Kapitel 16 - Seltsames Verlangen



Holger sah skeptisch auf, als Philipp kurz lachte. War er böse deswegen? Eine Falle? Nein, Philipp lächelte. „Ich hab nicht über dich gelacht, sondern mit dir“, stellte Holger klar. Wie damals beim Training. „Eigentlich noch nicht lange“, zuckte er mit den Schultern. Er hatte Schwester Anna eigentlich versprochen nichts zu sagen, aber sie hatte die SMS an Philipp geschickt. Was an sich auch nicht die feine englische Art war.
„Schwester Anna hat nur noch Monika Gruber zitiert.“ Holger könnte noch jetzt über diese Imitation lachen, aber hielt sich in Philipps Beisein doch lieber zurück. „Du weißt schon, den Witz mit dem Kindergartentascherl.“ Den müsste er normalerweise noch kennen.

Monika Gruber? Wieso wunderte ihn das nicht? Die hatte auch einen Besen an ihm gefressen.
Philipp nickte direkt. „Ja, den kenne ich. Da haben mich schon einige drauf angesprochen. Aber… warum kennt sie denn die deutschen Komiker? Das ist doch eher ungewöhnlich, oder?“ Eine berechtigte Frage, wie er fand.

„Gute Frage.“ Holger hätte die Krankenschwester eigentlich mal danach fragen können. „Ich glaube sie hat großes Interesse an Deutschland. Sie wollte ja eigentlich noch ein Autogramm von dir und hat sich etwas geärgert, weil sie dich vergessen hat zu fragen.“ Da fiel ihm ein, dass Schwester Anna gar keines von ihm haben wollte, sondern nur von Philipp. Das war so typisch irgendwie... alle kannten nur den kleinen Bayernkapitän. Aber richtig übel nehmen, konnte er es der Krankenschwester nicht.

„Echt? Ja, das lässt sich doch einrichten. Ich hab sicher in meinem Koffer irgendwo Autogrammkarten. Die bringe ich morgen dann direkt mit.“ Wie könnte Philipp ihr kein Autogramm geben, wenn sie sich so gut um Holger kümmerte? Von ihm hatte sie ja sicher schon eins. Sie hatte ja oft genug die Gelegenheit gehabt ihn zu fragen.

Plötzlich klopfte es an der Tür und im nächsten Moment ging sie auf. Eine Krankenschwester kam mit einem Tablett herein. Abendessen.

„Hello“, grüßte sie träge und schaute von Holger zu Philipp und auf ihre Hände. Skeptisch stellte sie das Essen auf den Nachtschrank neben dem Bett und verschwand wortlos wieder.

„Die war komisch“, stellte Philipp fest, musste aber auch leicht grinsen. Was sie jetzt wohl dachte? Konnte ihm aber auch egal sein.

„Alle außer Schwester Anna sind hier komisch“, stellte Holger grinsend klar. Obwohl es nun mal Fakt war.

„Na, zum Glück gibt es sie. Ich mag sie auch irgendwie“, nickte der Kapitän, zog seine Hand weg und stand auf, damit Holger in Ruhe essen konnte. „Guten Appetit.“

„Willst du auch was? Die haben hier riesige Portion und ich will ja nicht zu fett werden.“ Holger deutete auf die sechs Scheiben Brot auf dem Teller. Hatte der Kapitän überhaupt schon was gegessen, seit er hier war?
„Du hast doch bestimmt Hunger, oder?“ Es war überall bekannt, dass der Bayernkapitän gutes Essen zu schätzen wusste, da konnte er diese Mahlzeit sicher auch nicht ablehnen.

„Ich seh schon, ich bin deine Diät.“ Philipp grinste und kam wieder näher. Er setzte sich einfach wieder aufs Bett. Diesmal aber richtig und nicht nur so halb angelehnt. Dann schnappte er sich ein Käsebrot. „Danke.“ Herzhaft biss er hinein und grinste Holger an.

„Nein, ich würd dich eher als Mitesser bezeichnen.“ Holger lachte leicht und nahm sich ein Brötchen mit Wurst. Er rutschte etwas rüber, damit Philipp auch genug Platz auf dem Bett hatte. Lächelnd schaute er dabei zu, wie dieser sich ein Käsebrot nahm und hinein biss. Zu zweit schmeckte das Essen einfach besser.

„Mitesser, Fremdenführer, Witzfigur… kommt noch was?“ Philipp musste lachen. Aber er war auch froh. Er konnte also so viel mehr sein für Holger als nur jemand, der an seinem Bett saß und seine Hand hielt. Wobei er das gerne tat, das wollte er weiß Gott nicht abstreiten, es war nur so, dass das theoretisch ja auch jeder andere tun konnte. Aber mitessen und Holger durch die Stadt schieben, konnte auch jeder… aber nicht jeder brachte ihn so zum Strahlen, oder? Er schmunzelte etwas. Allein der Gedanke daran tat unglaublich gut.


Holger senkte den Blick, wodurch ihm auffiel, dass er die Medaille immer noch um den Hals trug. Ein leises Seufzen entwich seiner Kehle, als er sie abnahm und auf das Bett legte.


Philipp beobachtete Holger dabei, wie er die Medaille abnahm, aber er ließ es unkommentiert. Schlechte Stimmung konnte er gerade nicht gebrauchen.
„Willst du eigentlich was bestimmtes in der Stadt machen oder einfach mal alles angucken?“

„Ne, eigentlich nichts bestimmtes. Die Stadt soll ja recht schön sein, aber alleine hatte ich da auch noch keine Lust drauf. Kam mir also sehr gelegen, dass du nochmal zu mir gekommen bist“, grinste Holger dann.


Philipp und Holger waren gerade fertig mit Essen als die unfreundliche Schwester schon wieder reinkam. Sie stellte eine neue Flasche Wasser für Holger auf den Nachtschrank und nahm das Tablett stumm wieder mit.
„Ja, danke, es hat uns sehr gut geschmeckt“, sagte Philipp überfreundlich als sie verschwunden war und verdrehte die Augen.

„Zum Glück hat Schwester Anna morgen wieder Dienst“, schmunzelte Holger. Aber seit wann war Philipp denn so gehässig?

Philipp sprang vom Bett, gähnte und streckte sich. So ein Flug war einfach nur anstrengend. Schlaf hin oder her. Aber gehen wollte er trotzdem noch nicht. Er stellte sich ans Fenster.
„Warst du schon in dem Park? Der sieht echt schön aus.“

Stumm betrachtete der Jüngere dann wie Philipp sich ans Fenster stellte und hinaus sah. Das Gähnen entging ihm natürlich nicht, aber er wollte nicht drauf eingehen und vorschlagen, dass er doch ins Hotel gehen könnte. Obwohl das in gewisser Weise egoistisch war, oder?
„Hm, ja kurz“, antwortete er schnell. „Der ist auch schön, aber auf die Dauer langweilig.“ Er wollte da sicher nicht mit Philipp hin. Am Ende trafen sie auf seine Bekanntschaft und er würde dann sicher erklären müssen, warum er damals so schnell abgehauen war.

„Na, wenn du nur kurz drin warst, dann können wir ja morgen oder übermorgen mal dahin gehen. Etwas Sonne tanken wird dir sicher gut tun.“ Philipp drehte sich zu ihm um und lächelte. „Ich bin nicht hier, um nur mit dir auf deinem Zimmer zu hocken, also nehmen wir uns das auch vor, bevor ich wieder fliegen muss.“
Philipp wandte sich dann wieder dem Fenster zu und gähnte erneut. Er war wirklich müde, aber er wollte noch nicht gehen. Er durfte ja noch bleiben und er hatte gesagt, er blieb, bis er rausgeschmissen wurde.

„Ich zieh mich kurz um.“ Holger humpelte zum Schrank, kramte frische Schlafsachen heraus und verschwand dann im Badezimmer.

Philipp drehte den Kopf und sah Holger, der sich aus dem Bett quälte und dann zum Schrank humpelte. „Okay“, er nickte und sparte sich die Frage, ob er helfen konnte. Holger würde eh verneinen.
Nachdem er im Bad verschwunden war, sah sich Philipp im Zimmer erst mal richtig um. Es war weiß, wie es nun mal Standard war in Krankenhäusern, aber dennoch hing ein schönes Bild von einem Wasserfall an der Wand. War das der Luxus eines Einzelzimmers?
Der Kapitän erblickte einen Sessel in der einen Ecke. Der sah bequem aus. Er beschloss dort zu warten bis Holger wieder kommen würde.
Der war wirklich sehr bequem und weich. Philipp rutschte etwas weiter an die Kante, damit er sich besser anlehnen konnte und es dauerte nicht lange, da waren ihm die Augen zugefallen und er war eingeschlafen. Das war zwar nicht sein Plan gewesen, aber die Müdigkeit hatte die Oberhand gewonnen und Philipp musste sich dem zwangsläufig beugen.

Holger spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht, als er sich umgezogen hatte. Super, Philipp wollte also mit ihm in den Klinikgarten gehen. Aber was stellte er sich überhaupt so an? Selbst wenn sie auf den Kerl treffen würden, hieß es nicht zwangsläufig, dass er darüber reden musste.
Als er nach kurzer Zeit das Badezimmer verließ, fiel sein Blick sofort auf den breiten Sessel, der in der Ecke stand und in dem Philipp saß, oder eher schlief. Lächelnd schloss Holger die Tür, bemühte sich geräuschlos mit den Krücken voranzukommen und kämpfte sich zu dem Kapitän vor. Tatsächlich. Er war eingeschlafen. Sein Atem war richtig ruhig geworden und die hübschen Augen von den Lidern verdeckt. Holger ärgerte sich, dass er nicht einfach einen von den Stühlen nehmen und Philipps Beine darauf betten konnte. Dann musste es eben mit der Wolldecke, die er behutsam über den kleinen Körper des Bayernkapitäns legte, getan sein. Mehr oder weniger zufrieden betrachtete er ihn nun, wusste gar nicht wie lange er da neben dem Sessel stand und auf den schlafenden Kapitän blickte. Aber es war ein angenehmes Gefühl zu wissen, dass er anwesend war.
Holger stützte sich auf die Krücken und strich vorsichtig über seinen Kopf, sein Blick lag auf dem Mund des Älteren, der ganz leicht geöffnet war. Warum übte das jetzt so eine Anziehungskraft auf ihn aus?
Je näher Holger dem Gesicht des Älteren kam, desto schneller schlug sein Herz. Holger wusste nicht, woher dieses Verlangen kam einmal nicht betrunken die weichen, dünnen Lippen zu berühren. Philipp schien zum Glück tief und fest zu schlafen durch die Strapazen des Flugs. Und da es im Wachzustand ohne Alkohol nicht klappte, wollte er diese Chance nicht verstreichen lassen. Es war ein ganz kurzer Moment, vielleicht zwei Sekunden, in denen Holgers Lippen die von Philipp berührten. Auch handelte es sich mehr um ein Hauchen, eine richtige Berührung ihrer Lippen war es noch lange nicht, dazu fehlte dem Innenverteidiger doch der Mut ihn am Ende doch aufwecken zu können. Und wie sollte er ihm das denn dann erklären?
Leise trat er ein wenig zurück und humpelte mit Bedacht vorsichtig zu seinem Bett, um sich kurzerhand hinein zu legen und sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Die Medaille legte er vorher noch auf den Beistelltisch. Es ließ sich nicht bestreiten, dass Holger wesentlich schneller und ruhiger in den Schlaf glitt, als die ganzen letzten Tage.

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