollte dieser heute schon wieder fliegen. Stumm seufzte Holger. Der Gedanke an diesen einen Satz schmerzte noch immer.
„Weiß -“

„Hast du Lust auf einen Kaffee? Soll ich uns einen holen?“

Dass sie etwa zeitgleich etwas sagen wollten, damit hatte Holger nicht gerechnet. Jetzt war natürlich sein Mut und sein Vorhaben dahin.
„Ja, irgendwie schon. Nicht, dass wir beim Schiffe versenken einschlafen.“

In dem Moment kam Schwester Anna mit dem Spiel um die Ecke und stellte es auf den Tisch. „Da schlafen Sie bestimmt nicht ein. Die Soundeffekte sind richtig laut, da können Sie gar nicht einschlafen“, lachte sie.

„Na, ein Kaffee kann uns aber trotzdem nicht schaden“, schmunzelte Philipp und stand auf, um zu dem Automaten zu gehen, der an einer Wand im Aufenthaltsraum stand.

Aber es war zu spät, um das noch klar zu stellen, denn Philipp verschwand, um den Kaffee zu holen, während Holger sich der Verpackung widmete. Geschickt holte er das Spielbrett heraus und baute dann das Gesellschaftsspiel auf. Dabei überlegte er sich selbstverständlich schon, wo er seine Schiffe platzieren würde, um Philipp das Leben schwer zu machen.

Schwester Anna blieb im Aufenthaltsraum und setzte sich auf eine Couch zu einem anderen Patienten mit eingegipstem Bein. Sie lächelte Holger noch kurz an, ehe sie sich wieder dem anderen Patienten zuwendete.

Philipp zögerte… Kaffee oder doch ein Milchkaffee? Erst mal einen normalen Kaffee. Mit zwei Tassen kam er zurück zum Tisch. Holger hatte das Spiel in der Zeit aus der Verpackung geholt.
„So und nun? Wie geht das… oh“, Philipp hatte einfach mal auf einen der Knöpfe gedrückt und sofort ertönte laut Musik aus dem Gerät. „Kann man das auch irgendwo leiser drehen?“ Peinlich berührt, dass er den ganzen Raum unterhielt, suchte er nach einer Möglichkeit es etwas leiser zu drehen.

„Danke“, sagte Holger und nahm gleich einen Schluck, wobei er sich fast verschluckte, als der Kapitän einfach auf die Knöpfe drückte und ein schallendes Gepolter aus den Lautsprechern ertönte. Dass die Blicke nun auf ihnen lagen, nahm Holger seufzend hin. Er zog die Augenbrauen hoch, schmunzelte und sah Philipp vielsagend an, der akribisch nach der Lautstärkeregelung suchte.

Die fand er auch, aber wirklich viel war da nicht mehr zu machen. Schwester Anna hatte recht gehabt. Es war auch nicht unbedingt schön, als Holger ihn so vielsagend ansah als er die Aufmerksamkeit unfreiwilliger Weise auf sich zog. Ja, er hatte gerade etwas Peinliches erlebt. Na zum Glück sagte er nichts dazu.
„Gut, dann positionier ich mal meine Schiffe…“, nachdenklich nahm Philipp die Schiffe und setzte sie auf seine Plattform und rückte sie wieder etwas um bis er zufrieden war.

Holger schüttelte belustigt den Kopf, als Philipp hochkonzentriert auf seiner Seite des Spiels herum fingerte. Es wurde zu einem regelrechten Starren. Die ganze Zeit über hatte der Innenverteidiger ein gutmütiges Lächeln aufgesetzt, er konnte gar nicht anders. Philipp sah so niedlich dabei aus. Und rasiert wirkte er viel jünger, wie Holger eben wieder auffiel.

„So, ich wäre startklar. Und du?“ Philipp sah ihn über den Rand seiner Tasse an. Genüsslich nahm er einen Schluck.

„Hm?“ Holger schreckte auf und senkte hastig den Blick. „Gleich.“ Das war wieder mal eine peinliche Aktion. Erst starrte er sich fest, dann reagierte er gar nicht auf Philipps Worte und hatte noch nicht mal seine Schiffe platziert.

Holger war aber wohl noch unschlüssiger beim Schiffeverteilen als er. Na ja, trank Philipp so lange den Kaffee in Ruhe. „Hm, der Kaffee ist aber gut.“

„Du musst die Daten deiner Schiffe aber noch eingeben“, ging Holger nicht darauf ein, sondern tippte eifrig am elektronischen Schiffe-versenken Spielbrett herum, nachdem er die passenden Standorte auserkoren hatte.

„Wie? Ach so…“, schnell machte Philipp die letzten Eingaben. Zur Bestätigung piepte das Spiel wieder schön laut. Etwas genervt seufzte er auf. „Also wenn das jetzt die ganze Zeit so geht, drehe ich aber am Rad.“

Irritiert musterte Holger ihn. Wollte er überhaupt spielen? „Wir müssen nicht spielen, wenn du nicht willst“, murmelte er. Langsam wurde es wirklich merkwürdig zwischen ihnen. Entweder sie schwiegen, diskutierten, verstanden sich falsch oder stritten. Wo war diese Normalität, diese Unbeschwertheit von früher denn geblieben? Holger hatte sie vertrieben und fühlte sich deswegen richtig schlecht.

„Können wir dann jetzt? Was machen wir? Der Jüngere fängt an oder Schnick Schnack Schnuck?“ Er grinste Holger an, ließ die letzte Äußerung unkommentiert und beantwortete das lieber mit seinem Eifer. Irgendwie freute er sich wirklich auf dieses Spiel und er hatte den Ehrgeiz es zu gewinnen. Oder wäre Holger dann wieder beleidigt? Vermutlich würde Philipp eh irgendwas Falsches machen und die Stimmung wäre wieder dahin.

Die sichtliche Vorfreude ließ Holger seine dämliche Frage schon wieder bereuen. Zum Glück äußerte sich Philipp nicht mehr dazu.
„Der Jüngere fängt an“, antwortete er schließlich und nahm sich dieses Recht einfach mal heraus. Holger tippte als erstes C7 ein, doch lautstark machte das elektronische Gerät ihm deutlich, dass er daneben zielte.

Danach war Philipp dran, der einen Glückstreffer landete. So ging es eine Weile hin und her und Philipp gewöhnte sich sogar an diese penetranten Soundeffekte.

„Treffer!“, jubelte der Kapitän, als er das vierte von fünf Schiffen versenkte.

Holger dagegen erwischte bislang nur zwei Schiffe, dafür aber das kleinste, das sowieso schwieriger zu finden war.

Holger war am Zug. Er schaute nachdenklich auf die Anzeigetafel und wo noch überall Schiffe stehen könnten. Plötzlich aber erhaschte er einen Blick zu Schwester Anna, die ihm mit ihren Fingern die Zahl und auch den Buchstaben andeutete. Holger musste sein Grinsen unterdrücken, während er die nächste Kombination eingab. Zum Glück hatte Philipp sein Zweierschiffchen noch nicht gefunden, das konnte sich noch überall in den Lücken verstecken und verschaffte dem Blonden die nötige Zeit.

Und tatsächlich! Schwester Anna hatte ihm einen richtigen Tipp gegeben und er traf. Und das auch rasch hintereinander. Während Philipp weiter daneben schoss, auch Holger ab und zu mal, damit es nicht auffiel, ging es zum Endspurt. Der Kapitän allerdings suchte immer noch verzweifelt nach Holgers letztem Schiffchen, aber der Innenverteidiger wusste ganz genau, was er eintippen musste, um das Spiel zu gewinnen.

Das gab es doch nicht. Erst führte er klar und deutlich und dann fand er das dumme, letzte Schiff nicht.

„D3.“ Fehlschuss, wie das Spiel ihm mitteilte. Philipp fuhr sich entnervt durch die Haare. Wenn das so weiter ging, würde Holger echt noch gewinnen. Er lehnte sich zurück und wartete auf Holgers Zug. Während er ihn so betrachtete, erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. In der Glasvitrine hinter Holger spiegelten sich einige Bewegungen. Das war doch Schwester Anna, oder? Was machte sie denn da? Sollte das ein A sein? A5? Sofort sah Philipp auf sein Spielfeld. Da stand sein Schiff! Was war das denn? Hatte sie ihm die ganze Zeit geholfen, oder wie?
Er musste unwillkürlich schmunzeln. Das war ja schon irgendwie süß. Er sagte auch nichts. Holger sollte sich freuen, dass er gewann. Philipp wollte ihn lächeln sehen. Dieses überhebliche Grinsen, was ihm sagte, dass er es geschafft hatte. Der Kapitän hatte das Grinsen genau vor Augen.

„A5“, forderte Holger.

„Treffer“, gab Philipp zu. Danach ging Holger allerdings in die falsche Richtung. War das Absicht? Er wollte es wohl einfach nicht zu auffällig gestalten.
Viel Auswahl hatte Philipp nicht mehr. „J10.“ Vermutlich war das auch falsch und Holger würde ihn im nächsten Zug plattmachen. Aber es machte ihm nichts aus, ganz im Gegenteil.



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