Kapitel 73 – Seelenschnupfen



Die Tage vergingen, die Reha lief gut und so war Samstagmorgen endlich die langersehnte Zeit, dass Holger die Orthese bekam, durch die es ihm möglich war einige Stunden am Tag ohne Krücken herumzulaufen ohne sein Knie in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Zeit, die er die Krücken los war, wurde von Tag zu Tag gesteigert werden, je nach Fortschritt der Heilung.


„Jetzt kannst du auch wieder mit dem Auto an die Säbener Straße kommen“, merkte Gerry gut gelaunt an.


Als ob Holger das vergessen würde, ab wann er sein Auto wieder aus der Garage fahren konnte.


„Super Timing“, freute sich Holger.


„Warum, noch was vor?“, lachte Gerry und beobachtete, wie Holger seine Hose über das Gerüst zur Stabilisierung des Knies schob, damit man es nicht sofort erkennen konnte.


„Nur golfen, aber mit Krücken hätte das ja nicht geklappt“, erklärte er.


„Seit wann golfst du denn?“, war er verwundert. Das war ihm aber neu, dass der Dauerpatient diesem Hobby nachging.


„Seit heute. Ist eigentlich nur Zeitvertreib mit... Philipp.“


Der Physiotherapeut nickte: „Dann bleibt mir ja nur dir viel Glück zu wünschen. Und wenn dein Knie sich doch bemerkbar macht, ist aber Schluss, okay? Zwing mich nicht das Philipp noch einzuschärfen, damit der aufpasst.“


„Nein, ich halt mich dran“, versprach Holger. Er wollte doch wieder spielen, deshalb musste er sich an die vorgeschriebenen Einheiten halten und auch dem Rat Müwos und Gerrys gehorsam folgen.


„Philipp müsste übrigens schon hier sein. Er und Bastian haben einen Termin mit Jupp, soweit ich weiß“, erzählte Gerry, wodurch Holger hellhörig wurde. Mit Jupp also?


„Okay, dann bis Montag“, verabschiedete sich Holger, da er sich Sonntag mal eine Pause gönnen durfte. Also machte er sich - normal laufend -auf die Suche nach Philipp. Ohne seine nervtötenden Krücken, die er zwar in den Händen trug, aber nicht mehr benötigte. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Jetzt fühlte er sich endlich nicht mehr wie ein hilfsbedürftiger Krüppel.



Philipp warf einen Blick auf die Uhr. „Ich muss langsam los. Holger wartet gleich auf mich“, erklärte er und blickte Bastian und Jupp entschuldigend an.


Sein ehemaliger Trainer hatte sich noch mal mit den beiden zusammen setzen wollen. Es gab eine Art Rückblick auf die Saison. Aber natürlich diskutierten sie im vertrauten Kreis auch Pep Guardiola, den neuen Trainer. Alle drei waren aber recht guter Dinge, was ihn betraf.


„Meinen Sie, Holger wird Chancen unter ihm haben, wenn er wieder fit ist?“


Die Frage von Bastian überraschte Jupp etwas und sogar Philipp blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Er wiegte nachdenklich den Kopf von einer auf die andere Seite. „Er hat schon einige Male betont, dass er Holger für einen guten Spieler hält. Wie viel Wahrheit hinter der Aussage steckt, kann ich allerdings nicht beurteilen. Es wäre ihm zu wünschen, dass er die Spielpraxis kriegt, die er braucht, aber ich halte eine Ausleihe nicht für unmöglich. Hier wird er erst nur in der zweiten Mannschaft Einsätze kriegen – machen wir uns nichts vor – aber das wird nicht reichen. Es wäre dann besser für ihn, wenn er Praxis in einem anderen Verein der ersten oder zweiten Liga sammeln kann, damit er die Saison danach wieder voll angreifen kann. Aber das sind alles Spekulationen. Man muss gucken, wie er sich entwickelt, erst dann kann man Entscheidungen treffen.“


Nachdenklich nickten beide. Auf die Lippen des Trainers legte sich ein Lächeln. Das hatte er an dieser Mannschaft geliebt. Ihren Zusammenhalt.


Er erhob sich. „Ich will euch nicht länger aufhalten.“


Sie verabschiedeten sich und die beiden Spieler begaben sich in den Eingangsbereich.


„Holger wartet also auf dich, ja?“ Bastian klang nicht unbedingt begeistert.


„Anscheinend ist er noch nicht da“, stellte Philipp fest. „Willst du mit warten?“


Mit einem vorfreudigen Lächeln auf den Lippen spazierte Holger durch den Gang, der ihn zum Eingangsbereich führte. Er war gespannt, wie er sich beim Golfen anstellte und allgemein war es aufregend, weil er wieder etwas mit Philipp unternehmen konnte. Allein, hoffte er zumindest. Außerdem war es ein tolles Gefühl nicht mehr den ganzen lieben langen Tag humpeln zu müssen. Holger schritt voran, bis er Bastis Stimme hörte.

Er dachte sich nichts dabei, vielleicht redete er über das Training oder sowas.


Unverständlich brummte Bastian irgendwas, ehe er seufzte. „Er hat immer noch nichts gesagt. Im einen Moment ist er super drauf, aber sobald es um die Frau in seinem Leben geht, blockt er total ab. Genau wie er in Vail auch mal so und mal so drauf war. Das ist echt anstrengend.“


Erst bei den Worten wurde ihm bewusst, wer sein Gesprächspartner war und worum es gerade ging. Eigentlich hätte er sich denken können, dass er mit Philipp sprach, aber sicher nicht, dass sie sich über ihn unterhielten. Es konnte sich nur um ihn handeln, wenn die Rede von Vail war.


Philipp hatte sich währenddessen auf das Sofa gesetzt und Bastian ließ sich neben ihn fallen.
Der kleine Abwehrspieler nickte zustimmend, schmunzelte aber dann. „Weißt du, an wen er mich in Vail erinnert hat? An Claudia. Während der Schwangerschaft hat sie auch solche Stimmungsschwankungen gehabt.“


Holgers Lächeln gefror. Philipp verglich ihn lachend mit seiner Frau. Ach nein, mit seiner schwangeren Frau. Er erinnerte ihn sogar an sie...


Bastian blickte ihn erst verdutzt an, musste aber dann laut lachen: „Welch treffender Vergleich.“


Er hörte nun auch Basti lachen. Holger presste seine feinen Lippen aneinander, während er sich an die Wand lehnte. Er hätte nur noch um die Ecke gehen müssen, dann wäre er für die beiden gut sichtbar gewesen. Es war schön zu hören, dass er sein Verhalten in Vail wohl ganz interessant und belustigend fand. In der Hinsicht, dass Holger seine Stimmungsschwankungen selber furchtbar unangenehm waren, trafen ihn Philipps und Bastis Worte. Auch wenn er versuchte nicht weinerlich zu sein, auch nicht das Sensibelchen schlechthin zu spielen, konnte er nicht verhindern, dass er seufzend den Kopf senkte und überlegte ob er sein Handy zücken sollte, um Philipp abzusagen. Er konnte sagen, er war schon zu Hause und hatte etwas anderes vor. Aber wie es der Zufall bestimmt wollen würde, entdeckte er ihn irgendwo im Vereinsgebäude oder fragte Gerry.


„Holger? Was stehst du da so rum?“, rief ihm Gerry vom anderen Ende des Ganges lautstark zu.


Philipp hob den Kopf als er Gerrys Stimme hörte. Das war doch Gerry, oder? Dann war Holger sicher fertig.


Holger drehte sich so überrascht um, dass er mit den Krücken polternd gegen die Wand schlug und damit auf sich aufmerksam machte. Jetzt war es noch peinlicher als ohnehin schon. Ob er so tun sollte, als hätte er das gar nicht gehört?


Philipp wollte gerade was zu Bastian sagen, da polterte etwas laut. Sofort sahen die beiden Freunde sich an, erhoben sich dann und schauten um die Ecke.
Verdutzt entdeckten sie dort Gerry und Holger. Anscheinend hatten die Krücken den Krach verursacht.


„Hey“, Philipp sah von einem zum anderen. „Was ist denn hier los? Warum… Moment! Keine Krücken? Du kannst ohne Krücken laufen?“ Der Kapitän strahlte Holger regelrecht an. Er wusste doch genau, wie sehr er sich das herbei gesehnt hatte. „Das ist doch super.“

Er merkte in seiner eigenen Begeisterung gar nicht, dass irgendwas nicht in Ordnung zu sein schien.


Seufzend sah Holger zu Gerry, der ihn irritiert musterte, als er neben ihm zum Stehen kam. Erst als er Philipps Stimme unmittelbar vor sich wahrnahm, drehte er den Kopf wieder nach vorne und strafte den Kapitän mit einem vorwurfsvollen Blick, der das anscheinend gar nicht wirklich nachvollziehen konnte. Oder es gar nicht bemerkte, so wie dieser ihn vor Freude anfunkelte. Holger fragte sich, wie das Gespräch der beiden sich wohl weiterentwickelt hätte. Bestimmt hätten sie weiter abgelästert oder Philipp hätte etwas von Vail erzählt. Von seinen Schwankungen, seinen Ausbrüchen und seinem grenzenlosen Selbstmitleid. Oder plauderte er das aus, ehe er die beiden belauschte? Die Tatsache, dass seine engsten Freunde schlecht über ihn sprachen, war jedenfalls kein sehr schönes Gefühl.


Erst Bastian machte Philipp darauf aufmerksam.


Alles okay?“, hakte der Mittelfeldspieler nach.


Beinahe schon besorgt lag Philipps Blick auf Holger. Keiner von beiden kam gerade auf die Idee, dass Holger sie vielleicht gehört und vor allem verstanden haben könnte.


Auf diese Frage hin, schaute auch Gerry besorgt drein. Holger hatte ihm ja auch noch nicht geantwortet, warum er an der Wand lehnte, anstatt in den Eingangsbereich zu gehen. Sechs aufmerksame Augen schauten ihm entgegen, weswegen er am liebsten die Flucht ergriffen hätte. „Ja, alles okay“, nickte er und fügte nuschelnd hinzu. „Bevor ihr euch wieder das Maul über mich zerreißt.“


Philipp spitzte die Ohren. Hatte er das richtig verstanden? Eigentlich hatte er nur die letzten drei Worte gehört, aber das reichte schon aus. Holger hatte also mitbekommen, was Bastian und er gesagt hatten. Natürlich bekam er das in den falschen Hals und war direkt wieder sauer. Irgendwo verstand Philipp es ja auch, aber wieso musste es schon wieder so anfangen?


Anschließend wandte er sich dann an Gerry. „Hab nur mein Handy gesucht.“


Eine sehr dürftige Ausrede, da sein Smartphone leicht aus der Hosentasche ragte und er dazu nicht solange stehen bleiben müsste, um es herauszunehmen.


Etwas irritiert nahm der Physiotherapeut seine Ausrede hin, wünschte Philipp und Holger noch viel Spaß beim Golfen und bog in ein Büro seines Kollegen ein, um noch etwas mit ihm zu besprechen.


Philipp nickte bloß und verabschiedete sich ebenfalls von Gerry.

„Dein Handy?“ Bastian sah ihn skeptisch an, zählte wohl eins und eins zusammen. „Hast du uns gehört?“


Auch wenn er zu wissen glaubte, dass Bastis Nachfrage rein rhetorischer Natur war, nickte Holger kaum merklich. Es war ohnehin schon zu offensichtlich, als dass er es weiter verschweigen konnte. Er vermied konsequent den Blick zu Philipp, stattdessen fixierte er Bastian, der sich entgegen der Worte des Kapitäns keinen Schritt bewegte.


Stumm seufzte Philipp. Musste er das ansprechen? Jetzt gab es doch nur wieder Streit. Er hatte da langsam keine Lust mehr drauf.


„Kommt, lasst uns gehen“, versuchte er sein Glück, aber der Vize-Kapitän schüttelte den Kopf.


Nein. Ich will mir erst wieder die Lüge von Holger anhören, dass alles okay ist. Genau wie er ja auch keine Freundin hat.“


Holger sah ihn einen Moment lang schweigend an, presste erneut die Lippen aufeinander, konnte das aber dann nicht einfach so stehen lassen. Er war nicht dafür bekannt, dass er sich alles gefallen ließ. Vor allem, da er ja nun wieder der alte Kämpfer war.


Was war denn bitte in Bastian gefahren? Musste er das jetzt hier alles ausdiskutieren? Vor dem Golfen? Und überhaupt? Konnten die das nicht unter sich klären? Wenn er nicht dabei war? Philipp hatte doch gleich den missmutigen Holger bei sich… vorausgesetzt, er würde überhaupt noch mitkommen wollen.


Wenn ich sage, dass alles okay ist, passt es nicht. Raste ich aus, werde ich mit einer schwangeren Frau verglichen, was wollt ihr eigentlich?“ Kurz suchte er auch Philipps Blick, da er in gewisser Weise auch mit beteiligt war, ehe er zu Bastis zweitem Statement auch noch etwas loszuwerden hatte.


Ertappt zuckte Philipp unter Holgers Blick unmerklich zusammen. Holger hatte sie also wirklich gehört. Er meinte es aber doch auch nicht böse… schöne Scheiße. Hätte er doch einfach die Klappe gehalten.


Ich gebs dir auch gerne schriftlich, es gibt KEINE Frau in meinem Leben, wann geht das endlich rein in deinen Schädel?“ Es war das erste Mal, dass er und der Vize so heftig aneinander gerieten und er fragte sich, warum es gerade jetzt und hier sein musste. Wozu überhaupt? An der Säbener Straße, an der sie das erste Mal Kontakt knüpften und sich anfreundeten. Es gab sogar ein Interview, in dem Basti Holger als besten Freund betitelte. Und jetzt? Jetzt stritten sie sich wegen einer Frau, die es gar nicht gab.


Am liebsten wäre Philipp dazwischen gegangen. Holger und Bastian waren keine Menschen, die sich stritten. Es ging höchstens Mal darum, ob das wirklich ein Foul war bei Fifa oder nicht. Aber das jetzt? Ihm gefiel das irgendwie nicht.


Der Vize schnaubte kopfschüttelnd, sah zu Philipp und wieder zu Holger. „Ihr macht mir doch echt alle was vor. Ich glaube nicht mal, dass Mario nicht mehr darüber weiß, wie er vorgibt. Weißt du was, Holger? Meld dich, wenn dir wieder eingefallen ist, dass wir befreundet sind und ich dir nichts böses will.“


Bastians Verhalten sorgte auch nicht dafür, dass Philipps Unbehagen verschwand. Eher im Gegenteil. Nach seinen Worten bestrafte Bastian beide erneut mit einem bösen Blick und verschwand dann direkt ohne weitere Worte.
Philipp versuchte gar nicht erst den Mittelfeldspieler aufzuhalten. Das hatte keinen Sinn. Was hatte überhaupt noch Sinn heute? Das Golfen doch sicher nicht, oder? Er musterte Holger kurz. Sollte er noch mal darauf eingehen oder lieber schweigen und so tun als wäre nichts? Nein, das konnte er nicht.


„Du solltest dir überlegen, ob du ihm nicht doch die Wahrheit sagen willst. Ich kann mir vorstellen, dass er es versteht“, wagte er es seine Meinung offen zu legen. Vermutlich wollte Holger das eh nicht hören, aber was sollte er denn machen? Er würde ihm sicher nicht nur das sagen, was der Innenverteidiger hören wollte. Das machte es nicht besser.


Mit wütendem Blick verfolgte Holger den Vizekapitän, bis er außer Sichtweite war. Erst dann schenkte er Philipp wieder seine Aufmerksamkeit nach seinem Ratschlag, den der Innenverteidiger gar nicht haben wollte. Philipp war nicht in seiner Lage, deshalb verstand er das nicht. Er konnte eine Lüge nicht auf einer Lüge aufbauen, sowas ging nicht. Dieser Turm wäre zum Einstürzen verdammt.

Und ich kann mir vorstellen, dass dieses Geständnis das Ende unserer Freundschaft wäre“, gab er zurück. Wieder schaffte es Holger sich so auszudrücken, dass sich die Worte genauso auf Philipp beziehen könnten. Wenn er ihm die ganze Wahrheit offenbaren würde, hing auch das in der Schwebe. Philipp würde ihm helfen wollen, dass seine Gefühle abschwächten und könnte ihm die kalte Schulter zeigen. Da erschien dem Innenverteidiger den Kapitän einfach anzulügen, was seine wahren Gefühle betraf, als bessere Alternative.


Philipp stimmten diese Worte nachdenklich. So eine Aussage konnte man nicht vorhersagen, die Angst verstand er aber durchaus. Er wollte sich auch später keine Vorwürfe anhören, wenn es wirklich das Ende wäre und er Holger dazu gedrängt hätte, es ihm zu sagen.


Abwehrend hob der Innenverteidiger dann eine Hand, um jegliche Erwiderung Philipps auszuschließen. „Komm mir nicht damit, dass das jetzt auch schon das Ende sein kann, wenn ich weiter schweige.“


Weiternachdenken konnte Philipp aber nicht. Holger blockte direkt ab.

Er schüttelte den Kopf: „Das kann niemand wissen.“

Philipp seufzte stumm. Und nun? Golfen? Er senkte den Blick, kratzte sich an seinem Ellenbogen, eine fast schon unbeholfene Tat. Gerade wusste er eigentlich nicht, was er tun sollte.


Für Holger war das Thema abgehakt, ob er Bastian einweihen würde. Das kam nicht in Frage und damit fertig. Seine Zweifel bestätigte doch auch Philipp, er hatte Recht, niemand konnte vorher wissen, wie jemand darauf reagieren würde. Vor allem wüsste Holger nicht einmal welche von beiden ''Wahrheiten'' er Bastian auftischen sollte.

Super Situation, in die sie sich wieder hinein manövrieren mussten. Holger hatte sich so gefreut mit Philipp golfen zu gehen und Zeit mit ihm allein verbringen zu können. Sogar ohne lästige Krücken. Und dann dieser Kommentar, der ihn ungewollt verletzte. Wäre er nur etwas früher oder später aus dem Behandlungszimmer gekommen, dann hätte er das gar nicht erst hören müssen. Aber ob die zwei dann geschwiegen hätten? Dieser Gedankengang brachte Holger auf eine Frage. „Wenn ihr mich nicht bemerkt hättet, hättest du dann von der Häschenwärmflasche angefangen und darüber gelacht, dass ich dich seit München an Julian erinnere?“ Der Innenverteidiger vermied es zu hinterfragen, warum der Kapitän ihn förmlich dazu ermutigte nicht alles in sich hineinzufressen. Holger hatte ihm geglaubt, er wollte es auch jetzt noch tun, auch wenn sich Philipp offenbar über seine Launen lustig machte.


Überrascht sah Philipp wieder auf. Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Du spinnst doch… Holger, wirklich... ist das jetzt dein ernst? Ich wollte dich damit nicht verletzen, das war ja auch nicht richtig ernst gemeint.“ Er versuchte sich zu erklären, aber es fiel ihm schwer. Wie konnte er Holger klar machen, dass es ein Scherz war? Er hatte sich da doch eh wieder in irgendwas verrannt, oder nicht? Philipp wollte jetzt keinen Streit mit Holger. Nicht schon wieder.


Der Innenverteidiger hatte den Kapitän nicht aus den Augen gelassen, auch schaute er nicht weg, als dieser hochsah und erstaunt wirkte wegen der geäußerten Vermutung. Wahrscheinlich kam seine Überraschung auch daher, weil Holger sonst eher nichts dazu sagte und lieber darüber schwieg... und alles in sich hineinfraß. Die bessere Lösung, wie es ihm jetzt vorkam. Er kannte es ja, wenn man etwas sagte und es gar nicht so meinte, er war doch der Spezialist für so etwas, aber doch gab es immer zu jeder Aussage einen Hintergedanken. Allein schon, weil Philipp überhaupt auf diesen Vergleich kam. Diesen treffenden Vergleich...
„Ich muss dich in Vail ganz schön genervt haben.“ Schließlich nervten Stimmungsschwankungen. Sowohl von Schwangeren als auch von Kreuzbandpatienten. Er wandte den Blick ab und schaute zur Eingangstür.


Philipp suchte Holgers Blick, aber der wich ihm aus, schaute lieber zur Tür. War das etwa wieder sein ernst?


Ist okay, dann hast du es eben nicht so gemeint. Ich bin ja auch selbst Schuld. Warum hab ich mich nicht einfach besser zusammengerissen.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, das aber keinesfalls glücklich wirkte.


Das traurige Lächeln blieb Philipp nicht verborgen. Es übertrug sich wie von selbst auf seine Lippen. Die Worte fehlten ihm gerade. Das war doch alles nicht so, aber er glaubte einfach nicht, dass er Holger vom Gegenteil überzeugen könnte.


Ich hab mich aufs Golf spielen gefreut, das machen wir doch jetzt trotzdem noch, oder?“, versuchte er seine momentan gedrückte Stimmungslage zu überspielen. Holger war kurz davor an Philipp vorbeizugehen, da keine Erwiderung kam. Ob er überhaupt eine wollte? Nein, eigentlich nicht. Wer mochte es schon, wenn bittere Wahrheiten sich bestätigten?


Ohne groß darüber nachzudenken, überbrückte Philipp die Distanz und legte seine Arme um Holger. Er wollte ihm mit der Umarmung zeigen, dass das alles doch nicht so war. Er hatte ihn nicht genervt, vielleicht strapaziert, aber das war doch auch verständlich in der Situation, in der er da gewesen war.
„Natürlich fahren wir golfen“, murmelte Philipp gegen Holgers Brust. „Und denk nicht so negativ über Vail. Ich fand die Zeit schön, auch, wenn es manchmal etwas anstrengend mit dir war, aber genervt hast du nicht.“


Doch noch ehe sich der Blonde in Bewegung setzen konnte, ließ Philipp die kleine Distanz zwischen ihnen verschwinden und schlang seine Arme um ihn. Reichlich irritiert blickte Holger auf die braunen Haare des Kapitäns und regte sich nicht. Jegliche Enttäuschung über seine Äußerung schwand mit einem Mal, als er Philipp zuhörte. Dass sie doch noch golfen gehen würden, klang so selbstverständlich, so als wäre jetzt nichts vorgefallen. Holger tat das unwahrscheinlich gut. Der zweite Satz brachte den Innenverteidiger zum Schmunzeln. Wie sollte er nicht negativ an Vail zurückdenken? Er würde es immer mit dem Ort verbinden, der ihm diese zehn Monate Pause bescherte, trotz des Wissens, dass die Entfernung des lädierten Kreuzbandes notwendig war. Dennoch ermahnte er sich selber Vail als den Ort zu sehen, der Philipp für ihn zu dieser wichtigen Person machte. Der Körperkontakt zu Philipp und das nervöse Schlagen seines Herzens zeigte, dass Vail auch seine positiven Seiten hatte und daran wollte er nun denken. Endlich legte auch Holger seine Arme um Philipp. Er verstand es wirklich, es passte vielleicht auch der Vergleich mit der Schwangerschaft. Die neun Monate waren zwar anstrengend, aber auch schön. Obwohl es bei ihm zehn Monate waren.


Philipp wollte sich schon lösen, da Holger anfangs nicht reagierte, aber dann erwiderte er doch die Umarmung und sofort fühlte Philipp sich wohler. Es war nicht nur die Tatsache, dass er die Umarmung erwiderte, sondern generell ihn um sich zu spüren. Es war viel zu lange her, dass sie sich umarmt hatten. Der Kleinere mochte diese Geste der Freundschaft richtig gerne und vor allem Holger brauchte doch das Wissen, dass jemand für ihn da war, oder nicht?


Gerne wäre er noch länger in Philipps Armen versunken, aber sie mussten sich irgendwann lösen. „Auf den Weg zum Golfplatz kommen wir doch sowieso bei mir vorbei, oder?“, fiel ihm ein. „Würde es dir was ausmachen dein Auto da stehen zu lassen? Ich würd gern endlich wieder selber fahren“, fragte er mit einem lächelnden, von kindlicher Vorfreude geprägten, Gesichtsausdruck.


Er lächelte den Innenverteidiger an als sie sich lösten und nickte direkt. „Klar, machen wir so. Dein Wagen sehnt sich sicher auch danach endlich mal wieder gefahren zu werden.“ Okay, das klang irgendwie kindisch… jetzt war es auch zu spät. Philipp begab sich Richtung Tür und Holger folgte ihm.


Holger hatte auch nicht unbedingt mit Widerworten gerechnet. „Du hast auch jetzt lange genug Taxiunternehmen Lahm gespielt“, schmunzelte er leicht und ging gemütlich neben Philipp her zu dessen Auto.


„Bist du die Krücken jetzt komplett los oder nur so phasenweise?“


Phasenweise“, beantwortete der Blonde die Frage des Älteren. „Laut Gerry dauert es aber nicht mehr sehr lange, bis ich sie komplett los bin.“


Als sie sein Auto erreichten, stellte Holger seine Krücken neben sich auf der Beifahrerseite ab. Es war unglaublich, wie er sich schon darauf freute wieder selber zu fahren. Und überhaupt wieder normal laufen zu können. Er musste bloß hoffen, dass sein Knie lange genug mitspielen würde, damit er nicht gleich wieder zu den Krücken greifen musste.


Ich werd die Krücken trotzdem mal zur Sicherheit mitnehmen“, befand Holger es für besser, während Philipp zeitgleich in die Straße, in der er wohnte, einbog.


Irgendwie war Philipp glücklich als er den Weg von der Säbener Straße zu Holgers Haus fuhr. Die Sache mit Bastian verdrängte er dabei allerdings, viel mehr freute er sich darüber, dass Holger seine Krücken zumindest zeitweise los war. Wenn er aber so darüber nachdachte, dann war der schwarze Schleier, den Bastian hinterließ, doch ziemlich groß. Oder war es mehr Sarah? Wie musste das sein? Zu wissen, dass man die Freundin des besten Freundes liebte?
Philipp schüttelte unmerklich den Kopf. Obwohl er sich sicher war, dass Holger ihn nicht angelogen hatte, wollte ihn der Gedanke nicht loslassen, dass der Innenverteidiger Gefühle für ihn und nicht für das Model hegte. Er verstand nicht wieso. Eigentlich sollte er doch froh sein, dass dem nicht so war. Aber irgendwie konnte das nicht sein. Vielleicht wäre es so einfacher gewesen… wobei das auch Quatsch war. Was soll besser daran sein einen verheirateten Freund zu lieben als die Freundin des besten Freundes? Eigentlich war beides nicht so toll.

Gedankenverloren parkte er den Wagen, stieg dann aus und wartete darauf, dass er bei Holger einsteigen konnte.

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