Kapitel 89 - Jetzt und hier für immer



Nachdem Mario und Philipp seine Wohnung verlassen hatten, entschloss Holger sich erstmal duschen zu gehen. Dazu musste er durch den Flur, wo ihm allerdings das fremde Handy auffiel. Es konnte nur Mario gehören, da er wusste, dass Philipps Smartphone ein anderes war. Er überlegte kurz, ob er darauf warten sollte, bis sein Kollege wieder vorbei kam, oder er versuchen sollte, die beiden noch einzuholen. So schnell er konnte, eilte er zum Wohnzimmerfenster und erkannte, dass das Auto noch in der Einfahrt stand. Also versuchte er sein Glück, in dem er die Wohnungstür öffnete und vorsichtig die Treppen hinunter ging. Der Aufzug war gerade besetzt und darauf warten, wollte er dann doch nicht. Bis dahin würden Mario und Philipp bestimmt schon weggefahren sein.


Mario war gerade darum bemüht sanft die Haustür hinter sich zu schließen, als er einen Blick in Philipps Gesicht erhaschte und auf seinen eindringlichen Ausdruck aufmerksam wurde. Die Klinke hatte er immer noch in der Hand und noch nicht ganz zugezogen, während er leicht den Kopf schüttelte. „Um was ging es noch gleich?“, grinste er entschuldigend. Als wenn er nicht wüsste, worum es ging. Das wusste Mario nur zu gut, was Philipp von ihm wissen wollte. Nur konnte er noch nicht erahnen, ob der Kapitän auf Sarah zu sprechen kam oder doch auf die einzige Wahrheit. Er hoffte ersteres...

Philipp seufzte leise. „Du weißt, worum es ging. Um Holger und seine Gefühle. Mario, bitte… was weißt du?“ Eigentlich wollte er nicht so verzweifelt klingen, aber er konnte es nicht ändern, denn langsam aber sicher war er wirklich verzweifelt. Die ganze Situation war echt grausam. Er wollte Gewissheit haben. Mehr nicht. War das denn so schwer?
„Ich möchte die Wahrheit wissen… ich muss doch auch damit umgehen.“


Mario richtete seinen Blick auf den Boden, sein Fuß streifte den Kies, auf dem sie standen. Mit einem Mal hatte er keine Zweifel mehr daran, dass Philipp ganz genau wusste, in wen Holger sich verliebt hatte. Wenn es um Sarah gehen würde, dann wäre Philipp doch gar nicht so betroffen.
„Es... Philipp, du bringst mich da in Teufels Küche.“ Angestrengt fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare, während die andere die Türklinke los ließ, obwohl er sie ungeachtet noch gar nicht geschlossen hatte.


Philipp sah Mario stur an, der offensichtlich mit sich rang. Das würde er doch nicht machen, wenn es nur um Sarah gehen würde.


„Seit wann... seit wann weißt du es?“ Das waren erstmal seine Frage, die der Kapitän beantworten sollte. Nur so konnte er sich sicher sein, dass er eben jetzt gerade von sich selber und nicht von der Lüge mit Sarah sprach. Zögerlich sah er ihn wieder an, spürte seine Verzweiflung, die in dessen Worte lagen, aber er hatte einiges zu verlieren, wenn er jetzt mit Philipp über Holgers Gefühle für eben diesen sprach.

Das war eine gute Frage. „Ich… keine Ahnung. Vor ein paar Tagen da… war diese Situation und gestern da…“, jetzt war er es, der sich über das Gesicht fuhr. Mit einem Mal fiel es ihm schwer das alles in Worte zu fassen. Philipp senkte den Blick, aber der Boden konnte ihm irgendwie auch nicht helfen. Ob es Mario reichen würde? War das überhaupt wichtig? Spielte das denn eine Rolle? Er hob den Kopf wieder und sah den Stürmer an. Wartete auf eine Reaktion. Eine, mit der er etwas anfangen konnte.


Es war mühselig und trotzdem schaffte Holger es unbeschadet das Treppenhaus zu überwinden. Dort fiel ihm irritiert auf, dass die Tür noch einen kleinen Spalt breit offen stand. Er tapste näher heran und hörte Marios Stimme...


Mario nickte seufzend, ehe er versuchte Philipps Blick einzufangen und ihn dazu zu bringen ihn anzusehen. Seit gestern schien er sich also sicher zu sein... Mario glaubte nicht daran, dass man da noch etwas retten konnte, deshalb waren ihm die nächste Worte unglaublich wichtig. „Du weißt es also tatsächlich... Du darfst ihn nicht wegstoßen, Pippo. Bitte mach das nicht, das würde ihn wieder in ein Loch fallen lassen. Die Nähe zu dir tut ihm gut oder glaubst du, ein anderer hätte das geschafft ihn wieder zum Lächeln zu bringen? Dass er Gefühle für dich entwickelt hat, macht die Sache unheimlich kompliziert, aber...“ Mario wandte den Blick ab, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel.

Holger blieb dicht vor der Haustür stehen, lehnte sich leicht gegen die Wand und hörte den beiden, die schon wieder über ihn sprachen, geschockt zu. Das... nein! Holger blieb fast die Luft weg, als er mitanhörte, wie Philipp vor sich hin stammelte, sich nicht auszudrücken wusste, weil ihn das wohl so sehr schockte. Im Gegensatz zu Mario, der munter vor sich hin plapperte. Holger sah zwar ein, dass es keinen Sinn mehr hatte zu lügen, aber die Worte... sie stimmten. Der Innenverteidiger konnte eigentlich nur noch seine Unterschrift darunter setzen, aber Philipp sollte doch davon niemals erfahren! Sein Herz pochte fest in seiner Brust, schnürte ihm fast schon die Luft ab, durch die Geschwindigkeit und Intensität, wie es Blut durch seine Adern pumpte. Jetzt noch einschreiten, hätte keinen Sinn. Seine Hände waren eiskalt, als er sie umfasste und darum bemüht war das Handy nicht aus den Händen gleiten zu lassen. Jedes gesprochene Wort schmerzte nur noch mehr, da diese ganzen unbeschwerten Situationen mit Philipp nun der Vergangenheit angehörten. Er würde ihm doch nie wieder unter die Augen treten können.


Jedes Wort traf Philipp wie ein Schlag. Irgendetwas in ihm hatte immer noch gehofft, dass er sich irrte, dass Holger doch natürlich Sarah liebte und nicht ihn. Aber dem war nicht so. Holger Badstuber hatte sich tatsächlich in ihn, Philipp Lahm, verliebt.
Er schloss die Augen, musste die Worte verarbeiten. Es fiel ihm verdammt schwer Mario weiter zu folgen, aber er verstand jedes einzelne Wort ganz genau. Und doch wusste er nicht, was ihm das eigentlich alles sagen sollte. Ja, es machte die Sache unheimlich kompliziert. Die Sache war sogar unheimlich, wenn man es genau nahm.


„Was ist gestern passiert?“


„Die Kinder durften Fragen stellen“, seine Stimme war brüchig, weswegen er sich räusperte. „Sie haben Holger nach seiner Traumfrau gefragt. Ich… mir war klar, dass er nicht Sarah beschrieb. Gestern hatte ich Zweifel, aber jetzt weiß ich, dass er wirklich mich beschrieben hat.“
Er lächelte leicht, als er Mario ansah, der sogar den Blick vom Himmel nahm. Stumm standen sie dort und sahen sich an. Eigentlich war es eine ruhige Szene. Der Wind wehte nur leicht und es war angenehm warm. Ein paar Vöglein zwitscherten. Aber dem war nicht so. In Philipp tobte ein regelrechter Kampf. Er wusste mit dem nicht umzugehen. Mario hatte womöglich Recht, dass er ihn brauchte, weil er sonst wieder in ein Loch fallen würde, aber… plötzlich war doch alles anders. Die Nähe, das Händchenhalten, die Küsse… sogar die Küsse auf sein Haar in Vail. Alles erschien plötzlich falsch. Er hatte die Gefühle nur unbewusst angefacht, oder?


Mario nickte. Aber Holger deshalb Schuldzuweisungen machen, würde er ganz sicher sein lassen. Es waren seine Gefühle, die er ständig unterdrücken musste, was gerade in seiner Lage richtig schwer war. Es war nicht einmal verwunderlich, dass er sich dann bei so einer Frage der Kinder auszudrücken versuchte. Allerdings hatte der Blonde sicher nicht mit diesem bitteren Nachgeschmack gerechnet.


Philipp war gerade zum Heulen zu Mute. Das war alles so viel… zu viel für ihn gerade, weswegen er sich dem Auto zuwandte. „Können wir einfach fahren?“


Nicht, dass Holger jetzt genug gehört hatte, aber als er wahrnahm, dass sie nun fahren wollten, rappelte sich der Innenverteidiger auf und stellte sich dem Ganzen. Zumindest mehr oder weniger.


Mario bejahte und wollte noch die Tür ganz zuziehen, als er unerwartet auf Widerstand traf. Entgeistert ließ er die Klinke los und blickte geschockt in Holgers Gesicht.


Bemüht um einen selbstsicheren Ausdruck, der aber mehr an eine gewisse Kälte und Vorwurf erinnerte, hatte Holger die Tür geöffnet und streckte Mario wortlos das Handy entgegen. Philipp sah er nicht an. Erstens schien er überhaupt nicht begeistert von der Tatsache, dass sein Verdacht sich bestätigte und zweitens war ihm das furchtbar unangenehm. Eigentlich war das nicht alles, um das er sich Gedanken machte, aber im Moment war es alles, an was er denken wollte. Das setzte ihm schon genug zu.


Mario nahm das Handy nach kurzem Schweigen entgegen. „Holger, wir -“


Danach schlug die Tür hinter dem Innenverteidiger zu, da er spürte, wie seine Unterlippe bebte und er sich nicht die Blöße geben wollte, stumme Tränen vor den beiden zu weinen. Nicht vor Philipp und auch nicht vor Mario, der ihn im Grunde zusätzlich verraten hatte.


„Scheiße“, flüsterte Mario fluchend und sah hilfesuchend zu Philipp. Es war mehr als nur offensichtlich, dass er alles mitangehört hatte.


Eigentlich hatte Philipp sich ja weggedreht, aber er wandte sich wieder Mario zu. In dem Moment fragte er sich warum. Hätte er das nicht getan, dann hätte er niemals dieses Gesicht gesehen. Was machte Holger überhaupt hier? Warum stand er in der Tür? Warum war er nicht oben geblieben?
Ihm entfuhr ein lautloses Scheiße. Er rechnete mit Worten ihm gegenüber. Zumindest mit einem Blick. Nichts. Holger ignorierte ihn. Ob er ihn wohl nicht ansehen konnte? Hätte Philipp dem Blick standhalten können? Er wusste es nicht. Aber er zuckte laut zusammen unter der Tür, die ins Schloss fiel und er sah zu Boden. Erst Marios Fluchen ließ ihn wieder aufblicken.
Ratlos sah Philipp ihn an. Sollte er sich darum jetzt auch noch kümmern? Er musste doch selber erst mal klarkommen, da konnte er sich jetzt keine Gedanken um Holger machen. Er wollte, aber er konnte nicht. Es war doch plötzlich alles so anders.

Mario war hin- und hergerissen. Sollte er Holger hinterher oder …


„Lass uns erst mal fahren.“ Mehr konnte Philipp nicht sagen und selbst das kostete ihm einiges an Überwindung. Aber es war weder Holger, noch ihm damit geholfen, wenn sie sich jetzt gleich wieder unter die Augen treten mussten.


Philipp beantwortete seine Frage. Stumm nickte er, steckte das Handy weg und nahm die Autoschlüssel in die Hand, um seinen Wagen aufzusperren. Er stieg nicht ein, ohne nochmal zu der großen Fensterfront hochzusehen. Das war jetzt richtig dumm gelaufen. Irgendwie traute er sich gar nicht, danach nochmal herzukommen, da er Holgers Vorwürfe nicht ertragen konnte. Vorwürfe, die er nicht mit Worten erhielt, sondern mit Taten. Der Innenverteidiger würde ihm niemals die Tür öffnen. So gut kannte er ihn mittlerweile. Und er konnte es sogar verstehen...
Mario startete das Auto, warf aber auch einen besorgten Blick zu Philipp. Diese Situation überforderte ihn sichtlich. Er fragte sich, wie er an seiner Stelle wohl reagiert hätte, wenn er gerade erfahren hätte, dass Holger ihn ständig angelogen hatte und eigentlich in ihn verliebt war. Ihn würde es wohl ähnlich wie Philipp gehen.


Als die Haustür geschlossen war, hörte Holger lediglich noch die Schritte, die sich immer mehr entfernten. Sie sollten gehen. Beide. Das war gut so. Wieder verweigerte Holger den Aufzug, da er nicht wie ein Häufchen Elend im Treppenhaus warten und schnell wieder in seine Wohnung wollte. Zum Glück traf er niemanden und schaffte es ungehindert in die Wohnung zurück. Da es nun nicht einmal mehr einer Lüge entsprach, dass sein Knie schmerzte, verzog er sich sofort ins Bett, wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, gar nichts mehr. Schnell hatte er sich unter der Decke verkrochen und die Hand unters Kissen gleiten lassen, um das Shirt hervorzuziehen. Vorbei war es mit der Nähe, mit dem Streicheln und den Küssen aufs Haar. Philipp würde Abstand halten. Das, von dem er sich am meisten fürchtete, traf ihn wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ein unterdrücktes Schluchzen kam ihm über die Lippen. Dass er nicht früher darauf gekommen war, dass das ohnehin alles zum Scheitern verurteilt war. Womöglich hatte er sogar den Kuss heute morgen gespürt und ihn in seinem Verdacht bestätigt. Die Traurigkeit begann sich in seinem Herzen festzusetzen und eine bittere Träne nach der anderen aus seinen Augen zu drängen. Er war bitterlich enttäuscht von Marios Offenheit, obwohl er wusste, was Philipp ihm bedeutete. Philipp... derjenige, der nicht mehr auf die Bitte des Stürmers reagiert hatte, ihn jetzt nicht zurückzustoßen. War das seine Antwort? Schweigen, weil er es nicht anders können würde? Weil er vor jeder Berührung Angst hatte und sich vielleicht sogar vor ihm ekelte? Das würde Holger nicht ertragen, wenn der Kapitän ihm nun ausweichen würde. Ihm stellte sich die Frage, ob es angenehmer werden würde, wenn sie sich begegneten. Spätestens an der Säbener Straße würde genau das der Fall sein. Holger schluckte, schluchzte dabei ungewollt erneut und drückte das Shirt fester an sich. Genügte es nicht, dass seine Karriere auf der Kippe stand? Dass er sich Tag für Tag durch die Reha quälen musste, um weiterhin eine Chance als Fußballer zu haben? Musste der Entzug von Philipps spürbarer Wärme, die er ihm vermittelte, auch noch hinzu kommen? Womöglich war dieser sauer auf ihn, weil er ihn wegen Sarah immer wieder eine Lüge präsentiert hatte. War von Anfang an eine bescheuerte Idee gewesen, es zögerte doch sowieso nur hinaus, dass Philipp die Wahrheit erfuhr.
Unbeholfen tastete er nach seinem Handy und schaltete es aus. Er hatte Angst vor einer Nachricht von Philipp.


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Kommentare: 5
  • #1

    Peanut (Samstag, 18 Oktober 2014 15:15)

    Ich les doch tatsächlich eure FF in Florida am Flughafen^^ Hihi, schön!
    Jetzt is es wohl wirklich raus! Alle Seiten wissen halbwegs was Sache ist.
    Klar das Phil überrumpelt ist, aber Holger tut mir so leid! Ohhh man der Arme hats echt nicht leicht!!!
    Bin ja echt gespannt wie sie sich weiter machen, wie Phil das verkraftet und ob sich Holger wieder in sein Schneckenhaus verzieht...
    Glg von mir auf dem Panamakanal hab ich dann leider kein Wlan mehr. Bis in ein paar Wochen^^

  • #2

    Mailiw Alba (Samstag, 18 Oktober 2014 18:12)

    Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh! So hach, will Holgerchen drücken!
    Böser Mario böser Phipsel! No, die können ja auch nix für!

    Man sollte alle mal drücken! Schönes Kapitel :)

    Schönen Samstag euch!

  • #3

    Engel (Sonntag, 19 Oktober 2014 18:46)

    Bühnenreifer Abgang von Holger
    Handy in die Hand drücken, wortlos gehen und Tür zu. Hat mir sehr hagelten die Szene.
    Das ganze Kapitel war toll.
    Am Ende hat mir Holger unheimlich leid getan, aber insgeheim lieben wir doch alle Drama und tränen ;)
    Von Philipp bin ich ein klein wenig enttäuscht. Es war ja auch für ihn irgendwie klar, dass Holger in ihn verliebt ist und wenn er dann nur noch seine Bestätigung bekommt, fällt er aus allem wolken -.-

  • #4

    Julia -28 (Sonntag, 19 Oktober 2014 20:57)

    Hallo ihr beiden ich meld mich auch mal wieder :)
    Es geht hier alles schlag auf schlag. Das Mario vor Holgers Haustüre steht kam plötzlich war aber eine schöne Abwechslung und ab dann gings ja mal richtig zur Sache :)!
    Aber das Philipp endlich von Holgers Gefühlen hat sich dieser auch nicht so vorgestellt... naja bin gespannt wie die beiden diese Situation meistern werden.
    LG Julia:)

  • #5

    Minnie Lee (Montag, 20 Oktober 2014 15:52)

    Ooohhh was für ein Chaos!
    Ich finds trotzdem gut, das Philipp jetzt weiß, was Sache ist...
    Bin ich froh, das mir so ein "Beziehungschaos" erspart geblieben ist...bin total neugierig was jetzt passieren wird...

    <3 Minnie