Kapitel 14 - Das Gute Besserungs-Häschen



„Dieser Raab ist fast so gut wie die Gruber!“, plauderte Schwester Anna einfach weiter. Sie saß ja leider mit dem Rücken zum Eingang des Aufenthaltsraums.

Philipp stutzte leicht. Machten sich Schwester Anna und Holger gerade über ihn lustig? Deswegen lachte Holger so befreit? Na, danke auch…

Träumte Holger? Wie kam Philipp denn wieder nach Vail? Und vor allem, warum? Wenn er die SMS abgeschickt hätte, könnte er es vielleicht noch nachvollziehen, aber einfach so? Weder Jupp noch Mario hatten beim Telefongespräch was erwähnt.

Schwester Anna folgte dem starren Blick des Verteidigers und drehte sich um.
„Herr Lahm!?“ Das war nun ein böses Fettnäpfchen, in das sie und Holger getreten waren.

Die Krankenschwester drehte sich zu ihm um, aber das war Philipp egal. Da hatte er gerade keine Augen für. Er sah nur auf Holger und das Lächeln, was sich jetzt wieder auf seinem Gesicht gebildet hatte. Eine seltsame Wärme durchfuhr ihn. Das war ein schönes Gefühl.

Schwester Anna sah ihn auch und es konnte sich nicht nur um eine Fata Morgana handeln. Holgers Herz klopfte augenblicklich schneller, er musterte ihn ohne es richtig wahrzunehmen. Sein Lächeln galt jetzt einzig und allein Philipp und nicht mehr den Witzen von der Komikerin. Es war ein tolles Gefühl, dass er zurück gekommen war. Jetzt konnte Holger ihm endlich richtig gratulieren.

„Hey.“ Philipp kam näher und zog sich einen Stuhl dazu. „Hallo Schwester Anna“, grüßte er sie dann doch. Philipp war nun mal höflich. Aber danach galt seine Aufmerksamkeit nur Holger.

Holger hatte sich schon überlegt aufzustehen, aber als er Philipp näher kommen sah, der sich auch kurzerhand einen Stuhl heran zog, erübrigten sich die weiteren Überlegungen. Schmunzelnd stellte der Blonde fest, dass der Kapitän Schwester Anna fast ignorierte und nur noch Augen für ihn hatte. Das war ein schönes Gefühl so wichtig zu sein und Aufmerksamkeit zu bekommen. Positive Aufmerksamkeit. Nicht irgendeine, weil es ihm eben schlecht ging.
Anstatt aber irgendetwas zu sagen, grinste er nur grenzdebil, so als wäre Philipp eine himmlische Erscheinung, die es sonst gar nicht gab. Es war doch wirklich nur Philipp. Oder?

„Ich… ich hab deine SMS beim Zwischenstopp gelesen…“, fing Philipp an, wusste aber nicht, was er noch sagen sollte dazu. Vor allem nicht hier, wo sie nun mal nicht unter sich waren.

Holger runzelte die Stirn. Beim Zwischenstopp? Länger konnte er nicht drüber nachdenken, denn Schwester Anna sprang plötzlich auf.

„Ich lasse Sie dann mal alleine. Bis morgen!“ Und schon war sie um die nächste Ecke verschwunden.

Komisch.

„Ich hab mich gefreut. Ehrlich...“ Das war schön neutral. Philipp konnte später näher darauf eingehen.

Philipp redete weiter, weswegen Holgers Gesichtsausdruck immer fragender wurde. Er freute sich über diese bissige SMS? Aber die musste er zwangsläufig schon früher gelesen haben, sonst hätte ihn Mario nicht drauf ansprechen können. Langsam verstand er gar nichts mehr.
„Ich hab doch...“ Holger stoppte. Jetzt schien der Groschen doch noch zu fallen. Schwester Annas eilige Flucht passte zu dem ganzen Bild, das sich so langsam in seinem Kopf bildete. „Moment“, ließ er Philipp erstmal warten und zog sein Handy aus der Hosentasche.

„Was guckst du denn jetzt nach? Vergessen, was du geschrieben hast?“ Philipp schmunzelte leicht.

Tatsächlich war die eine Nachricht auch im Ordner der Gesendeten. Holger entschied sich dafür, nichts dazu zu sagen. Er wusste nicht, ob er das jetzt gut finden sollte. Schließlich war Philipp ja nun hier. Warum auch immer. Hauptsache er war da.

„Und… ich hab hier was für dich.“ Philipp reichte ihm das Geschenk. Er hatte es extra noch einpacken lassen. Die Medaille würde er ihm dann aber wirklich erst geben, wenn sie alleine waren. „Ich hoffe, es gefällt dir.“ Vermutlich fand er es kitschig… plötzlich zögerte Philipp. Wenn er Glück hatte, fand er es lustig und er konnte auch darüber lachen.

Überrascht schaute er auf das eingepackte Geschenk, das Philipp ihm überreichte, merkte aber auch dessen Unsicherheit. Hatte er Angst, dass es ihm nicht gefallen könnte?
„Danke, aber du hättest mir nicht extra was mitbringen müssen“, lächelte Holger, war aber schon richtig gespannt, was in dem Päckchen war. Aber da gab es noch etwas anderes, was jetzt Vorrang hatte. Es bot sich an, Philipp saß recht nah bei ihm, weswegen er überstürzt seine Arme um ihn schlang und das Geschenk erstmal außer Acht ließ.

Immer noch lächelte Holger und Philipp konnte ebenfalls nicht anders. Er konnte gar nicht beschreiben, wieso er sich so freute, dass er wieder hier war. Eigentlich wollte er auch auf Holgers Worte antworten, aber er kam nicht dazu, denn plötzlich umarmte dieser ihn.

„Ich freu mich, dass du da bist“, flüsterte Holger und merkte, wie ihm dieser Halt die ganzen Tage gefehlt hatte. Holger konnte nicht mal selbst beschreiben, warum er laut aussprach, dass er froh war. Und warum er Philipp um den Hals gefallen war. So lange waren sie nicht mal getrennt und auch sonst waren sie nicht in Frieden auseinander gegangen. Im Ungewissen, ob da jetzt was zwischen ihnen stand. Aber das war anscheinend nicht der Fall. Holger brauchte keine Umarmung zum Abschied, das hier war viel besser. Eine Umarmung zur Begrüßung war definitiv toller.

„Ich freu mich auch“, hauchte Philipp, schloss die Augen und genoss den Moment kurz. Er sog Holgers Duft ein und das Lächeln schien sich in seinem Gesicht festzusetzen.
Am liebsten würde er sich gar nicht mehr von Holger lösen, aber es musste sein, deswegen lockerte er die Umarmung und zog sich vorsichtig zurück. Philipp konnte aber nicht dem Verlangen widerstehen, Holger kurz übers Haar zu streichen. Dabei dachte er an Bastis SMS und drückte Holger kurzerhand einen Kuss auf die Wange. Er grinste ihn danach an. „Mit freundlichen Grüßen von Basti.“

Erst war Holger etwas perplex deswegen, was sich aber schnell legte und er zufrieden lächeln konnte. Jetzt wollte er aber wissen, was Philipp ihm mitgebracht hatte. „Soll ich's hier öffnen oder im Zimmer?“ Wer wusste schon, ob sich nicht was peinliches darin befand. Philipps anfängliche Unsicherheit trug zu Holgers Misstrauen bei.

Was war besser? Gute Frage. „Auf dem Zimmer haben wir unsere Ruhe“, redete Philipp sich etwas raus. Aber das war ihm schon lieber. Da waren sie alleine und… irgendwie war ihm das eben lieber.

„Sag mal...“ Der Innenverteidiger druckste etwas herum, „wie lang standest du eigentlich schon da?“ Irgendwie war es unangenehm zu wissen, dass Philipp mit angenhört haben könnte, dass sie über ihn gelacht hatten.

„Sagen wir… ich weiß, dass jemand dir schon erzählt hat, dass ich mein Bad renoviert habe“, schmunzelte der Kapitän. Zwar wusste er nicht, ob er die Witze unbedingt gutheißen sollte, aber sie brachten Holger zum Lachen, wie konnte er da böse sein? Wenn es ihm half, dann sollte er sich nur noch über ihn lustig machen.

Sie standen schließlich auf und gingen in Holgers Zimmer. Philipp nahm das Geschenk wieder an sich, damit Holger sich ganz auf die Krücken stützen konnte. Der Kapitän fragte erst gar nicht, ob er helfen konnte. Holger würde es nicht wollen und er brauchte es nicht.

Im Zimmer ließ sich Holger auf dem Bett nieder, während sich eine Frage doch aufdrängte und recht schnell seinen Mund verließ: „Wie kams denn zu dem Trip nach Vail?“ Auf seinem Gesicht befand sich immer noch dieses glückliche Lächeln, dass er jetzt da war. Seine Freude war sogar so groß, dass er im Moment völlig vergaß, wie scheiße seine Verletzung war.

Philipp zog den Stuhl wieder näher. Das Geschenk legte er ebenfalls auf die Matratze.
„Ja, wenn ich das wüsste.“ Philipp grinste schief und zuckte mit den Schultern. „Jupp hat mich wieder abgeordnet. Besondere Mission, weißt du?“ Er zwinkerte Holger zu und streckte sich dann. Er stand wieder auf vom Stuhl. „Ich kann im Moment nicht sitzen. Ich hab 18 Stunden im Flugzeug gesessen, das reicht erst mal.“

„Wieder Jupp?“ Ungläubig zwinkerte Holger. Was dachte sich der Trainer denn dabei? Klang er am Telefon so bedürftig, dass er Beistand brauchte? Gut, er wollte sich jetzt wirklich nicht beschweren. Holger freute sich schließlich riesig über den überraschenden Besuch. „Da dachte ich ja noch eher an Mario, der wollte dich nach dem Finale per Expresslieferung wieder zu mir schicken.“

Philipp lachte leicht. „Ja, das hat er mir auch erzählt. Vielleicht hatte er Mitleid und wollte mich nicht 18 Stunden in ein Päckchen sperren und hat Jupp überredet.“

„Aber pack mal aus.“ Philipp nickte zum Geschenk. Er wollte jetzt wissen, was Holger dazu sagte. Mit der Medaille würde er noch warten. Vielleicht danach oder bevor er ging. Vorausgesetzt er schlief nicht wieder an Holgers Bett ein.

Ach ja, das Geschenk. Holger nahm es mit erwartungsvoller Vorfreude an sich und schälte das Geschenk vorsichtig aus dem Papier. Was da wohl zum Vorschein kommen würde?
Ungläubig starrte er dann auf die Hasenfigur, dessen schwarze Augen ihn ebenso entgegen sahen, während er das Geschenkpapier entgeistert zur Seite legte. Eher zufällig strich er über das Ohr des Tieres und keine Sekunde später ertönte ein süßes „Get well soon“ aus den Lautsprechern des Spielhasen. Sofort bildete sich ein zartes Lächeln auf seinem Gesicht, ehe er nochmal auf das Öhrchen drückte. Er tat es sogar noch ein drittes Mal, nur um sich dann dezent freudestrahlend zu Philipp zu drehen. Das war richtig süß und freute ihn ungemein. Besser als die SMS, er sollte schnell wieder fit werden. Ein Hase, der „Get well soon“ von sich gab, war da viel geschmackvoller. „Das ist echt super. Nochmal danke“, grinste er.

Erwartungsvoll beobachtete Philipp Holger beim Auspacken des Geschenkes. Er schien anfangs etwas überrascht zu sein. Der Kapitän wollte ihn gerade auf das Ohr aufmerksam machen, als Holger es selber herausfand. Während sich ein Lächeln auf Holgers Lippen bildete, übertrug es sich auch auf Philipps. Es tat gut ihn lächeln zu sehen. Er freute sich also. Oder nicht?
„Echt? Gefällt er dir? Ich fand ihn auf Anhieb süß und dachte mir, er kann dich vielleicht zum Lächeln bringen…“, er beendete den Satz noch nicht und seufzte leise.

Als Philipp stockte, sah ihn Holger irritiert an.

„…wenn ich es schon nicht kann.“

Hastig wandte der Blonde den Blick ab, sah lieber zu dem lächelnden Gute Besserungs-Häschen. Da hatte er wieder einmal die Bestätigung, dass er Philipp eigentlich immer nur verletzte. Vielleicht sollte er ihn gleich noch gegen irgendetwas stoßen, weil es schon zur Gewohnheit gehörte.
„Du hast mich doch schon zum Lächeln gebracht.“ Zögerlich hob er den Kopf, „Oder wie interpretierst du das Lächeln eben im Aufenthaltsraum?“

Jetzt war Philipps Ausdruck durchaus überrascht, aber dann musste er selber lächeln. Stimmt ja. Holger hatte ihn regelrecht angestrahlt. Und warum? Weil er da gewesen war. Es lag nur an ihm. Ein angenehm warmes Gefühl breitete sich in Philipp aus, wenn er daran dachte. Das tat wirklich gut und es freute ihn ungemein.

Durch seine eigene Aussage fiel Holger aber plötzlich wieder etwas anderes ein, was er ganz vergessen hatte. Er winkte Philipp, der neben ihm stand, zu sich runter und drückte ihn nochmal fest an sich: „Herzlichen Glückwunsch zum internationalen Titel!“ Persönlich war es besser als jede SMS.

Als der Innenverteidiger ihn zu sich winkte, zögerte Philipp nicht und beugte sich zu ihm herunter.

„Danke“, hauchte er lächelnd. Er strich fast zufällig über Holgers Haare, als sie sich wieder lösten. Er wusste gar nicht woher das Bedürfnis kam. Übers Haar streichen, die Küsse auf die Stirn… war das abnormal? Oder war es nur, weil er sich sorgte? War das wichtig? Er wusste es nicht. Da konnte er später drüber nachdenken.

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