Kapitel 43 - Phänomen: Lächeln



Er tat es schon wieder. Er stieß ihn zurück und lief davon. Aber wovor denn verdammt? Seufzend drehte Philipp sich auf den Rücken und schaute auf den leeren Platz neben ihm. Was sollte er denn jetzt machen? Ihm folgen? Abhauen? Er wusste es nicht, aber so, wie es jetzt war, sollte es nicht bleiben. Er könnte Holger suchen und ihm sagen, er würde fahren, wenn er das wollte, aber da der Innenverteidiger dem sicher zustimmen würde, fiel diese Möglichkeit flach. Philipp würde heute nicht mehr nach Hause fahren. Genauso wie Holger heute in seinem Bett schlafen würde! Nach einigem hin und her stand Philipp schließlich auf und suchte Holger. Er fand ihn im Wohnzimmer.

Holger konnte nicht einschätzen, wie lange er da lag und mit offenen Augen vor sich hin starrte. Er wusste nicht mal, was er eigentlich fixierte, denn in Gedanken war er ganz woanders. Plötzlich hörte er Schritte. Es war seltsam, schließlich war es normal, dass nur er in der Wohnung war. Und manchmal eben Ute oder ein One Night Stand, auch wenn das eher selten der Fall war.

„Kommst du jetzt wieder ins Bett?“ Wie das klang... als würde er seinen Freund suchen, der nach einem Streit abgehauen war. Und Philipp wollte jetzt wieder kuscheln.
„Bitte, Holger.“ Er bemühte sich nicht traurig zu klingen, aber ganz so leicht war das nicht. Er wagte es aber auch nicht näher an das Sofa zu treten aus Angst ihn wieder zu verschrecken. Aber wie er da lag... war es denn so schlimm neben ihm in dem Bett zu schlafen?

Entweder kam es dem Innenverteidiger nur so vor als würde Traurigkeit in Philipps Stimme mitschwingen, oder es war eben tatsächlich so.Was sollte er darauf erwidern? Holger war ratlos, wusste aber, dass er Philipp das Gefühl vermittelte, dass er wieder etwas falsch gemacht hatte.

„Letztes Mal warst du noch froh, dass ich geblieben bin“, hauchte Philipp.

Holger schluckte schwer. Er war doch auch jetzt noch froh. Der Innenverteidiger war jedes Mal froh, wenn Philipp bei ihm blieb, aber das hatte einen ganz anderen Grund. Er konnte es in seinen eigenen Gedanken abstreiten wie er wollte, aber sein Herz sagte ihm die Wahrheit. Er hatte sich verliebt. Holger versuchte es allerdings auf die Dankbarkeit zu schieben, da er solche Gefühle erst bemerkt hatte, als sie in Vail waren. Oder existierten sie schon länger, nur Holger nahm sie eben nicht wahr, weil er in München eher mit Basti und Mario Zeit verbracht hatte?
„Ich bin doch froh“, flüsterte er. Da es komplett ruhig um sie herum war, war sich Holger sicher, dass Philipp es verstehen konnte. Aber das beantwortete die Frage des Kapitäns nicht. Also einfach aufstehen, ins Bett gehen und so tun, als wäre nichts? Ganz toller Plan.

Holgers Worte sorgten für Erleichterung. Er war wirklich erleichtert, dass Holger froh war, aber dennoch sagten seine Worten mal wieder etwas anderes als seine Taten zeigten. Aber immerhin sagte er überhaupt was.

„W-wollen wir noch was trinken?“ Passte zwar überhaupt nicht dazu, aber vielleicht konnten sie sich auf Alkohol einigen, dann würde sie mal etwas lockerer werden. Und das Triple hatten sie auch noch nicht gefeiert. Holger nahm sich vor, auch wenn er selber nicht „feiern“ wollte, das als Begründung anzugeben, sollte Philipp nachfragen.

„Soll ich etwas Wasser aus der Küche holen? Oder noch einen Kakao?“, fragte Philipp nach, lächelte sanft. Er war froh, dass Holger ihn nicht zurückstieß. Aber war es nicht seltsam? Es war keine 24 Stunden her als er am Feiern war. Triple-Sieger. Endlich. Aber von dieser Euphorie war gerade nichts mehr übrig.

„Ich dachte eher an was anderes.“ Holger schmunzelte leicht und drehte seinen Kopf, um Philipp ansehen zu können.

Dieser war irritiert. An was hatte er denn gedacht? Philipps Blick fiel eher zufällig auf das Häschen. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und er trat näher, um das Öhrchen herunter zu drücken. "Get well soon." Es war wirklich süß und es stand sogar im Wohnzimmer und nicht versteckt in der hintersten Ecke des Schlafzimmers. Seiner Neugier wegen ließ er den Blick wandern und guckte, was sich noch so wiederfand auf dem Regal. Bei dem Bild von Holgers Vater blieb er hängen. In ihm kam der Wunsch auf, dass er noch lebte, denn Philipp war sich sicher, dass er ihm hätte helfen können.
Und schon wieder trug er ein trauriges Lächeln auf den Lippen. Schnell wischte er es weg, ehe er sich wieder zu Holger drehte.

Erst als 'Get well soon' erklang, wagte es der Innenverteidiger wieder etwas zu sagen. Das Schmunzeln blieb auf seinen Lippen, wie so oft, wenn er die Stimme des Häschens hörte. „Aber Kakao ist auch okay.“
Holger rappelte sich auf, um in die Küche gehen zu können. Der Kapitän war schließlich nicht sein Bediensteter. Humpelnd bewegte er sich in die Küche und wollte eine zweite Tasse aus dem Schrank nehmen. Philipp wollte bestimmt auch einen und seine eigene musste man eben aus dem Schlafzimmer holen. Als er den Kühlschrank öffnete und Milch herausholen wollte, fiel sein Blick aber auf etwas völlig anderes. Sekt und Wein. Die hatte seine Mutter nicht eingekauft, die hatte er eigentlich für eine Feier gekauft, bevor er sich den erneuten Kreuzbandriss zugezogen hat.
„Ach, ist doch jetzt auch schon egal.“ Kakao? Wer wollte schon Kakao oder Wasser. Holger nahm den Rotwein und die Milch raus, schraubte die Alkoholflasche auf und schaute zur Tür. Philipp war ihm noch nicht gefolgt. Das war doch ein Zeichen, das eindeutig für den Wein sprach.

Philipp sah Holger nach, zögerte. Folgen oder nicht? Vermutlich würde er sich verhätschelt vorkommen, wenn er ihm helfen wollte, aber wie sollte der verletzte Fußballer zwei Tassen tragen? Nicht mal eine war möglich. Er sollte ihm doch folgen.

Schnell nahm Holger ein paar Schlucke, hörte dann aber wieder Schritte, wodurch er den Wein schnell in eine Ecke schob und sich stattdessen dem Kakao widmete. Es brachte nichts Philipp anzubieten, dass sie zusammen das Triple feiern könnten. Nach genauer Überlegung würde der nur denken, dass er sich ins Koma saufen wollte, zumal er auch noch unter dem Einfluss von Schmerztabletten stand. Also trank er eben allein und konnte hoffen, dass er entweder lockerer werden oder sofort einschlafen würde.

Philipp lächelte leicht als er eintrat und Holger mit der Tasse und der Milch sah. „Hast du auch Tee da? Wäre mir lieber als Kakao“, gab er zu und trat neben ihn. Berührte mit seinem Arm fast unmerklich den von Holger. Aus Absicht lehnte er sich leicht dagegen, wollte ihm zeigen, dass er da war, ehe er wieder Abstand nahm. Fast als wäre es Zufall gewesen, aber das war es nicht.

Tee? Holger war erst überrascht, lächelte aber dann. „Klar, welchen willst du denn?“ Erst recht erstaunt war er über diese Berührung. Aber dabei blieb es nicht, denn Holger kam es sogar so vor, als würde Philipp sich gegen ihn lehnen. Der Innenverteidiger schielte kurz zu den Armen, die sich berührten und versuchte sich krampfhaft zu konzentrieren. Was wollte er? Genau... Tee! Holger ging zu dem kleinen Schrank und seufzte. „Ich hab leider nur Pfefferminz da.. ist das auch okay?“

„Klar, Pfefferminz ist gut“, nickte er. Den trank er ja Zuhause auch gerne und wer wusste denn, inwieweit Holgers Wohnung sein Zuhause werden würde, wenn er oft hier sein würde in den nächsten Tagen, Wochen.

„Wo finde ich denn noch eine Tasse? Hier waren Gläser, oder?“ Philipp öffnete eine Schranktür und ja, er hatte Recht. Aber in dem Fach darüber waren Tassen. „Perfekt“, er nahm eine heraus und lächelte Holger an.

Er wartete die Zustimmung ab und legte einen Teebeutel in die, von Philipp herausgenommene, Tasse, ehe er sich den Wasserkocher vornahm. Es war schwierig, aber er versuchte es. Mit einem Arm stützte Holger sich gegen die Küchenanrichte, mit der anderen öffnete er den Deckel des Wasserkochers. Er ließ es gut zur Hälfte volllaufen, drehte den Wasserhahn ab und schob das Küchengerät zur Stromstation. Das hatte er doch schon gut hinbekommen.
Er lehnte sich gegen die Anrichte und wartete ab, bis das Wasser heiß genug war. Sie schwiegen. Keiner von beiden schien den Moment zunichte machen wollen, da es eben gerade schön ruhig war. Die Ruhe, die durch das Klicken des Wasserkochers unterbrochen wurde.

„Ich mach das hier schon, eigentlich kannst du schon ins Wohn- oder Schlafzimmer gehen“, schlug der Blonde vor und ließ die Entscheidung in welches Zimmer sie gehen würden offen.

War das jetzt wieder sein Ernst? Stumm seufzte Philipp. Wieso konnte Holger nicht einsehen, dass er so die beiden Tassen nicht tragen konnte? Er sagte erst mal nichts und wartete auf seine Tasse. Außerdem wusste er nicht, wo er lieber hinwollte. Bett oder Sofa?

Er schob Philipps Tasse näher zum Wasserkocher und wollte es einfüllen, doch durch den fehlenden Halt, da er sich während dem Befüllen der Tasse nicht auf die Krücken stützen konnte, ließ das nächste Missgeschick nicht lange auf sich warten. Er kippte mit dem Körper etwas nach vorne und schüttete das Wasser konsequent an der Tasse vorbei. Langsam war Holger es Leid, das ständig was passieren musste. Er wollte fluchen, aber das machte es in dem Fall doch auch nicht besser. Er stellte den Wasserkocher vorsichtig ab, während das Wasser schon die Anrichte hinunter tropfte.

Das plätschernde Wasser erregte Philipps Aufmerksamkeit. Holger würde es nicht wegwischen können. Der Kapitän kam näher, griff beinahe blind nach der Küchenrolle und wischte das Wasser weg. Danach warf er das Papier weg und wollte die Küchenrolle zurückstellen, als er stutzte.
Wein? „Hey, das ist ja eine Flasche von dem leckeren, den wir mal auf dem Geburtstag von Manu hatten“, stellte er fest und griff danach.

Es war klar, dass Philipp helfen würde und das verschüttete Wasser aufwischte. Schneller als Holger das erledigen hätte können. Dass er so schließlich auf den Wein aufmerksam wurde, hätte Holger auch klar sein müssen. Der Kühlschrank wäre das bessere „Versteck“ gewesen.

Überrascht stellte der Ältere fest, dass sie kalt war. „Stand die bis eben noch im Kühlschrank?“ Fragend sah er Holger an.

Er ging auch gar nicht auf die erste Frage ein. Konnte er ja nicht leugnen, dass er sie erst eben rausgenommen hatte, da sie noch kalt sein musste.

Ihm kamen die Worte von eben in den Sinn. Holger wollte was anderes trinken. „Ach, wolltest du Wein trinken? Holger, du darfst doch keinen Alkohol trinken, oder?“ Philipp war irritiert. Er konnte dem nicht ganz folgen. Er würde doch nicht so töricht sein, oder? Skeptisch inspizierte er die Flasche in seinen Händen und stellte fest, dass schon etwas fehlte. Und irgendwas sagte ihm, dass er den Wein nicht vor dem Flug nach Vail getrunken hatte.

Auch die zweite Frage ließ der Innenverteidiger lieber unkommentiert.

„Darf ich ein Glas?“ Dann trank Philipp ihn halt, damit er leer wurde. Da sah er kein Problem. Heute ein Glas, morgen zwei und übermorgen eins, schon war die Flasche leer. War doch ein guter Plan.

Holger schaute ihn entgeistert an. War er so naiv? Umso besser für ihn. Auf dumme Predigten konnte er verzichten.
„Nimm ruhig“, murmelte er. Wehe, es wurde mehr als ein Glas, denn den Wein hatte er eigentlich für sich reserviert. Naja, der Sekt war zur Not auch noch da. Dabei fiel ihm grinsend etwas ein, wodurch er eventuelle Zweifel beseitigen konnte. „Da ich dir den Tag eh schon versaut hab, wollte ich wenigstens noch auf das Triple anstoßen und hab ihn deshalb rausgenommen.“

„Wann hast du das, was fehlt getrunken?“, fragte Philipp schlicht und sah ihn an. Sein Blick war ernst und normalerweise sollte Holger merken, dass ihm klar war, dass das nicht vor Vail gewesen war. Es war mehr als eindeutig, dass er seine Frage zu seinem Alkoholkonsum ignorierte. Wollte er sich jetzt betrinken? War er so tief gesunken? Der Ältere hatte plötzlich Angst, dass er nicht die Kraft hatte, um Holger aus dem Loch zu holen, in das er gefallen war. Aber genau das wollte er... er wollte ihm helfen. Ihn retten.

Jetzt schwang das Thema doch wieder um. Holger erwiderte Philipps Blick kurz und wollte ihm sagen, dass er es gestern zum Spiel getrunken hatte, aber da durfte er eigentlich auch nichts trinken. Also zumindest keinen hochprozentigen Wein. Die Möglichkeit fiel also flach. Da der Innenverteidiger aber auch nicht wollte, dass Philipp von seinem Vorhaben sich lockerer zu trinken erfuhr, log er ihn eiskalt an. „Kurz vor dem Flug nach Vail.“

Er glaubte ihm nicht. Natürlich nicht. Die Frage war dann, wann es gewesen war. Gestern? Heute nach der Feier auf dem Rathaus oder gerade eben? Wie sollte er es herausfinden?
„Ich glaube dir nicht“, gab der Kapitän zu. Musste er noch mehr sagen? Er wollte ihn nicht schon wieder bedrängen, aber Holger konnte sich auch selber denken, dass er mehr hören wollte. Die Wahrheit hören wollte. Aber was würde er tun, wenn er sie wusste? Ihn vom Trinken abhalten?

Um nicht länger Philipps Blick ausgesetzt zu sein, drehte er sich zum Wasserkocher und öffnete prüfend den Deckel. „Also für eine Tasse müsste das Wasser noch reichen.“ Deutlich vorsichtiger als vorher schüttete er das noch kochende Wasser in die Tasse zu dem Beutel Pfefferminztee.

„Ich geh schon mal vor.“ Philipp klemmte sich die Weinflasche unter den Arm, nahm Holgers und seine Tasse und ging damit ins Schlafzimmer. Er sollte wählen und er hatte gewählt. Danach holte er noch ein Weinglas aus dem Wohnzimmerschrank. Jetzt hatte der Innenverteidiger etwas Bedenkzeit.
Philipp hatte alles auf den kleinen Nachtschrank gestellt und machte es sich jetzt auf dem Bett bequem. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und schaute neben sich. Pfefferminztee und Wein? Schon eine seltsame Mischung. Aber Holger und er waren irgendwie auch eine seltsame Mischung, oder?

Holger senkte den Blick. Es war gut, dass er mit dem Rücken zu Philipp stand. Als der Ältere nach den zwei Tassen griff und die Weinflasche mit sich nahm, atmete der Innenverteidiger erleichtert aus. Weil Philipp nicht nachhakte und weil er die Weinflasche mitgenommen hatte. Irgendwie war es gut, dass er ihn vor sich selber schützte, denn Holger glaubte, dass es nicht bei den paar Schlücken geblieben wäre. Aber es gab immer noch den Sekt. Sein Blick ruhte auf der Kühlschranktür. Wenn sie jetzt wieder im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer zusammen saßen und schwiegen, würde es wieder so laufen wie immer. Der Alkohol würde dem wohl ein Ende setzen, aber das wäre die falsche Methode. Das wusste Holger. Und trotzdem war sie verlockend. Es konnte doch mittlerweile sowieso nicht mehr schlimmer werden. Sollte er, oder sollte er nicht? Trieb die Verzweiflung ihn jetzt schon soweit? Er seufzte und wandte sich ab. Er versuchte sich auf der Suche nach Philipp einzureden, dass Kakao ja auch nicht schlecht war.
Er fand ihn schließlich im Schlafzimmer. Gut, war Holger auch recht. Philipp lehnte an der Wand und sagte erstmal nichts. Der Innenverteidiger auch nicht, schloss nur leise die Tür, lehnte die Krücken an und kroch ins Bett.
„Passt das überhaupt zusammen?“, scherzte Holger beim Anblick der Weinflasche und des Tees. Er selbst griff zu seiner Tasse Kakao.

Was sollte das jetzt? Tat Holger so als würde er nicht wissen, dass Philipp es wissen wollte? Ohne Kommentar schüttete er sich Wein ein und trank einen Schluck, schwenkte das Glas in seiner Hand hin und her.
„Warum hast du getrunken, obwohl du weißt, dass du es nicht darfst?“ Eine einfache Frage. Philipp wusste nicht, ob er eine Antwort erwartete oder nicht. Hinterher würde er sowieso nur enttäuscht werden. War es nicht immer so? Aber enttäuschte er Holger nicht auch?
Vielleicht war "seltsam" das falsche Wort, mit dem man sie beschreiben könnte. Sie waren eher eine verletzende Mischung.

War das hin und her Schwenken des Glases Absicht? Wollte er damit zeigen, dass er am längeren Hebel saß? Das wusste Holger doch sowieso schon.
„Warum fragst du, obwohl du die Antwort doch im Grunde eh kennst?“, stellte er die Gegenfrage. Ihm lag auf der Zunge einfach zu sagen, dass Philipp das nicht das Geringste anging, aber Holger hatte zu große Angst, dass der Kapitän abhauen würde. Weil er enttäuscht und gekränkt war. Deshalb schwieg er jetzt auch. Zu oft hatte er ihn jetzt schon verletzt und von sich gestoßen. Oder kam es auf das eine Mal jetzt auch nicht mehr an? Da Holger seinen Blick gesenkt hatte, fiel ihm Philipps Hand auf, die auf dem Bett lag. Mit der anderen hielt er das Glas fest. Wie gerne hätte Holger jetzt nach dieser gegriffen und sie einfach nur festgehalten.

„Glaubst du wirklich ich würde fragen, wenn ich die Antwort kennen würde? Ich hab Theorien, aber keine Antwort. Das ist ein Unterschied. Und nein, ich werde dir keine davon nennen, damit du dir eine aussuchen kannst.“
Er hatte seinen Blick weiter auf das Glas gerichtet, nahm noch einen Schluck, hielt es dann fest und stellte es dabei auf der Bettdecke ab. Die andere Hand strich eine Falte glatt. Ob er gerade zu weit ging? Setzte er Holger schon wieder zu sehr unter Druck? Er wusste es nie. Er wusste doch nie, was war, egal um was es ging. Sie waren eine undurchsichtige Mischung.

„Warum reitest du da so drauf rum?“ Holger hob den Blick und suchte Philipps Augen. „Ja, ich hab getrunken, weil es mir im Moment echt scheiße geht und ich hoffe wenigstens eine Nacht mal vernünftig schlafen zu können. Ohne so einen bescheuerten Albtraum. Toll wäre es natürlich auch, wenn ich endlich mal wieder lachen könnte und das nicht nur, weil andere das von mir sehen wollen und erwarten. Da hast du deine Antworten, jetzt kannst du vergleichen, ob was mit deinen Theorien überein stimmt.“
Warum schafften sie es nicht wenigstens fünf Minuten in einem Raum zu sein ohne sich anzublaffen?
Holger wurde ruhiger und trank etwas von dem Kakao. „Weißt du, ich hab mir das vor der Meisterfeier so schön vorgestellt. Die Trainingseinheiten, Trentino, die vielen Testspiele... ich hab mich sogar auf diesen dämlichen Laktat Test gefreut.“ Er lächelte leicht, doch es war begleitet von diesem traurigen Schleier, der sich einfach nicht auflösen wollte. Er würde verstehen, wenn Philipp das nicht nachvollziehen konnte. Keine seiner bisherigen Verletzungen schaffte es ihm das alles zu nehmen.

„Und du glaubst, der Alkohol ändert das? Nimmt dir die Träume und bringt dir dein Lächeln zurück? Ich habe es nicht geschafft, wie soll er es dann schaffen?“
Philipp seufzte mit einem traurigem, aber auch ironischem Lächeln auf den Lippen. Er war froh, dass Holger so ehrlich war. Er verstand ihn ja, auch, wenn er das vielleicht nicht selber erlebt hatte.

Philipps Aussage schmerzte. War er sich schon so sicher, dass er es nicht schaffte sein Lachen zurückzubringen? Es klang als hätte er auch aufgeben und Holger konnte es dem Kapitän nicht einmal übel nehmen. Es passte doch. Gaben sie beide auf und diskutierten hoffentlich nicht mehr darüber.

Philipp griff nach der Weinflasche und hielt sie Holger hin. „Gut, dann trink. Aber versprich mir, dass du es heute das erste und letzte Mal machst.“ Er suchte Holgers Augen mit seinen, meinte das vollkommen ernst. Sollte er doch heute trinken, dann war er wenigstens nicht alleine.

Irritiert blinzelte der Innenverteidiger mit den Augen, als die Flasche vor ihm auftauchte mit der direkten Aufforderung, er könnte es trinken. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er schnell seinen Kakao leerte und Philipp die Flasche abnahm. Sah zwar merkwürdig aus, dass er den Wein aus einer einfachen Tasse trank, aber er wollte jetzt nicht mehr aufstehen und sich ein Glas holen. Die Tasse war ziemlich voll, wodurch er dem Kapitän dann ruhigen Gewissens genug abzubekommen den Wein zurück gab. „Ich versprechs.“ Holger würde es halten, er hatte auch nicht vor sich in den Alkoholismus zu stürzen. Seine Kniebeschwerden waren schon grausig genug.

Philipp zweifelte, ob Holger es ernst meinte, aber sollte er ihm nicht einfach mal vertrauen?

„Und jetzt stoßen wir auf das Triple an.“ Noch komischer als ohnehin schon, sah es dann aus, als Holger mit der Tasse leicht gegen Philipps Glas stieß. Noch während er trank und den Wein eigentlich genießen wollte, wurde ihm klar, dass er dank seines Kreuzbandrisses auch Philipp in vielerlei Hinsicht das Lächeln genommen hatte.

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