Kapitel 11 - Das Champions-League Finale


Holgers restlicher Tag, nachdem Philipp das Krankenhaus verlassen hatte, verlief relativ langatmig. Es kam ihm wie Ewigkeiten vor, bis Dr. Steadman endlich zu ihm kam und dafür sorgte, dass er endlich wieder aufstehen konnte. Zwar durfte er eine merkwürdige Schlinge tragen, die der Stabilisierung des Knies dienen sollte, aber ganz schick sah die natürlich nicht aus. Aber hier achtete so gut wie niemand auf ihn, hier war er ein Sportler unter vielen, die eine spezielle Behandlung benötigten.
Holger ertappte sich aber immer wieder dabei, wie er auf sein Handy schaute. In der Hoffnung Philipp würde sich melden. Aber warum sollte er das tun? So wie sie sich verabschiedet hatten, war eigentlich alles gesagt. Eingestehen, dass er sich nach einer Umarmung zum Abschied gesehnt hätte, wollte Holger sich nicht.
Schwer seufzend ließ sich der Innenverteidiger auf einem Stuhl im Gang des Krankenhauses nieder. Über ihm ein weißes Trikot, das er nachdenklich musterte.

„Das schreit doch nach einem Erinnerungsfotos“, kam Schwester Anna lächelnd auf ihn zu, die ganz fasziniert von seinem grauen Pullover schien.

Holger hatte irgendwie das Bedürfnis diesen anzuziehen. Weil er ihm gefiel... aber vor allem, weil er von Philipp war.

„Hat Herr Lahm Ihnen etwa diesen Pulli aus der Stadt besorgt?“

Eigentlich mehr eine rhetorische Frage. Holger konnte ihn ja schlecht selber gekauft haben.

„Schicken Sie ihm doch ein Foto, damit er sieht, dass er Ihnen gefällt.“

Ob sie damit jetzt den Pulli meinte oder Philipp an sich, sei dahingestellt.

Holger schüttelte nur den Kopf. „Er will jetzt bestimmt nichts von mir wissen. Bald ist das Finale, er hat sicher anderes im Kopf als ein Foto.“

„Hm.“ Schwester Anna schien zu überlegen, „Ihr jungen Leute habt doch bestimmt Facebook. Laden Sie es doch dort hoch, dann können Sie auch gleich Ihre Fans beruhigen und zeigen, dass Sie wohl auf sind.“ Sie vermied mit Absicht die Formulierung, dass es ihm gut ging. Denn Schwester Anna wusste, dass es anders in ihm aussah.

Ihn beschlich das Gefühl, als würde die Krankenschwester ihre Hartnäckigkeit unter Beweis stellen und auf lange Diskussion hatte er wirklich keinen Nerv. Die unvollendete mit Philipp reichte ihm schon.
„Na gut“, seufzte Holger schließlich und streckte Schwester Anna sein Handy entgegen, mit dem sie ein Foto von ihm machte. Oberhalb konnte man das weiße Trikot mit der Nummer 4 gut erkennen.

„Danke“, lächelte der Innenverteidiger sie leicht an und besah sich das Bild. Hätte er nicht schon geahnt, dass er nicht wie das blühende Leben aussah, wäre er wohl vor seinem bleichen Anblick etwas erschrocken. Konnte man das Bild wirklich hochladen? Das Internet vergaß bekanntlich ja nie. Ach, was soll‘s. So schlimm war das Foto dann auch nicht. Wenn man von dieser hässlichen schwarzen Schlinge absah, dem blassen Eindruck, den er machte und das gestellte Grinsen, wirkte es doch recht annehmbar. Schnell schrieb er noch einige Zeilen dazu, wünschte dem FC Bayern viel Erfolg für das Spiel und schickte den Eintrag ab. Sofort stellte er sich die Frage, ob Philipp das überhaupt sehen würde...schließlich hatte der andere Sachen im Kopf. Und irgendwie konnte er sich auch gar nicht entscheiden, was von beiden ihm gerade lieber wäre.
Egal. Jetzt war es sowieso zu spät. Der Eintrag war da und ihn löschen oder ändern wollte er nicht. Humpelnd begab er sich dann wieder zurück in sein Zimmer und verbrachte dort den restlichen Tag.

~*~


Der Flug kam Philipp unerträglich lang vor. Immer wieder tauchte Holger in seinen Gedanken auf. Er bereute es, dass er ihn nicht noch mal umarmt hatte. Es tat fast schon weh. Stumm seufzte er und schaute aus dem Fenster auf die flauschigen Wolken. Philipp ermahnte sich immer wieder an etwas anderes zu denken, aber das klappte mehr schlecht als recht.

In London wurde Philipp schon erwartet und direkt zum Hotel gebracht. Er hatte ein Einzelzimmer, damit er niemanden von den anderen stören würde. Es war fast Mitternacht als er endlich da war. Auf seinem Bett lag eine Nachricht von Jupp. Frühstück würde es um neun Uhr geben. Damit konnte er leben, immerhin hatte er auch im Flugzeug etwas geschlafen.

Am nächsten Morgen war er dennoch etwas durch den Wind, nachdem er erst spät eingeschlafen war. Die Zeitumstellung war doch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber er rappelte sich auf, stellte sich unter die Dusche und mit etwas kaltem Wasser ging das dann auch schon.
Philipp griff nach seinem Handy, bevor er den Raum verlassen wollte. Ihm fiel etwas Wichtiges ein. Er hatte ganz vergessen sich bei Claudia zu melden! Schnell schrieb er ihr, dass er gut in London angekommen war. Danach stutzte er allerdings. Wie oft hatte er die letzten Tage an sie gedacht? Dreimal. Einmal, weil er sich melden wollte, dann hatte Holger ihn daran erinnert, er sollte ihr doch was mitbringen und ihre E-Mail-Antwort.
Er schüttelte den Kopf. Über so etwas musste er sich jetzt keine Gedanken machen. Erst mal zu seinen Jungs. Schwungvoll riss er die Tür auf und stockte. Manuel stand davor und schien gerade klopfen zu wollen.

„Phiiiiil!“ Er umarmte den Kleineren und schmunzelnd erwiderte er die Umarmung.

„Guten Morgen.“

„Wie war es in Vail?“, hörte er Thomas‘ Stimme und Philipp sah an dem Torhüter vorbei. Thomas, Mario Gomez, Bastian und Jerome standen vor seiner Tür.

„Ich hab gehört du hast Holger geärgert… also wirklich Fips, warum schicken wir dich eigentlich mit?“ Bastian stützte die Hände in die Seite und sah ihn vorwurfsvoll an.

Philipp schluckte schwer. Hatte er mit Holger telefoniert? Was hatte er denn erzählt?

„Hey, guck doch nicht so, Basti verarscht dich nur.“ Manuel stieß ihm in die Seite.

„Holger hat gesagt, dass er froh ist, dass du da warst“, erklärte nun Mario und lächelte. „Ich hab ihm versprochen, dass wir dich nach dem Spiel direkt wieder nach Colorado schicken“, jetzt lachte er.

Philipp grinste nur schief. Er wusste plötzlich nicht, was er von alle dem halten sollte. Bastians Kommentar hatte ihn in gewisser Weise verunsichert – egal ob er nun ernst gemeint war oder nicht. Und Mario sagte die Wahrheit? Hatte Holger wirklich gesagt, dass er froh gewesen ist? Oder hatte er das nur gesagt, damit die anderen sich keine Sorgen machten? Was sollte er auch sagen? Dass er Philipp abgewiesen hatte? Aus dem Raum geschickt hatte und sie sich in dieser dämlichen Diskussion trennen mussten? Er konnte das nicht ernst meinen.

„Ich glaube nicht, dass Jupp mich noch mal nach Vail schickt.“ Philipp grinste leicht. „Ich möchte jetzt aber erst mal was essen und zu den anderen gehen. Also wollen wir los?“ Er trat aus dem Zimmer und zog die Tür ins Schloss.

„Alles okay?“ Manuel sah ihn besorgt an.

„Ist irgendwas vorgefallen in Vail?“, hakte nun auch Bastian nach.

„Bis auf die Tatsache, dass Holger zehn Monate ausfällt? Nein… nein, ist es nicht“, log Philipp.

Die anderen nickten, warfen sich aber auf den Weg zum Speisesaal kurze Blicke zu. Sollten sie doch. Was sollte Philipp denn auch erzählen? Sie würden es nicht verstehen. Er verstand es doch selber nicht.
Im Speisesaal begrüßten ihn auch die anderen Spieler. Es wurde gefrühstückt, die Stimmung war gut, aber eine gewisse Anspannung war zu spüren.

Nach dem Essen zog Jupp Heynckes Philipp zur Seite. Er wollte wissen, wie es Holger gehen würde.

„Er war ziemlich geschockt über die Diagnose, aber das wird schon. Er ist ein Kämpfer und wird damit klarkommen. Er braucht aber auch unsere Unterstützung“, erklärte Philipp ihm.

Sie tauschten noch ein paar Minuten ihre Meinungen, ehe es für die Mannschaft zum leichten Training ging. Die Zeit rannte immer weiter und das Spiel rückte immer näher. Anspannung und Vorfreude stiegen zugleich. Wie das Spiel wohl ausgehen würde? Etwas anderes als ein Bayernsieg kam für niemanden aus dem Team in Frage, aber würden sie es schaffen? Würden die Nerven halten?

Philipp richtete nach dem Training das Wort an seine Jungs. „Wir können gewinnen und wir müssen gewinnen. Ich habe es Holger versprochen und ich breche meine Versprechen ungerne. Also lasst uns das Ding endlich nach Hause holen. Für Holger, für Jupp, für die Fans, für uns… pack mas!“

~*~


Früh am Morgen durfte Holger sich von einem Krankenpfleger wecken lassen. Das war doch langsam nicht deren ernst. Es war noch total früh... aber langsam begriff er auch, warum er so dermaßen früh geweckt wurde. In den Händen des Pflegers befand sich ein kleines Paket. Sofort erhellte ein Lächeln auf dem Gesicht des Innenverteidigers. Das hätte er ja schon beinahe wieder vergessen. War mal wieder zu sehr in Gedanken bei sich... und bei Philipp. Holger nahm es entgegen, bedankte sich noch fürs Vorbeibringen, ehe er das Paket vorsichtig öffnete und das rote Trikot darin fand. Schon als ihm das aufgestickte Datum in der Mitte des Trikots auffiel, verzog sich sein Gesicht. Die Freude wich mit einem Mal in Enttäuschung nicht dabei sein zu können. Eine Enttäuschung, die er gar nicht haben wollte. Aber die eben da war. Ob er wollte oder nicht. Hier in Vail war alles so erdrückend, beginnend mit der Anreise, der Operation, dem Folgegespräch, Philipp und jetzt das Champions-League Finale, bei dem er von seinem Krankenbett aus zusehen durfte.
Holger wollte sich ablenken. Schnell zückte er sein Handy, schrieb Basti, dass das Trikot sicher angekommen war, ehe er zu einem Buch griff, das er eingepackt hatte. Eigentlich war ihm jetzt nicht nach lesen, aber so konnte er vielleicht etwas Abstand nehmen von dieser schrecklichen Realität.

~*~


Sie saßen im Bus auf dem Weg zum Stadion. Gedankenverloren schaute Philipp aus dem Fenster. Er bemühte sich an das Spiel zu denken, an die Dortmunder, von denen er ja auch einige gut kannte. Konnten sie dieses Spiel gewinnen? Konnten sie! Mussten sie!

„Hey!“ Philipp wurde von hinten angetippt.

„Was denn?“ Er drehte den Kopf.

„Basti ruft dich“, sagte Tom ihm und der Kapitän sah über die Sitze zu dem Mittelfeldspieler.

„Guck mal auf dein Handy!“

Widerwillig kramte er es aus seiner Hosentasche. Basti hatte ihm ein Foto geschickt. Er öffnete es und stutzte. Sofort ging sein Blick wieder über die Reihen hinweg zu ihm.

„Das hat Holger eben gepostet!“

Automatisch lächelte Philipp und wandte sich wieder seinem Handy zu. Holger hatte also tatsächlich den Pullover angezogen und dazu noch ein Foto gepostet. Er konnte nicht anders als lächeln. Behutsam strich er über den Bildschirm. Holger wirkte nicht so, als hätte er das Foto unbedingt machen wollen. Ob Schwester Anna da ihre Finger im Spiel gehabt hatte? Es würde ihn auf jeden Fall nicht wundern.

„Bekommt man solche Pullis da im Krankenhaus? Der ist cool.“ Tom hatte durch die Sitze hindurch geschielt und auf das Foto gelinst.

„Nein.“ Philipp schüttelte den Kopf. „Den hab ich ihm geschenkt“, flüsterte er beinahe schon.

Tom sagte nichts dazu, aber das merkte Philipp gar nicht. Er bekam auch nicht mit, dass Mario die kurze Unterhaltung verfolgt hatte und Tom ansah, der nur mit den Schultern zuckte. War ja eigentlich auch egal.

~*~


Durch die Zeitverschiebung begann das Spiel natürlich nicht abends um 20.15 Uhr, wie gewohnt in Deutschland, sondern um eine andere Uhrzeit. Holger streifte sich mit gemischten Gefühlen das Trikot über und griff nach der Fernbedienung. Gleich würde das Spiel übertragen werden. Plötzlich klopfte es an der Tür, was den Blonden seufzen ließ. Er wollte doch jetzt wenigstens nicht gestört werden... aber gut, er war hier Gast, Patient, was auch immer und nicht zu Hause.
Zu seiner Überraschung trat die freundliche Krankenschwester ein und fragte, ob er was bräuchte, da sie jetzt gleich Dienstschluss hatte. Holger schüttelte ablehnend den Kopf und widmete sich dem TV, als die Angestellte sich auf einen der Stühle platzierte und dem Blick des Blonden folgte. Wollte sie das Finale etwa auch ansehen?

„Ich habe ganz vergessen Herrn Lahm um ein Autogramm zu bitten“, seufzte Schwester Anna und lächelte Holger an. Ihren Oberkörper beugte sie leicht nach vorne. „Ich muss Sie jetzt schon mal was fragen...“

Holger runzelte die Stirn. Was würde denn jetzt kommen?

„Sagen Sie mal... bleibt der eigentlich so klein?“

Es herrschte kurzes Schweigen, ehe der Innenverteidiger leicht auflachte. „Ähm ja,... er ist schon ausgewachsen, soweit ich weiß.“

„Ach so. Na ja, kann man nichts machen. Aber sagen Sie ihm das bloß nicht, dass ich gefragt hab“, schmunzelte die Krankenschwester. „Ich lasse Sie jetzt mal in Ruhe das Spiel schauen. Viel Glück und bis morgen!“

~*~


Jupp heizte sie vor dem Spiel noch mal ein. Sie wussten, was auf dem Spiel stand, was sie erreichen konnten, wie schmerzhaft die Niederlage sein würde… aber sie fingen nicht so an, als würden sie es verstehen. Die ersten zwanzig Minuten waren grauenvoll! Philipp verstand nicht warum. Zumindest nicht bei den anderen. Er selber war sich erneut seinem Versprechen bewusst geworden, als er den Spielertunnel verlassen hatte und auf den grünen Rasen getreten war. Die Atmosphäre war unglaublich! Tausende jubelnde Zuschauer, ein Stadion halb rot-weiß, halb schwarz-gelb. Die Anspannung war spürbar und der Druck quasi greifbar. Sie mussten dieses Spiel gewinnen! Sie konnten nicht schon wieder ein Finale vergeigen und da war es egal, ob sie gegen Dortmund, Barcelona oder Hintertupfingen spielten. Der Gegner war ganz egal, es zählte nur, dass sie diesen Gegner schlugen.
Müsste Philipp nachher beschreiben, was los gewesen war, würde er es auf eben jenen Druck schieben. Zumindest bei ihm. Der Druck gewinnen zu müssen. Weil er es wollte und weil er es versprochen hatte. Bei jedem Fehlpass fragte er sich, was Holger wohl denken würde, wenn er das sah. Manuel rettete ihnen mit einer Glanzparade nach der nächsten den Arsch und was machten sie? Spielten schlecht! Grottig! Unter aller Sau! Waren sie überhaupt einmal in der gegnerischen Hälfte?
Der Kapitän versuchte seine Jungs zu motivieren, sie nach vorne zu treiben. Sie konnten es doch! Sie waren gut! Besser als Dortmund!
Fair waren sie beide, aber langsam wuchs der Unmut bei den Bayern. Franck Ribéry äußerte diesen als erstes, als er Robert Lewandowski einen Ellenbogencheck verpasste. Der italienische Schiedsrichter hat nichts gesehen und so bekam er nicht mal Gelb – im Gegensatz zu Dante in der 30. Minute. Das Spiel wurde aber besser. Die Bayern machten ordentlich Druck und es dauerte nicht lange da war das Spiel ausgeglichen.
Holger war aus Philipps Gedanken verschwunden. Er schaffte es endlich sich komplett auf das Spiel zu konzentrieren, aber es half nichts. Ohne Tore ging es in die Halbzeit, aber beschweren konnte sich keiner. Chancen waren inzwischen auf beiden Seiten da. Vor allem auf der rot-weißen, aber Arjen hat seine perfekte Möglichkeit leider nicht genutzt.
In der Pause wurde nicht viel gesagt. Es wussten alle Bescheid. Jupp kritisierte niemanden, lobte lieber Manuel und die Angriffe am Ende. Feuerte seine Jungs an, machte sie noch mal heiß. Sie sollten so weiter machen, wie sie gerade aufgehört haben, dann würden sie das Spiel gewinnen.
Nach der Halbzeit ging es weiter hin und her. Sie schenkten sich nichts.
In der 60. Minute konnte Frank drei Spieler auf sich ziehen und zu Arjen durchstrecken. Roman Weidenfeller drängte ihn ziemlich weit raus, aber er nutzte das, passte in die Mitte und Mandzukic schoss das erste Tor des Spiels!
Ekstase! Riesen Freude! Aber auch die Gewissheit, dass noch dreißig Minuten zu spielen waren. Es waren auch keine sieben weiteren Minuten um, da wollte Dante gegen Reus im eigenen Strafraum klären, aber zu unbeholfen. Elfmeter. Und zum Glück keine Karte für den Brasilianer, der sonst duschen hätte gehen müssen. Ilkay Gündogan verwandelte perfekt. Noch 22 Minuten.
Gelb für Großkreutz, gelb für Ribéry und eigentlich hätte Lewandowski auch eine Karte sehen müssen für ein grobes Foul, aber er hat Glück wie der Franzose zuvor. Nicht mal gelb. Egal. Ob das geholfen hätte, war fragwürdig. Die Zeit rannte weiter. Chancen auf beiden Seiten. Keine wurde genutzt. Neuer und Weidenfeller aber auch beide in Weltklasseform!
Die Bayern drückten weiter. Sie wollten es! Sie wollten es alle so! Franck setzte sich gegen Piszczek durch, weiter auf Robben, der drang in den Strafraum ein, Hummels und Subotic grätschten vorbei… der Ball war im Tor!
Freude! Unbändige Freude! Alle schrien ihren Jubel aus! Es war die 89. Minute und alle hatten sich schon auf die Nachspielzeit eingestellt. Alle Dortmunder! Nicht die Bayern. Und sie retteten das Ergebnis auch über die vier Minuten Nachspielzeit. Der Schlusspfiff!
Pure Erleichterung durchfuhr den Kapitän und er war überglücklich! Es gab niemanden, den er an diesem Abend nicht umarmte! Vor allem Basti, mit dem er schon so viel erlebt hat in seiner Karriere und mit dem er jetzt den größten Triumph feiern konnte, der dem FC Bayern möglich war! Sie waren Champions League-Sieger!

~*~


Gewonnen! Holger konnte es nicht glauben. Also schon, aber so richtig realisierte er das gar nicht, dass nur noch der DFB Pokal fehlte, um das Triple perfekt zu machen. Und er saß hier. Ein Teil von ihm wurde mit unglaublicher Freude überschüttet, der andere hegte Missgunst und Neid. Es war zum Verrücktwerden. Aber er durfte seinen Neid nicht zeigen, der sollte gar nicht existieren. Nein, er durfte nicht existieren.
Philipp huschte immer wieder über den Bildschirm, umarmte sich fest mit Basti und Holger wünschte sich mit einem Mal, dass er jetzt mit Basti hätte tauschen können. Schnell schob er diesen merkwürdigen Gedanken beiseite und fragte sich stattdessen lieber was in den ersten zwanzig Minuten mit seinen Kollegen los war. Hätten sie 90 Minuten lang so gespielt, wäre der BVB garantiert als Sieger aus diesem Finale hervorgegangen. Anstatt nach seinem Handy zu greifen und Glückwünsche zu versenden – und zu erhalten – entschied sich der Innenverteidiger seinen Kollegen weiter zuzusehen. Auch wenn es schmerzte sie so jubeln und feiern zu sehen.
Philipp und Basti hatten sich diesen Sieg wahrscheinlich mehr als alle anderen gewünscht, es tat irgendwie doch gut die beiden jetzt auf dem Fernseher zu sehen, wie sie vor Freude und Erleichterung den anderen in die Arme fielen. Hatte Philipp sogar Freudentränen in den Augen?
Die Frage wurde nicht beantwortet, denn eine Aktion seiner Kollegen erweckte seine Aufmerksamkeit. Jerome, Mario und noch einige andere hielten sein Trikot in die Höhe, hielten es über den Pokal und grinsten in die Kamera. Es tat gut zu wissen, dass er trotz des Siegs nicht vergessen war. Er achtete auch Anfangs nicht darauf, dass sich immer mehr mit auf das Foto stellten...es fiel ihm nur auf, dass ein Bestimmter fehlte. Vielleicht gab dieser gerade ein Interview?
Oder war mit Feiern beschäftigt, wie ein Kameraschwenk zeigte. Holger verzog das Gesicht. Was sollte er davon halten? Bei so einem Sieg kochten die Emotionen natürlich über, aber hatte Philipp ihn nun komplett aus seinen Gedanken verdrängt, dass er sich nicht einmal mit auf ein Foto stellen konnte?
Was störte ihn das überhaupt? War doch Philipps Angelegenheit, ob er das tat oder nicht. Es zeigte ihm nur, dass er sauer oder was auch immer war, da er ihn auch nicht zum Abschied umarmt hatte.
Seufzend schnappte er sich sein Handy und schrieb seinen Freunden beim FC Bayern eine kurze Nachricht, in der er sich für die Geste bedankte und sie für dieses grandiose Spiel beglückwünschte. Lange starrte er auf sein Handy, wusste nicht, ob er Philipp auch schreiben sollte und vor allem, was er ihm schreiben könnte. Auch wenn er es versuchte zu verdrängen, war er doch ein wenig enttäuscht, dass dem Kapitän das Feiern wichtiger war, anstatt wenigstens eine Minute an ihn zu denken und mit auf das Foto zu gehen.
Dieses Gefühl der Enttäuschung gegenüber Philipp war aber genauso unangebracht wie der Neid nirgends dabei sein zu können. Das musste er wirklich abstellen, das tat weder ihm noch den anderen gut.

~*~


Im Nachhinein war der Zeitpunkt, in dem Philipp als erster den begehrten Pokal in die Höhe reckte, Gänsehaut pur. Einfach atemberaubend. Das jubelnde Stadion, die Jungs im Rücken, den Pokal in den Händen. Das, wofür sie so lange gekämpft haben. Das, was er jetzt beim dritten Mal endlich haben wollte.
Alle wollten so viel von ihm und er wollte so viel von anderen. So viele wollten ihn beglückwünschen. Gerade hatte er eine Unterhaltung beendet, als er sah, wie sich eine Traube an Spielern löste. Sie hatten doch nicht… doch, einer von ihnen hielt Holgers Trikot in der Hand. Er wollte doch mit auf das Foto… stumm seufzte er. Er konnte sich nicht ärgern oder sich Gedanken machen, denn sofort kam jemand von hinten angesprungen.

Philipp wusste gar nicht wie spät es war, als sie endlich in den Katakomben des Stadions verschwanden. Es war seltsam ruhig.

„Yeeeeeeeeeeeeah!“ Bis Thomas in den Raum stürmte. „Super Bayern, Super Bayern, hey, hey!“

Kopfschüttelnd, aber mit einem breiten Grinsen sah er, wie Bastian sich hinter ihm hervor stahl. Er hatte immer noch den Henkelpott unterm Arm.

„Nimmst du den heute auch mit ins Bett?“, fragte Philipp, als Bastian sich neben ihn setzte und den Pokal in ihre Mitte stellte.

„Weiß nicht… willst du nicht?“ Herzlich lachte der Mittelfeldspieler.

Philipp wollte etwas erwidern, aber sein Blick fiel auf ein Trikot, was auf einer Bank lag. Er stand auf, holte es und zog es sich kurzerhand über. „Können wir da später drüber streiten? Leihst du ihn mir für ein Foto?“

„Willst du es Holger schicken?“, fragte Bastian, aber eine Antwort brauchte er eigentlich nicht.

Philipp holte sein Handy und reichte es Bastian. Den Pokal stellte er auf den Boden und grinsend beugte er sich etwas vor, zeigte mit dem Daumen nach oben.

„Zieh mal am Trikot, dann sieht man den Namen besser… genau so!“ Bastian machte also das Foto und reichte Philipp das Handy wieder. Im Gegenzug schnappte er sich den Pokal und stimmte in Thomas‘ Gesänge mit ein.

Einen Moment sah Philipp ihnen zu, dann widmete er sich seinem Handy. Was sollte er schreiben? Er hatte sich doch so bescheuert verhalten am Ende… und doch hatte Holger seinen Pullover angehabt. Jetzt trug er immer noch das Trikot. Falschrum. Es war ihm etwas zu groß, aber wen juckte das schon?


//Siehst du? Ich hab mein Versprechen, was ich dir gegeben habe, gehalten! Werd schnell wieder fit, mir ist dein Trikot zu groß und irgendwer muss es ja tragen ;) //


Dazu das Foto und weg damit. Dann legte er das Handy weg, zog sich aus und ging duschen. Das große Bankett stand an. Die Feier war toll. Sie hatten Spaß, feierten ausgelassen bis in die Morgenstunden.
Philipp war tot, aber glücklich als er ins Bett fiel. Er überlegte, ob er noch auf sein Handy schauen sollte, aber dazu müsste er sich ein Auge zuhalten um nicht doppelt zu sehen. Außerdem hatte er den ganzen Abend nicht drauf geguckt. Er hatte lediglich das Foto an Holger geschickt. Ob er geantwortet hatte? Er würde morgen gucken, wenn er nüchtern war und ein paar Stunden geschlafen hatte.

 

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