Kapitel 53 - Nichts als die Wahrheit



Durch die Gespräche merkten die Reisenden kaum, wie schnell die Zeit verging und die zehn Flugstunden so langsam aber sicher um waren. Das Flugzeug passierte die Landebahn, nachdem die Fluggäste darauf aufmerksam gemacht wurden.

„Dann kann der Urlaub ja losgehen“, freute sich Basti und erhob sich aus seinem Sitz.

Gefolgt von den anderen. Die Sonne strahlte ihnen sofort entgegen, was Claudias und Sarahs Laune gleich noch etwas steigerte und sich voller Vorfreude auf das schöne Hotel, von dem sie bereits im Internet schwärmten, beeilen wollten. Außerdem wollten sie noch etwas vom Tag haben. Basti schüttelte grinsend den Kopf über die Frauen, da er und Philipp es etwas gemütlicher angehen wollten.


Endlich im Hotel wurden ihnen ihre Zimmer zugeteilt. Beide waren im Haupthaus untergebracht, aber die Lahms waren im sechsten Stock mit einer wundervollen Aussicht auf das Meer und Bastian und Sarah im dritten Stock.
Durch die Zeitverschiebung kamen sie wirklich früh am Morgen an. Aber alle waren von dem Flug etwas geschlaucht und da klang ein gemeinsames Mittagessen als Anfang ganz gut. Sie verzogen sich also auf ihre Zimmer. Claudia packte direkt ihren Koffer aus, während Philipp sich aufs Bett schmiss.

„Was ist mit deinen Klamotten?“, fragte ihn seine Frau.

„Später“, gähnte er. „Ich will erst mal eine Runde schlafen, ich bin ziemlich fertig“, gab er zu. Die kurze Nacht, dann der lange und anstrengende Flug… da kam schon einiges zusammen.

„Aber dann hast du es hinter dir und der Urlaub kann in Ruhe starten ohne lästiges auspacken. Es ist ja auch nicht viel und geht schnell“, redete Claudia weiter aber Philipp hörte sie schon gar nicht mehr. Er war eingeschlafen.

Irritiert, dass keine Antwort kam, drehte sie sich zu ihm um und lächelte automatisch als sie ihn dort schlafend sah. Sie trat näher. „Dann schlaf gut, mein Triple-Held, aber wehe du träumst von Holger…“, sie flüsterte nur, aber ihr Lächeln wurde traurig. Dass sie wirklich darüber nachdenken musste. Sie sollte damit aufhören. Damit tat sie sich ja selber auch keinen Gefallen.

~*~

Am Abend in München setzte Mario sein Vorhaben schließlich in die Tat um, wobei er zugeben musste, eigentlich nur zu Holger gefahren zu sein, weil er durch einen Besuch an der Säbener Straße erfuhr, dass Holger wohl eigentlich sein Rehaprogramm absolvieren sollte und stattdessen mit Abwesenheit glänzte. So kannte er seinen zielstrebigen Freund wirklich nicht. Dennoch nahm sich der Stürmer vor, erstmal nicht davon zu sprechen und Holger einfach nur ein bisschen Gesellschaft zu leisten.

Mario und Holger – wie sollte es auch anders sein – zockten. Was sollten sie auch sonst machen? Rausgehen war nicht möglich, es regnete und die Temperaturen glichen einem grauen Herbsttag. Zudem sollte Holger sein Bein sowieso noch etwas schonen, da war die Frage, ob er Lust drauf hatte, um die Häuser zu ziehen, unangebracht.
Wie konnte man sich auch schon mit dem Innenverteidiger am besten unterhalten, als während einem unbeschwerten Fifa-Spiel?

„Weißt du noch, als Sarahs Cousine Basti ständig besiegt hat? Also diese Janina“, fing er beiläufig an.

Holger lächelte leicht: „Ja, hat ihm nicht ganz so gepasst. Sie spielte aber auch wirklich besser.“

„Das auf jeden Fall. Sie sieht auch dazu noch wirklich hübsch aus.“

Holger unterbrach das Spiel und schaute nun statt des Fernsehers Mario an.

„Was?“, fragte dieser irritiert nach.

„Ist Carina nicht mehr aktuell oder was versuchst du hier?“ Irgendwie ahnte Holger schon, was Mario da anzufangen versuchte, aber war alles andere als begeistert davon.

„Nein, nein. Janina ist nichts für mich. Viel zu jung, aber für dich -“

„Nein!“, unterbrach Holger ihn sofort. Normalerweise würde er nicht so reagieren, aber … es ging halt jetzt einfach nicht anders. Nicht nur wegen seiner Verletzung.
„Glaubst du ich hab jetzt nichts anderes im Kopf?“

„Ja, genau das ist es doch, Holger. Eine Frau würde dich ablenken und für dich da sein.... oder gibt es da etwa schon Eine, für die du schwärmst und deshalb dicht machst?“

Holger fühlte sich ertappt. Ja, die gab es und die hieß Philipp...

„Nein“, zuckte er nur mit den Schultern. Er wollte nicht, dass Mario weiter nachhakte, aber der Stürmer blieb weiterhin hartnäckig.

„Und warum bist du dann nicht offen für sowas?“ Mario legte den Controller zur Seite und legte seinem Freund einfühlsam eine Hand auf den Arm. „So kann es doch auch nicht weitergehen, dass Philipp ständig bei dir rumhängen muss, damit du nicht alleine bist. Er wollte sogar seinen Urlaub absagen...“

Holger wollte das nicht hören. Er wollte Philipps Namen nicht hören und auch nicht, dass er extra wegen ihm hiergeblieben wäre. Zusehends verkrampfte er sich und schaute engstirnig auf die Couch, auf der sie saßen.

Mario spürte unter seinen Fingern, wie Holgers Körper bebte und er fast schon verkrampft den Kopf senkte. Hatte er einen wunden Punkt getroffen?

„Holger...“, murmelte er und versuchte einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, aber dazu hätte er sich wohl auf den Boden knien müssen. Ob ihn die Aussage zu Philipp so aus der Fassung brachte?
„Was ist denn los mit dir?“ Oder hätte er die Frage doch wieder anders stellen sollen. Was war los mit Holger und Philipp?
„Egal was es ist, du kannst es mir sagen“, versuchte er weiter auf ihn einzureden.

Holgers Hand ballte sich zur Faust, die andere hielt immer noch den Controller der Playstation fest. Wie sollte das denn noch werden? Er hatte Philipp wieder abgewiesen, kassierte sogar eine Ohrfeige, verlor das Vertrauen zu diesem und... war doch noch in ihn verliebt. In diesem Moment als er die Ohrfeige in seinen Gedanken Revue passieren ließ, kullerte auch schon eine Träne aus seinen Augen und er schaffte es nicht zu verhindern ein Schluchzen zu unterdrücken.

Das war das Signal für Mario. Er legte die Arme um Holger und zog ihn zu sich. Fieberhaft versuchte er diverse Anhaltspunkte zu verbinden, zu kombinieren, um auf ein Ergebnis zu kommen. Holger wollte wohl keine Freundin, das kam rüber. Weil die Verletzung ihm zu schaffen machte und weil es vielleicht auch schon jemanden in seinem Leben gab. Nur wen? Wer verbrachte ständig Zeit mit ihm? Philipp. Lag die Wahrheit schon die ganze Zeit vor seinen Augen? Ein typisches Beispiel für den Spruch ''Man sah den Wald vor lauter Bäumen nicht''.
Solange er es aber nicht aus Holgers Mund hörte, würde stets ein Zweifel daran bestehen bleiben.

Mario hatte die ganze Zeit geschwiegen und Holger im Arm gehalten. Es war ungewohnt, wenn er ehrlich war. Der Innenverteidiger verhielt sich schließlich noch nie so. Mario konnte sich jedenfalls nicht erinnern seinen Freund schon einmal weinen gesehen zu haben. Dadurch wusste er aber auch ganz genau, dass etwas nicht in Ordnung war. Und es konnte nicht sein, dass das einzig und allein nur an seiner Re-Ruptur lag.
Gerade als sich der Stürmer leicht von ihm lösen wollte, fing der Innenverteidiger an etwas zu sagen.

„Ich will das gar nicht... ich will ihn nicht mögen... nicht in ihn verliebt sein.“

Stumm seufzte Mario, da er nun seine Bestätigung zu seiner Vermutung hatte. Aber wie konnte das denn überhaupt passieren? Man verliebte sich doch nicht einfach so in seinen Kollegen. Oder?
„Wir können es leider oft nicht steuern, in wen wir uns verlieben.“

Überrascht sah Holger auf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Du wirkst gar nicht erstaunt.“ Der Blonde betete in Gedanken, dass es noch nicht zu offensichtlich war und es nicht eh schon jeder wusste.

„Naja“, Mario grinste leicht, aber Holger unterbrach ihn.

„Wer weiß alles davon?“

„Niemand. Basti hatte doch sogar den Einfall dich mit Janina zu verkuppeln“, winkte Mario ab. Die Sicherheit konnte er dem Innenverteidiger geben, dass wirklich niemand davon wusste und auch er nichts weitersagen würde. „Und bei mir ist dein kleines Geheimnis auch sicher.“
Wie sich das anhörte. Kleines Geheimnis...

„Ich bin eigentlich nicht schwul“, merkte er an, „ich hab selbst keine Ahnung, was passiert ist, aber plötzlich hab ich mich in seiner Nähe so wohl gefühlt.“ Es fiel ihm schwer darüber zu sprechen und bewusst sprach er auch nie seinen Namen aus.

„Aber es ist egal“, murmelte er, „Zwischen uns ist alles gesagt. Unsere Verabschiedung war ...“

Holger suchte nach dem richtigen Wort, denn als „kalt“ wollte er sie nicht beschreiben. Sie war mehr hitzig, sonst wäre es nie zu einer Ohrfeige gekommen. Er ließ den Satz offen und begann lieber einen anderen.

„Was Basti da vorhat... ich hab dafür jetzt keinen Kopf.“ Immer noch konnte man in seinen Augen eine Spur von Tränen glitzern sehen, vor allem als er zu dem Häschen auf dem Regal schaute. „Ich weiß doch gar nicht, wie das alles weitergehen soll.“ Er wollte jetzt sicher nicht an irgendeine Frau denken... er wollte Philipp. Seinen Fremdenführer, Mitesser, Traumfänger und was für Funktion er sonst noch in Vail einnahm. Niemand sonst konnte ihm so ein Gefühl geben, wie der Kapitän.

Als Mario später als ursprünglich geplant Holgers Wohnung verließ, entschied er sich, dass er Basti lediglich sagen würde, dass Holger bereits eine andere in Aussicht hatte. Dann würde der Vize schon Ruhe geben.
Trotzdem beschloss er sich mal bei Basti und Philipp zu melden, die müssten ja mittlerweile schon einen Tag auf Hawaii verbracht haben.

//Hey Basti, seid ihr gut angekommen? Wie ist es auf Hawaii? Grüß Sarah, Pippo und Claudia schön und vergesst mir ja nicht eine Karte zu schreiben//

~*~


Es war etwa halb Eins als Philipp und Claudia vor der 307 standen in der Bastian und Sarah untergebracht waren und klopften. Sie wollten sie zu einem Mittagssnack abholen. Abends würden sie dann richtig essen gehen. Aber inzwischen murrte der Magen und der Hunger machte sich breit. Das Frühstück war ja auch schon eine ganze Weile her.
Schwungvoll wurde den Lahms die Tür geöffnet. Basti und Sarah waren in bester Laune und empfingen ihre Freunde.

„Was verschafft uns die Ehre?“, witzelte der Vize, obwohl er sich das schon denken konnte.

Philipp verdrehte die Augen. „Wir haben uns in der Tür geirrt. Komm, Claudia“, er griff die Hand seiner Frau uns zog sie mit sich.

„Ey!“, rief Bastian ihm hinterher. „Wartet doch.“ Schnell schlüpfte er in seine Flip Flops und auch Sarah war schon fertig.

„Was habt ihr denn geplant?“, fragte das Model.

„Wir könnten etwas in den Ort gehen. Dort finden wir sicher eine Kleinigkeit zu essen“, erklärte Claudia. Sie nutzte die Chance, dass Philipp ihre Hand gegriffen hatte und verschränkte auf dem Weg zum Fahrstuhl direkt ihre Hände ineinander.
Der Kapitän warf einen kurzen Blick darauf, ließ es aber so und sagte nichts weiter dazu. Es war ja nicht so, dass sich das falsch oder schlecht anfühlte… es gehörte halt so.

Sie begaben sich also auf den Weg in das Dorf und sahen relativ am Anfang ein nettes, kleines Café.

„Wir könnten einen Salat essen“, schlug Sarah fast schon Klischeemäßig vor. Claudia war aber auch dafür und so setzten sich die beiden Paare an einen Tisch und studierten die Karte.
„Es ist herrlich hier.“ Sarah schob die Karte von sich, hatte sie sich doch längst für einen Salat entschieden und ließ ihren Blick schweifen. Mit ihrer Aussage hatte sie auch vollkommen recht, weswegen die anderen ihr nur zustimmen konnten. Der Blick auf das Wasser, das jetzt schon erfrischend wirkte. Der Duft von den hübschen Blumen ringsherum. Ein perfekter Urlaubsort, der den Flug allemal wert war.

„Wir sollten unsere Trainingslager mal hierher verlegen“, meinte Basti.
Philipp lachte. „Meinst du, wir kriegen das durch? So als Kapitän und Vize? Wir sagen einfach, dass wir das schon getestet haben und alles perfekt ist“, grinste er.

Claudia schlug ihn leicht gegen den Oberarm. „Ihr sollt trainieren und nicht auf der faulen Haut im Sand liegen.“

„Da gehen wir gleich erst mal hin“, bestimmte Sarah. „Ich muss noch etwas Bräune annehmen“, skeptisch beäugte sie ihre Arme. "Gut, dass das Hotel einen Privatstrand hat."

„Oh ja, wir gehen nach dem Essen aufs Zimmer, Bikini an und dann sonnen!“ Claudia war auch Feuer und Flamme dafür.

Bastian und Philipp mussten sich dem zwangsläufig beugen. So kam es also, dass sie den ganzen Nachmittag am Strand verbrachten, ehe sie Abends in einem schicken Restaurant in der Nähe Essen gingen. Sie hatten im Hotel nur Frühstück gebucht, aber das war ihnen auch lieber so.
Durch den langen und anstrengenden Tag fielen sie an dem Abend früh ins Bett. Bastian beschloss, dass sie aber dann am nächsten Tag direkt die Bar ausprobieren mussten. Alle stimmten zu. Unwissend, dass der Mittelfeldspieler einen ganz bestimmten Plan verfolgte, aber er wäre auch dumm, wenn er diesen öffentlich machen würde.
Während Claudia an dem Abend im Bad war, ging Philipp noch mal auf den Balkon und blickte auf das weite Meer hinaus. Unwillkürlich dachte er an Holger. Der hatte sich nicht gemeldet, aber warum auch? Philipp hatte ihm ja auch nicht geschrieben, dass sie gut angekommen waren. Er vermisste es irgendetwas von ihm zu hören, aber wenn er an ihre letzte Begegnung zurückdachte, kam wieder Wut und Enttäuschung hoch. Der sollte ruhig alleine in seiner Wohnung schmoren und in Ruhe nachdenken.
Abrupt wandte Philipp sich ab und wollte wieder rein, lief dabei fast in Claudia.

„Huch... ich wollte gerade zu dir auf... - alles okay, Philipp?“, besorgt sah sie ihn an und legte eine Hand auf seine Wange. Er sah aufgewühlt aus.

„Ja, alles gut“, zwang er sich zu einem Lächeln und verschwand dann selber kurz im Bad. Warum konnte er die Gedanken an Holger nicht einfach im Klo runterspülen?


„Wem schreibst du?“ Sarah krabbelte zu Bastian ins Bett.

„Mario hat heute morgen schon geschrieben, ich hab das gar nicht mitbekommen“, erzählte er. „Ich muss mich auch erst daran gewöhnen, dass wir zwölf Stunden früher dran sind“, er schaute auf die Uhr. „Vermutlich sitzt er grad beim Frühstück", schmunzelte er. "Übrigens schöne Grüße von ihm.“

"Danke, grüß mal zurück. War er heute bei Holger?", hakte sie neugierig nach.

Bastian zuckte mit den Schultern. „Ich denke mal, aber er hat nichts davon erwähnt. Ich hake mal nach.“

//Hey Mario, alles super. Hotel ist traumhaft! Der Tag war anstrengend, aber morgen wollen wir mal genauer die Gegend erkunden. Abends wird die Bar eingeweiht ;) warst du heute bei Holger? Phil schweigt eisern... Grüße von Sarah zurück. Die Lahms schlafen sicher schon. Basti//


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