Kapitel 152 - Die Geschichte von den Ferkeln


Das erleichternde Seufzen ließ nicht lange auf sich warten und wurde durch ein feines Grinsen unterstrichen. „Ich liebe dich“, flüsterte er nun total zufrieden. Jetzt konnte er die Tatsache verdrängen, dass er sich jetzt eine zeitlang wirklich nicht selbst fortbewegen konnte und er dem etwas hilflos gegenüber stand. Holger griff Philipps Hand fester, so viel Kraft wie er eben gerade aufbringen konnte.


Würdest du mich sonst nicht lieben?“, neckte Philipp ihn, grinste unbeschwert dabei. Das Schwerste war überstanden. Jetzt musste nur der Heilungsprozess auch noch glatt laufen. Aber das würde er. Ganz bestimmt.


Holger schüttelte verneinend den Kopf. Natürlich würde er ihn trotzdem lieben, allerdings konnte er sich schon vorstellen, wie traurig, genervt und angeschlagen er gewesen wäre, wenn es wieder schlechte Nachrichten gegeben hätte. Auch wenn er es nicht gewollt hätte, hätte er das an Philipp ausgelassen.

Ich freu mich auf die Reha... die Reha in München“, stellte er klar. Es würde hart werden, aber jetzt konnte es wieder bergauf gehen.


Allerdings musste Philipp zugeben, dass er Zweifel hatte, ob die Reha wirklich in München stattfinden würde. Donaustauf hatte sich die letzten Jahre auch zu einem unglaublichen guten Ort entwickelt, was solche Rehamaßnahmen betraf. Aber das würde Philipp nicht entscheiden und Holger sollte das in Ruhe mit seinen Ärzten besprechen. Das hatte alles noch Zeit.


Holger, ich… ich hab ja eben kurz mit Schwester Anna geredet. Sie erzählt nichts weiter und… ja… sie findet es nicht schlimm oder verurteilt uns oder so was. Nur, damit du dir da auch keine Sorgen machst.“


Philipp erinnerte ihn dann wieder an Schwester Annas Beobachtung. „Sie hat es also gesehen...“, murmelte er seufzend, akzeptierte aber, dass sich das nicht ändern ließ und sie damit leben mussten, dass die Krankenschwester über ihre Beziehung Bescheid wusste. „Man kann ihr glauben. Ich vertraue ihr“, versicherte Holger. „Du doch auch, oder?“ Philipp sollte es ihm sagen, wenn er sich unwohl fühlte. Der Ältere setzte für ihn immerhin eine ganze Menge aufs Spiel.


Ja, ich vertraue ihr auch. Bei ihr ist unser Geheimnis sicher, da habe ich keine Zweifel dran“, offenbarte Philipp vollkommen ehrlich. Es hätte sie wirklich schlimmer treffen können. Dann lieber Schwester Anna.


Lächelnd hob er die Hände an und küsste zum wiederholten Male den Handrücken und dann jeden einzelnen Finger.


Die Zärtlichkeiten, die Philipp ihm schenkte, machten ihm deutlich, wie schlimm es geworden wäre ohne ihn. Es war toll so verwöhnt und abgelenkt zu werden nach der Operation. „Das ist toll“, flüsterte er und wartete sehnsüchtig ab, bis Philipp seine Küsse beendete. Erst danach verschränkte er ihre Finger miteinander.


Das hoffe ich doch“, wisperte er leise. Philipp mochte es Holger so zu küssen. Und er mochte es noch mehr, dass es ihm auch so gefiel.


Gibst du mir dann das Geschenk?“, bat Holger ihn vorfreudig.


Das hätte ich fast vergessen“, gab Philipp zu und musste sich wohl oder übel von Holger trennen. Der Wagen war etwas zur Seite geschoben, weswegen Philipp aufstehen musste, um sein Geschenk zu holen. Aber diesen Augenblick nutzte er auch und setzte sich zu Holger auf sein Bett. „Geht das so?“, fragte er sicherheitshalber nach. Auf seine Beine mussten sie immerhin Rücksicht nehmen. Da würde er auch auf körperliche Nähe verzichten.


Holger sah dem Älteren nach, wie er sein Geschenk holte und sich dann zu ihm setzte. Er nickte nur, wollte seine Beine nicht weiter beachten. Jetzt wollte er sich nur auf das Geschenk freuen. „Danke“, bedankte er sich für das Herholen und auch nochmal für das Mitbringsel. Doch es sollte noch nicht so weit sein.


Es klopfte an der Tür und Dr. Steadman trat herein, störte diesen Moment zwischen ihnen. „Schön, Sie sind also schon wach“, begrüßte er ihn und reichte Philipp die Hand. Er fand es schon ein bisschen komisch, dass der Ältere wieder von seiner Pflicht als Kapitän und Spieler entbunden wurde wegen eines Kollegen, aber er hinterfragte das nicht, sondern wollte sich seinem Patienten widmen.
„Die Operation ist genau das Plan verlaufen. Wenn der Heilungsprozess nun optimal verläuft, die Reha wie geplant anschlägt und Sie nicht zu schnell zu viel wollen, bin ich sehr optimistisch, dass Sie nach etwa sieben Monaten wieder ins Training einsteigen können.“


Er erklärte noch einige Details, Holger hörte auch aufmerksam zu, aber man merkte ihm an, dass die Nachwirkungen der OP noch immer an ihm nagten.


„Alles weitere besprechen wir dann aber morgen. Sie brauchen jetzt noch Ruhe.“


Der Innenverteidiger war froh wieder mit Philipp allein zu sein. Alles was er heute hören wollte, war, dass die Operation geglückt war. Um das andere konnte er sich morgen, wenn er hoffentlich wieder fitter sein würde, kümmern.


Philipp war erleichtert, als ihnen Dr. Steadman bestätigte, dass Holger die OP gut überstanden hatte. Die Worte von Schwester Anna waren schon beruhigend gewesen, aber es war doch besser, dass der zuständige Arzt jetzt mit ihnen sprach. Gut, eigentlich nur mit Holger, aber Philipp fühlte sich auch irgendwie angesprochen, so als Partner von dem Patienten. Das wusste Dr. Steadman zwar nicht, aber das war ja egal.

Sieben Monate waren alle lange Zeit, aber sie waren nichts im Gegensatz zu dem Rest des Lebens, wenn diese OP missglückt wäre. Philipp dankte Gott, dass dem nicht so war.


„Jetzt lassen wir uns nicht mehr stören“, schmunzelte Holger und begann nun endlich das Geschenkpapier von dem eingepackten Rahmen zu lösen.


Holger widmete sich nun endlich dem Geschenk und genau studierte der Ältere dabei seine Gesichtszüge und dann auch die Geste.


Zum Vorschein kam das eingerahmte Foto von ihnen. Sofort war ihm klar, dass er das Bild hier aufstellen würde und danach zu Hause auf seinem Regal. Da würde es sich ganz perfekt machen, genau wie eben das Foto war. Mit einem zärtlichen Lächeln und seinen sanften Händen streichelte er einmal über das Bild und suchte dann erfreut Philipps Blick. „Danke, das war eine tolle Idee.“ Genau das brauchte er doch, wenn Philipp ihn in Vail zurücklassen musste.


Ich habe gehofft, dass es dir gefällt“, erwiderte Philipp lächelnd. Sein Blick huschte kurz zur Tür, ehe er die Distanz überbrückte und Holger sanft, aber kurz küsste. „So bist du nicht ganz alleine, wenn ich wieder fahren muss. Wir telefonieren zwar und können auch skypen, aber so siehst du mich jederzeit.“


Holger nickte stolz auf die Erklärung hin und reichte dem Älteren dann das Bild. Es war eine tolle Geste von Philipp, weil er offenbar einschätzen konnte, wie schwer die Zeit alleine in Vail für Holger sein würde. Da half das Bild, zusätzlich zum Skypen und Telefonieren, ihm ein großes Stück Nähe zu bekommen. „Stellst du es auf den Beistelltisch?“ Er stand ja etwas weiter weg, weswegen seine Arme nicht ausreichten.


Philipp kam dem Wunsch nach und platzierte das Bild so, dass Holger es perfekt sehen konnte. Außerdem zog er den Nachtschrank wieder etwas näher, damit Holger ihn von selbst erreichen konnte.


Leicht hob Holger den Oberkörper an, klopfte das Kissen zurecht und legte sich wieder hin. Schade, dass sie in diesem Bett nicht zu zweit Platz hatten. Doch als er sich kurz aufgerichtet hatte, war ihm etwas anderes aufgefallen, was er bisher ausblenden konnte. Seine eingepackten Beine und die beängstigend aussehenden Drainagen, die das Blut absaugen sollten, damit es nicht zu Entzündungen kam. So etwas hätte ihm gerade noch gefehlt. Und noch nie war es ihm so klar, wie bei dem Anblick seiner verletzten Beine, dass er einige Wochen komplett auf die Hilfe von anderen, insbesondere fremden Menschen, angewiesen war. Früher hatte er in einer Einrichtung für Körperbehinderte gearbeitet und jetzt war er selbst in der Position. Holger verspürte ein ganz, ganz mulmiges Gefühl in sich, das er aber nicht äußerte. Er hatte Philipp wegen der Operation genug Sorgen bereitet und er sollte beruhigt wieder fliegen. Doch im Moment war es ihm schier unmöglich ihn anzulächeln und sich über etwas anderes zu unterhalten. „Ich bin noch etwas müde“, offenbarte er, schluckte als sein Blick im Raum umher schweifte.


Der Ältere beobachtete den gerade frisch operierten und lächelte milde. „Dann schlaf“, wisperte er und gab Holger einen sanften Kuss auf die Stirn. Er war besorgt um ihn, deswegen brachte er nicht viel Distanz zwischen sie, fuhr lieber durch die weichen Haare.


Der Rollstuhl für morgen stand bereit, weil sie bereits 24 Stunden nach der Operation mit der Reha anfangen wollten und er dazu in einen anderen Raum gebracht werden musste. Holger schloss die Augen. Ja, er war nun komplett hilflos und ausgeliefert. Es fühlte sich falsch an, immerhin würde es bei ihm kein andauernder Zustand sein, sondern nach ein paar Wochen wieder überstanden sein. Deshalb war es nicht richtig zu jammern, aber seine Angst schmälerte das eben trotzdem nicht.


Den Blick hatte Philipp sehr wohl bemerkt und er kannte die Angst und das Unwohlsein Holgers nur zu gut.
„Die Zeit wird vergehen“, flüsterte er. „Du wirst den Rollstuhl brauchen und du wirst eine Weile kaum etwas tun können, aber es geht ganz schnell, da kannst du auf Krücken laufen und dann wird die Zeit kommen, in der du sie nicht mehr brauchst. Richte den Blick nach vorne. Aber ruh dich jetzt erst mal aus.“


Während ihn die Gesten zum Lächeln brachten, überraschten ihn seine Worte und er öffnete die Augen. Er hatte doch gar nichts über den Rollstuhl gesagt und trotzdem schien Philipp seine Gedanken und insbesondere seine Sorgen ganz genau zu kennen. Schweigend verfolgte er das Tun des Älteren und lächelte ganz sanft. „Danke“, hauchte er. Sein Blick wanderte zum Beistelltisch, auf dem das Foto stand, das nun in Reichweite war. So wie Philipp momentan noch in Reichweite für ihn war. Wie sollte er das nur alles wieder gut machen, dass der Ältere so viele Strapazen auf sich nahm, nur wegen ihm? Für Holger bestand zwar kein einziger Zweifel daran, dass er nicht das selbe für ihn tun würde, aber er dachte nicht daran, dass Philipp sich auch schlimmer verletzen könnte.


Der Ältere lächelte sanft, erwiderte nichts auf das „Danke“. Was sollte er auch sagen? Gerade war nichts nötig. Jetzt war es nur wichtig, dass er so gut es ging für seinen Freund da war. Noch konnte er das ja sein. Wer wusste schon wie lange das noch so möglich war.

Es folgte noch ein Kuss. Als Philipp sich wieder aufrichtete, spürte er die Ringe in seiner Hosentasche. Er zögerte nur kurz, entschied sich aber dagegen. Nicht jetzt. Vielleicht aber auch nie.
Philipp setzte sich zurück auf den Stuhl und griff nach Holgers Hand. „Ich bin da, du kannst beruhigt schlafen.“


Es war ein unbeschreibliches Gefühl von Philipp behütet zu werden. Er kannte ihn ja schon immer als zärtlichen und liebevollen Menschen, aber es war so unfassbar schön, wie sanft er mit ihm umsprang. Obwohl seine Hilflosigkeit ihn so beschäftigte, schaffte Philipp es wieder einmal ihm ein Lächeln zu entlocken.

Holger schloss seine Augen und grinste leicht. „Welche Märchen außer Schneewittchen hast du noch drauf?“ Eigentlich wollte er nur Schneewittchen, das Märchen mit den Zwergen, hören, aber er wollte durch den vermeintlichen Witz zeigen, dass es ihm gut ging und er nicht nur so schlechte Gedanken hatte, die ihn in seiner Hilflosigkeit bestärkten.


„Bitte?“ Philipp blinzelte perplex, ehe er leicht lachte. „Hättest du das nicht vorher sagen können? Dann hätte ich ein Märchenbuch eingepackt oder besser dir eins geschenkt.“ Jetzt hatte er wenigstens ein Weihnachtsgeschenk für Holger, ja, er würde ihm ein Märchenbuch schenken.

Aber sonst… ich kann alle nur so halb, glaube ich. Wobei ich könnte Froschkönig hinbekommen, glaube ich.“ Philipp legte den Kopf schief und spielte in Gedanken mit Holgers Fingern.


Ich dachte, das wäre dir klar, dass ich Märchen hören will“, witzelte er und überlegte sich, ob er den Froschkönig hören wollte. Es gab etwas, was ihn noch mehr interessierte und er Philipp auch vorschlage wollte. Immer wieder berührte Philipps Hand seine anstatt sie ruhig festzuhalten. Neugierig öffnete Holger die Augen und beobachtete einen Moment lang den spielenden Kapitän.


Es hätte mir klar sein sollen“, schmunzelte Philipp.


Erzähl mir was aus deiner Kindheit. Irgendwas schönes oder lustiges.“ Das war seiner Meinung nach besser als Froschkönig. Außer der Ältere wollte nicht darüber sprechen, dann würde er auch das Märchen erdulden.


Die neue Aufforderung aber überraschte den Kapitän. „Aus meiner Kindheit? Ähm… okay… das war mir jetzt nicht klar.“ Er legte den Kopf etwas schief und dachte nach.

Ich weiß. Als Kinder haben wir einmal einen Ausflug auf einen Bauernhof gemacht. Ich war noch ganz klein und war noch nicht so vertraut mit den Tieren dort. Melanie hat sich einen Spaß daraus gemacht und mir erzählt, dass Schweine ganz böse Tiere wären. Vor allem die kleinen. Je kleiner, desto gemeiner. Na ja, ich hab es ihr geglaubt. Meine Eltern haben da nichts von mitbekommen. Wir sind also zu diesem Bauernhof gefahren und die Bäuerin hat uns die Schweine gezeigt. Auch die jungen Ferkel… ich hab angefangen zu schreien, wie sonst was, weil ich so eine Angst hatte. Melanie fand das total witzig und Mama wusste gar nicht, was los war. Erst als Melanie erklärt hat, was sie mir erzählt hat, verstanden unsere Eltern das. Mama hat auf mich eingeredet, dass das nicht wahr wäre. Ich hab am Ende des Tages zwar mit den Ferkeln gespielt, aber das hat ganz schön lange gedauert.“ Philipp lachte leicht. Seine Schwester hatte ganz schön Ärger bekommen für die Aktion.


Holger lauschte gebannt und war gespannt, was Philipp ihm aus seiner Kindheit erzählen würde. Es gefiel ihm, dass er eine süße Tiergeschichte mit Schweinchen wählte, die Holger zum Schmunzeln brachte. Schon beim Anfang konnte er nicht anders als seine Mundwinkel leicht nach oben zu ziehen, als Philipp davon sprach, dass er noch ganz klein war. Ohne das Wörtchen 'ganz' hätte er ihn wohl fragen müssen, ob er sich jetzt für größer hielt. Holgers Gedanken waren jedoch keinesfalls als negativ zu interpretieren. Er liebte ihn, seine zwergenähnliche Größe war perfekt.
„Du hattest wirklich Angst vor kleinen Ferkeln?“, fragte er dann doch verwundert nach. „Wie alt warst du denn?“
Er hätte es ja verstanden, wenn er Angst gehabt hätte, wenn ein großer Eber auf ihn zu gekommen wäre, aber bei niedlichen kleinen Ferkeln, bei denen die Öhrchen beim Laufen wackelten, konnte man doch keine Angst haben.


Ja, hatte ich“, Philipp grinste etwas. „Ich glaube, ich war vier oder so, ich weiß es nicht mehr. Melanie hat mir halt richtige Horrorgeschichten erzählt. Zumindest waren sie für mich als Kind so schlimm.“ Er zuckte mit den Schultern. Im Nachhinein war das echt eine lustige Geschichte. Seine Eltern erzählten sie heute noch gerne, was Melanie wiederum nicht ganz so lustig fand.


Es war aber auch gemein von Melanie, Philipp solche Angst einzujagen. „Hat deine Schwester dich oft geärgert?“, interessierte er sich. Seine Augen waren geschlossen, die Mundwinkel nach oben gezogen und im Zimmer war es dazu wunderbar ruhig und still. Nur Philipps Stimme war zu hören.
Holger stellte sich vor, wie Philipp mit den kleinen Ferkeln spielte, was damals sicher ziemlich putzig ausgesehen hatte.


Philipp schaute zu seinem Freund und lächelte leicht. Er war sicher noch ziemlich müde. „Nein, nicht oft, nur manchmal. Wir haben uns beide hin und wieder geärgert, wie das halt so ist bei Geschwistern. Aber eigentlich haben wir uns immer richtig gut verstanden.“ Das war ja heute auch noch so.


Ich bin froh, dass du deine Angst vor Ferkeln überwunden hast“, schmunzelte Holger und fand es angenehm über Philipps Vergangenheit mit seiner Familie zu sprechen, als über seine Frau und seinen Sohn. Es schmerzte einfach viel zu sehr sich mit dieser Tatsache belasten zu müssen, dass Philipp niemals ihm alleine gehören würde.


Der Kapitän führte Holgers Hand an seine Lippen. „Schlaf ruhig, wenn du müde bist“, flüsterte er dagegen, küsste sie und legte sie wieder ab. Holger sollte nicht wegen ihm wach bleiben.


Da Holger die Augen geschlossen hielt, war er überrascht von dem Kuss auf seiner Hand. Die Worte hingegen überraschten ihn weniger, aber sie sagten etwas aus, was sich nicht mehr verdrängen ließ.  Seine Müdigkeit. Eigentlich wollte er noch weiter Philipps Stimme lauschen und sich unterhalten – immerhin war er nicht mehr lange hier – aber er schaffte es nicht bei vollem Bewusstsein zu bleiben. Nach ein paar Minuten der Stille hatte die Müdigkeit endgültig gesiegt und ihn in den Schlaf geschickt.


Holger sagte nichts mehr und Philipp hatte das Gefühl, als würde sein Körper immer ruhiger werden. Irgendwann waren nur noch langsame Atemgeräusche zu hören. Er war also endlich wieder eingeschlafen. Es war auch besser so. Holger brauchte seinen Schlaf.
Während er mit seiner einen Hand immer noch die des Jüngeren hielt, fischte er mit der anderen den Ring an der Kette hervor.
Ich bin immer deine kleine Stütze.
Diese Worte waren eingraviert. Man könnte das „klein“ auf den Ring beziehen, aber Holger würde wissen, dass es sich auf die Körpergröße des Kapitäns bezog.
Eigentlich wollte Philipp ihm den Ring ja geben. Er sollte da sein, wenn er es nicht sein konnte und genau diese Zeit würde kommen. Er konnte einfach nicht mehr so oft bei Holger sein, weil er bei seiner Familie sein musste. Er wollte Holger nicht komplett vor den Kopf stoßen oder sich ganz von ihm trennen. Der Ring sollte ihn in gewisser Weise daran erinnern und ihn trösten, damit er sich nicht so alleine fühlte.
Das Schmuckstück verschwand wieder in der Hosentasche und Philipp erhob sich leise. Er musste mal auf die Toilette. So leise, wie es ihm möglich war, verließ er den Raum. Auf dem Rückweg machte er bei dem Wasserspender halt und nahm sich etwas zu trinken. Noch durfte er bleiben, da die Besuchszeit noch nicht zu Ende war. Zumindest noch ein kleines bisschen.


„Ah, Herr Lahm, Sie sind ja noch da.“ Schwester Anna kam mit einem Lächeln auf ihn zu. Sie hatte ihre Jacke an und eine Tasche geschultert.


„Haben Sie Feierabend?“, fragte er sie, woraufhin er ein Nicken als Antwort bekam.


Ich war eben noch mal bei Herrn Badstuber und dachte schon, Sie wären gegangen, weil er eingeschlafen ist.“


„Nein, ich… ich möchte noch ein wenig bei ihm bleiben“, erklärte er ihr und lächelte leicht.


Anna sah ihn an. Sie ahnte, dass da etwas nicht stimmte. „Haben Sie etwas auf dem Herzen, Herr Lahm?“


„Ja, wenn ich ehrlich bin schon“, gab er zu.


„Kommen Sie“, sie zog den Fußballer hinter sich her in einen kleinen Besprechungsraum, wo sie ihre Ruhe hatten.


Philipp wusste, dass er mit ihr reden konnte. Sie würde ihn nicht verurteilen und sie hatte einen neutralen Blick auf alles. Mit Mario zum Beispiel könnte er nicht reden, da dieser ganz klar auf Holgers Seite wäre und nur das Beste für ihn wollte. Nicht, dass Philipp das nicht auch wollte, aber es war eben alles nicht so einfach.


„Jetzt erzählen Sie doch mal.“ Schwester Anna legte ihre Tasche beiseite und zog sich auch ihre Jacke aus.


Sie gab ihm alle Zeit der Welt. Etwas, für das Philipp verdammt dankbar war. Er redete sich nämlich seinen Kummer von der Seele.


„Ich liebe Holger. Ich weiß, es klingt vermutlich verrückt oder bescheuert, aber ich liebe ihn einfach. Ich weiß auch, dass ich Zuhause Frau und Kind habe, aber die liebe ich auch. Es sollte nicht sein, aber es ist nun mal so. Ich kann auch niemandem vor den Kopf stoßen, doch müsste ich eine Entscheidung treffen, würde diese wohl auf meine Familie fallen. Ich glaube, dass Holger das auch weiß, deswegen will er keine Entscheidung und lebt mit dieser Situation wie sie ist. Aber so geht das nicht. Ich muss wieder mehr bei meiner Familie sein, da führt kein Weg dran vorbei. Ich… ich habe einen Ring gekauft, nein zwei Ringe und zwei Ketten. Ich hab ihn auch gravieren lassen. Er soll Holger Kraft geben, weil ich einfach nicht mehr so oft bei ihm sein kann. Ich möchte nicht, dass unsere… Beziehung auffliegt.“

Philipp wollte nicht nur von Affäre sprechen, denn das zwischen ihnen war so viel mehr.

Ich habe aber Zweifel, ihm diesen Ring zu geben. Vermutlich verurteilen Sie mich jetzt doch und ich kann es ihnen nicht mal übel nehmen…“ Er lächelte schief.


Schwester Anna legte ihm eine Hand auf den Arm und lächelte ihn aufmunternd an. „Ich verurteile Sie nicht, Herr Lahm, machen Sie sich keine Sorgen. Sie lieben, da kann ich Sie nicht für Ihre Gefühle verurteilen. Ich kann Sie nur für Ihre Taten verurteilen.“ Sie machte eine kurze Pause.
„Geben Sie ihm den Ring. Er hängt an Ihnen und es wird ihm helfen.“


„Meinen Sie?“ Philipp sah sie aus beinahe großen, ratlosen Augen an. Er hatte einfach so eine große Angst falsch zu handeln.


„Ja, ganz sicher.“ Sie verstärkte den Griff auf seinem Arm. „Und jetzt gehen Sie wieder zu ihm. Die Besuchszeit ist gleich vorbei und dann müssen Sie zurück ins Hotel. Nutzen Sie die Zeit noch.“


„Ja, das mache ich. Danke. Schwester Anna.“

Nachdem sich beide verabschiedet hatten, war Philipp zurück zu Holger gegangen. Dieser schlief immer noch seelenruhig. Der Kapitän hielt seine Hand, bis er von einer Krankenschwester freundlich dazu aufgefordert wurde zu gehen. Zum Abschied gab er ihm einen Kuss auf die Stirn. Gemeinsam mit dem Versprechen morgen wieder zukommen. Den Ring nahm er wieder mit. Er wollte ihm den geben, wenn er wach war, damit er verstand, was Philipp damit sagen wollte. Hoffentlich tat er das auch.

Im Hotel schaute Philipp nur etwas Fern, ehe er recht früh schlafen ging. So ganz auf der Höhe war er immer noch nicht wieder. Aber er wollte sich auch gar nicht erst an die Zeitumstellung gewöhnen, immerhin würde er in zwei Tagen wieder fliegen.


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Kommentare: 2
  • #1

    Engel (Dienstag, 29 Dezember 2015 23:35)

    Hey :)
    Erst mal danke für die ausführliche Antwort! Hat mich sehr gefreut :)

    Das Kapitel hier mochte ich sehr gern
    Ein müder Holger ist ziemlich süß ^^
    Und Philipp kümmert sich toll um ihn
    Beim lesen hab ich den Eindruck gewonnen, dass Philipp in seiner Entscheidung einen Schritt nach vorne gemacht hat. Einen für Holger negativen. Zwar verständlich, gegen eine Familie muss man erst mal ankommen, aber sehr schade.
    Was ich schrecklich von Philipp finde, dass er Holger zumuten will bis in alle zeit sein schmutziges Geheimnis zu bleiben. Er denkt, zumindest im Moment, nicht darüber nach was das beste für Holger ist :(
    Auch wenn es hier in die Story Super rein passt, könnte ich Philipp in den Hintern treten ;)

  • #2

    Mailiw Alba (Mittwoch, 03 Februar 2016 21:38)

    Wieder ich.

    Hach süß, wirklich süß. Ich weiß gar nicht so wirklich was ich da so sagen soll. Schreiberisch hab ich nichts zu bemängeln. Es ist toll :) Und ich finds süß das er mit Anna so drüber sprechen kann und das Gespräch kam auch sehr gut rüber und ich bin immer noch gespannt was daraus wird..
    Diese Geschichte nimmt kein Ende oder? :D Aber irgendwie find ich das gut, das alles so langsam ist.. also wie in Echtzeit.. da passiert auch nicht alles von heute auf morgen. Schade das man diese FF ja nicht mehr auf ff.de lesen kann :/

    Gruß
    Mailiw