Kapitel 159 - Skypen will gelernt sein

 


Sich unwohl fühlend wälzte Holger sich die ganze Nacht hin und her, wodurch er am nächsten Tag dementsprechend gerädert war und darum bat, die Maßnahmen so kurz wie möglich zu gestalten. Außerdem wollte er spätestens am Nachmittag, bevor es in Deutschland in die Nachtruhe ging, Philipp kontaktieren und ihm die frohe Botschaft überbringen, dass sie keine Angst haben mussten. Doch döste er am Vormittag nach einer Rehaeinheit ein und hatte auch sein Handy auf lautlos, sodass er die Nachricht des Kapitäns gar nicht erst bemerkte.

 

Erst als eine Schwester herein kam und ihm das Mittagessen servierte, wurde der Innenverteidiger wach und warf einen schläfrigen Blick auf sein Handy. Obwohl er sich erst gestern Abend so den Kopf darüber zerbrochen hatte, konnte er sich nicht gegen das Lächeln wehren, was sich auf seine Lippen schlich. Er hatte dem Älteren etwas voraus, weswegen er sich dazu entschloss, nicht zu viel dazu zu sagen. Sonst würde er sich nur rechtfertigen müssen, warum er nicht sofort Bescheid gesagt hatte, um ihn aus der Ungewissheit zu befreien. Philipp würde auch eine Erklärung wollen und die konnte und wollte Holger ihm aktuell nicht geben. Doch er befürchtete, dass er es irgendwann ansprechen musste, dass ihn seine Reaktion verletzt hatte. Oder er redete mit Mario darüber, denn er kannte seinen Philipp in der Hinsicht zu gut. Er würde sich zu seinem Besten von ihm trennen, weil er ihm sein Doppelleben nicht mehr länger zumuten wollte. Dabei wäre das eher das Schlechteste, was er ihm antun konnte. Auch nach überstandener Verletzung wollte er nicht auf Philipp verzichten, schließlich würde es erst dann noch schöner werden, weil er wieder mit den anderen trainieren und bei der Mannschaft sein konnte.
//Mir passt es jetzt :*//, gab er seinem Kapitän Bescheid in der Hoffnung, es würde ihm auch passen. Ein wenig war die Nachricht schon her. Während er auf Antwort wartete, widmete er sich seinem Mittagessen.

 

 

Es vergingen einige Stunden, ehe Holger sich überhaupt zu Wort meldete. Philipp hatte zumindest zwischendurch mit einer Nachricht von Holger gerechnet, aber es war nichts gekommen. Vielleicht hatte dieser aber sein Handy gar nicht dabei gehabt. Der Smiley zeigte aber ja auch, dass Holger nicht sauer war. Aber hatte er Recht dazu? Er hatte sie verraten, aber Philipp hatte ihn gestern auch abgewürgt.
„Kompliziert“, murmelte Philipp leise.


„Was hast du gesagt?“, Claudia drehte sich ihm zu und legte eine Hand auf seinen Oberschenkel.

Nichts, schon gut“, winkte er ab, lächelte kurz und legte seine Hand auf ihre. „Ich muss mal eben telefonieren. Ich bin gleich wieder da.“ Philipp gab Claudia einen kurzen Kuss auf die Wange, ehe er aufstand und das Wohnzimmer verließ.
Im Schlafzimmer setzte er sich aufs Bett und wählte Holgers Nummer.

 

Die Antwort kam zügig. Holger legte die Gabel zur Seite und konzentrierte sich voll und ganz auf sein Handy, um den Anruf entgegen zu nehmen. „Hey“, begrüßte er ihn als erstes.

Du hast Jupp getroffen? Was hat er gesagt?“, zeigte er sich sofort interessiert. Obwohl er das im Prinzip wusste und alle Urteile über die Beziehung würde Philipp ihm sowieso nicht verraten. So musste sich der Innenverteidiger wohl oder übel damit abfinden, es nie zu erfahren, was Jupps Meinung zu ihnen war. Aber es ging vorrangig ja darum, ob er ihr Geheimnis bewahrte und nicht welches Urteil er sich anmaßte.

 

Hey“, auf seinen Lippen zeichnete sich sofort ein Lächeln ab. Da merkte er die Gefühle, die er für den süßen Innenverteidiger hatte. Allerdings schwand es auch, als Holger nachhakte.
„Ich habe ihn zufällig beim Trainingsgelände getroffen“, fing er an. Philipp erzählte, dass er sie nicht verurteilen oder verraten würde. Den Teil mit Claudia ließ er weg. Das brauchte Holger nicht wissen. Sollte er auch gar nicht. Die Sache war so schon kompliziert genug. Vermutlich konnte es sich aber eh denken, dass Jupp Claudia angesprochen hatte.

Es war komisch“, gab Philipp zu. „Ich konnte damit am Anfang überhaupt nicht umgehen, aber Jupp war ganz souverän. Ich vertraue ihm auch und glaube, wir können darauf vertrauen, dass er schweigen wird.“
Wohl war ihm trotzdem nicht dabei, dass Jupp Bescheid wusste. Aber das wollte er Holger nicht sagen. Er wollte ihm nicht noch mehr Schuldgefühle bescheren, als er vermutlich eh schon hatte.

 

Aufmerksam verfolgte Holger Philipps Erklärung und erhielt die Antwort, die er tatsächlich schon kannte. Dass es komisch war, glaubte er dem Kapitän, was er ihm auch mitteilte. „Damit hat er bestimmt nicht gerechnet.“ Das sicherlich nicht. Er hatte es damals nur gut gemeint, in dem er ihm Philipp penetrant mitgeschickt und auf den Hals gehetzt hatte. Etwas, wofür er Jupp unglaublich dankbar war. „Das wird er bestimmt, immerhin ist er ja nicht ganz unschuldig daran“, schmunzelte Holger leicht. „Ich vertraue ihm auch.“ Aber vertraute er Philipp in einer Hinsicht? Würde er ihn bald alleine lassen und glaubte, ein Ring würde ihn ersetzen können? Trotz dieser Gedanken tat es ihm so gut, seine Stimme zu hören. Das Wissen, dass er sich gerade nur mit ihm beschäftigte und nicht mit seiner Frau.

 

Irgendwie war das Philipp gar nicht so bewusst gewesen, dass Jupp in gewisser Weise schuld an ihrer Lage war. Er hatte ihn damals mit nach Vail geschickt. Philipp hatte nicht gewusst, was er da tun sollte. Im Nachhinein hatte das alles erst Sinn ergeben. Das erste Mal so richtig verstanden hatte er es vermutlich, als er Holger an der Säbener Straße so am Boden gesehen hatte. Dass sich ihre Beziehung so verändern würde, konnte selbst da ja noch niemand ahnen.

 

Just in dem Moment hörte man im Hintergrund Julian schreien. Irgendwie ahnte Holger, was das zu bedeuten hatte.


Philipp verfiel in Gedanken. Er hörte Holger gar nicht mehr richtig zu. Erst Julian riss ihn aus seinen Gedanken.

 

Du wirst verlangt, hm?“ Er überspielte die Traurigkeit und wollte sich lieber mit dem nächsten Skypetermin befassen. Oder gab es keinen mehr? Nach den zwei kleineren Katastrophen wäre es nicht verwunderlich, wenn Philipp nicht mehr wollte.

Skypen wir eigentlich nächste Woche wieder oder ist dir darauf die Lust vergangen?“ Holger versuchte es locker klingen zu lassen, wollte Philipp diesbezüglich nicht unter Druck setzen. Seine Stimme zu hören, gefiel ihm ja auch gut. Wenn er jedoch auch skypen wollte, würde er dafür sorgen, dass Schwester Anna dieses Mal ganz sicher nicht stören würde.

 

Philipp hörte, wie Claudia das Wohnzimmer verließ.
„Nein, ich hab noch Zeit.“ Wieder brachte er den Namen seiner Frau nicht über seine Lippen.

 

Holger konnte sich vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Claudia kümmerte sich um Julian, die bei ihm war und seine Nähe gleich nach dem Telefonat genießen wollte. Holger bemühte sich aber trotzdem darum, erst mal keine Missgunst aufkommen zu lassen. Doch ein Blick auf seine eingewickelten Beine tat im Endeffekt ihr übriges und er verdrehte automatisch die Augen.

 

Und skypen… na ja… wer erfährt denn dieses Mal von uns?“, versuchte er zu scherzen, lachte auch leicht dabei. Allerdings war das gar kein so lustiger Witz, denn auf mehr Mitwisser konnte Philipp wirklich verzichten. Auf das skypen hingegen wollte er nicht verzichten. Und das nicht nur Holger zu liebe. Er konnte auch nicht auf ihn verzichten.

 

Philipp lachte. Zum Glück, denn seine Worte klangen so skeptisch in seinen Ohren, auch wenn er es verstanden hätte, wenn der Ältere keinen Bock mehr gehabt hätte. „Ich sag Schwester Anna im Vorfeld Bescheid. Zur Not kann ich ja auch einen Zettel an die Tür hängen“, schlug er vor. Alternativ könnte Holger ihn auch nicht mehr darum bitten, sich auszuziehen oder irgendeinen dämlichen Witz machen. „Eine normale Unterhaltung kriegen wir schon hin ohne dass noch jemand davon erfährt.“
Die beiden unterhielten sich nur noch kurz und vereinbarten eine gute Zeit zum Skypen in ein paar Tagen. Beide Terminkalender waren leider ziemlich ausgefüllt, wobei der Innenverteidiger wesentlich mehr freie Zeit zur Verfügung hatte als Philipp, der durch Verein, Nationalmannschaft und Familie eingespannt war.

An diesem Tag telefonierte er auch noch mit Bastian und Mario. Das Gespräch mit dem Halbspanier dauerte lange und irgendwann hatte Holger das Thema von selbst abgebrochen, um ein neues zu beginnen. Mario wollte ihm zur Seite stehen und hatte auf ihn eingeredet, dass es besser war, wenn er Klartext mit Philipp redete, aber das hatte Holger vehement abgelehnt. Er hatte zu große Angst ihn dann ganz zu verlieren.

 

 

Am nächsten Abend waren Philipp und Claudia mal wieder essen. Es war ein schöner Abend zu zweit, den sie mal wieder gebraucht hatten. Claudia mehr als Philipp. Zumindest hatte er das vorher gedacht. Nach diesem Abend war er sich da nicht mehr so sicher. Vielleicht hatte er es auch dringend gebraucht, um sich sicher zu sein, dass die Entscheidung für Claudia die richtige war.

So absurd war es aber dann auch irgendwie, dass er sich ein paar Tage später wieder mit Holger zum Skypen verabredete. Claudia war wieder mit ihren Freundinnen bei einem Kochkurs. Julian schlief und Philipp saß wieder auf seinem Bett. Mit Shirt.
Holger war auch online und der Ältere rief ihn sofort an. Er freute sich darauf ihn wieder zu sehen und mit ihm zu sprechen.

 

 

Holger war schlecht gelaunt. Nicht, weil Philipp nicht da war und auch nicht, weil die Mannschaft wie so oft ohne ihn die Spiele gewann, nein, er war mies drauf, weil seine Knie Schmerzen verursachten. Das Rechte mehr als das Linke. Ob es doch ein Fehler gewesen war, sich das gesunde Knie aufschneiden zu lassen? Das beunruhigte ihn, aber er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen vor Schwester Anna. Er wollte sich jetzt nichts anhören, dass er positiv denken sollte, denn er war sich absolut sicher, dass er diese Predigt bestimmt bekommen würde. Es war das eine, wenn Philipp das machte, aber andere ihm fremde Personen? Jemand, der nicht in seiner Situation war, sollte sich kein Urteil erlauben, wie er sich zu fühlen hatte. Manchmal ging es eben einfach nicht positiv zu denken. Nicht, wenn man ständig verletzt war und seinen Traum nicht mehr leben konnte.
Holger hatte einige Zeit überlegt, ob er Philipp nicht schreiben sollte, dass er lieber schlafen wollte oder doch keine Zeit hatte, aber wenn er schon mal die Möglichkeit hatte seinen Freund zu sehen, wollte er diese auch nutzen. Nur war das leichter gesagt als getan, denn es wurmte ihn, dass er heute überhaupt keine Übungen hatte machen können, da Gefahr bestand, dass sich Flüssigkeit in seiner Verletzung ansammelte. Das war ein ganz kleiner Rückschritt, weswegen es doch verständlich war, dass er nicht in bester Laune vor dem Laptop saß.
Dennoch zierte ein halbwegs aufrichtiges Lächeln das Gesicht des Innenverteidigers, als Philipp online kam und ihn auch prompt kontaktierte. Seine Verletzung änderte ja nichts an den Gefühlen für den Kapitän.
„Ich habs langsam satt hier zu sein“, moserte er los, als er ihn eigentlich begrüßen sollte. Aber genau in diesem Augenblick hatte sich seine Verletzung wieder heftig bemerkbar gemacht und er tat sich schon schwer ein angestrengtes Schnaufen zu unterdrücken. Eigentlich wollte er sich erneut an dem Lächeln versuchen, was eben verschwunden war, aber er ließ es bleiben. Sein Bein tat weh, er konnte sich nicht über eine Umarmung und die starke Schulter Philipps freuen und auch sonst lief nichts so, wie er es sich wünschte. Klasse Timing, dass sie gerade heute den Termin zum Skypen vereinbart haben.

 

Wow“, entfuhr es Philipp überrascht. „Eine schöne Begrüßung. Ich freue mich auch dich zu sehen, Darling.“ Er schmunzelte etwas, hoffte so auch auf Holgers Lippen ein Lächeln zaubern zu können.
Aber er ahnte, dass es schwer werden würde. Holger klang ganz so, als wäre er ziemlich genervt. Und er musste noch ein Weilchen da sein, das wussten sie beide nur zu gut. Vielleicht schaffte er es aber ja auch, dass Holger wieder lächelte und eine bessere Laune bekam.

 

Philipp nahm ganz locker hin, dass er nicht in bester Laune war. „Sorry“, nuschelte er und senkte seufzend den Kopf, ehe er sich zusammenreißen wollte. „Du weißt ja, dass ich mich immer freue dich zu sehen“, erwiderte er brav. Kurz zuckten auch seine Mundwinkel beim Anblick von Philipps Schmunzeln, aber das hielt nur für einen Bruchteil von Sekunden an.

 

Schon okay“, erwiderte Philipp. Er wusste es und das war irgendwie auch ein Problem in dieser ganzen Geschichte. Hätte Holger nicht so starke Gefühle für ihn, wäre er der einzige, der bei einer Trennung leiden müsste. Aber das Leben war kein Wunschkonzert.

 

Anstatt die Gelegenheit zu nutzen, um Philipp etwas zu erzählen oder ihn zu fragen, was er so trieb, blickte er nur abwartend in den Bildschirm. Was sollte er schon erzählen von Vail? Er konnte ja immer noch nicht auf Krücken gehen und war an diesen dämlichen Rollstuhl gefesselt, während seine Mannschaft etliche Siege einfuhr. Das trug definitiv nicht zu besserer Laune bei.

 

Eigentlich wollte Philipp etwas sagen oder er rechnete damit, dass Holger etwas sagte, aber der starrte ihn nur beinahe teilnahmslos an.
„Hey… was ist los? Du wirkst alles andere als glücklich.“ Es war doch nicht etwas mit dem Knie, oder? Die Angst kam in ihm hoch. Hoffentlich gab es keine schlechten Neuigkeiten.

 

Holger war fast in Versuchung aufzulachen. Natürlich wirkte er nicht sonderlich glücklich, denn das war er momentan nicht. Nicht, wenn sich seine Verletzung bemerkbar machte. Schlimm genug, dass er sie überhaupt erleiden musste, dann sollte man ihm wenigstens genug Schmerzmittel verabreichen, damit er nichts mehr spürte.

Nichts“, winkte er ab. Er wollte jetzt nicht darüber reden. Aber auch später nicht, denn er hoffte, dass das wirklich nur heute so war mit seinem Knie und er morgen die Reha weiter machen konnte ohne einen weiteren kleinen Eingriff in Kauf nehmen zu müssen.

 

Das war so typisch Holger. „Du weißt doch, dass du mit mir reden kannst. Wenn nicht mit mir, mit wem denn dann?“
Sobald er die Frage gestellt hatte, wusste er die Antwort. Er konnte nicht mit ihm reden, wenn es um sie beide ging. Wenn es um ihre Zukunft ging. Wenn es um Claudia ging und um Julian.
Philipp zögerte. Es würde nicht darum gehen. Er glaubte es nicht. Denn das hat Holger bisher immer gut gekonnt. Nie hatte er ihre Beziehung angesprochen. Nie hatte er gefragt, was mit ihnen war und was mit ihnen sein würde. Es musste was anderes sein.

 

Philipp machte es mit seinen Worten wirklich nicht besser. Absolut nicht. Wollte er ihm unterschwellig mitteilen, dass er niemanden hatte und er dagegen eine Familie? Aber er konnte ihm das nicht unterstellen, sonst würde es wieder genauso werden, wie bei seinem ersten Aufenthalt in Vail. Dennoch schmerzten die Worte und in Kombination zu den Schmerzen im Knie, war das beinahe unerträglich für den Innenverteidiger.


„Nutze doch den Moment. Wer weiß, wann wir wieder skypen können. Also sprich doch mit mir“, versuchte er ihn wieder zu ermuntern. Philipp wollte Holger seine Sorgen nehmen. Die konnte er in Vail nicht gebrauchen.

 

Ich hab doch eben gesagt, dass nichts ist“, blieb Holger dabei, denn Philipp konnte an seiner Verletzung ja nichts ändern. Gerade aber, weil es ihm klar war, dass es einer der seltenen Momente war, in denen sie ungestört skypen konnten, hatte er sich doch vor den Laptop gequält. Deshalb konnte er es nicht ertragen, wenn Philipp ihn jetzt noch zum Reden zwingen würde.

 

Philipp unterdrückte ein Seufzen. Er liebte Holger zwar, aber es gab Seiten an ihm, die er definitiv nicht liebte. Und das war diese sture Verbohrtheit, wenn es darum ging über etwas zu sprechen.

 

Können wir über etwas anderes reden?“ Seine Stimme klang deutlich genervter als zuvor. Es tat ihm schon Leid, dass er den Älteren so abblockte, aber es ging eben nicht anders.


„Nein.“ Philipp war jetzt genauso stur.

 

Es war so klar, dass Philipp sich nicht abwimmeln ließ. Es war damals gut gewesen, dass er sich nicht hatte verschließen dürfen, aber in solchen Momenten mochte er es nicht. Was sollte er über etwas sprechen, was Philipp nicht ändern konnte? Die Schmerzen im Bein würden nicht nachlassen, nur weil er seinem Freund, der tausende Kilometer entfernt war, davon erzählte.

 

Merkst du eigentlich, wie genervt du klingst? Kotz dich aus und dann können wir über was anderes reden. Aber sag mir, was los ist. Sonst reden wir gleich über etwas und ich greife das Thema auf und darf mich von dir anfahren lassen. Das macht uns beiden keinen Spaß.“ Hartnäckig visierte er die kleine Kamera in seinem Laptop. Würde Holger jetzt reden?

 

Während Philipp ihn weiter bearbeitete, strich er gequält über sein Bein. Er wollte sich hinlegen und sich Schlaftabletten bringen lassen. Das war nicht zum Aushalten. Anderseits wollte er auch mit Philipp skypen, aber das war heute sowieso zum Scheitern verurteilt. Als das letzte Wort gesprochen war, erwiderte er nur kurz Philipps Blick, wusste, dass er sich nicht von seiner Meinung abbringen ließ und verdrehte die Augen, ehe er den Laptop kommentarlos zuklappte.

 

Das typische Geräusch ertönte, wenn ein Anruf bei Skype aufgelegt wurde. Philipp blinzelte überrascht. Hatte Holger jetzt ernsthaft den Laptop zugeklappt? Und vorher hatte er noch genervt die Augen verdreht?
„Spinnt der?!“, entfuhr es ihm. Er wollte doch nur mit ihm reden und der haute einfach ab… das konnte Philipp nicht ganz glauben. „Pah, der kann mich mal.“ Jetzt war er eingeschnappt. Der Kapitän klappte seinen Laptop ebenfalls zu und legte ihn weg.
Irgendwie saß er jetzt ziemlich verloren aus seinem Bett herum. Das schlechte Gewissen wollte ihn heimsuchen, aber er verdrängte es. Vielleicht würde er sich morgen entschuldigen, aber heute nicht mehr. Holger konnte nicht mit ihm umspringen, wie er wollte. Nur, weil er krank war und auf einem anderen Kontinent hockte!
Okay, das klang beinahe wie Erziehung, aber irgendwie war es doch auch so. Manchmal zumindest. Manchmal war Holger echt ein kleines Kind.
Seufzend ließ Philipp sich zur Seite fallen. Das Leben war schon schwer manchmal.

 

Nachdenklich starrte Holger auf den zugeklappten, stummen Laptop. Verschwunden war Philipps Gesicht, weg war die Geduld des Innenverteidigers. Es hatte doch richtig gehandelt, oder? Philipp hätte ihn nicht so bedrängen dürfen, da er ihn doch mittlerweile ganz gut kannte und wissen musste, dass ihm das nicht so gut gefiel. Aber darüber konnte er sich nicht mehr viele Gedanken machen, denn die Schmerzen in seinen Beinen wurden stärker, weswegen er hilfesuchend den Knopf an seinem Bett drückte, um nach einer Krankenschwester zu verlangen. Natürlich kam Schwester Anna sofort zu ihm geeilt, hatte ihn sanft angelächelt und ihm versichert, dass das wieder werden würde. Vorher schlug sie aber sein Bett auf, damit er sich wieder hinlegen konnte, während sie sich um Schmerz-und Schlafmittel bemühte.
Den Rest des Tages ruhte Holger aus, was ihm sichtlich gut tat.

 


Am nächsten Morgen ließ Philipp sich wirklich zu einer SMS hinreißen. Er brauchte etwas bis er sich sicher war, dass er Worte gefunden hatte, die Holger nicht wieder zu einem Verdrehen seiner Augen hinreißen würden.
//Guten Morgen aus Deutschland, es tut mir leid, dass ich gestern so hartnäckig war. Ich wollte dich nicht verärgern. Ich hoffe, es geht dir heute besser. Ich denke an dich :-*//
Ob es etwas ändern würde, wusste er nicht. Es ging Holger schrecklich dort drüben. Aber es dauerte ja nicht mehr lange und er war wieder bei ihm in Deutschland. Wobei er dann wieder vor der Wahl stand. Ringe, ja oder nein? Allerdings war die ja längst gefallen. Er musste Holger auf Abstand bringen. Aber er hatte ihm auch mehr oder weniger versprochen, dass sie einen gemütlichen Abend zusammen verbringen würden. Das konnte er am ersten Abend sogar noch vor Claudia rechtfertigen. Immerhin war Holger einige Wochen nicht da gewesen, brauchte Lebensmittel und immer noch Hilfe, da er auf Krücken lief. Das ging vielleicht auch ein paar Tage gut, aber dann nicht mehr. Aber nach diesen paar Tagen konnte er ihm bestimmt die Ringe geben, weil es ihm dann besser ging, oder?
Philipp starrte aus dem Küchenfenster raus in den Regen. Er hasste sich gerade selbst. Er würde Holger wehtun. Er hatte Mario versprochen, dass er das nicht tun würde. Aber eigentlich hatte er von Anfang an gewusst, dass es so kommen würde.

 

Da die Schmerzen am nächsten Tag vorbei waren, schlich sich Philipp wieder in seine Gedanken. Jetzt mit etwas Abstand zu der Situation hätte er sich das Augenverdrehen echt sparen können. Noch während er sich überlegte, wie er mit ihm nun in Kontakt treten sollte, trudelte eine Nachricht von ihm ein, durch die ihm ein ganz großer Stein vom Herzen fiel. Philipp war ihm nicht böse, sondern entschuldigte sich sogar. Von dessen Gedanken, er benehme sich wie ein kleines Kind, ahnte er nichts, was im Endeffekt auch besser so war. Ein Kind würde es nicht ertragen jemanden ständig teilen zu müssen.
Auch Holger entschuldigte sich per SMS, ehe er das Handy weglegte. Nach einem neuen Termin zum Skypen fragte er erstmal nicht. Es würde sich schon ergeben.

 

 

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