Kapitel 69 – Von abblocken, verteidigen und kontern



„Hawaii war schon toll“, schwärmte Basti und lehnte sich genießerisch an die Lehne zurück. Holger hatte Basti ins Wohnzimmer gebeten und mit dessen Hilfe zwei Gläser und Getränke dorthin transportiert. „Aber das letzte Wochenende wieder in München mit Sarah hat auch sehr gut getan. Nichts gegen Philipp und Claudia, aber ich bin auch ganz gerne mit ihr allein“, grinste er und richtete sich nun etwas auf. „Jetzt aber mal genug von mir. Was ist mit dir? Wie hast du denn das Wochenende verbracht?“ Ein schelmisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.


Holger nippte an seinem Wasserglas und zuckte achtlos mit den Schultern.


„War deine bessere Hälfte also bei dir, hm?“, vermutete der Vize breit grinsend.


Holger war so überrumpelt, dass er fast sein Wasser, das er eben getrunken hatte, wieder ausgespuckt hätte. Stattdessen hustete er und rang nach Luft, während Basti ihn irritiert auf auf den Rücken klopfte.


„Hab ich also recht“, ließ er sich trotzdem nicht beirren und beobachtete Holgers Reaktionen genau. Er wollte das jetzt wissen, wer diese ominöse heimliche Liebe Holgers war. Vielleicht kannte er sie ja doch und er wollte deswegen nichts sagen.


„Nein... ich war allein.“ Ob es richtig war ebenfalls zu verschweigen, dass Philipp – oder wie Basti es unwissentlich nannte ''seine bessere Hälfte'' - bei ihm war?


„Jetzt hör doch mal auf, Holger“, seufzte Basti augenrollend, boxte ihn leicht gegen den Arm. „Mir kannst du's doch sagen, wer es ist. Also...“ Erwartungsvoll spitzte er die Ohren und zog seine Augenbrauen hoch: „Wer ist sie? Wie heißt sie? Wie sieht sie aus?“


„Du kennst sie eh nicht“, blieb Holger dabei und wich den Blicken seines Freundes aus. Es genügte, dass Mario bescheid wusste.


„Dann kannst du es doch wohl erst recht sagen, oder?“


„Nein, weil dir der Name nichts bringt. Außerdem ist das noch gar nichts festes oder so...“


„Dann könnte ich dir doch helfen!“


„Nein, kannst du nicht.“


„Holger...“ Basti holte tief Luft und legte eine Hand auf seinen Oberschenkel. „Eine Frau in deinem Leben würde dir sicher gut tun. Ich will doch auch nur, dass es dir gut geht.“


„Kannst du nicht mal damit aufhören?“ Verletzt blickte der Jüngere den Vize an. „Hör endlich auf mich verkuppeln zu wollen!“


„Mach ich doch nicht, du hast ja jemanden in Aussicht. Alles was ich gerne wissen möchte, ist wer es ist. Was ist daran so schwer?“


„Wenn es etwas festes wird, stell ich sie dir als erstes vor, okay?“, säuselte Holger.


„Ach, entschuldige, wenn ich verpasst habe, dass wir wieder in der Grundschule sind. Ich verspreche hoch und heilig, dass ich es niemandem erzählen werde.“ Basti versuchte zu lächeln, auch wenn ihn jetzt wirklich das Lachen vergangen war.


„Bist du nur deswegen hergekommen? Dass du das rausfinden kannst? Wenn nicht, lass uns bitte das Thema wechseln.“


„Nein, ich bin hergekommen, weil wir seit deinem Aufenthalt in Vail so gut wie gar nicht mehr richtig miteinander geredet haben.“


„Gut“, nickte Holger, „Dann reden wir. Aber nicht über Frauen.“


„Aber -“


Genervt stellte Holger das Glas auf den Tisch und erhob sich. Ihn nervte das jetzt gewaltig, dass Basti sich nicht abwimmeln ließ. Er wünschte sich doch auch, es wäre anders. Das es irgendeine Frau wäre, mit der er sich eine Beziehung wünschte und es sich eben nicht um Philipp Lahm handelte. Aber er konnte sich das doch nicht aussuchen.


„Vertraust du mir nicht mehr, weil du es nicht sagen willst... sorry, ich versteh das einfach nicht, warum du so abblockst.“ Basti folgte Holger zum Fenster, an das er sich gelehnt hatte. Es tat weh ihn so zu sehen, schließlich war der Innenverteidiger einer seiner besten Freunde.


„Das hat nichts mit Vertrauen zu tun“, murmelte der Jüngere. Eher mit Scham und der Angst vor Unverständnis.


„Mit was dann?“


Natürlich hätte Holger irgendeinen Namen nennen können, damit Basti besänftigt war, aber er war sich leider sicher, dass er auch dann nicht locker gelassen hätte. Am Ende hätte er wirklich versucht ihn mit eben jener Person zu verkuppeln und damit wäre Holger nicht glücklich geworden.

Holger schwieg und schaute zum Fenster raus. Er wollte das Thema beenden, es reichte, wenn Mario Bescheid wusste. Das war schon schwer genug, das vor dem Stürmer zuzugeben. Wäre er an dem Tag nicht so fertig gewesen, hätte er ihn vermutlich auch nicht eingeweiht.


„Okay...“ Basti nickte. „Wenn du mir mehr zu sagen hast, meld dich. Jetzt willst du wohl eh nicht reden.“ Der Vize machte auf der Stelle kehrt und ging zur Wohnungstür, er verstand das einfach nicht, warum Holger sich ihm nicht mehr anvertraute. Das war doch früher auch so, warum jetzt nicht mehr? Er riss die Tür auf und schüttelte immer noch verständnislos den Kopf: „Dieser Sturkopf.“


Fast wäre er in Philipp, der Julian auf dem Arm trug, reingelaufen, als er aus der Tür huschte, die er noch nicht ganz hinter sich zugezogen hatte. „Was machst du denn jetzt hier?“


Überrascht sah Philipp Bastian an. Wollte der schon wieder gehen? War Philipp etwa zu spät?
„Willst du wieder fahren?“, stellte er stattdessen die Gegenfrage. Wie sollte er auch erklären, warum er hier war? Er wollte Holger ja nicht verraten wegen dem Anruf. Vorausgesetzt, es gab da was zu verraten.


„Ich hab zuerst gefragt“, merkte Bastian an. Abwartend richtete er den Blick auf Philipp.


„Bassi“, Julian lachte und winkte dem Mittelfeldspieler zu. Er merkte nichts von dieser gewissen Anspannung, die in der Luft lag.


Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Bastians Lippen und er fuhr dem Kleinen durch die Haare. „Hallo Julian.“ Dann wurde er aber wieder ernst und sah dessen Vater an. „Du weißt es doch, oder? Was ist hier eigentlich los, Phil? Ich komme da langsam nicht mehr mit.“


„Basti, ich…“, er brach ab. Was sollte er ihm denn sagen? In diesem Moment fühlte Philipp sich einfach ratlos.


„Ach, weißt du was? Lass gut sein, ehrlich. Macht euch noch einen schönen Tag. Ich bin weg.“ Damit rauschte er auch sofort davon und ließ Philipp nicht mal die Möglichkeit noch etwas zu sagen.


Seufzend sah er ihm nach. Wie gerne würde er Bastian erklären, was los war? Aber es ging einfach nicht.
Jetzt musste Philipp auch erst mal mit Holger reden. Die Wohnungstür stand immer noch einen Spalt auf.


Zwar waren Stimmen zu hören, aber Holger achtete nicht darauf, was sie sagten. Er wusste, dass er Basti vor dem Kopf gestoßen hatte. Und warum das alles? Weil er sich in Philipp verlieben musste. Erschöpft lehnte er den Kopf an die Wand neben dem Fenster und schloss seine Augen. Wäre die Zeit mit dem Kapitän nicht so schön, würde er sich ärgern. Er würde wütend sein, wegen diesen Gefühlen, die nicht sein durfte... aber er war es nicht. Matt hob er die Lider an und schaute direkt auf sein liebstes und zugleich wertvollstes Regal. Beim Anblick des Häschens dachte er automatisch daran, wie Philipp es ihm überreichte. Es war doch verrückt! Jetzt sehnte er sich schon danach, dass er hier wäre.


Philipp öffnete die Tür ganz, klopfte dagegen. „Holger? Ich bin es, Philipp.“ Unsicher trat er ein paar Schritte ein.


Der Innenverteidiger wurde hellhörig. Gerade eben äußerte er in seinen Gedanken den Wunsch, dass es angenehm wäre, wenn er hier wäre und jetzt war er es tatsächlich? Dann waren die Stimmen also Basti und Philipp. Holger hätte es schon eher auffallen können, dass es sich bei der Stimme um den Kapitän handelte, aber er musste ja demonstrativ weghören.

Humpelnd trat er aus dem Wohnzimmer und entdeckte dann auch Philipp im Flur seiner Wohnung. Zu seinem Erstaunen hatte er seinen Sohn Julian dabei. Sollte er sich darüber freuen? Wenn er das richtig zuordnete, wollte er damit deutlich zeigen, dass er Familienvater war, weil er selbst schon drauf gekommen war, dass er mehr für ihn empfand. Holger verdrängte diesen Gedanken erst einmal und gab sich normal. „Ich hab dich gar nicht erwartet.“


Philipp war überrascht über Holgers Worte und irgendwie alles andere als erfreut. Warum konnte er gerade selber nicht genau erklären. Vielleicht, weil er sich dämlich vorkam? Er hätte doch anrufen sollen vorher, um zu fragen, was war. Aber jetzt war es zu spät. Der Ältere wollte gerade antworten, als Julian sein Gesicht an seiner Schulter versteckte.


„Hey, was hast du denn? Du hast Holger lange nicht mehr gesehen, hm?“, beruhigend strich er dem Kleinen über das Köpfchen. Ganz vorsichtig lugte er hervor.


Holger kam es so vor, als wäre Philipp von der Frage seltsamerweise überfordert. Allerdings zog Julian dann die Aufmerksamkeit auf sich. Hatte er ihn jetzt zu grimmig angesehen? Gut, Holger wusste, dass er nicht den nettesten Gesichtsausdruck sein Eigen nennen konnte, aber das sich sogar schon Kinder vor ihm fürchteten, war ihm neu. Bald würde der Fc Bayern damit anfangen sein Gesicht als Halloween Maske anzufertigen, wenn er weiter solch Wirkung haben würde.


Philipp ließ Julian machen, er musste sich erst wieder an ihn gewöhnen. Er sah also Holger an. „Du hast mich angerufen und ich wusste, dass Basti kommen wollte und er hat mich halt ziemlich bedrängt im Urlaub und da dachte ich, er würde dich auch bedrängen und da bin ich… nein, sind wir eben hergefahren“, er grinste verlegen und schaute auf Julian, ehe er Holger wieder ansah. „Aber da hab ich wohl falsch gedacht.“
Das Angebot, dass er sofort wieder fahren könnte, sprach er extra nicht aus. Es wäre ihm ganz lieb, wenn er reinkommen könnte. Er wollte mit Holger darüber reden, dass er es verstand, dass er Bastian nichts gesagt hatte.


„Angerufen? Ach ja, ich hab mich nur verwählt“, erklärte er. Die Hintergrundgeschichte würde er ihm verschweigen. Wie hörte sich das auch an, dass er eigentlich Mario kontaktieren wollte, aber die ganze Zeit nur an Philipp dachte und deshalb seine Nummer antippte? Dennoch ließ sich nicht abstreiten, dass er die Geste unglaublich nett fand. Nicht jeder wäre extra hergefahren, um ihm beizustehen.


„Ach so…“, jetzt kam er sich dämlich vor, dass er extra hergekommen war. Verwählt also. Na gut.


Bedrückt schaute Holger auf den Boden. „Wie du gesehen hast, hat er mich zwar bedrängt, aber ich hab es geschafft ihn zu vergraulen.“ Der Satz kam nicht halb so locker über die Lippen, wie er es geplant hatte.


Er schaute fast schon interessiert das Türscharnier an als Holger die Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. Philipp hatte es doch gewusst! Bastian Schweinsteiger, wehe, das würde negative Konsequenzen haben.
„So sah er auch aus“, gab Philipp zu, er grinste sogar ganz leicht, aber richtig zumute war ihm nicht danach. Sie sollten doch reden, oder nicht? Über das, was gewesen war. Über den Kuss. Oder sogar über die Küsse?


„Möchtet ihr reinkommen?“ Holger sah wieder auf und bedachte den Kapitän mit einem erwartungsvollen Blick. Er wollte nicht, dass der Weg zu ihm umsonst war, auch wenn er nichts gegen den Gedanken tun konnte, dass Julian ihn störte. Eigentlich mochte er Kinder, aber Philipps Sohn stand für Ehe und Partnerschaft, weshalb er ihm ein Dorn im Auge war. Man konnte nichts daran ändern, dass der Bengel eben nun dabei war, aber er versuchte sich trotzdem nichts anmerken zu lassen.


Sofort bildete sich ein Lächeln auf Philipps Lippen. „Gerne.“


Als Philipp in die Wohnung trat, durfte Holger feststellen, dass er sich freute. Zumindest wirkte es auf ihn so, als ob er das tat. Aber warum eigentlich? Wollte er sich nochmal einen Kuss abholen? Ganz dummer Gedanke!


Holger führte sie ins Wohnzimmer, wo der Kapitän sich sofort auf das Sofa setzte und Julian neben sich. Er hatte eine leichte Sommerjacke an, aus deren Tasche er ein kleines Stofftier holte, was Julian sofort an sich riss. Die Jacke selber fand dann auch den Weg auf das Sofa.


„Pata“, gluckste Julian und ließ das Stofftier über den Stoff hüpfen. Selig lächelnd passte Philipp auf, dass er nicht runterfiel.


Die Couch kannte der Kapitän bereits. Vorgestern saßen sie hier und wollten einen gemütlichen Abend verbringen und jetzt hockte er dort mit seinem Sohn, der freudig mit seinem Stofftier spielte. Holger setzte sich langsam daneben und musste nun doch leicht schmunzeln bei der Freude, die Julian da mit dem Kuscheltier hatte.


„Holger“, fing er dann zögerlich an, als er bei ihnen saß. „Bastian hat mich heute Morgen angerufen und wir kamen darauf zu sprechen, dass er zu dir will, um dich auszuquetschen… ich habe mir da schon gedacht, dass du nicht begeistert sein wirst. Ich… ich kann auch verstehen, dass du ihm das nicht sagen wolltest.“

Unsicher suchte er Holgers Blick. Wieso redete er denn die ganze Zeit drum herum? Wieso sprach er es nicht einfach an? Dass er glaubte, dass Holger etwas für ihn empfand.


Erst als Philipp ihn wieder ansprach, schaute Holger auf und sah ihn einen Moment lang an. Nur solange, bis er den Blick nicht mehr stand halten konnte. In der langsamen Sprechweise und dem unsicheren Blick konnte Holger ganz gut erkennen, dass auch Philipp sich seiner Worte nicht sicher war. Wahrscheinlich überlegte er jetzt noch, ob er es besser nicht ansprechen sollte. Zu denken gab Holger allerdings der letzte Satz. Er verstand es? Ging er also davon aus, dass... oh mein Gott! Holger spürte, wie seine Wangen warm wurden. Er musste jetzt ablenken, denn eine passende Lüge, wie Mario ihm riet, fiel ihm nicht ein. Er dachte dieses Gespräch hätte noch etwas Zeit.


„Danke, dass du es verstehst... und überhaupt hergekommen bist. Basti wird sich schon wieder beruhigen... hoff ich“, war das einzige was ihm schwer schluckend einfiel. Lieber fasste er auch an Julians Stofftier, wollte mit ihm spielen, aber dieser quengelte, sobald Holger auch nur im entferntesten das Tierchen berührte.


Nun richtig peinlich berührt, griff er zur Fernbedienung. „W-will Julian vielleicht fernsehen?“ Hastig war der Kinderkanal eingeschaltet. Gerade rechtzeitig zur Anfangsmusik des Kikaninchens. Aber er bezweifelte, dass Philipp sich auch davon ablenken ließ. Vor allem, wenn die Folge lediglich von einer Ente namens Sarah handelte, die von dem Kikaninchen Hilfe benötigte. Holger richtete den Blick stets nach unten... er konnte Philipp nicht mehr ansehen. Verdammt, er wusste es. Aber was hatte er nach dem Kuss auch erwartet? Das war ein Hinweis zuviel...

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