Kapitel 45 - Unterdrückte Sehnsucht



Eine Zeit lang war alles ruhig. Holger konnte nicht schlafen, wogegen Philipp bereits in den Schlaf abgedriftet war. Zumindest würde das die ruhigen, leisen Atemgeräusche erklären. Gemächlich drehte der Innenverteidiger seinen Kopf zu ihm, als er die Berührung an seinem Arm wahrnahm. Aber wach war der Kapitän nicht, soviel stand fest. Leicht lächelnd schaute der Blonde auf die Hand, die halb auf seinem Arm ruhte. Wäre diese Berührung doch nicht nur dem Zufall zuzuschreiben...
Holger konnte nicht anders, als ihn zu betrachten. Vielleicht würde er ja davon müde werden, wenn schon Lä(h)mmchenzählen nicht den gewünschten Erfolg brachte.
„Ich will dich doch gar nicht ständig verletzen“, flüsterte er traurig. „Und doch schaff ich es irgendwie immer wieder.“
Holger hob seinen Arm und wollte mit der rechten Hand leicht über die Wange des Kapitäns streicheln, aber er traute sich nicht. Aus Angst ihn aufwecken zu können. Wie viele Stunden musste er wohl die letzte Zeit wegen Holger versäumt haben zu schlafen und sich auszuruhen? Erneut seufzte er. Wie oft heute schon?
Holger verbot sich im Minutentakt Philipp so intensiv zu mustern. Sein Gesicht zu studieren und sich zu wünschen, sich an diesen Körper kuscheln zu können. Doch er konnte nicht verhindern, dass die Sehnsucht und das Verlangen die Oberhand über sein Denken gewann.
Voller Vorsicht schlüpfte Holgers Hand unter Philipps Shirt. Um ihn auf keinem Fall zu wecken strich er lediglich mit dem Zeigefinger über die weiche Haut am muskulösen Bauch, fuhr zittrig etwas weiter hinauf und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Es war ein Wunder, dass Philipp nicht schon durch das extrem laute und schnelle Schlagen seines Herzens aufgewacht war. Das war das einzige, was Holger von sich überhaupt wahrnahm. Sein Blick war starr auf Philipp gerichtet und jedes Mal machte sich Panik breit, als er glaubte, dass dessen Augenlider zuckten. Es war das erste Mal, dass er einen Männerkörper so begehrenswert fand und ihn sogar berühren wollte. Neuartig war wohl das richtige Gefühl, als sein Finger zärtlich über Philipps Brust fuhr, ehe er wieder Richtung Bauch streichelte. Immer weiter nach unten, bis er am Bund der Boxershorts stoppte und beklommen schluckte. Kurz darauf lief er feuerrot an, da das Blut vor Scham und Nervosität in seinen Kopf schoss und ihn nicht mehr klar denken ließ. Was machte er denn da? Begrabschte er Philipp jetzt tatsächlich, wenn dieser schlief? Schneller als gewollt zog er seine Hand zurück und hielt sie dicht an seinen eigenen Körper. Dennoch ruhte sein Blick auf Philipp, der seelenruhig zu schlafen schien. Holger konnte nichts dagegen tun, das Verlangen war da und das entspannte, süße Gesicht des Kapitäns zauberte dem Innenverteidiger ein Lächeln ins Gesicht. Zwar verbot er sich ihn anzufassen, aber er wollte wenigstens nach seiner Hand greifen und so versuchen einzuschlafen. Das hatte in Vail doch auch gut geklappt, warum also nicht hier in München. Zusammen im Bett. Hauchzart legte er seine Hand auf Philipps, kuschelte sich in die Decke und schloss seine Augen.

Irgendwann erwachte Philipp. Er wusste nicht warum. Vor allem nicht als sein Blick auf den Funkwecker fiel, der deutlich die Uhrzeit anzeigte: 07:12 Uhr. Es war definitiv zu früh und Philipp war auch noch hundemüde. Vielleicht meinte seine innere Uhr ihn wecken zu müssen, aber er war davon nicht überzeugt. Er beschloss einfach weiter zu schlafen.
Vorher bemerkte er aber etwas anderes. Holger schlief noch tief und fest, aber er hielt seine Hand. Hatte er sie gestern Abend noch gegriffen? Wenn ja, dann hatte der Kapitän aber nichts mehr davon mitbekommen.
Es stellte sich ihm die Frage, warum Holger sie gegriffen hatte. Weil es ihm gut tat? Brauchte er diesen Halt, den er in Vail bekommen hatte, immer noch? Oder schon wieder? Aber das waren noch lange nicht alle Fragen. Warum mochte er Claudia nicht? War das schon immer so gewesen? Und vor allem... warum war er auf diesen Kuss eingegangen, wenn es doch nur ein dummes Missgeschick war?
Fragen über Fragen und irgendwas sagte Philipp, dass er nicht eine Antwort bekommen würde... mit diesem Gedanken schlief er wieder ein, ließ seine Hand bewusst da liegen, wo sie war.

Durch die aufkommenden Sonnenstrahlen am nächsten Morgen öffnete Holger träge die Augen. Er hatte gestern vergessen die Vorhänge zu verschließen, jetzt durfte er sich dafür schon so zeitig wecken lassen. Aber er war noch zu müde, um aufzustehen, denn irgendwie hatte er den Rest der Nacht doch recht gut schlafen können, nachdem es einmal geklappt hatte einzuschlafen. Plötzlich schien ihm bewusst zu werden, woran das lag. Zögerlich hob er den Blick und schaute in Philipps Gesicht. Dann war das also wirklich passiert. Auch die Hand, die auf Philipps lag, bemerkte er schließlich. War er nicht aufgewacht oder zog er sie einfach nur nicht weg, weil er wusste, dass es ihm gut tat? Holger fasste neuen Mut und rutschte vorsichtig etwas näher, ehe er seinen Kopf neigte und ihn leicht an die Schulter des Älteren lehnte. Seine Hand blieb nach wie vor auf Philipps Hand liegen.

Sein Schlaf war nur leicht nachdem er erst einmal wach geworden war. Eine Berührung an seiner Schulter holte Philipp erneut aus seinen Träumen. Im ersten Moment wusste er aber nicht, warum er erneut erwachte. Auch später konnte er nicht genau sagen, ob es Holger war, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Etwas überrascht stellte er fest, dass dieser an seiner Schulter lehnte. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
Und wieder kam eine neue Frage auf. Warum gab Holger es nicht zu, dass es ihm gut tat, wenn Philipp da war? Zumindest interpretierte dieser so die Geste. Außerdem gab sie ihm die Bestätigung, dass es richtig war nicht fliegen zu wollen. Er musste das erst mal Claudia beibringen später...
Philipp schaute von Holgers Gesicht zu ihren Händen und wieder zurück. Er hob die freie Hand und strich vorsichtig über seine Haare, immerhin wollte er ihn nicht wecken. Aber auch Philipp sollte wieder schlafen, denn seiner Meinung nach war es immer noch zu früh. Er ließ seine Augen also wieder zufallen und döste noch etwas vor sich hin.

Irgendetwas berührte seinen Kopf. Holger dachte nicht groß darüber nach und kuschelte sich dichter an den Kapitän.

Irgendwo in seinem Unterbewusstsein nahm Philipp wahr, dass Holger näher rückte und sich fast schon an ihn kuschelte, aber er war zu träge, um sich zu bewegen. Aber er merkte, dass er liebend gerne eine Antwort darauf hätte, wie gut er dem Innenverteidiger wirklich tat.

Für wie lange Holger da noch ruhig schlief, konnte er nicht einschätzen, jedenfalls erwachte er einigermaßen erholt aus dem Schlaf und blickte auf Philipp, dessen Augen immer noch geschlossen waren. An die Berührung am Kopf dachte er nicht mehr und freute sich bereits, dass dieser anscheinend gar nichts davon mitbekam, dass er so dicht an ihn gerückt war. Behutsam rutschte er etwas weg, nahm auch die Hand weg und schwang seine Beine aus dem Bett. Es war perfekt, dass Philipp noch schlief, da Holger nicht den Eindruck erwecken wollte, dass es da noch andere, weitaus tiefergehende Gefühle gab. Auch wollte er ihm zeigen, dass er sich keine Sorgen machen musste. Nur zeigte das Greifen nach der Hand und das Anlehnen etwas anderes.
Mit dem Rücken zu Philipp gewandt, saß er nun an der Bettkante, ließ es sich aber nicht nehmen sich noch einmal zu ihm zu drehen und leicht zu lächeln. Er beschloss als kleines Dankeschön ihm Frühstück zu machen. Auch wenn es nicht viel an Gegenleistung war. Irgendetwas musste er tun.
So leise wie möglich hopste er mit den Krücken aus dem Schlafzimmer und suchte in der Küche alles nötige für ein Frühstück zusammen. Groß war die Auswahl nicht, aber es musste reichen.

Philipp blieb noch liegen. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, drehte er den Kopf zur Seite und schaute auf die Hand, die die ganze Nacht Holgers berührt hatte. In gewisser Weise war es ja sogar süß, aber... sie sprachen von Holger. Wie alt war er? 24? 25? Klar, er hatte ein schweres Schicksal, aber Philipp konnte doch nicht immer händchenhaltend bei ihm sein und mit ihm in einem Bett schlafen. Er hätte nichts dagegen... also schon irgendwie. Er wollte auch mal wieder zu seiner Frau. Morgens mit ihr und Julian im Bett kuscheln... er seufzte. Übertrieb er? Vernachlässigte er seine Familie zu sehr? Er wusste es nicht.

Umständlich manövrierte Holger Messer, Teller und Tassen auf den gegenüberliegenden Esstisch und widmete sich anschließend der Kaffeemaschine. Philipp trank doch zum Frühstück gerne Kaffee, oder? Wenn nicht, konnte er auch Tee haben, aber da würde er warten, bis er sich dazu äußerte.

Der Kapitän quälte sich aus dem Bett und gähnte ausgiebig, während er erst zur Toilette und dann in die Küche tapste.
„Na, das sieht aber gut aus“, lächelte er, als er die Tür öffnete und sofort den gedeckten Tisch sah. „Guten Morgen“, grüßte er dann und schloss die Tür wieder hinter sich. Er trat etwas näher. „Kochst du Kaffee?“

Holger drehte seinen Kopf zur Tür und lächelte. „Guten Morgen.“ Er schaute auf den Esstisch und zuckte mit den Schultern, versuchte beiläufig zu klingen. „Ich hoffe, es ist was dabei, das dir schmeckt.“ Dann wandte er sich, nach dem er auf seine Frage hin genickt hatte, wieder der Kaffeemaschine zu. Lag er also doch richtig. Philipp trank am Morgen gerne Kaffee und vermutlich auch einen ziemlich starken, deshalb sparte er auch nicht mit dem Pulver. Er hoffte, dass Philipp nicht wieder das Gesprächsthema von gestern auf den Tisch brachte.

„Ach, bestimmt.“ Philipp lächelte etwas und trat zu Holger an die Anrichte. Lehnte sich mit dem Hintern dagegen und richtete den Blick auf den Esstisch. Die Hände stützte er nach hinten ab. „Sag mal...“, fing er zögerlich an, „tat dir das gut? Heute Nacht? Zu wissen, dass ich da bin... wie in Vail?“
Fragend und auch ein bisschen unsicher sah er Holger von der Seite her an. Würde er jetzt wieder abblocken?

Ertappt fixierte Holger die Kaffeemaschine vor sich. Mit dieser Frage rechnete er nicht und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Hatte Philipp doch mitbekommen, dass er sich an ihn gekuschelt hatte? Stellte dieser sich nur schlafend am Morgen? Oder war er in der Nacht nochmal wach geworden und hatte seine Hand bemerkt... oder vielleicht sogar, dass seine Hand unter sein Shirt gewandert war? In Holger machte sich Panik breit, weswegen er nur zögerlich zu dem Älteren sah. Philipps Blick sagte deutlich Unsicherheit aus, so als wäre er selbst nicht ganz überzeugt von seiner Frage. Ein Lächeln erschien in Holgers Gesicht, ehe er langsam nickte. „Ja, irgendwie schon. Besonders gestern war es gut, dass du da warst“, gab er zu.

Philipp rechnete schon damit, dass der Innenverteidiger erst zögern würde. Was sollte er auch sagen? Er würde ja wieder Schwäche zugeben. Und sie sprachen hier nun mal von Holger Badstuber...
Umso überraschter war er über die Worte und dass er sogar lächelte. Dieses Lächeln wanderte weiter auf Philipps Lippen.
„Etwas anderes hätte ich dir auch nicht geglaubt“, grinste er leicht. „Aber ich meine jetzt wirklich heute Nacht... weißt du, ich dachte im Flugzeug auf dem Weg nach Vail damals eigentlich, dass es ein Scherz war, dass ich zum Händchenhalten dabei bin. Aber irgendwie ist dem wohl nicht so. Erstaunlich welch große Wirkung kleine Gesten manchmal haben.“

Philipp sprach das Händchenhalten an und Holgers Mimik verkrampfte sich merklich. Das Lächeln zu halten und sicher in seinem ganzen Ausdruck zu wirken, wurde mit einem Mal unglaublich schwierig. Warum sprach der Kapitän das direkt an? Also hatte er doch alles bemerkt... oder? Sollte er nach dem Motto, dass Angriff die beste Verteidigung war, handeln oder doch besser schweigen?

Philipp griff kurz nach Holgers Hand, drückte sie und stieß sich dann von der Anrichte ab.


Er konnte gar nicht darüber nachdenken, da ergriff Philipp schon seine Hand und drückte diese kurz. Meinte er das jetzt als Scherz? Irgendwie klang es etwas lächerlich, dass er eine Hand zum Festhalten brauchte.


„Bekommst du eigentlich eine Tageszeitung?“

„Ja, soll ich sie holen?“, fragte er, aber war in Gedanken immer noch bei der Händchenhalten-Sache.

„Nein, ich kann sie auch holen.“ Sofort drehte er sich wieder um. Er wollte noch etwas sagen, aber Holger blickte ihn erwartungsvoll an.

Diese Anspielung ließ dem Innenverteidiger keine Ruhe, egal wie sehr er es auszublenden versuchte. „Hast du das jetzt angesprochen, um dich über mich lustig zu machen?“, sprach er es nun doch aus und schaute den Kapitän erwartungsvoll an. Er hatte Angst vor dieser Antwort.

„Was?“, entfuhr es Philipp. „Ist das dein ernst? Natürlich nicht...“ Sein Gesicht war von Unverständnis geprägt. „Tut mir leid, wenn es so rübergekommen ist, aber das war nie mein Ziel.“ Er trat wieder neben Holger und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich will dir damit sagen, dass ich es verstehe und dass es okay ist.“ Er konnte nicht anders als den Jüngeren wieder anzulächeln.

Kaum merklich atmete Holger erleichtert aus. Vielleicht war er wirklich zu skeptisch geworden, aber richtig unterscheiden konnte er das im Moment nicht. Er fragte sich eben, warum Philipp das überhaupt ansprach, wenn es ihn doch nicht störte. Oder log er, damit er sich besser fühlte? Was waren das überhaupt für Gedanken, die sich da bei ihm einschlichen? Holger konnte nicht verhindern, dass Philipps Worte kurz schmerzten. Es war okay für ihn, er sehnte sich aber nicht danach. Holger dagegen schon. Er mochte es, wenn der Ältere von sich aus nach seiner Hand griff und sie festhielt. Nicht nur, weil er den Halt brauchte. Weil die Nähe zu ihm einfach schön war. Aber diese Gefühle galt es abzustellen.
„Entschuldige, ich wollte dir nichts unterstellen“, murmelte er.

„Aber jetzt gucken wir mal, ob wenigstens schöne Fotos in der Zeitung sind von gestern.“ Damit ließ Philipp den Jüngeren los und ging seine Zeitung holen. Auf was für Ideen Holger manchmal kam... war er denn wirklich so unsicher? Oder woher kamen diese Zweifel? Er wusste es nicht... leider.


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