Kapitel 79 – Die Sache mit dem schwul sein...



„Na ja… einfacher als bei Sarah hättest du es bei mir aber auch nicht“, merkte er an. Im selben Moment stellte sich ihm aber eine andere Frage, bei der er sich fragte, ob er sie stellen sollte.

Holger spürte, wie Philipp von seinen Schultern abließ und zuckte erst etwas zusammen, als er sanft an seinen Seiten entlang strich und neben der Wirbelsäule hinauf wieder mehr Druck ausübte. Holger musste zugeben, dass er das wirklich hervorragend machte. Es tat ihm auch echt gut so. Weniger gut war dann dessen Aussage, dass er es weder bei Sarah noch bei ihm einfach hätte. Das blonde Model interessierte ihn nicht, aber wenn er sich vorstellte, er hätte Interesse an ihr, wusste er ganz genau, dass er keine Chance bei ihr haben würde. Holger übertrug diese Erkenntnis auf seine gewollte Beziehung zu Philipp und schloss seufzend seine Augen, während sich seine Mundwinkel stetig nach unten bewegten. Hoffentlich erwartete der Kapitän kein Kommentar dazu, dass er ja sowieso keine Chance hatte. Vielleicht war es ganz gut so, wenn sie den Rest der Massage schweigend verbrachten.


„Hattest du das schon mal? Dass du dich in einen Mann verliebt hast?“ Die Frage, ob er schon mal etwas mit einem Mann gehabt hatte, wäre verzwickt gewesen oder zählten einfache Küsse nicht dazu? Hatte er überhaupt das Recht so etwas zu fragen? Aber Holger würde schon abblocken, wenn er nicht darüber reden wollen würde, oder?


Philipp wollte wohl zwangsläufig weiter Fragen stellen, irgendeine Konversation aufrecht erhalten und schoss mit dieser einen Frage einen weiteren Bock. Die Lider des Blonden hoben sich schlagartig an, sein Blick lag wütend auf dem Kissen, auf dem er halb drauf lag und am liebsten draufgehauen hätte. Sah er etwa mittlerweile so schwul aus, dass man ihm direkt anmerken konnte, dass er sich schon in einen Mann verliebte? Verdammt, er war doch nicht schwul! Er mochte nur Philipp, seinen Kollegen, viel zu gerne.

„Nein, natürlich nicht“, stritt er ab. Seine Stimme wurde lauter und in dem geringen Radius, der ihm möglich war, drehte er sich um, damit er einen Blick auf Philipp erhaschen konnte. So konnte er ihm deutlich präsentieren, wie echauffiert er doch über diese Frage war. „So ein Quatsch! Hast du sie nicht mehr alle mir so eine bescheuerte Frage zu stellen? Was nimmst du dir da eigentlich raus?“ Erst das blöde Necken auf dem Golfplatz und auch noch das. Wenn es um dieses Thema ging, war Holgers Geduldsfaden sowieso sehr, sehr kurz.


Philipp zuckte bei der heftigen Reaktion zusammen. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. Sofort ließen seine Hände von Holgers Rücken ab und fast schon entgeistert sah er ihn an als dieser sich umdrehte. „Hey, schon gut“, wehrte er ab. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten oder so. Tut mir leid.“
Dass Holger so reagierte, hatte er nun wirklich nicht gedacht. Was war denn los? Er hatte doch nur eine normale Frage gestellt. Gut, sie war etwas speziell, aber dass er direkt so sauer wurde? Entweder Philipp hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, oder aber Holger hatte etwas gegen Schwule. Jetzt war die Frage, was naheliegender war… wenn Holger etwas gegen Schwule hätte, dann hätte er doch sicher bei ihren ganzen Küssen anders reagiert, oder? Oder aber er reagierte jetzt so extrem, um Philipp den Gedanken zu nehmen, dass er eventuell auf ihn stehen könnte. Aber irgendwie war das auch keine richtige Lösung.


Holger brummte irgendetwas unverständliches, als Philipp einlenkte und gerade noch die Kurve bekam. Hätte er so weiter geredet, wäre der Blonde gänzlich ausgeflippt, dessen war er sich vollkommen sicher. In seiner Rage war es ihm anfangs sogar egal, was Philipp jetzt denken musste. So eine Frage passte dem Blonden nicht, weil es ein Eintritt in seine Privatsphäre war, die er zu schützen versuchte. Aber vor allem störte sie, da er damit goldrichtig lag. Er kannte schließlich das Gefühl, wenn man in einen Mann verliebt war und wusste, dass es kein anderes Empfinden war, als wenn man eine Frau eben sehr gerne mochte. Nur gehörte zum Verlieben ins selbe Geschlecht mehr Scham dazu und das nicht einmal, weil so etwas im Profibereich alles andere als angesehen war. Viel mehr Angst verspürte man vor der Reaktion des Mannes, für den man zu viel, als es sich eigentlich gehörte, fühlte.


„Dreh dich wieder um“, bat er und übte einen leichten Druck auf seinen Rücken aus, damit Holger sich wieder hinlegte und er weiter machen konnte. Neben seinen Händen, arbeiteten auch seine Gedanken weiter. Er versuchte sich einen Reim auf die Reaktion zu machen, aber so eine richtige perfekte Lösung hatte er nicht parat.


Ob es gut war, dass Philipp ihn mit sanften Druck zwang sich wieder umzudrehen? Womöglich, sonst hätte das wieder in einem richtigen Streit geendet, was Holger vermeiden wollte, auch wenn er mit seinem spontanen Ausraster dem nicht wirklich entgegen wirkte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und starrte wieder an die Wand, spürte jedoch den Blick Philipps, auf ihm ruhen. Irgendwie löste das Unbehagen in Holger aus, zumal sich die Stimmung wieder komplett drehte, nur wegen einer Frage von Philipp.


Philipp war froh, dass Holger nicht weiter meckerte und sich brav wieder hinlegte. Sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Weil er ihn verärgert hatte? Aber was konnte er denn dafür, wenn Holger immer gleich an die Decke ging? Gut, die Frage war nicht sonderlich nett gewesen, aber… nein, sie war auch nicht böse gewesen. Immerhin war es nicht böse gemeint gewesen. Er unterstellte es ihm ja nicht mal, es war lediglich eine Frage gewesen. Er hätte ja bloß verneinen können, dann wäre die Sache beendet gewesen, aber nein, Holger musste aus einer Mücke einen Elefanten machen.


„Wie bist du drauf gekommen?“, brummte Holger, um das Schweigen zu unterbrechen und weil er darauf eine Antwort haben wollte. Auch wenn er sich zugegebenermaßen davor fürchtete.


Die Frage, wie er darauf kam, ließ ihn einen Moment nachdenken. Was sollte er denn jetzt sagen? Dass er den Verdacht hatte, dass Holger Gefühle für ihn hegte? Nein, gewiss nicht. Aber er würde es auch nicht auf die Küsse schieben, sonst würde Holger wieder sauer werden und eigentlich hatte er da keine Lust drauf.
„Hast du dir da noch nie Gedanken drüber gemacht?“ Eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten war immer gut.


Für Holger machte es den Anschein, als wich Philipp ihm aus. Dass er jetzt im Gegenzug eine Gegenfrage stellte, war wieder etwas, was ihm nicht so ganz passte. Wieder kam das Gefühl auf, dass der Kapitän mehr wusste, als er vorgab. Normalerweise würden sie doch sonst nicht über so ein Thema reden, oder?

„Nein, wieso sollte ich mir darüber Gedanken machen?“, gab er betont gleichgültig zurück, obwohl es in ihm brodelte. Aber jetzt gleich wieder ausrasten, wäre viel zu verräterisch. „Hast du etwa schon darüber nachgedacht, wie es ist, in einen Mann verliebt zu sein?“, stellte er einfach nun auch die Gegenfrage und drehte so den Spieß um. Was Philipp konnte, konnte Holger genauso gut. Aber das würde ihm wahrscheinlich nichts nutzen. Der Kapitän ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und schon gar nicht provozieren, was auch gar nicht im Interesse des Innenverteidigers lag, aber er musste irgendwie reagieren. Schweigen war bekanntlich auch eine Antwort. Eine Antwort, die Holger Philipp aber nicht geben wollte.


Das war eine gute Frage. Er konnte sie direkt bejahen, aber in Gedanken driftete Philipp ab. Hatte er sich in den letzten Tagen vorgestellt, wie es wäre in Holger verliebt zu sein? Eigentlich nicht. Wie wäre das wohl? Er würde diese Massage womöglich richtig genießen und seine Finger kaum von ihm lassen können. Und was wäre mit Claudia? Würde er sie dennoch lieben? Ging das? Zwei Menschen lieben? Könnte er das Spiel spielen? Eigentlich war Philipp ein ehrlicher Mensch…

Philipp fiel auf, dass er vielleicht mal antworten sollte und nickte, obwohl Holger es nicht sehen konnte


Holger wartete mehr ungeduldig als geduldig auf die Antwort, die etwas Zeit beanspruchte, bis er sie erhalten sollte.Währenddessen schweiften seine Gedanken ab, auch um selber wieder ein wenig ruhiger zu werden. Ernüchtert rollte der Blonde dann mit den Augen. Philipp beantwortete seine Frage zwar, aber im Prinzip hatte er immer noch keine Ahnung, warum er das Thema jetzt überhaupt anschnitt. Darüber unterhielt man sich doch nicht einfach so. Da musste ein Verdacht bestehen, anders konnte er sich das gerade nicht erklären. In Holgers Ohren klang es so, als wolle er ihm gerade die Angst nehmen darüber zu reden. Nicht anders konnte man den letzten Satz doch verstehen, oder? Holger war einen Augenblick lang wirklich in Versuchung etwas anzudeuten oder zumindest zuzugeben, dass er auch schon mal darüber nachdachte, aber entschied sich anders. Er stand nicht auf Lügen, wirklich nicht, aber die Wahrheit könnte doch so bitter enden, da verschwieg er das lieber und erzählte munter Unwahrheiten.

Außerdem erschien ihm eine Antwort in dem Zusammenhang sowieso etwas interessanter.


„Ja, habe ich. Ich hatte ja mal diesen Stalker, der meinte, er würde mich lieben. Außerdem habe ich ja schon diverse Interviews zum Thema Homosexualität gegeben. Auch da habe ich mal überlegt, wie das wohl wäre“, gab er wahrheitsgemäß zu. „Und irgendwann in der Pubertät auch. Ich glaube, es ist normal, dass man sich in irgendeiner Form mal damit auseinander gesetzt hat.“
Ob er Holger so etwas ruhiger stimmen konnte? Es war ja nicht mal so, dass er sich gerade etwas ausgedacht hatte, er war vollkommen ehrlich zu ihm. Die Frage, ob Holger ehrlich war, blieb aber noch.


„Aber wie kommst du auf das Thema? Über so etwas spricht man doch normalerweise auch nicht wirklich.“ Holgers Unterton klang irgendwie bedrohlich, er ließ Philipp so spüren, dass er die Wahrheit sagen sollte. Allerdings war der Blonde sich noch im Unklaren darüber, wie er auf eben jene reagieren sollte. Eigentlich gab es doch nur einen Ausweg. Aus der Haut fahren, abstreiten und sich dann komplett verschließen.


Philipp wusste im ersten Moment nicht, wie er Holgers Aussage einordnen sollte. Was wollte er ihm damit sagen? Vor allem diese Tonlage… er beschloss es zu ignorieren und einfach ehrlich zu sein. „Na ja… eben beim Golfen ging es ja aus Spaß darum“, er zuckte mit den Schultern.


Aus Spaß... Holger war in Versuchung abfällig zu schnauben. Für den Blonden war das kein Spaß, es war die pure Wahrheit, über die sich Philipp wohl unbewusst lustig machte.


„Natürlich ist das kein Thema, über das ich jeden Tag rede, aber es ist doch nicht so unvorstellbar darüber zu reden, oder?“ Zumindest sah Philipp es so.


„Ich versteh allgemein eben nicht, wie man auf sowas kommt... und warum du über sowas reden willst“, antwortete er murmelnd. „Oder gibt es was, was du mir sagen willst?“ Eigentlich wollte er nur darauf hinaus, ob er von seinen Gefühlen wusste, aber erst im Nachhinein bemerkte er, wie man diesen Satz auch noch auffassen konnte. Dass Philipp ihm nun wiederum gestehen sollte, dass er sich für Männer interessierte. Speziell an ihm interessiert wäre. Holger würde so unglaublich froh sein, wenn Philipp das selbe fühlen und denken würde. Eine große Last würde auf jeden Fall von seinen Schultern fallen und nur noch der Kreuzbandriss lastete dann darauf.


Philipp lachte heiser. „Nein, ich will dir nichts sagen.“ Wobei… theoretisch könnte er ihm beichten, dass er beim Sex im Urlaub an ihn gedacht hatte. Stumm lachte er. Holger würde ihn wohl wie ein wildes Pferd von seinem Rücken schmeißen, wenn er das erfahren würde. So, wie er auf das Thema reagierte, war er da sehr empfindlich. Dachte er zumindest. Aber wie konnte er denn wissen, dass dem ganz anders war?

„Wenn dir das Thema irgendwie unangenehm ist, dann können wir auch über etwas anderes reden. Ich will dir jetzt kein Thema aufzwängen.“
Er meinte seine Worte durchaus ernst, aber trotzdem stellte sich Philipp die Frage, warum Holger nicht darüber reden wollte. Vielleicht war ihm das Thema aber wirklich einfach nur unangenehm, weil… er nicht über Schwule reden wollte. Wer wusste das schon?
Nur wegen so einem dummen Thema wollte Philipp sich auf jeden Fall nicht den Rest des Tages versauen lassen, deswegen war ihm jedes andere Thema auch recht.


Die Gelegenheit das Thema zu wechseln, packte Holger dann aber gerne beim Schopf. „Mir wäre ein anderes Thema wirklich lieber.“ Oder war es zu auffällig das Thema unbedingt wechseln zu wollen? Aber er sollte die Frage anders stellen; Was war nicht auffällig an seinem Verhalten?


„Ich mag die Massage“, gab der Innenverteidiger flüsternd zu, um ihn nochmal zu loben. Irgendwie war ihm das wichtig, nachdem er ihn nun ständig so angefahren hatte.


„Das freut mich“, antwortete er ebenso flüsternd und strich einmal andächtig über Holgers Seite, eher er sich wieder den Schultern widmete. „Haben wir über eine bestimmte Zeit geredet? Nein, oder?“ Philipp erhaschte aber einen Blick auf die Uhr. Es ging schon auf den Abend zu und um 19:30 Uhr wollten er und Claudia sich zum Essen wieder Zuhause treffen. Das hatte er Holger noch nicht gesagt, oder? Na, es war ja auch noch etwas Zeit.


Schade, dachte sich Holger im Stillen, auch wenn er nichts anderes erwartet hätte. Warum konnte es nicht alles so einfach sein? Warum konnte nicht einer von ihnen weiblich sein, dann wäre das doch alles ganz normal. Seinen Launen nach zu urteilen, wäre wohl er die Frau in der Beziehung. Stumm seufzte der Innenverteidiger und ließ das weitere Streichen und Kneten seiner Haut über sich ergehen. Die Zeit musste dadurch ziemlich schnell vergangen sein, denn Philipp sprach eben jene an.
„Das hätten wir vielleicht aushandeln sollen“, merkte Holger schmunzelnd an. „Von mir aus kannst du den Rest des Abends so weitermachen.“ Aber es war klar, dass der Blonde da nur einen Witz machte. Zumindest für Philipp stand das fest.


Der Kapitän lachte leicht. „Das hättest du wohl gerne, dass ich nicht mehr aufhöre, oder? Nee, nee, irgendwann ist Schluss. Und zwar genau jetzt.“ Liebevoll gab er ihm einen kleinen Klaps auf den Rücken und stand dann von ihm auf.


Als Philipp von ihm runter ging, stemmte Holger seine Arme auf die Matratze und erhob sich. Seine Verspannungen verloren tatsächlich etwas an Gewichtung. Oben ohne stand er nun vor Philipp und wandte den Blick ab. Suchte mit seinen Augen alles nach seinem Shirt ab, das an der Kante des Bettes Ruhe fand.


Philipp wollte schon etwas sagen als Holger sich so suchend umsah. Er wollte auch mitsuchen, aber sein Blick lag auf dem muskulösen Oberkörper des Jüngeren. Das war schon bewundernswert. Obwohl Holger keinen Sport machen konnte die letzten Monate war er immer noch so durchtrainiert. Es sah aus als hätte er kein Gramm zugenommen. Das hätte nicht jeder so geschafft.


„Danke, hat wirklich gut getan“, lächelte er schüchtern, während er sich das Oberteil wieder anzog. Irgendwie fühlte er Philipps Blicke auf sich, aber wahrscheinlich gehörte das nur seiner Einbildung und seinem Wunschdenken an. Weshalb sollte ihn Philipp auch mustern?


Während Holger sich dann sein Oberteil anzog, kam ihm ein anderer Gedanke. Sarah würde das gewiss gefallen. Aber auch anderen Frauen. Ihm gefiel das ja mehr oder weniger schon und er war ein Kerl, dann würden Frauen sicher total darauf abfahren. Schade, dass er sich immer in die falschen verliebte.
Philipp streckte sich, ehe er ihn anlächelte. „Hab ich gerne gemacht, du hast es dir ja auch verdient. Und Wettschulden sind Ehrenschulden. Wir können ja nächstes Mal andersrum wetten. Gegen eine Massage hätte ich nämlich auch nichts einzuwenden“, gab er zu.


Für Holger fühlte es sich fast so an, als könne er den leichten Klaps auf dem Rücken jetzt noch spüren. So als wäre er noch präsent, so wie jede Berührung des Kapitäns. Das Wissen war einfach furchtbar, dass es ihm gar nichts bedeutete. Nichts von alle dem würde er als Liebe interpretieren. Nur Freundschaft und wahrscheinlich immer noch ein wenig Mitleid.
„Aber dazu musst du erst mal gewinnen“, neckte er ihn schmunzelnd, stellte sich aber schon gedanklich vor, wie es wäre wiederum auf Philipps Hintern zu sitzen und seine Hände an dessen kräftigen Rücken zu legen... wieder kam er nicht umher rot zu werden. Würde er die Finger von ihm lassen können? Diese Frage sollte er sich ganz sicher vor dem Golfen stellen, bevor er sich in sein persönliches Verderben stürzte. Aber war er nicht schon einmal der Versuchung widerlegen ihn zu berühren? Schmerzlich erinnerte er sich an eben jenen Tag, an dem er auf dem Feld an der Säbener Straße weinend zusammengebrochen war und Philipp ihn nach Hause brachte. Als dieser schlief, tänzelten seine Finger wie von selbst unter dessen Schlafshirt.

Gerade als Holger anbieten wollte, etwas zum Abendessen zu machen und auch als kleines Dankeschön für das Golfen, ließ dieser ihm wissen, dass er nach Hause zu Claudia und Julian fahren würde.


„So… ich wäre gerne länger geblieben, aber Claudia kommt gleich mit Julian nach Hause und wir wollen direkt essen, weil der Kleine ins Bett muss. Wir schreiben die Tage oder so? Dann können wir ja einen neuen Termin aushandeln oder so.“ Philipp würde sich zumindest freuen.


„Oh“, hauchte Holger erstaunt. „Achso... ich wollte dir schon was zu essen anbieten, dann hätten wir miteinander essen können, aber wenn du weg musst.“ Er versuchte nicht allzu enttäuscht zu klingen, vor allem da es sich wirklich anhörte, als ob sie gerade miteinander schliefen und wie bei einer Affäre Philipp so schnell es nur ging abhauen wollte.


Bildete Philipp sich das ein oder war Holger traurig? Oder zumindest enttäuscht? Ihm lag die Frage auf der Zunge, ob Holger mitkommen wollte zu ihnen. Aber Claudia wäre sicher nicht begeistert und Holger auch nicht, da er sie ja auch nicht mochte. Irgendwie seltsam, dass diese Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, oder? Dabei hätte er Holger gerne mitgenommen. Philipp kam nach Hause zu seiner Familie, der Innenverteidiger hingegen war alleine. Keine Freundin, keine Familie… er fühlte sich mit einem Mal richtig schlecht, dass er gehen musste. Aber Holger war ja auch kein kleines Kind. Er würde den Abend auch schon ohne ihn überleben. Irgendwie.


„Nächstes Mal, okay?“, aufmunternd lächelte er ihn an und zog ihn zum Abschied noch mal in eine kurze Umarmung.


Die Umarmung bedeutete Abschied, deshalb war es schwer für Holger sie vollständig zu genießen. Er mochte jede Berührung von Philipp, aber doch verabscheute er diese Umarmungen zum Abschied und heute wollte er nicht mehr das er ging.
„Okay“, stimmte er zu und nickte direkt. Es freute ihn, dass Philipp ihn damit aufheitern wollte und er konnte sich denken, dass er seinen Worten auch Taten folgen ließ. Er war schließlich auch mit ihm golfen gegangen, obwohl er sich so aufführte.


„Wir sehen uns bestimmt die Tage oder so“, nickte er zur Bestätigung. Sie würden schon sehen, wer wen anschrieb um etwas auszumachen.


„Wir sehen uns auf jeden Fall. Mach’s gut, Holger.“

Ein letztes Lächeln, ehe Philipp verschwand. Den Weg fand er inzwischen alleine raus. Draußen vor der Tür musste er allerdings erst einmal tief durchatmen. Irgendwie war das komisch. Das alles.

Es war abstrakt, denn in dem Moment, als die Tür ins Schloss fiel, wünschte sich Holger, dass er sein Tief noch nicht überwunden hätte. Dann müsste sich Philipp weiter sorgen und hätte ihn seiner Familie vorgezogen, um über ihn zu wachen. Aber das war einmal. Holger war ja auch froh darüber, dass er wieder neuen Mut schöpfte, aber umso trauriger stimmte ihn, dass er Philipp so unbewusst nicht mehr ganz so nah sein durfte, ohne dass es auffällig wurde. Vor ein paar Wochen und Tage hätte er es einfach darauf schieben können, dass es ihm schlecht ging und deshalb die Nähe des Kapitäns suchte, aber jetzt? Worauf schob er es jetzt? Auf Dankbarkeit? Das würde sicher eine Weile gut gehen, fraglich war eben nur, für wie lange.
Vielleicht konnte er sich direkt den Abend damit vertreiben darüber zu sinnieren, wie er weitermachen wollte. So war es jedenfalls eine Zumutung für ihn, für Philipp und in gewisser Weise auch für Mario, der in alles verstrickt war. Und was war mit Basti? Zeitgleich zu dem Gedanken an ihn, leuchtete sein Handy auf.


//Ich hoffe wir können bald diesen bescheuerten Kindergarten beenden, Holger. Sei bitte ehrlich zu mir... und nicht immer nur zu den anderen Basti//


Holger seufzte und lächelte traurig. „Das will ich doch auch... irgendwie“, murmelte er und legte das Handy schließlich beiseite, da er nicht wusste, was er darauf antworten sollte. Nachdenklich ließ er sich wieder auf dem Bett nieder und legte sich auf den Rücken. Seine beiden Arme streckte er entspannt aus, während er den Kopf in Richtung der Kopfkissen drehte. Behutsam schob er eine seiner Hände unter das Kissen und zog das Kaffeeshirt hervor. Er hatte es immer hier gut versteckt, damit er das Gefühl hatte, der Kapitän war da. Zwar war es nur ein Shirt, aber für Holger bedeutete es viel mehr. Aus einer Mischung aus Traurigkeit und Verträumtheit starrte er sich an dem Stoff fest und streichelte dabei über eine Falte. Aber es hatte ganz viele Falten, so zerknüllt, wie es unter dem Kopfkissen lag. Holger kümmerte das nicht. Für ihn war dieses T-Shirt perfekt.



Philipp stieg in sein Auto und fuhr nach Hause. Claudia stieg gerade aus ihrem Auto aus und Julian ruderte fröhlich mit den Armen als er seinen Vater erblickte. Glücklich gab der seinen beiden Schätzchen einen Kuss, ehe sie gemeinsam reingingen. Die Gedanken an Holger schob Philipp zurück. Der Abend gehörte seiner Familie.

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