Kapitel 153 – Quälender Optimismus

 

 

Holger hatte wirklich gut geschlafen trotz der Operationsnachwirkungen. Er wusste einfach, dass Philipp bei ihm war und nichts mehr passieren konnte. Von dessen Zweifel und Ängsten hatte er nichts mitbekommen, was auch besser so war. Der Innenverteidiger hätte sich nur schlecht gefühlt.
Ein Pfleger weckte ihn an diesem Morgen und half ihm beim Waschen. Diese Hilflosigkeit war richtig unangenehm für den Blonden, der diese Situation, so wie sie jetzt nunmal war, einfach nicht gewohnt war. Natürlich brauchte man mit Krücken auch immer Hilfe, aber wenigstens hatte er so immer noch ein gesundes Bein, auf das er sich hat stützen können. Jetzt durfte er keines seiner Beine belasten und musste so alles über sich ergehen lassen. Für das Pflegepersonal war das womöglich Alltag, aber nicht für Holger, dessen Gesichtsausdruck trotz des guten Operationsergebnisses und Philipps Anwesenheit so wirkte, als würde er nie wieder laufen können. Schweigsam versuchte er mitzuhelfen, wo es nur ging und wollte möglichst alles alleine machen. Es war mühselig und anstrengend, vor allem weil er sich zu schnell aufgerichtet hatte und ihm deshalb schwindelig geworden war. Das erschwerte die Prozedur natürlich zusätzlich und nagte an Holgers Laune und Durchhaltekraft. Es war ein einziger Krampf und er hatte Angst ihn morgen und sogar noch einige Wochen immer wieder durchmachen zu müssen. Die Angst war berechtigt, denn es würde seine Zeit dauern, bis er eines seiner Beine komplett belasten durfte.
Sichtlich froh saß er dann wieder im Bett und bekam ein leichtes Frühstück. Aber je mehr Zeit verstrich, desto schlimmer machte ihm die Tatsache zu schaffen, dass er sich so gar nicht bewegen konnte. Sogar der Rollstuhl war für heute noch nicht in greifbarer Nähe. Nur kurz, hatte Dr. Steadman am Morgen entschieden, durfte er sich darin aufhalten und mit seinem Besuch in den Klinikgarten, um frische Luft zu schnappen. Danach sollte er sich wieder im Bett ausruhen. An sich nichts schlimmes, nur ging es Holger darum, dass er nur noch diesen einen Tag mit Philipp hatte.
Wenig begeistert knabberte der Innenverteidiger an seinem Frühstück und schaute immer wieder abwartend zur Uhr.

 

Frisch geduscht, satt und mit den Ringen in der Tasche stand er vor Holgers Tür und klopfte, ehe er eintrat. Der Jüngere war noch am Essen, wie er feststellte.
„Guten Morgen und guten Appetit“, wünschte er ihm. Philipp gab Holger einen Kuss auf die Stirn. Er wollte ihn nicht beim Essen stören, deswegen küsste er nicht seine sündigen Lippen. Das konnte er später immer noch.

 

Holger kam gar nicht dazu auf das Klopfen zu antworten, da marschierte Philipp wie selbstverständlich zu ihm. Aber das war schön so, es sollte selbstverständlich sein. Genauso wie es für beide klar war, dass er jederzeit in seine Wohnung konnte.

Danke“, brachte er sich dann doch dazu leicht zu lächeln, wobei dieses mehr dem Kuss zu verdanken war.


Der Kapitän zog sich den Stuhl herbei. „Hast du gut geschlafen?“, fragte er ihn lächelnd. Philipp wollte nicht über seine anscheinend vorhandene schlechte Laune reden. Viel mehr wollte er ihn zum Lächeln bringen und die negativen Gedanken vertreiben.

 

Überraschenderweise ja. Wann bist du gestern gegangen?“, erkundigte er sich, denn er hatte ihn gar nicht mehr gehört.

 

Ich bin so lange geblieben, bis ich rausgeschmissen wurde, weil die Besuchszeit zu Ende war“, erklärte Philipp. „Du warst aber so tief und fest am Schlafen, da dachte ich mir, ich kann dich auch alleine lassen – obwohl ich natürlich lieber geblieben wäre.“


„Wir können heute sogar kurz in den Park“, berichtete er. „Und den Rest der Zeit können wir ja wieder was spielen“, schmunzelte er und erinnerte sich an das Schiffe versenken, das er dank Schwester Anna damals gewonnen hatte.
Oder sie kuschelten einfach nur, aber sie waren hier nummal leider nicht ungestört.

 

In den Park?“, wurde er hellhörig. „Echt? Du darfst schon raus? Das wäre ja echt super.“ Ein Lächeln zierte seine Lippen. Ein bisschen Sonne und frische Luft würde Holger sicher guttun.


„Hast du schon gefrühstückt?“ Sonst würde Holger ihm etwas abgeben. Wenn er schon hier war, sollte es ihm gut gehen. Das war ihm trotz seines traurigen Gemütszustandes wichtig.

 

Ich hab schon was gegessen. Iss du ruhig, um wieder zu Kräften zu kommen“, munterte Philipp Holger auf. „Das Essen sieht gut aus hier. Schmeckt es auch so?“ Der Kapitän nahm sich vor alles irgendwie positiv zu sehen und das Holger immer mitzuteilen. Er sollte nicht mal im Ansatz etwas schlecht sehen oder traurig werden. Optimismus und Zuversicht waren jetzt ganz wichtig.

 

Holger öffnete den Mund, um auf den Parkbesuch einzugehen, aber dieser teilte ihm frohlockend mit, dass das Essen hier lecker aussah. Was war denn mit ihm los? Es erschien ihm fast so, als wollte er gar keine schlechte Laune aufkommen lassen. Holger bemühte sich aber auch, um dem Älteren auch nicht die Stimmung zu verderben. Er liebte dieses heitere Lächeln auf seinen Lippen und hasste es im Gegenzug, wenn seine Augen nicht strahlten.

Wirklich nur kurz, aber ja“, bestätigte er ihm nochmal. Es war halt leider etwas umständlich und man könnte sich fragen, ob es sich dann überhaupt rentierte. Holger behielt seine Frage für sich.

 

Na, das ist doch super, dann können wir ja später etwas Sonne tanken.“ Philipp war froh, dass sie nicht eingesperrt waren hier drinnen. Vielleicht konnte er auch den Moment nutzen, um Holger den Ring zu geben. Das würde er später entscheiden.


„Hättest du nicht schon gefrühstückt, hättest du dich selbst davon überzeugen können“, konterte er grinsend. „Ich kann mich zumindest nicht über das Essen beschweren.“ Es gab ja genug anderes, worüber er sich in seiner jetzigen Situation beschweren konnte, aber es sollte nicht sein. Nicht jetzt, wo Philipp bei ihm war und extra hergeflogen war.

 

Kurzerhand stand Philipp auf, setzte sich zu Holger aufs Bett und machte den Mund auf. „Ein Happen passt noch rein“, erklärte er, ehe er den Mund wieder öffnete. Der Jüngere sollte ihn füttern, damit er auch das Essen probieren konnte.

 

Holger kam der Aufforderung grinsend nach und gab dem Kapitän auch etwas ab. Zuviel nicht, denn er wollte nicht, dass er sonst noch platzte oder schwerfällig werden würde.


Holger aß sein Frühstück gemütlich auf und eine Schwester holte das leere Tablett ab. Er wurde noch kurz gefragt, ob er was brauchte, aber Holger verneinte erstmal. „Hattest du schon Kontakt zur Mannschaft seit du hier bist?“, erkundigte er sich. Auf seinem Handy hatte er ein paar Nachrichten entdeckt, die allesamt Genesungswünsche beinhalteten. Es war nett und es freute ihn auch, aber er wünschte sich einfach, dass er bei ihnen sein könnte und gar keine Genesungswünsche brauchen würde.

 

Als Holger dann den Rest alleine verputzt hatte, fragte er nach den Jungs.
„Nicht wirklich“, zuckte er mit den Schultern. „Basti hat gefragt, ob ich gut angekommen bin, aber sonst mehr belanglose Dinge. Ich soll dich aber lieb von allen grüßen und mich ja um dich kümmern.“ Er grinste etwas. „Also sag den anderen ja, dass ich nett war, sonst bekomme ich hinterher noch Ärger.“

 

Wundern sie sich nicht, dass du wieder bei mir bist?“, fragte er besorgt. Er konnte sich das nicht vorstellen, dass es für die Kollegen noch normal war, dass Philipp sich bei einem verletzten Spieler aufhielt. Er war ja nicht nur in Augsburg oder in einer Münchner Klinik, sondern in Vail. Viele Flugstunden entfernt von Deutschland. Er hätte ihn zumindest etwas nachdenklich angesehen, deshalb konnte er sich nicht vorstellen, dass die Kollegen das nicht hinterfragten. Bescheid wusste nunmal nur Mario, für den es also völlig verständlich war, dass Philipp bei Holger sein wollte. Es gab ja auch noch die nicht ganz unwichtigen Spiele.

 

Sie denken, es ist ein Befehl von oben. Als würde es zu dem ersten Besuch dazu gehören. Zumindest ist es das, was ich mitbekomme.“ Philipp zuckte mit den Schultern. „Was sollen sie sagen oder denken? Wir geben ihnen ja keinen Grund, dass sie mehr denken könnten. Und sie werden dich auch nicht für schwach halten. Alle wissen, wie stark du bist.“ Aufmunternd lächelte er seinen Freund an. Die Angst musste er nicht haben. Nie haben.

 

Leicht beschämt lächelte Holger. Philipp hatte wohl recht. Seine Kollegen wussten es, dass er stark war. Zumindest schrieben sie ihm das und er selbst hielt sich seit er wieder neue Hoffnung geschöpft hatte auch nicht für so schwach. Er musste viel aushalten, dem war er sich bewusst, aber er trotzte seiner Verletzung.
„Ich dachte nur, dass sie sich wundern“, erklärte er. „Es ist nicht alltäglich.“ Obwohl es das eigentlich sein sollte, dass einem jemand beistand. Es war eine großartige Idee von Jupp gewesen Philipp damals mitzuschicken. Auch wenn es oft ziemlich unglücklich verlaufen war.

 

Philipp saß bei Holger auf dem Bett und strich über die Bettdecke. „Wann möchtest du denn raus? Heute Nachmittag? Kommt heute Morgen Dr. Steadman noch mal?“ Er wüsste ja gerne, was der Arzt zu sagen hatte, wenn er ehrlich war.

 

Ich weiß nicht sicher, ob er heute nochmal kommt. Wahrscheinlich am Nachmittag mit dem Physiotherapeuten zusammen, um die Knie anzusehen.“
Holgers Blick ging zum Fenster. Die Sonne schien ins Zimmer und das Wetter war bestimmt typisch Herbst. Nicht allzu kalt, aber auch nicht zu warm.

 

Verstehend nickte Philipp. Er beobachtete Holger, wie er nach draußen schaute. War das Sehnsucht in seinem Blick?

 

Mir ist es lieber, wenn er heute nicht mehr kommt.“ Holger senkte den Blick und auf seinem Gesicht erhellte ein trauriges Lächeln. „Ich befürchte jedes Mal das schlimmste, wenn er mit so einem ernsten Gesichtsausdruck reinkommt.“ Klar, die Operation war gut verlaufen, aber man konnte trotzdem nie wissen, wie sich das Knie erholen würde. Alles würde die Zeit zeigen und die war dem Innenverteidiger zu langsam.

Philipp legte eine Hand unter Holgers Kinn und drückte es leicht nach oben. Er schenkte ihm ein Lächeln, bevor er ihn sanft küsste. „Dr. Steadman wird dir nichts Schlimmes mehr erzählen. Es ist alles gut gegangen, hörst du? Er guckt vielleicht ernst, aber das heißt nicht, dass er schlimme Nachrichten hat. Dir geht es gut, soweit man das sagen kann und bald wird es dir noch besser gehen. Du kommst wieder zurück zu uns, zu mir, auf den Platz. Rede dir ja nichts anderes ein, ja?“ Seine Stimme war sanft, aber auch in gewisser Weise streng. Gezielt suchte er auch die ganze Zeit den Blick in die blauen Augen. Holger sollte ihm glauben. Hoffentlich tat er das.

 

Holger wollte protestieren, da er bereits erahnte, was Philipp mit der Hand unter seinem Kinn bezwecken wollte, aber als ein Kuss für ihn heraussprang, konnte er sich gar nicht mehr gegen den Blickkontakt wehren, der ihn in manchen Situationen einfach unangenehm war.

Holger verinnerlichte Philipps Worte, doch sie konnten ihn nie ganz erreichen. Denn er war es, der in Vail bleiben und die nächste Zeit sogar im Rollstuhl verbringen musste. Und er war es auch, der die nächsten Spiele nicht mitspielen konnte. Die Mannschaft würde große Erfolge feiern, dessen war er sich sicher und er würde wieder eine bloße Randfigur sein von all dem.
Schwach nickte Holger, zwang sich zu einem Lächeln. Der Blick, die Stimme und die Mimik verdeutlichten, wie ernst es Philipp mit seinen Worten war. Er war der festen Überzeugung, dass er zurückkommen würde. Die ganze Zeit über, auch als Holger gezweifelt hatte und seine Nerven und seine Geduld damit bis zur Grenze strapazierte. Vermutlich war das auch jetzt noch so.
Leider war es aber auch eine Tatsache, dass Philipp es auch nicht genau wissen konnte. Holger verbot sich zu seufzen. Womöglich brauchte er einfach nur frische Luft, damit er nicht immer mit seinem Elend konfrontiert war.

 

Philipp kannte Holger inzwischen gut genug. Er merkte ihm an, dass das Lächeln nicht von Herzen kam. Aber er verstand es auch, deswegen ritt er da gar nicht mehr drauf herum. Das hatte Holger auch nicht verdient. Er würde jetzt nur für ihn lächeln wollen und für ihn freudig sein wollen, das musste aber auch nicht sein.
Der Kapitän versuchte erst mal Holger auf andere Gedanken zu bringen. „Wollen wir direkt raus? Oder soll ich uns erst mal noch zwei Kaffee holen? Hm?“ Er selbst war freudig und optimistisch und das wollte er auch sein. Holger musste sehen, wie man lächelte, damit er es später, vor allem, wenn er nicht da war, auch konnte.

 

Philipps gute Laune ließen es für Holger zu einer echten Anstrengung werden sich hängen zu lassen. Ängstliche Gedanken, die seine Karriere oder auch die nahe Zukunft betrafen, gingen ihm nach wie vor durch den Kopf und bereitete ihm alles andere als gute Laune, aber schlechte Laune war bei Philipps Anwesenheit beinahe unmöglich geworden.
„Nehmen wir den Kaffee mit raus“, entschied Holger. Ihm war es lieber wenn sie gleich an die frische Luft gehen konnten, damit er nicht nur diese quälenden vier Wände ertragen musste.

 

Während Holger den Knopf drückte und nach dem Pflegepersonal verlangte, holte Philipp zwei Kaffee. Es war dem Innenverteidiger irgendwie lieber, wenn er nicht mitansehen musste, wie man ihn umsetzte, so als hätte er keine zwei gesunden Beine zum Laufen. Gut, im Moment hatte die er leider auch nicht. Holger sehnte den Tag herbei an dem er zumindest eines seiner Beine wieder belasten durfte und auf Krücken umsteigen konnte. Wäre es bloß nicht mehr so lange bis dahin.

 

Philipp verstand, dass Holger ihm nicht seine Schwäche präsentieren wollte. Er könnte dagegen argumentieren und sagen, dass er ihn trotzdem liebte, aber er ließ es bleiben. Keine unnötigen Diskussionen, die die Laune verderben würden. So ging er also los und holte zwei Kaffee.


Der Krankenpfleger befreite ihn von der Infusion, erklärte aber auch, dass er allerhöchstens dreißig Minuten draußen bleiben durfte. Alles andere war einen Tag nach der Operation noch zu viel. Abschließend legte er Holger eine Decke um die Beine, die auch dazu diente, ihn vor unangenehmen Blicken zu schützen, die seine Drainagen an beiden Beinen hervorrufen könnten.
Der Pfleger verabschiedete sich fürs erste und ließ Holger alleine auf Philipp warten. Dieser hatte brav draußen gewartet, bis der Pfleger aus dem Zimmer kam.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Mailiw Alba (Mittwoch, 03 Februar 2016 21:44)

    N'abend..

    Hach Holger *ihn einfach mal schüttel* Er soll einfach glücklich sein. Immer diese Seufzer Leute da xD Nervt mich ja total ab, die negativ denkend Menschen!

    Wird wieder alles gut!

    Gruß
    Mailiw