Kapitel 3 - Ankunft


Auch noch mit Zwischenstopp? Super. Wetten sein Koffer ging dabei verloren? Philipp hatte da ja immer so ein Pech. Der Stopp war nicht lange, aber er schlauchte ziemlich. Den restlichen Weg nach Vail schliefen die beiden. Philipp konnte gar nicht mehr sagen, wer zuerst eingeschlafen war, als er erwachte. Allerdings stellte er fest, dass er an Holger gelehnt hatte und andersrum. Die Tatsache ließ ihn schmunzeln. Der Blonde schlief immer noch und wachte auch nicht auf als Philipp von ihm wegrutschte. Er hatte sicher kaum geschlafen die letzten Nächte. Stumm seufzte er und lächelte traurig. Er beugte sich wieder vor und hauchte ihm einen Kuss aufs Haar.
Wenig später musste er Holger aber wecken, denn sie landeten schon. Oder eher endlich. Sie stiegen aus, warteten auf ihre Koffer, die zum Glück heil angekommen waren und suchten sich dann ihren Weg aus dem Flughafen raus. Philipp bestand darauf, dass er Holgers Koffer ebenfalls trug. Immerhin lief der Innenverteidiger auf Krücken. Nicht, dass er stolperte und sicher noch was brach oder so. Das halbe Jahr Extrapause reichte so schon.

Am Ausgang kam ihnen ein Mann entgegen. „Herr Badstuber? Herr Lahm?“

„Ja?“ Philipp sah ihn verwirrt an.

„Folgen Sie mir bitte. Ich bringe Sie erst ins Hotel und dann direkt Herrn Badstuber ins Krankenhaus.“

„Oh, okay…“ Philipp sah Holger nur an und der zuckte mit den Schultern.

Sie ließen sich einfach mal die Koffer abnehmen und folgten dem netten Menschen, der sich als Herr Stevens entpuppte. Philipp wurde bei einem Hotel unweit vom Krankenhaus rausgeworfen. Das waren keine fünf Minuten zu Fuß.

„Und jetzt?“, fragte er Herr Stevens, „Bleibt Holger da und wann kann ich zu ihm?“

„Er wird morgen Vormittag operiert und ab nachmittags können Sie ihn dann besuchen“, erklärte der Fahrer dem ahnungslosen Kapitän. „Aber steigen Sie jetzt bitte aus? Ich muss Herrn Badstuber noch zum Krankenhaus bringen. Die sind dort eh nicht erfreut darüber, dass er so spät noch ankommt.“

„Ja, klar. Ähm… ich komme dann morgen vorbei“, sagte Philipp noch schnell zu Holger und legte eine Hand auf seinen Arm. „Du packst das. Du wirst sehen, alles wird gut und bald bist du wieder ganz der Alte.“ Er lächelte ein letztes Mal, ehe er regelrecht aus dem Auto gescheucht wurde. Gemeinsam mit seinem Koffer betrat er nun das Hotel. Er hoffte mal, dass das Zimmer auf seinem Namen reserviert war, sonst hatte er ein Problem.

Holger hatte die ganze Zeit über geschwiegen und überließ Philipp das Reden. Dementsprechend genervt war er dann, als dieser aus dem Auto geworfen wurde. Der Blonde konnte bei Philipps Worten nur müde lächeln. Aber vielleicht hatte der Kapitän ja ausnahmsweise mal recht und er würde nach spätestens sechs Monaten wieder mit den anderen auf dem Platz stehen. Holger seufzte, als Herr Stevens ihn in die Klinik brachte und sein Gepäck im Zimmer abstellte, das ihm gleich nach der Ankunft zugewiesen wurde.


An diesem Tag stand nur noch eine Voruntersuchung vor der Operation an, dann war es vorerst geschafft und er konnte sich in München wieder seiner Reha widmen.
Es dauerte kaum eine Stunde da saß Holger auch schon bei diesem Pionier der Kniechirurgie, der alle möglichen Untersuchungen durchführte, um sich dann gegenüber von ihm zu platzieren und ihn ernst anzusehen. Was würde er jetzt wieder zu hören bekommen?
Als Dr. Steadman ausführlich zu erklären begann, wäre Holger am liebsten schreiend weggelaufen. Nicht wegen den vielen Fachbegriffen. Eher, wegen dem, was er da von sich gab. Er könnte selbst anhand der ihm vorliegenden Ergebnisse noch nicht sicher ausschließen, dass es zu Komplikationen kommen könnte. Man müsse sehen, wenn man das Knie öffnete, in welchem Zustand das Kreuzband war und ob es Sinn machte es zu verstärken.
Holger nickte und versuchte dem Arzt weiter zuzuhören. Sein Wissen hörte sich fundiert an und genau das machte dem Innenverteidiger Angst. Der Arzt wusste wovon er sprach. Dieses „wenn“ machte ihn verrückt. Es sollte kein „falls“ oder „wenn“ geben. Er wollte hundertprozentige Sicherheit, aber die konnte ihm selbst Dr. Steadman nicht geben.
Seine letzten Worte. „Auf das beste Hoffen.“ Wie lange hoffte Holger jetzt schon das Beste? Nachdenklich setzte er sich nach dem Gespräch auf sein Bett und blickte aus dem Fenster. Draußen war es stockdunkel geworden. Ob Philipp wohl schon schlief? Unwillkürlich griff er nach seinem Handy. Einige neue Nachrichten. Aber keine von Philipp. Was sollte er ihm auch schreiben, eigentlich war es noch nicht mal so lange her, als sie das letzte Mal miteinander geredet hatten. Oder besser gesagt, Philipp mit ihm gesprochen hatte. Dass er im Flugzeug die ganze Zeit über geschlafen hatte, machte sich jetzt bemerkbar. Holger legte sich recht wach ins Bett und sah umher. Das Zimmer war zwar gemütlich, aber nichts Besonderes. Wie in den etwas schickeren Krankenhäusern in Deutschland eben. Seufzend widmete er sich wieder seinem Handy und ließ das Video, das er von der Meisterfeier gedreht hatte, abspielen. Automatisch zuckten seine Mundwinkel nach oben, als er daran dachte. Besonders die Szene, die er nicht filmte, aber trotzdem in seinem Gedächtnis behielt, ließ ihn schmunzeln. Philipp und er waren so richtig dicht und dann dieser Kuss, weil er gestolpert war. Das war komisch... aber doch schön. Würde er eine unverfängliche Gelegenheit zur Wiederholung haben, würde der Blonde sofort zustimmen.
Holger legte hastig das Handy beiseite und strich sich übers Gesicht. Dachte er jetzt ernsthaft daran wie es wäre Philipp nochmal zu küssen? Dabei war er sich sicher, dass weder er noch der Kapitän etwas mit Männern anfangen wollten. Recht froh war er dann doch, als eine Krankenschwester ihm eine Schlaftablette brachte, damit er vorrangig von diesem abstrusen Gedanken abgelenkt wurde und doch noch einige Stunden ausruhen konnte, anstatt hellwach im Bett zu liegen.


Philipp ließ seinen Koffer achtlos im Zimmer stehen und warf sich erst mal aufs Bett. Wenigstens hatte das schnell geklappt unten an der Rezeption. Aber jetzt lag er hier und war alleine. Holger lag im Krankenhaus, wurde morgen operiert und Philipp hatte nicht die Möglichkeit vorher noch mal mit ihm zu sprechen. Im Flugzeug hatten sie auch nicht über das Kreuzband und die OP gesprochen.
Seufzend erhob er sich wieder. Wenn er das vorher gewusst hätte… er trat ans Fenster und sah hinaus. Allmählich wurde es dunkel. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es Abend war, machte ja auch Sinn. Seine Uhr um das Handgelenk zeigte etwa fünf Uhr an. Waren sie nicht acht Stunden hinterher? Dann war es früher morgen in Deutschland. Er beschloss Claudia eben eine SMS zu schreiben.


//Bin gut angekommen. Mach dir keine Sorgen. Schreibe dir eine E-Mail, in der ich alles erkläre.//


Sehr nett… sie würde sich bestimmt wieder aufregen, dass er keinen Kosenamen verwendet hatte. Seit er sich einmal bei Manu scherzhaft mit „Danke Schatz“ bedankt hatte, war sie immer sauer, wenn er ihr das nicht auch schrieb. Warum wusste er nicht. Verstehe einer die Frauen.
Wieder schaute er raus. Das war ja das Krankenhaus… irgendwie fiel ihm das jetzt erst auf. Ob das Absicht war? Hatte Holger auch ein Zimmer in seine Richtung? Traurig lächelte er. Sollte er ihm noch mal schreiben? Aber was? „Viel Glück“? Das könnte auch komisch rüberkommen. Und „ich denke an dich“ war zwar alles andere als verkehrt, aber doch seltsam.
Philipp ging zu seinem Koffer und packte die nötigsten Sachen aus. Er zog sich sein Schlafshirt an und legte sich mit seinem Tablet ins Bett. Eigentlich sollte er Claudia die versprochene E-Mail schreiben, aber er rief lieber einige Fotos auf. Holger war so glücklich gewesen bei der Meisterfeier. Er konnte wieder trainieren, alles lief gut und das halbe Jahr Zwangspause war endlich beendet. Und jetzt?
„Scheiße, ey“, murmelte Philipp. Er wagte es gar nicht an die Weltmeisterschaft zu denken. Ob Holger bis dahin wieder fit werden würde? Er hoffte es einfach mal. Sie brauchten ihn doch! So gut die anderen auch waren, Holger war nun mal der Beste.
Er lachte leicht. Stimmt, sie hatten ja auch noch Fotos im Auto gemacht. Zwar nur drei, aber immerhin. Allerdings keine von dem Kuss… es gab ihn doch wirklich, oder? Unbewusst fuhr sich Philipp über die Lippen. In gewisser Weise war es schön gewesen. Allein der Gedanke daran ließ sein Herz ein wenig schneller schlagen. Warum? Vor Aufregung? Vor Scham? Vor Freude? Normal war das nicht.
Widerwillig widmete er sich seinen E-Mails. Schnell schilderte er Claudia, warum er hier war und was Jupp Heynckes gesagt hatte. Er konnte nicht mal einschätzen, ob sie sauer war. Vermutlich war sie das. Oder zumindest nicht erfreut, aber da konnte er doch auch nichts für. Er hätte auch absagen können, klar, aber… Moment mal. Das Ticket und auch das Hotelzimmer waren auf seinem Namen gebucht gewesen. War sich Jupp von Anfang an sicher gewesen, dass Philipp fliegen würde? Er hätte doch auch sagen können, dass er lieber bei der Mannschaft bliebe wegen dem wichtigen Finale in London.
Ein Seufzer entwich ihm und er legte das Tablet zur Seite. Wer wusste schon, was in ihrem Trainer vorging?
Der Kapitän drehte sich auf die Seite und igelte sich etwas ein. Er konnte nicht schlafen, hatte er im Flugzeug genug. Aber er wollte auch kein Fernsehen gucken oder im Internet surfen. Der Wecker war gestellt und wenn er Glück hatte würde er auch irgendwann einschlafen.


Am nächsten Morgen war Holger sichtlich angespannt. Er hatte Angst bekommen, die er sonst eigentlich weniger verspürte. Eine gewisse Nervosität gehörte zu jeder Operation, schließlich wusste man nie was passieren würde, aber jetzt im Moment würde Holger gerne die Zeit nach vorne drehen, damit schon alles vorbei war. Oder gleich sechs Monate vorspulen, damit er wieder Fußball spielen konnte. Er hatte diese lange Zeit schon einmal durchgestanden und würde es ein zweites Mal tun. Hoffte Holger zumindest.
Nervös huschten die Blicke des Innenverteidigers immer wieder zur Uhr. Bald war es soweit... Allerdings betrat eine Krankenschwester das Zimmer, die ihm mitteilte, dass die Operation verschoben wurde. Wegen eines Notfalls. Seufzend lehnte sich Holger in seinem Bett zurück und blickte an die Decke. Super. Noch länger zittern und abwarten. Vielleicht sollte er sich mal bei Philipp melden, damit dieser Bescheid wusste, dass die Operation verschoben wurde. Gerade als seine Finger über das Display huschten, kam erneut eine Angestellte und erklärte, dass die OP nun doch zu gegebener Uhrzeit stattfand. Holger nickte nur und steckte das Handy, ohne die SMS zu verschicken, weg. Philipp zu benachrichtigen, konnte er sich ja dann sparen.
Mit gemischten Gefühlen ließ er die nächste Operation über sich ergehen...


Philipp wurde von seinem Handy aus dem Schlaf gerissen. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange er noch wach gewesen war. Allerdings stellte er erst mal seine Armbanduhr um, da die immer noch der deutschen Zeit angepasst war, wie er feststellte. Anschließend duschte er ausgiebig und begab sich zum Frühstück. An der Rezeption ließ er sich einen Stadtplan geben. Er wollte etwas spazieren gehen, solange er darauf wartete, dass die Ärzte fertig wurden. Er wusste allerdings auch nicht, wann er denn dann zu Holger konnte. Deswegen machte er nach dem Essen erst einen Abstecher in Krankenhaus. Die konnten ihm nur sagen, dass die Operation auf zwölf Uhr verschoben wurde und erst mal zweieinhalb Stunden dafür angesetzt waren. Er sollte also um halb Drei wieder kommen. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es gerade mal Viertel nach Zehn war. Na, super.


 

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