Kapitel 57 - Silberstreif



Den nächsten Tag verbrachten sie morgens in der Hotelanlage und nachmittags am Strand. Entspannen, lesen, schlafen, einfach mal nichts tun.
Als die Frauen aber im Meer zum Schwimmen waren, versuchte Bastian noch mal sein Glück. Er wollte nicht locker lassen und vielleicht bekam er ja doch nüchtern noch was aus Philipp heraus.

„Hat Holger dir eigentlich mal geschrieben?“

„Kannst du auch mal von was anderem reden?“, murrte er direkt. Immer wieder nur dieses Thema. Was sollte das denn?

„Wenn du mir gescheite Antworten geben würdest schon“, gab Bastian zurück. Beide lagen auf dem Bauch gedreht auf ihren Handtüchern. Der Mittelfeldspieler stützte sich aber jetzt etwas auf und richtete den Blick auf Philipp, der den Kopf weggedreht hatte. „Warum habt ihr hier keinen Kontakt? Was ist denn vorgefallen?“

„Nichts.“

„Das glaube ich dir nicht.“

„Dann ist das aber dein Problem.“ Langsam reichte es Philipp. Bastian sollte endlich mal seinen Mund halten. War es so schwer zu verstehen, dass er da nicht drüber reden wollte?

„Und dieses Problem will ich lösen. Phil, du warst die ganze Zeit bei ihm und hast dich um ihn gekümmert. Du wolltest sogar gar nicht mitfliegen! Und jetzt meldest du dich nicht mal bei ihm? Das ist doch komisch.“

Philipp stemmte sich ebenfalls auf und funkelte Bastian sauer an. „Weil ich ihm eine Ohrfeige gegeben habe, verdammt! Wir haben uns gestritten. Und jetzt hör bitte auf darüber zu reden. Danke!“ Er legte sich wieder hin und schloss die Augen. Sein Herz schlug schneller. Er war aufgewühlt. Jetzt wusste Bastian Bescheid und hielt hoffentlich den Mund!

Das tat er. Überrascht sah er Philipp an und schwieg lieber. Das hatte er nicht gewusst. Aber, wenn Philipp ihn sogar geschlagen hatte, dann musste Holger wirklich etwas sehr… Unschönes gesagt haben. Normalerweise war der Kapitän ja nicht so aggressiv, aber er kannte auch Holger und der konnte wirklich mit fiesen Sachen um sich werfen. Aber dafür musste Philipp ihn vorher verletzt haben. Bastian würde aber nicht nachfragen. Er hatte die Befürchtung, dass Philipp ihn dann auch schlagen würde oder einfach abhauen würde. Und wie sollte er das den Frauen erklären? Da schwieg er doch lieber.


Die nächsten Tage verliefen schweigend im Hause Badstuber. Ute sagte gar nichts mehr. Aus Angst Holger könnte wieder aus der Haut fahren, aber das konnte eben auch nicht ewig so weitergehen. Sie musste sich was einfallen lassen, um ihren Bruder aus diesem dunklen Loch der Hoffnungslosigkeit zu befreien. Sogar Hermann, der am gestrigen Tag ein Gespräch mit ihm suchte, blockte ab.

~*~


Die restlichen Tage verstrichen und irgendwann war schon der letzte Abend gekommen. Sie würden morgens fliegen und demnach abends in München ankommen. Jetzt saßen sie aber erst mal bei ihrem letzten Abendessen.

„Ach ja… der Urlaub war schon toll“, seufzte Sarah. Sie hatte eine gesunde, braune Farbe bekommen und an den wunderschönen Stränden wirklich einfach mal viel entspannt.

„Oh ja, das war er wirklich“, nickte Claudia und lächelte ihren Mann an. In ihren Augen war der Urlaub perfekt gewesen. Endlich hatte sie Philipp für sich gehabt.

Bastian nickte ebenfalls mit vollem Mund. Er brauchte einfach nur etwas Ruhe für seinen Urlaub. Zwar hatte er sich gehofft mehr aus Philipp rauszubekommen, aber eigentlich hätte er schon vorher wissen müssen, dass dem nicht so sein würde.
Und Philipp? Der grübelte darüber nach, wie das werden sollte, wenn er wieder in Deutschland sein würde. Sollte er einfach zu Holger fahren? Ihm schreiben, dass er wieder da war? Er wusste es nicht. Er wollte nicht ankommen, aber eigentlich wusste Philipp, dass der Jüngere von ihnen das erst recht nicht tun würde. Würden sie beide bockig bleiben, wäre das alles andere als gut.

Stumm seufzte der Kapitän, nickte aber. „Ja, das war echt gut und hab ich auch mal gebraucht.“ Ob dem wirklich so war, vermochte er nicht zu sagen. Er wäre nie mit Holger aneinander geraten… doch, wäre er, immerhin ging es um Jupp und nicht um den Urlaub als sie sich zuletzt gestritten hatten. War doch alles bescheuert!

Nach dem Essen gingen sie direkt auf ihre Zimmer. Sie mussten früh raus am nächsten Morgen und wollten nicht zu spät kommen, denn so schön es im Urlaub auch war, Zuhause war es doch immer noch am Schönsten.

~*~


Ute klopfte unsicher an die Tür des Gästezimmers und atmete tief durch, ehe sie die Klinke nach unten drückte. Im Zimmer war es schon relativ dunkel und Holger lag unverkennbar schlafend in seinem Bett. Ein fast schon trauriges Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht, als sie leise auf ihn zu tapste und sich vorsichtig an die Bettkante setzte.
„Ach Holger... was soll ich bloß mit dir machen?“, murmelte sie. Aber sie war in diesem Zimmer nicht die einzige, die etwas murmelte. Auch Holger, der zu träumen schien, nuschelte etwas vor sich hin. Ob es ein angenehmer Traum war, wusste sie nicht, aber darauf konnte sie sich auch nicht mehr konzentrieren, denn ihr Bruder sprach von Philipp. Seinen Namen konnte sie deutlich heraushören, die weiteren Worte verstand sie nicht so wirklich. Die beiden musste mehr verbinden, als nur das bloße Kollegen-, vielleicht sogar Freundedasein.

„Ich... wollte das nicht sagen...“, murmelte er und drehte sich leicht, während Ute ihre Augenbrauen zusammenzog.

Was wollte er nicht sagen? Es musste ja was vorgefallen sein zwischen den beiden. Nur was war das denn? Was hatte Holger zu Philipp gesagt?

„Holger... hey, wach auf“, flüsterte sie und rüttelte leicht an der Schulter ihres Bruders, der nur langsam zu sich kam.

Aufschreckend fuhr er in die Höhe und sah sich erstaunt um.
„Was ist denn?“, fragte er schließlich und fuhr sich angestrengt übers Gesicht.

„Du hast wohl schlecht geträumt... von Philipp oder so. Da wollte ich dich aufwecken.“

Allein sein Blick sprach schon wieder Bände. „Sag mal, was willst du eigentlich? Ist die Re-Ruptur nicht schon schlimm genug? Nein, du musst mich natürlich immer wieder auf Philipp ansprechen. Macht es dir Spaß mich damit zu ärgern? Ich hau morgen ab, ich hab da keine Lust mehr drauf...es -“

„Habt ihr euch zerstritten? Du hast irgendetwas gemurmelt, dass du das nicht sagen wolltest. Was hast du denn gesagt?“

„Das war Mist! Der Traum war Schwachsinn! Genauso wie die verbrachte Zeit mit Philipp in Vail scheiße war. Und ja, wenn du es wirklich wissen willst: Wir haben uns gestritten, weil er mein Vertrauen missbraucht hat.“

Je mehr Holger betonte, dass alles was mit Philipp zusammenhing blöd war, umso klarer wurde Ute, dass das komplette Gegenteil der Fall war. Sie erkannte ihren Bruder aber kaum wieder. Klar, auch bei seinem ersten Kreuzbandriss war er alles andere als begeistert, aber dass er jetzt so abdriftete und sogar seine Karriere beenden wollte, schockte sie.

„Ich kann dich morgen nach München fahren. Zur Reha, du musst da unbedingt dran bleiben.“ Über Philipp zu reden, brachte sie sowieso nicht weiter. Holger war so ein sturer Esel!

„Wieso sollte ich?“ Holger lachte höhnisch auf. „Damit mein Kreuzband nach sechs Monaten ein drittes Mal reißt? Ach nein, ich hab ja im Moment gar keins.“

„Red doch nicht so einen Unsinn“, gab Ute zurück.

„Die anderen gewinnen und feiern das Triple und ich? Ich...“, schnaubte er und drehte seinen Kopf weg, sprach den Satz nicht zu Ende, da er bemerkte, wie Ute aufstand und ihn traurig ansah.

„Ich dachte wirklich der Fußball wäre dir wichtiger. Du bist nicht Profi geworden, weil nur du das wolltest. Das Versprechen, das du Papa gegeben hast... weißt du noch? Er wäre so unglaublich stolz auf dich. Nicht nur, weil du in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern einen Stammplatz hast. Nein, weil du immer kämpfst. So wie nach dem ersten Kreuzbandriss. Keine Ahnung, was jetzt plötzlich mit dir passiert ist.“

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, da sie merkte, wie Tränen in ihren Augen aufkamen. Es war so ein erbärmlicher Anblick Holger so zu sehen und sie war vollkommen verzweifelt. Ratlos lehnte sie sich in der Küche an die Wand und warf einen Blick auf ihr Handy. Vielleicht war es Zufall, vielleicht auch eine Eingebung, aber sie griff nach eben jenes und rief Philipps SMS nochmal auf. Wie lange blieb er denn in Hawaii? Wenn sie Hermann richtig verstand, müsste er morgen wieder in München sein...
Sie zögerte nicht, ließ ihre Finger über das Display huschen und brauchte gar nicht zu überlegen, was sie Philipp schreiben wollte. Sie wusste genau, wie sie es formulieren musste, um ihm nahe zu legen wie wichtig seine Hilfe für Holger und auch für sein Umfeld sein würde.

//Hallo Philipp, es tut mir Leid dich nochmal stören zu müssen, aber ich weiß bei Holger nicht mehr weiter. Weder ich noch meine Mutter oder Hermann dringen zu ihm durch, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass du der einzige bist, der noch eine Chance hat an ihn heranzukommen. Ich weiß, dass es viel verlangt ist, aber könntest du bitte vorbeikommen? Ich möchte nichts unversucht lassen Holger zu helfen und auf keinen Fall soll er seine Karriere aufgeben. Das würde ihn nur zum Negativen verändern, da er sich ein Leben lang die Frage stellen würde, was gewesen wäre, wenn er gekämpft hätte. Und das würde ihn unglücklich machen.
Bitte Philipp, er braucht dich...//


Ute schrieb noch ihre Adresse in die Kurzmitteilung und betete, dass Philipp sich einen Ruck gab. Allerdings verbot sie sich selber eine für sie entscheidende Frage zu stellen, diese wollte sie den Kapitän erst stellen, wenn sie ihm alleine gegenüberstand.

~*~



Der Flug zurück nach Deutschland ging frühmorgens. Durch die Zeitverschiebung und die Flugzeit, war es aber bereits später Nachmittag am Donnerstag, 12. Juni 2013.
Die vier Urlauber standen wie viele anderen beim Gepäckband und warteten auf ihre Koffer. Es war also genug Zeit ihre Handys aus dem Flugzeugmodus zu befreien. Philipp hatte eine SMS bekommen. Die unbekannte Nummer erschien auf dem gesperrten Display und irgendwie ahnte er schon, worum es sich handelte. Er zögerte kurz, ehe er sie doch öffnete.
Er las die SMS einmal, zweimal, dreimal… und innerlich zog sich alles immer mehr zusammen. Er hätte nicht gedacht, dass Ute ihm noch mal schreiben würde und dann ausgerechnet das. Es schmerzte zu lesen, wie schlecht es Holger ging. Eigentlich hatte er gedacht, dass es ihm besser gehen würde mit dem Abstand und er war doch bei Jupp und dann die Reha... Philipp seufzte stumm. Er würde morgen zu Ute fahren, das stand für ihn fest. Claudia würde nicht begeistert sein, aber das war egal. Sie würde eh viel waschen und Julian wiederholen, da war es ihr vielleicht egal.

Es vergingen knapp zwei weitere Stunden bis sie endlich Zuhause waren. Tobias hatte sie freundlicher Weise wieder abgeholt.

„Was hast du mit deinen Eltern ausgemacht, wann wir Julian holen?“, fragte Claudia und machte sich schon dabei im Schlafzimmer den Koffer zu öffnen und die Schmutzwäsche auf einen Haufen zu schmeißen, um ihn zu sortieren und am nächsten Morgen dann direkt waschen zu können.

„Ich hab gesagt, wir rufen morgen früh mal an und dann halt gegen Mittag“, erklärte er ihr und trat zögernd näher. „Kannst du ihn auch alleine holen? Ich muss morgen weg.“

Claudia schaute auf. Erst überrascht, aber als ihr klar war, worum es ging, verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. „Du machst also da weiter, wo du aufgehört hast? Holger hier, Holger da?“

„Claudia“, er suchte nach Worten. „Er braucht mich jetzt. Es geht ihm nicht gut. Das hat nichts mit dem zu tun, was vor Hawaii war.“ Wobei eigentlich schon. Es hing ja alles zusammen.

Claudia schaute ihn weiter an, ehe sie nickte. „Ja, ich kann auch alleine fahren.“

„Danke“, er trat näher und küsste sie kurz. Irgendwie war dieser Kuss von beiden nicht wirklich emotional. Es war mehr eine Standardgeste. Ob das jetzt gut oder schlecht war? Philipp wusste es nicht.

Während der Kapitän am nächsten Morgen in seinem Auto saß, stellte er sich die Frage, warum er Ute nicht geantwortet hatte und seinen Besuch ankündigte. Vielleicht weil sie beide wussten, dass er kommen würde? Aber jetzt war es eh egal.
Er lenkte den Wagen in die Straße und hielt vor dem Haus, was sein Navi ihm anzeigte. Mit einer gewissen Nervosität stieg er aus und klingelte an dem Schild auf dem groß „Badstuber“ stand.

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