Kapitel 33 - Flugzeuggeflüster



Weitere fünf Flugstunden verstrichen. Philipp und Holger wechselten sogar ein paar Worte, aber so ein richtiges Thema fanden sie nicht. Das war doch nicht möglich, dass der Kapitän gar nichts zu erzählen hatte. Oder er hatte womöglich einiges zu sagen, aber schwieg aus Angst Holger runterzuziehen, wenn er von der Mannschaft oder den Triumphen sprach. So war das dann wohl zwischen ihnen. Er hatte diese Themen wahrlich aus Philipps Repertoire vergrault. An sich war es im Grunde das, was Holger wollte, aber anderseits störte ihn das jetzt auch...
„Was würdest du an meiner Stelle machen?“, fing Holger an. Sein Blick lag noch auf der dichten Wolkenschicht, über der das Flugzeug schwebte. Erst als er seine Frage erklärte, schaute er in Philipps Richtung. „Dir das Kreuzband eines Toten einsetzen oder dich am gesunden Knie operieren lassen?“ Irgendwie wollte Holger seine Meinung wissen. Er schätzte Philipp, auch wenn er das in den letzten Tagen nicht ganz so gezeigt hatte. Aber wie sollte er sich dann entscheiden, wenn Philipp die andere Variante bevorzugen würde? Holger konnte und wollte sich nicht vorstellen, das Kreuzband eines Toten in seinem Knie zu haben. „Ich weiß, dass ich noch Zeit habe darüber nachzudenken, aber mir einreden, dass es sowieso noch ewig lang dauert, bis es soweit ist, möchte ich auch nicht.“

Philipp drehte mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht den Kopf und sah Holger an als dieser nach einer längeren Pause wieder versuchte ein Gespräch zu starten. Eines mit einem wirklich ernsten Thema.
„Hm... das ist eine gute Frage“, gab er zu. Was würde er tun? Klar, man stellte sich die Frage, warum man das gesunde Knie unnötig angreifen sollte, aber man hätte einen Teil von sich selber einfach nur an einer anderen Stelle im Körper und nichts von einem Fremden bzw. sogar von einem Toten.
„Es wurden ja schon viele Operationen am gesunden Knie durchgeführt ohne, dass groß etwas passiert ist... also bei anderen. Weißt du,“, Philipp legte den Kopf etwas schief und dachte nach, „ich glaube, es ist komisch mit dem Wissen rumzulaufen, dass man etwas von einem Toten in sich trägt, wenn es auch noch eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Es ist ja auch etwas anderes, wenn ich krank bin und eine Organspende bekomme, dann lebt das Organ ja noch, aber das Kreuzband... da kann man ja nicht sagen, dass es noch lebt, oder? Ist der Tote dann auch gerade erst gestorben oder schon länger tot? Ich hab da keine Ahnung von, muss ich zugeben. Aber mir ist bei dem Gedanken schon nicht ganz wohl.“
Das war ihm wirklich nicht. Es war seltsam. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass es ein schönes Gefühl war.
„Wozu tendierst du denn?“, fragte er dann plötzlich. Hoffentlich hatte er Holger jetzt nicht irgendetwas ausgeredet. Das war gewiss nicht sein Ziel gewesen.

Holger musterte Philipp beiläufig. An seiner Mimik konnte man deutlich erkennen, dass er sich ernsthaft Gedanken machte. Irgendwie freute sich Holger darüber. Der Ältere hätte die Frage auch einfach mit einem „Keine Ahnung“ abfertigen können. Stattdessen schilderte er seine Meinung dazu, die Holger wiederum nachdenklich stimmte. Dr. Steadman hatte schon die Risiken erklärt und in besonderen Fällen konnte es zu Komplikationen kommen. War er denn mittlerweile ein „besonderer“ Fall? Nein, eher nicht. Er war lediglich ein gigantisch großer Pechvogel, was seine Verletzungen anbelangte.
Wenigstens schien Philipp der selben Meinung zu sein wie er. Jetzt fühlte er sich endgültig bestätigt diesen Weg zu gehen. Natürlich blieb eine gewisse Unsicherheit, aber die kam schließlich daher, da man nie wusste, was in den nächsten Monaten kommen würde.
Erleichtert lächelte Holger ihn an. „Ich will kein Kreuzband eines Toten, selbst wenn die Gefahr besteht, dass ich mein gesundes Knie in Mitleidenschaft ziehe. Dr. Steadman hat mir die andere Option nahe gelegt, aber... nein, ich will das nicht.“

Philipp nickte leicht. „Dann mach das so. Wenn du das andere Kreuzband nicht willst, nimm es nicht. Entscheide dich für die Methode, mit der du dich wohler fühlst. Das ist dann die richtige Entscheidung“, er lächelte Holger an. Wollte ihm so Mut zusprechen. Es konnte gar nicht die richtige Methode sein, wenn er sie nicht wollte. Der Kopf spielte bei solchen Krankheitsgeschichten immer eine ganz große Rolle. Das war bei Holger im Moment eh so eine Sache, aber wenn er dann etwas an sich machen ließ, was er eigentlich nicht wollte, dann sah Philipp die Gefahr, dass er wirklich nie wieder richtig gesund werden würde.

„Danke.“ Holger freute sich ehrlich, dass Philipp ihm Mut zu sprach, da er seine Unsicherheit diesbezüglich wohl erkannt hatte. Auch dessen Lächeln, das sich auf seinem Gesicht gebildet hatte, ließen die Zweifel des Innenverteidigers schrumpfen.

„Nicht dafür“, lächelte Philipp. Es war ja auch wirklich keine große Sache. Er hatte ihm bloß Mut zugesprochen. Das tat man doch in so einer Situation, oder nicht? Vor allem bei Menschen, die man mochte und das tat Philipp. Er mochte Holger.

„Dann eben für alles andere, was du in der letzten Zeit für mich getan hast“, ging Holger direkt darauf ein. Das war nämlich eine ganze Menge. Allen voran hatte er seine Laune ertragen und dafür sollte man Philipp einen Orden verleihen. Ob Basti oder Mario sich das alles hätten gefallen lassen? Auch wenn sie rein theoretisch viel mehr miteinander zu tun hatten, glaubte Holger nicht daran, dass sie alles eingesteckt hätten.

Überrascht sah Philipp Holger an. Damit hatte er nicht gerechnet. Sein überraschter Ausdruck wurde sanfter und er lächelte beinahe liebevoll. „Das habe ich gerne getan.“ Und das war die Wahrheit. Auch, wenn es zwischendurch vielleicht anders aussah oder er anders dachte, aber im Endeffekt hatte er das gerne getan.

Das angenehme Gefühl, was sich immer in ihm ausbreitete, wenn Philipp ihn aufrichtig anlächelte, machte sich erneut bemerkbar. Es fühlte sich viel besser an als dieser elender Gedanke an sein Kreuzband. Es war nicht so, dass er es bereute dieses ernste Thema angeschnitten zu haben, aber sie sollten es mal wieder fertig bringen über etwas ganz Normales zu sprechen. Über Hobbies oder so etwas in der Art. Gab es da überhaupt etwas in Philipps Leben, das Holger nicht schon kränkend abgewiesen hatte? Hatte Thommy nicht mal erzählt, dass er gegen Philipp gewonnen hatte? Nur bei was... Beim Reiten etwa? Holger kramte in seinem Gedächtnis und stieß auf des Rätsels Lösung. Philipp und Thomas spielten gern Golf. Darüber konnten sie sich doch unterhalten, das hatte rein gar nichts mit Fußball zu tun oder mit etwas, was Philipp besaß und Holger nicht hatte und ihn deshalb nicht passte. Es war nicht so, dass seine Familie ihn störte... irgendwie mochte er nur den Gedanken an Claudia als Philipps Ehefrau nicht. Warum das so war, wollte er sich lieber nicht fragen...
„Was hast du eigentlich für die Sommerpause alles geplant? Golfen mit Thommy?“ Spielten die nicht auch an manchen Abenden zusammen Schafkopf? Holger fand es wieder einmal richtig schade, dass sie eigentlich nie zusammen etwas unternommen hatten. Hatten sie wirklich keine einzige Gemeinsamkeit außer Fußball? Und die wurde ihnen ja nun mehr oder weniger genommen.

Überrascht sah Philipp ihn an. „Ja… ja, da ist ein Turnier, wo wir hinwollen. Hat Thommy davon erzählt?“ Oder war es Zufall gewesen, dass Holger ins Schwarze getroffen hatte?

„Nein, nicht direkt. Nur, dass er mal gegen dich gewonnen hat und ich dachte -“ Wieder blieb ihm nichts anderes übrig als sein Gesagtes abzubrechen. Er wollte über etwas sprechen, was nichts mit Fußball oder Familie oder sonst irgendetwas, was ihn störte, zusammen hing. Aber das so offen mitteilen? Eher nicht.

Abwartend sah er Holger nun an. Was dachte er? Dachte er, dass das ein Thema war bei dem sie nicht aneinander gerieten?

„Ich wollte die restlichen Stunden nicht schweigend verbringen und hab mir irgendein Thema ausgesucht, von dem ich weiß, dass es dich interessiert.“ Holger grinste Philipp an, hoffte, dass er nichts mehr dazu sagen würde.

Ach so… Philipp grinste zurück. Das war ja lieb von Holger. Ihn selber interessierte Golfen doch sicher nicht, oder? Zumindest wäre ihm das neu. Thomas hätte das sicher mal erwähnt, wenn es so wäre.
„Und sonst wollen Claudia und ich noch in den Urlaub. Eine Woche nach Hawaii. Claudia meinte, dass Sarah voll begeistert war von unserem Hotel und eventuell gucken wollte, ob sie und Basti auch noch ein Zimmer kriegen…“, erzählte er weiter. Philipp hatte einen fragenden Ausdruck im Gesicht. „Aber frag mich nicht, was damit ist. Ich habe da schon gar nicht mehr dran gedacht.“ Er grinste etwas. Im nächsten Moment fiel ihm aber wieder auf, dass es vielleicht nicht richtig war davon zu erzählen. Holger konnte nicht in den Urlaub fliegen und eine Freundin, die mitkommen könnte, hatte er auch nicht.

Eigentlich hatte er vor noch auf das Turnier einzugehen, aber der Kapitän fing von dem geplanten Hawaii-Urlaub an. Natürlich mit Claudia... Es verwunderte Holger aber schon, dass Philipp gar nicht mehr daran gedacht hatte, ob Sarah und Basti auch mitkamen. Durch was hatte sich das so in den Hintergrund gedrängt? Vielleicht durch den anstrengenden Aufenthalt in Vail. Das könnte gut sein und war auch das Wahrscheinlichste. Aber dachte man da nicht erst recht an erholsamen Urlaub mit Familie und Freunden?
„Freust du dich denn schon?“ Dieses mal würde er nicht wieder rumzicken, weil ihm das Thema nicht passte. Er hatte es versprochen und er riss sich auch zusammen. So schwer war das nun auch wieder nicht. Aber er sollte nicht vorschnell urteilen. Noch kannte er Philipps Antwort nicht und wenn der ihm wieder vorschwärmte, wie toll doch alles war, wusste Holger auch nicht, wie er darauf reagieren sollte.

Freute er sich? Philipp musste ernsthaft darüber nachdenken. „Ich weiß nicht“, gab er zögerlich zu. „Ich habe da in keinster Weise dran gedacht in den letzten Wochen. Der Fußball hat mich zu sehr eingenommen. Ich war gedanklich nur bei den Titeln, die wir holen können und nicht bei dem Urlaub, der danach folgt. Egal ob mit oder ohne Triple“, erklärte er.

Auf seine Frage hin, reagierte Philipp zögerlich. Holger war die Irritation deutlich anzumerken. Dies besserte sich auch nicht durch die Erläuterung, warum er sich noch keine Gedanken darüber gemacht hatte. Niemand konnte ihm einen Vorwurf machen, dass seine Gedanken beim Fußball waren, aber konnte man dann nicht mal die einfache Frage, ob man sich auf den Urlaub freute, beantworten? Für Holger ergab das keinen Sinn. Philipp hatte doch in der Eisdiele darüber geschwärmt, wie gut es bei ihm lief. Sollte er nachhaken? Eigentlich wollte Holger nicht, wenn er ehrlich war. Er würde sowieso nur hören wollen, dass eben nicht alles so glatt in der Familie, vor allem aber in seiner Ehe, lief und dies würde Philipp ihm sicher nicht offenbaren. Weil es eben vermutlich nicht so war und das alles nur seinem Wunschdenken entsprach.
Noch irritierter als zuvor blinzelte Holger mit den Augen. Hatte er gerade wirklich in seinen Gedanken die Hoffnung, vielleicht sogar den Wunsch, geäußert, dass es in Philipps Ehe kriselte? Was versprach er sich denn dann davon? Und schon war Holger wieder bei dem Kuss... Vielleicht war es wirklich gut, wenn er Philipp erstmal nicht sah. Er musste sich mal einen Überblick verschaffen, was sich sein Kopf alles ungefragt zusammenreimte.

„Und die letzte Woche waren meine Gedanken auch eher bei dir als bei meinem Urlaub“, er grinste Holger an. Das war nicht böse gemeint, hoffentlich fasste er es nicht so auf. Sonst hätte er mehr an den Pokal gedacht als an den Urlaub. Gerade war halt noch diese Anspannung da. Sie mussten das Spiel in Berlin unbedingt gewinnen. Er wollte es so sehr. Wenn nicht jetzt, wann dann?

„Die Gedanken sind sicher nicht alle positiver Natur, hm?“, meinte Holger. Konnte er nicht einfach mal den Mund halten? Die Anspielung konnte jetzt schließlich wieder böse enden... Es hätte ja schon geholfen, wenn er vorher mal über Philipps Aussage nachgedacht hätte. Dann wäre ihm bestimmt aufgefallen, dass das richtig niedlich war. Der Kapitän dachte nicht an Fußball und Urlaub, sondern an ihn. Also größtenteils wahrscheinlich. Oder kam doch das Triple vor Holger? Eigentlich war es völlig egal. Philipp hatte ihm doch schon oft bewiesen, dass er nicht nur Zeit mit ihm verbrachte, weil Jupp das so aufgetragen hatte.

Irgendwie versetzte diese Aussage Philipp einen Stich. So hatte er das nicht gemeint. Darum ging es doch auch gar nicht. Das war doch egal. Wie konnten sie denn bei seiner jetzigen Verfassung auch positiv sein?
„Darum geht es nicht“, flüsterte er beklommen und wusste gar nicht, ob Holger ihn überhaupt gehört hatte.

Holger hätte sich erhofft, Philipp würde gar nichts zu seinem dämlichen Kommentar, die Gedanken seien nicht durchweg positiv, sagen. Es war aber auch dumm so etwas zu äußern.
Auch wenn Philipp sehr leise gesprochen hatte, verstand Holger ihn. Kaum merklich nickte er, wollte darauf nicht weiter eingehen. Irgendwie ging es darum, irgendwie aber auch nicht. Es war reine Ansichtssache und aus welchem Grund auch immer beschlich Holger das Gefühl, dass sie das sowieso unterschiedlich interpretiert hatten. Der Blonde meinte es auf der Gefühlsebene, während Philipp es eher auf die Tatsache bezog, dass er ohne Kreuzband, und mit dem Wissen etwa zehn Monate auszufallen, nach Hause flog.

„Na ja und wenn ich in München bin, gehe ich dir noch hin und wieder auf die Nerven“, wusste Philipp abzulenken und zwinkerte Holger zu. Der sollte ja nicht glauben, dass er Philipp los war, nur weil sie wieder in Deutschland waren.

Bei Philipps Vorwarnung, rauschte eine angenehme, nicht ganz einzuordnende Vorfreude durch seinen Körper, die da eigentlich aber nichts verloren hatte. Es war doch nur Philipp... ein Kollege, ein Freund, nichts weiter.
„Fünfmal am Tag“, schmunzelte er. Holger war es schon fast unheimlich, dass er schon so offensichtlich nach Philipps Nähe verlangte und so zufrieden lächelte. Und das obwohl er ihn doch ständig nur zurückgestoßen hatte.

Philipp lachte leicht. „Von mir aus auch öfters oder zehn Stunden am Tag. Vielleicht kriegst du auch mal einen Tag Pause von mir“, scherzte Philipp weiter. Holger hatte doch sicher keine Lust auf einen Philipp, der die ganze Zeit bei ihm war. Er hockte ja schon in Vail nur an seiner Seite, da war er vielleicht froh in München seine Ruhe zu haben. Oder?
Irgendwie schmerzte der Gedanke etwas, dass Holger ihn vielleicht leid war. Dass er keine Lust mehr auf ihn hatte. Er könnte es ihm nicht verübeln, aber irgendwie… Philipp wollte einfach für ihn da sein. Bei ihm sein. Irgendwie war ihm das ein großes Bedürfnis.

Pause? Die hatte er doch, wenn Philipp im Urlaub war. Da musste also kein extra Tag zusätzlich dazwischen geschoben werden...
„Die Pause muss nicht sein“, war er ehrlich und irgendwie damit auch seltsam offen. Aber er wollte das jetzt klarstellen. „Du kannst jederzeit vorbeikommen. So oft und so lange du willst.“

Philipp war noch überraschter als eben. Wow, da war Holger aber wirklich fast schon erschreckend offen zu ihm. Er hätte nicht gedacht, dass er das sagen würde. Oder sagte er das nur, um Philipp zufrieden zu stellen? Nein, das wollte er Holger auch nicht unterstellen.

„Bald bin ich ja die Krücken vorerst wieder los und dann könnten wir vielleicht mal zusammen Golfen oder so.“
Wollte Holger sowieso schon mal ausprobieren, aber es hatte sich bisher einfach noch nicht ergeben. Sie konnten natürlich auch was anderes machen, aber eben das fiel ihm jetzt spontan ein, auch wenn er jetzt schon wieder stark zweifelte. Philipp würde womöglich schon einwilligen und das nur, weil er ihn eben nicht ausgrenzen wollte.

Es war ja wirklich süß von ihm. Vor allem auch der Vorschlag mit dem Golfen. Auf die Lippen des Kleineren schlich sich wie von selbst ein Lächeln. Es war auch ein schönes Gefühl zu wissen, dass er wohl wirklich Zeit mit ihm verbringen wollte, weil er ihn gerne um sich hatte. Trotz der ganzen Sachen in Vail… in seinen Gedanken stutzte Philipp. Ihm kam der Kuss wieder in den Sinn und die damit verbundenen Fragen. Was wenn Holger doch mehr für Philipp empfand?
Er kam nicht dazu weiter darüber nachzudenken, denn Holger sprach weiter.

„Ach, war 'ne blöde Idee", ruderte er doch zurück. "Das ist ja eher dein Ding mit Thommy, da will ich nicht dazwischen funken. Ich würde dir sowieso früher oder später die Laune verderben.“ Seufzend drehte er seinen Kopf zum Fenster. Sein Ausdruck war undefinierbar. Aber glücklich sah anders aus. Vielleicht sollte er einfach die restlichen Stunden schlafen, dann bestand wenigstens keine Gefahr einer Diskussion.

Philipp beugte sich nach vorne, um sein Gesicht besser sehen zu können, aber das klappte nicht. Kurzerhand griff er sanft an das Kinn des Jüngeren und zwang ihn sanft dazu ihn anzusehen.

Holgers Herz klopfte augenblicklich schneller, als Philipps Hand sein Kinn berührte und sich kurz darauf ihre Blicke trafen. Wie schaffte der Kapitän es bloß, dass Holger jedes Mal, wenn er in diese braunen Augen schaute, sich wie in einem unendlichen Meer verlor? Jedes Mal fiel ihm die Farbintensität des graublau-Schimmers mehr auf, faszinierte ihn und gaben ihm Rätsel auf, warum er vorher nie darauf geachtet hatte. Und wieso er das jetzt auf einmal so bewusst wahrnahm. Holger wagte es kaum normal weiter zu atmen, auch wenn ihre Gesichter noch einige Zentimeter trennten.

„Hör doch mal auf so negativ zu denken“, Philipp lächelte ihn an. „Du kannst doch gerne mitkommen, wenn du möchtest. Wir können auch alleine gehen, wenn du deine Ruhe vor Thommy haben willst. Nur, weil ich ein paar Mal mit ihm golfen war, heißt das ja nicht, dass ich das nur noch mit ihm machen muss.“
Wieso er das tat, wusste er nicht, aber zärtlich strich er über Holgers Wange, ehe er seine Hand wieder wegnahm.

Philipp lächelte ihn an und Holger starrte ihn an, als wäre er ein Geist, als dieser auch noch liebevoll über seine Wange strich. Hastig riss er den Blick von seinen Augen los und folgte der Hand, die seine Wange berührte, ehe er wieder aufsah.

Irgendwie fragte Philipp sich, warum Holger ihn so überrascht ansah. Rechnete er nicht damit, dass er ihn zwang ihn anzusehen? Oder dachte er, er wollte ihn kü-… nein, da ging wohl Philipps Fantasie mit ihm durch. Allerdings hätte er auch nichts dagegen, dass… okay, Stopp! Er mahnte sich dazu mit diesen dämlichen Gedanken aufzuhören.
Aber was sollte er sonst denken, wenn Holger sich so… ja, regelrecht nervös benahm. Philipp verstand es nicht. Oder er wollte es nicht verstehen.
„Du verdirbst mir die Laune, wenn du solche Sachen sagst, das will ich nicht hören, Holger, hörst du?“
Er fixierte die blauen Augen des Innenverteidigers. Das wollte er wirklich nicht hören. Holger sollte anfangen positiver zu reden. Das war doch so wichtig für seinen Heilungsprozess. Außerdem sah Philipp ihn viel lieber lächeln als mit so einer traurigen Miene.

Dieser eindringlicher Blick, der ihn so fixierte, ließ Holger schreckhaft nach unten schauen. Er musste antworten, Philipp wartete darauf. „Ja.“ Er nickte langsam. Er wusste ja, dass Philipp sowas nicht hören wollte. „Tut mir Leid, ich weiß, dass ich versprochen habe mich zusammenzureißen.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln sah er erneut auf. Das galt schließlich nicht nur für seine extremen Stimmungsschwankungen.

Philipp nickte. Ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Wir können ja, wenn es soweit ist, spontan ent-“ -

„Liebe Fluggäste“, ertönte die Stimme der Stewardess.

Was war denn jetzt? Holger verdrehte die Augen. Es war kein wichtiger Satz, der sich nicht nachholen ließ oder besondere Überwindung kostete, aber trotzdem war die Unterbrechung der Unterhaltung jetzt doch recht unpassend.

„Wir erreichen in wenigen Minuten den Zielflughafen...“

Schon? Holger sah auf die Uhr. Tatsächlich... obwohl er bis eben noch dachte, dass sie noch gut drei Stunden vor sich hatten, aber er hatte sich wohl getäuscht. Auch wenn er sich freute bald wieder in Deutschland zu sein, überwog doch das bescheidene Gefühl nicht mit Philipp nach Berlin fliegen zu können.

„Das ging fix“, murmelte Philipp. „Aber hey, dann dauert es nicht mehr lange, bis du Zuhause bist“, aufmunternd lächelte er Holger wieder an. Getrennte Wege gehen, hieß, dass er nicht mit nach Berlin konnte. Nicht mitfeiern konnte, wenn sie das Triple gewannen. Und das würden sie, da hatte Philipp keinerlei Zweifel dran. Irgendwie tat es ihm weh, das zu wissen.

Holger merkte, dass Philipp versuchte aufmunternd zu klingen, als er ihn anlächelte. Aber wussten sie nicht beide, dass das auch gleichbedeutend mit Trennung und Holgers unerfülltem Wunsch mit nach Berlin fliegen zu dürfen, war?


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