Kapitel 150 - Glückszwerg



Holger war da, das hörte Philipp sofort, aber er hörte auch, dass er nicht besonders glücklich zu sein schien.


Nach dem Herein sah Holger wieder konsequent in sein Buch, doch die Buchstaben und Sätze sowie das daraus resultierende Geschehnis, die er da las, drangen nicht zu seinem Gehirn vor. Er verstand die Zeilen nicht, weil er sich nicht darauf konzentrieren konnte.


Philipp öffnete die Tür, gab sich aber noch nicht zu erkennen, als er folgende Worte sagte: „Ein bisschen mehr Begeisterung bitte.“

Erst danach steckte er den Kopf durch die Tür. Er konnte gar nichts gegen das breite Grinsen in seinem Gesicht tun. Es war einfach da. Er freute sich aber auch so ungemein hier zu sein und Holger noch zu sehen, ehe er in den OP geschoben wurde. Das würde ihm sicher Kraft geben. Und genau deswegen war er ja hier. Zwar etwas verspätet, aber besser spät als nie.


Aus dem Gemisch Lesen und Zuhören entwickelte sich eine eher unaufmerksame Mischung, weswegen Holger einige Sekunden lang brauchte, um zu realisieren, wessen Stimme da gerade an seine Ohren gedrungen war. „Phil...“, formten seine Lippen stumm den Namen seines Liebsten. Der Blick zur Tür gab endgültigen Aufschluss über seine Anwesenheit, obwohl er ihn fast so ansah wie damals im Flugzeug, als er sich plötzlich neben ihn gesetzt hatte. So völlig unerwartet traf ihn der Überraschungsgast auch. Einen Moment lang hatte er noch gedacht, er war vielleicht schon im OP-Saal und träumte das nur, aber schnell stellte er fest, dass er sich noch bei vollem Bewusstsein und in der Realität befand. „Philipp“, wieder kam der Name, diesesmal sogar mit Ton, über seine Lippen. Er blinzelte zwei-dreimal, ehe er das Buch weglegte und sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Ein Lächeln, das erleichtert wirkte, weil eine seiner Ängste auch darin bestand, alleine aufzuwachen und da durch zu müssen. Aber jetzt war Philipp da, der ihm Halt geben würde. Wieso er da war und wie es sein konnte, dass er trotz des Trainings bei ihm sein durfte, stellte er nicht. Er war einfach nur glücklich. Glücklich, froh, erleichtert und vor allem überwältigt.


Philipp grinste als er dieses total verdutzte Gesicht sah. Genau das hatte er doch erwartet und haben wollen.
„Gut erkannt.“ Er schloss die Tür hinter sich und ging auf das Bett zu. Mit jedem Schritt, den er näher kam, gingen Holgers Mundwinkel weiter nach oben. Ein schöner Anblick. Er mochte es nicht seinen Holger traurig zu sehen.


Es tat so gut Philipp zu sehen und je näher er kam, desto schneller klopfte Holgers Herz. Er hatte sich damit abgefunden, dass eine Berührung ihrer Lippen erst in gut einem Monat wieder möglich sein würde und jetzt war er hier bei ihm in Vail. So plötzlich und ganz ohne Vorwarnung. Wie lange er das wohl schon geplant hatte?

Holger grinste Philipp ungläubig an und schüttelte leicht den Kopf. Der Kapitän war einfach unglaublich. Er konnte das gar nicht beschreiben, wie es sich anfühlte, wenn Tausende von Schmetterlingen in seinem Bauch herum flatterten. Eben noch hatte er sich Gedanken gemacht, warum Philipp nicht antwortete und jetzt stand er hier so dicht vor ihm, dass er seinen Atem bereits auf seiner Haut spüren konnte.


Der Kapitän legte den Bilderrahmen auf dem kleinen Nachtschrank ab und widmete sich Holger. Er suchte den Blick in die tiefblauen Augen, während er seine Hände an Holgers Wangen legte und ihn dann kommentarlos küsste. Wie lange hatten sie sich jetzt nicht geküsst? Viel zu lange nicht, immerhin war Holger schon vor mehreren Tagen in den Urlaub geflogen. Aber er sah gut aus, hatte etwas Farbe bekommen. Und doch merkte man ihm die Sorgen und die Angst an. Etwas, was Philipp ihm hoffentlich nehmen konnte.


Holger konzentrierte sich völlig auf Philipps Gesicht, sodass er nur am Rande wahr nahm, dass der Ältere irgendetwas auf den Beistelltisch legte. Auch er dachte nicht mehr an das Geschenk, das er auf den Seychellen gekauft hatte.
Wie sehr hatte er diese warmen Augen, in denen er so schön versinken konnte und zum Träumen anregte, vermisst. Doch als er die Lippen spürte, schloss er intuitiv seine Augen und streichelte über Philipps Kopf.


Als sie sich lösten, musterte Holger den Älteren und trotz des Lächelns fiel ihm auf, dass er irgendwie müde wirkte. Er schob es auf den anstrengenden Flug, den er offensichtlich hinter sich gebracht hatte, um nach Vail zu kommen.


Ich freue mich dich zu sehen“, flüsterte Philipp verliebt.


Holger schmunzelte. Freude war für ihn gar kein Ausdruck. „Ich bin froh, dass du da bist.“ Der Innenverteidiger war ehrlich, denn er hatte die ganze Zeit über große Angst, die Philipp durch seine Anwesenheit doch etwas mildern konnte. „Aber wieso...?“, brach Holger ab. Er rutschte zurück in eine sitzende Position und klopfte auf das Bett. Die stumme Aufforderung, dass er sich setzen sollte.


Das konnte er Holger ansehen, was Philipp irgendwie niedlich fand. Sofort setzte er sich auch zu ihm auf die Bettkante und griff nach seiner Hand. Die Finger verschränkte er und lächelte ihn an.


Wie kommt es, dass du hier sein darfst?“ Holger hatte so viele Fragen. „Seit wann weißt du es, dass du mir Gesellschaft leisten kannst?“ Das interessierte ihn sehr. Ob er ihn wohl die ganze Zeit über hat zappeln lassen, um ihn zu überraschen? „Ich hab nicht mit dir gerechnet“, gab er lächelnd zu und konnte diesen verliebten Blick nur erwidern.


„Ich wusste es schon eine ganze Weile, aber wollte es dir nicht sagen, um dich zu überraschen. Wobei es ziemlich schwer war manchmal.“ Jetzt grinste er etwas. „Ich hätte es dir gerne eher gesagt, aber dann wäre es halt keine Überraschung mehr gewesen. Ich kann leider auch nicht ganz so lange bleiben, aber das ist mir egal. Ich bin froh überhaupt hier zu sein.“
Jetzt hob er die verschränkten Hände an und küsste Holgers Handrücken. „Ich konnte dich nicht alleine lassen.“ Nicht, wo er doch genau wusste, wie groß Holgers Angst war. Eine Angst, die er ihm jetzt hoffentlich genommen hatte.


Holger nickte verstehend und lächelte sogar. Die Überraschung war sowas von gelungen und irgendwie fand er es auch schöner, dass er sich jetzt so unerwartet freuen durfte. Natürlich hätte es ihm einiges an Sehnsucht und Angst erspart, wenn er schon vorher davon gewusst hätte, aber so war es umso schöner, dass jemand bei ihm war und der Grund dafür war, dass sich spontan seine Mundwinkel wieder nach oben zogen. Das war wieder einer der Momente, in denen er nichts gegen das aufkommende Gefühl von Sicherheit tun konnte, die ihn unwahrscheinlich glücklich sein ließen.

Sein Blick ging zu den Händen, bekam die Lippen des Älteren auf der Haut zu spüren und lächelte ihn zufrieden an.
„Wie lange kannst du denn bleiben?“, hakte er interessiert nach. Philipp konnte ihn aber gar nicht mehr enttäuschen. Natürlich würde es Holger mehr freuen, wenn der Ältere ganz lange bei ihm bleiben könnte, aber da dieser Gedanke unrealistisch war, fieberte er auch einer Antwort im Stundenbereich entgegen.


Ich muss Mittwoch zurück und fliege dann direkt nach Manchester zur Mannschaft“, erklärte Philipp Holger. „Ich bin aber froh, dass ich überhaupt hier sein kann.“


„Wie hast du Pep überzeugt?“ So normal war es ja nun auch nicht, dass sein Kapitän einfach mal nach Vail fliegen durfte.

Das weiß ich auch nicht so genau. Ich habe ihn vor einem Training gefragt und danach hat er mich zu sich ins Büro bestellt… ich glaube, er weiß, dass ich es ernst gemeint habe und sonst nicht gefragt hätte, wenn es mir nicht wichtig gewesen wäre.“


Holger war froh, dass er wenigstens auch einen Tag nach der Operation bei ihm sein konnte. Es war keine lange Zeit, doch von dieser Nähe konnte er zehren. Musste es sogar, wenn er einigermaßen gesund wieder den Rückflug nach München antreten wollte. Und das wollte er. Philipp sollte sich einfach keine Gedanken mehr machen müssen und sich auf das Spiel konzentrieren. Dennoch ehrte es ihn, so viel Platz in seinem Kopf und in seinem Herzen einzunehmen, was die Aussage, wie Pep es erlaubt hatte, zusätzlich bekräftigte.

Ihn stimmten die Worte aber auch nachdenklich, was sich auch in seiner Mimik zeigte. Hatte sich Philipp so große Sorgen um ihn gemacht? Er hatte sich doch bemüht und ihm versichert, dass er sich nicht sorgen musste. Anscheinend nicht überzeugend genug.
Wenigstens jetzt wollte er ihm aber ein gutes Gefühl geben, dass er sich zumindest jetzt keine Sorgen mehr machen musste.


Philipp lächelte Holger an, aber dieser wirkte nachdenklich. „Was ist denn los?“, fragte er vorsichtig nach. Er konnte sich nicht wirklich einen Reim auf dieses Gesicht machen. Dachte er an etwas, was die Operation betraf, oder war in den letzten Wochen etwas vorgefallen, wovon er noch nichts mitbekommen hatte?


Ich hab nicht gewollt, dass du dir soviele Sorgen machen musst. 18 Stunden im Flugzeug sind nun mal Strapazen...“ Holger wusste ja nichts von den Komplikationen und Verspätungen, die Philipp hinter sich hatte. Würde er es wissen, wäre das schlechte Gewissen noch größer. Aber all das waren schlechte Gedanken, die er nicht brauchen konnte. Er sollte sich einfach nur noch auf seine Freude und Erleichterung über Philipps Anwesenheit konzentrieren.


Philipp wollte erst etwas erwidern, ihm sagen, dass er noch mehr Strapazen hinter sich hatte und sie eigentlich mehr Zeit gehabt hätten, aber das verschwieg er lieber. Holger würde sich womöglich Vorwürfe machen und außerdem ging es ja nicht darum. Es ging um die OP und darum, dass er hier war. Egal wie lange. Also lächelte er bloß milde. „Du weißt, dass ich das gerne mache.“
Damit war die Diskussion hoffentlich beendet, denn sie war unnötig. Philipp war jetzt hier und damit war es gut.


Holger war froh, dass er das mittlerweile wusste. Philipp war gerne bei ihm, viel zu oft hatte er ihm in der Vergangenheit das wieder und wieder sagen müssen, bis es endlich mal bei dem Jüngeren angekommen war.


Jetzt wo du da bist, weiß ich, dass alles gut gehen wird.“ Holger lächelte erst zögerlich, denn so ganz überzeugt war er immer noch nicht, aber es ging ihm sowieso mehr um den Halt, den er nach einer eventuell missglückten Operation brauchen würde.
Holger beugte sich vor und küsste nochmals seine Lippen. Er brauchte diese Nähe gerade, was ihn aber gleichermaßen zum Schmunzeln brachte. Das letzte Mal hatte er Philipp von sich gestoßen. An sich keine schöne Vorstellung, doch wenn man sie jetzt betrachtete, wirkten diese Ereignisse wie frei erfunden, um ihre Geschichte spannender zu gestalten.


Holger atmete zufrieden ein, nahm den angenehmen Duft des Älteren dabei wahr und lächelte. Er hatte wirklich nicht daran geglaubt, dass er das vor der Operation noch konnte.


Nach diesen Worten lächelte Holger und küsste Philipp, was dieser irgendwie zufrieden zur Kenntnis nahm. „Genau deswegen bin ich hier“, erwiderte er, lehnte seine Stirn an Holgers. „Und ich werde wieder an deinem Bett sitzen, wenn du aufwachst. Du kannst dich auf mich verlassen.“


Holgers Hand rutschte von Philipps Kopf und platzierte sich an seiner Wange. Das Versprechen, das Holger als eines interpretierte, veranlassten ihn dazu sanft mit dem Daumen über die warme Haut des Älteren zu streichen. „Ich liebe dich.“ Leicht stupste er seine Nase an Philipps. „Das beruhigt mich ungemein. Die Sicherheit, dass du da bist und meine Hand hältst. Egal, wie die OP auch ausgeht.“


Philipp liebte die Berührungen Holgers und die weiche Stimme, die ihm seine Gefühle offenbarte.

Ich weiß. Deswegen bin ich auch hier.“ Die Worte wurden durch ein ehrliches und vor allem verliebtes Lächeln unterstrichen. Ob er wohl auch hier wäre, wenn er ihn nicht leben würde, sondern bloß ein Freund von ihm wäre? Das war eine gute Frage, aber eben auch eine, um die er sich nicht scheren musste, denn die Situation gab es ja gerade einfach nicht.


Philipp gab ihm die Kraft, die er brauchte und das wollte er ihn auch spüren lassen. Auch wollte er ihm unbedingt noch zeigen, dass er auch im Urlaub an ihn gedacht hatte. Wobei das dem Älteren sowieso klar sein musste. „Ich hab dir von den Seychellen was mitgebracht“, fing er an und löste sich von Philipp, um nach dem Anhänger, den er rasch mit seinen Händen umschloss, zu greifen, damit der Ältere ihn nicht vorher begutachten konnte.


Oh, echt?“ Sofort wurde er neugierig. Was es wohl war? Neugierig versuchte er einen Blick auf das Mitbringsel zu erhaschen, vergeblich.


Eigentlich wollte ihn noch einpacken und gedacht, ich hab noch ein wenig Zeit...“ Holger schaute auf seine geschlossene Hand und schmunzelte. Einpacken hin oder her, so war es ihm tausend Mal lieber.
„Ich hab den Anhänger gesehen und musste sofort an dich denken. Hoffe, er gefällt dir.“ Er nahm mit der freien Hand Philipps und legte dann den Anhänger hinein. Dieser stellte einen kleinen, wirklich hübschen und schmeichelhaften Gartenzwerg dar, der einen Fußball unter seinem rechten Bein festhielt. Die verschiedenen Edelsteine, die den Fußball besetzten, glitzerten im Licht und auch der besonders große Stein, der sozusagen der Bommel an der Mütze des Zwerges sein sollte, ließen den Anhänger sehr wertvoll erscheinen. Das war das Unikat aus den Seychellen auch, genau wie all die Edelsteine echt waren.  


Philipps Blick lag auf seiner Hand und war überrascht. „Ein Zwerg?“ Er nahm ihn auf und hielt ihn sich vor das Gesicht, um ihn besser begutachten zu können. Er erkannte den Ball und die Edelsteine. Ihm lag schon die Frage auf der Zunge, ob sie etwas zu bedeuten hatten, als Holger ihm diese Frage beantwortete.


Ja, ein Zwerg“, bestätigte Holger ihm nickend. Das passte doch. „Du hast mir doch mal Schneewittchen erzählt, weißt du noch?“ Das Grinsen wurde stärker, denn er hoffte, dass dem Älteren klar werden würde, dass der Anhänger für so vieles stand.


Schneewittchen? Stimmt da war mal was. Leise lachte Philipp als er daran zurückdachte. Er hatte es fast schon wieder vergessen. Dieser Abend war ja auch schon eine Weile her.

Der große Edelstein hat die Farbe deiner Augen“, merkte Holger an.


Durchaus überrascht sah Philipp Holger an. „Du bist süß“, schmunzelte er und beugte sich vor, um ihn zärtlich zu küssen. „Vielen Dank. Der Anhänger ist echt schön.“ Noch schöner war aber die Botschaft dahinter. Wobei er ja nicht der Einzige mit einer Botschaft war.


Unterstrichen von diesem Grinsen wertete Holger das als vollen Erfolg und Glücksgriff.


Der Kapitän griff zu seinem eingepackten Geschenk. „Ich habe dir auch etwas mitgebracht.“ Er reichte Holger den Bilderrahmen mit dem Foto von ihnen beiden. Hoffentlich würde es ihm gefallen.


Das Geschenk, das er eben schon auf dem Tisch hat liegen sehen, rückte als nächstes in den Mittelpunkt. Er spürte, dass es sich um etwas hartes handeln musste, tippte aber nicht sofort auf einen Bilderrahmen. „Du weißt, dass du das nicht gebraucht hättest“, murmelte er lächelnd. Es war doch sowieso das schönste Geschenk, dass der Kapitän extra den langen Weg zu ihm geflogen war, nur um ihm die Angst zu nehmen und ihm beizustehen. Dennoch war er neugierig, was genau sich in diesem Geschenk befand.


Ich weiß, aber ich hab es gerne gemacht“, erwiderte Philipp. Holger musste das inzwischen doch wissen. Außerdem gehörte es so. Der Ältere war gut erzogen und wenn man jemandem im Krankenhaus besuchte, brachte man dieser Person etwas mit. Und Holger, den er ja nun mal liebte, erst recht.


Holger bezweifelte nicht, dass ihm das Geschenk richtig gut gefallen würde und er wusste ja, dass Philipp ihn wohl immer etwas mitbringen würde. Obwohl er schon hoffte, dass das jetzt erstmal nicht mehr sein musste. Krankenhausaufenthalte waren alles andere als schön. Geschenk hin oder her. Er war gerade dabei den Klebestreifen abzuziehen, als nach einem Klopfen die Tür aufging und sein Blick automatisch dorthin ging.


Herr Badstuber, wir wären soweit.“


Als die Tür aufging, drehte er den Kopf. Jetzt schon? Schade, er war doch gerade erst gekommen, aber es war besser so. Je eher die OP beendet war, desto besser.


„Einen Moment noch, ja?“


Die Krankenschwester nickte und schloss die Tür wieder. Das Geschenk lag immer noch eingepackt in seinen Händen. „Ich werds nach der OP öffnen. Dann hab ich was auf das ich mich freuen kann“, entschied er sich mit vorfreudigen Blick auf sein Geschenk, ehe ihm etwas anderes, worauf er sich auch noch freuen konnte, in den Sinn kam. Philipp. Der Mann, der immer wieder dafür sorgte, dass er trotz seiner Verletzungsmisere lächelte. „Aber am meisten freue ich mich immer noch auf dich“, stellte er direkt klar, nicht dass Philipp dachte, dass er nur das Geschenk haben wollte. „Du wartest nicht hier, oder?“ Holger sah den Kapitän an und strich über seine Wange, streifte dabei mit dem Daumen die feinen Falten unter seinen Augen. „Ruh dich im Hotel aus.“ Auch, wenn es ihm lieber war, wenn Philipp im Krankenhaus wachte, zeigte er sich vernünftig. Philipp konnte man die Strapazen des Fluges nämlich ansehen und er wollte nicht an dieser Abgeschlagenheit Schuld sein. Vor allem aber, was sollte er über vier Stunden hier sitzen und Löcher in die Luft starren?


Philipp wollte bei Holgers Worten schon protestieren, als dieser meinte, dass er sich am meisten auf ihn freute. Er schloss die Augen kurz, als Holger seine Wange berührte. „Sehe ich so schlimm aus?“ Er hatte gedacht, es wäre besser geworden, aber nach den letzten Stunden war es kein Wunder, dass er schlecht aussah.


Du bist schön wie immer“, hauchte er. „Aber du siehst etwas geschafft aus.“ Es war ihm sowieso unangenehm genug, dass er wegen ihm so viele Strapazen auf sich nahm, auch wenn ihm wiederum genau das schmeichelte. Da konnte Philipp auch sagen was er wollte, dass er das gerne für ihn in Kauf nahm. Holger wollte dennoch nicht der Grund dafür sein, dass Philipps Rhythmus aus dem Takt geriet.


Schleimer“, wisperte Philipp leise, lächelte dazu verlegen. Er mochte es, wenn Holger ihm so was sagte. Er war sehr gerne in seinen Augen schön. Aber in diesem Moment wusste er, dass er nicht so schön war wie sonst, egal was Holger auch sagte.

Aber keine Sorge. Ich gehe ins Hotel. Ist Schwester Anna noch da? Dann sage ich ihr, sie soll mich anrufen, sobald die OP beendet ist, okay?“ Jetzt war es an ihm dem anderen über die Wange zu streichen. Er beugte sich vor, küsste Holger und lehnte seine Stirn an die des Jüngeren. „Alles wird gut, ganz sicher. Wir werden wieder zusammen auf dem Platz stehen, du wirst schon sehen.“


Noch ehe er antworten konnte, dass Schwester Anna da sein müsste, kam es zu einem zärtlichen Kuss. Wohl der letzte vor der Operation, wie Holger vermutete. Für den kurzen Moment des Kusses konnte er die OP, das Krankenbett und alles um ihn herum ausblenden.
Die Frage nach Schwester Anna beantwortete sich anschließend von selbst, denn die herzliche Krankenschwester stand plötzlich im Raum und grinste verschmitzt. Holger schob Philipp schweren Herzens sanft von sich und räusperte sich. Hatte sie angeklopft? Eigentlich war das eher nebensächlich. Fakt war, dass sie den Kuss wohl gesehen haben musste, wenn er das verschmitzte Lächeln richtig deuten konnte.


Philipp hatte Schwester Anna erst gar nicht bemerkt. Erst als er Holgers Blick folgte, sah er sie und erschrak sich sogar leicht. Beschämt rückte er von Holger ab, so war das nun nicht gedacht gewesen.


„Entschuldigung. Ich wollte nicht stören“, entschuldigte sich Schwester Anna und ging freudestrahlend auf Philipp zu. „Es freut mich, Sie wiederzusehen, Herr Lahm!“


Die Krankenschwester ließ sich nichts anmerken, was es für den Innenverteidiger aber irgendwie nur unangenehmer machte. Hatte sie nun was gesehen oder nicht?


Ja, es ist auch schön Sie wieder zu sehen“, sagte er ehrlich und schüttelte ihr die Hand. Irgendwie wusste er nicht, was er zu der ersten Aussage sagen sollte. Sie wollte nicht stören, aber sie hat es offensichtlich.


„Ich freue mich wirklich auf ein Pläuschen, aber ich muss Ihnen Herrn Badstuber jetzt erst entführen.“ Sie zwinkerte Philipp zu und er kam nicht umher rot zu werden.


Sein Blick ging etwas unsicher zu Holger. Erst zu spät fiel ihm auf, dass er ihm deswegen keine zu schlechten Gedanken machen sollte. Nicht vor der OP.


Wahrscheinlich war das erschrockene Verhalten der beiden zusätzlich verräterisch. Sie konnten aber von Glück reden, dass es sich „nur“ Schwester Anna handelte. Sie war eine herzensgute Frau, die ihnen bestimmt nichts böses wollte. Dennoch war es aber seltsam für den Innenverteidiger und es besserte sich nicht, als Philipp ihn voller Unsicherheit ansah. Wahrscheinlich dachten sie gerade genau das selbe und fragten sich beide, ob sie was gesehen hatte oder eben nicht.


Philipp ging also zu ihm und zog ihn in eine freundschaftliche Umarmung. „Ich bin da, wenn du aufwachst“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Das wird alles wieder. Mach dir keine Sorgen.“


Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in dem Blonden aus und er war anfangs gar nicht empfänglich für die Arme, die sich um seinen Körper legten und ihn an sich drückten. Eine demonstrativ freundschaftliche Umarmung, die er erst langsam erwiderte, ehe er sich regelrecht an ihn klammerte. Er schloss seine Augen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Er musste sich bewusst machen, dass er jetzt sowieso nichts mehr ändern konnte an seinem Schicksal. Theoretisch konnte er noch fliehen und einfach mit Philipp nach Deutschland fliegen, aber der Verteidiger brauchte diese Operation, um seinen Traum wieder leben zu können.


Philipp spürte während dieser Umarmung wie sehr Holger ihn doch hier brauchte. Die Entscheidung, dass er hergeflogen war, war wirklich richtig gewesen. Verdammt richtig sogar.

Ich verlass mich auf dich“, lächelte er schwach und strich über Philipps Rücken, bevor er Stück für Stück lockerer ließ und sich schließlich ganz von ihm löste. Die Arme hatten ihm Schutz geboten, sollten ihm auch weiter Schutz bieten, aber das ging nicht.


Seien Sie unbesorgt“, meldete sich auch Schwester Anna zu Wort. Irgendwie richtete sie die Worte an beide. „Ich bringe Herrn Badstuber in den OP und danach habe ich eine halbe Stunde Pause. Wollen Sie vielleicht mit mir einen Kaffee trinken?“, bot sie Philipp an.


Die Frage nach dem Kaffee überraschte den Kapitän. Wollte sie auf etwas Bestimmtes hinaus? Wegen dem Kuss? Vielleicht war es ganz gut, wenn er ihr direkt sagen konnte, dass sie das nicht weiter erzählen sollte.

Würden Holgers Gedanken nicht gerade rund um die Operation kreisen, hätte er die Tatsache, dass Schwester Anna mit Philipp gemütlich einen Kaffee trank, während er solche Qualen erleiden musste, sicher nicht so einfach hingenommen und sie unkommentiert gelassen. Es kam noch zusätzlich ein Pfleger ins Zimmer, der die Tür weit öffnete, damit das Bett durchpasste.


„Warten Sie doch einfach im Aufenthaltsraum, da dürfte sich sowieso gerade niemand der Patienten aufhalten“, schlug Schwester Anna vor. „Oder wollen Sie hier im Zimmer bleiben?“

Ihr war es egal, wo sie sich mit den kleinen Kapitän unterhalten konnte. Sie wollte ihn unbedingt zu Jupp Heynckes befragen, denn sie mochte den älteren, ihr so sympathisch wirkenden, Ex-Trainer Bayerns.


Der Pfleger löste die Feststellbremse des Krankenbettes, damit sie es problemlos schieben konnten. Holger ließ sich schwer seufzend in die Kissen sinken und versuchte sich seine aufkommende Panik nicht allzu sehr anmerken zu lassen, damit er Philipp nicht schon wieder so viele Sorgen machen würde.


„Okay, ich warte dann im Aufenthaltsraum“, nickte Philipp lächelnd, doch so ruhig, wie er sich gab, war er nicht. Er wurde ganz schön nervös.


Schwester Anna brachte ihn nur zur sogenannte Schleuse, während der Pfleger ihn direkt mit hinein brachte, ihm das entsprechende OP-Hemd reichte und ihn allgemein auf die Operation vorbereitete.
Alles was der Innenverteidiger noch bewusst miterlebte, war die Lagerung seiner Beine, das Legen des Venenanschlusses für das Narkosemittel und das Anschließen an den Monitor, der während der gesamten Operation die Kreislaufwerte überwachte. Danach ging alles ganz schnell. Gerade, als er die Spritze an seinem Arm erblickte, schlossen sich auch schon seine Augen und er sank innerhalb Sekunden in einen tiefen Schlaf.

Währenddessen war Schwester Anna zurück auf dem Weg zu Philipp.

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Peanut (Mittwoch, 09 Dezember 2015 23:04)

    Ein richtiges Deja-vú Erlebnis die Beiden wieder in Vail zu sehen^^
    Danach hat er's dann auch endlich mal wieder rum mit OPs :)
    Na dann mal schauen ob Schwester Anna wirklich nur über Jupp spricht!
    Lg

  • #2

    Mailiw Alba (Mittwoch, 03 Februar 2016 21:21)

    Hei, ich fange mal wieder an eure FF zu lesen. Ich habe die letzten Kapitel ja nicht mehr reviewt, meist aus unkreativ was ich dazu sagen soll und Faulheit und auch kaum Zeit, war im Praktikum.
    Aber ich hoffe das die OP gut verlaufen wird und ich bin mal gespannt was Anna und Fipsel zu besprechen haben.