Kapitel 55 - Kreuzverhör



„Basti, wirklich?“, zu dem noch halbvollen Cocktail kam ein Schnaps hinzu. Es war wohlgemerkt der dritte Cocktail.

„Komm, Fips, wir haben Urlaub, wir gönnen uns was! Prost!“, mit einem breiten Grinsen im Gesicht hielt er Philipp das Schnapsglas hin.

Dieser stieß mit ihm an.

„Ah, wie geil“, Bastian schob das leere Glas von sich. „Tut doch gut mal einfach trinken ohne sich Sorgen zu machen, oder?“

„Sorgen worüber?“ Der Kapitän sah seinen Freund schweigend an. Sie saßen an der Theke, während sich die Frauen in eine Ecke mit Sesseln verzogen haben.

„Darüber, dass wir dadurch außer Form geraten“, er zuckte mit den Schultern. „Oder über die Sorgen im Team, im Privatleben...“ Bastian schielte zu dem Kleineren, der stur auf sein Glas starrte. „Die Sorgen über Holger.“

Jetzt sah Philipp auf. Direkt in Bastians Augen. Was sollte das werden? Ging die Fragestunde weiter?

„Phil, ich mache mir Sorgen“, tastete er sich weiter. „Was ist da los bei euch?“

„Ich dachte, wir wollten da nicht drüber nachdenken“, Philipp wandte den Blick wieder ab.

Bastian seufzte stumm. „Du denkst doch andauernd an ihn oder nicht? Was ist das denn für ein Urlaub? Was würdest du sagen, wenn Claudia nur an... Lisa denken würde! Fändest du das gut?“

„Das kann man nicht vergleichen“, Philipp verdrehte die Augen. „Du verstehst das nicht Bastian.“

„Dann erkläre es mir endlich“, forderte er.

Abrupt wandte Philipp sich um. Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht daran, dass er wirklich genervt war inzwischen. Wer wusste das schon. Auf jeden Fall sagte er mehr, als er es je gewollt hatte.
„Holger geht es verdammt noch mal schlecht. Er glaubt nicht daran, dass er zurückkommen kann. Er hat seine Karriere abgeschrieben. Es nervt ihn, dass er wieder an Krücken, einen Rollstuhl und vor allem an Hilfe gebunden ist. Wieder kann er nichts machen - und vor allem keinen Fußball spielen. Das ist es aber, was ihn auszeichnet, das ist seine Leidenschaft, das ist sein Leben. Wieder wurde es ihm genommen. Ich war da und hab ihn gestützt, hab versucht ihn abzulenken, ihn zum Lächeln zubringen. Das alles hat zusammengeschweißt. Wir waren uns näher als in all den Jahren zuvor. Da ist es doch kein Wunder, dass ich mir Sorgen mache!“

Das mit dem Nähersein meinte er nicht mal wörtlich, aber es war nun mal auch so zu nehmen. Es war allerdings auch etwas, was er Bastian bewusst verschwieg und weiter verschweigen würde.
Philipp starrte wieder auf sein Glas. Er wollte es nicht, aber jetzt wusste Bastian Bescheid. Zumindest fast. Aber vielleicht war es besser so.

Bastian war zugegeben etwas überrascht als Philipp so plötzlich doch mit ihm sprach. Er schluckte schwer. Das alles hatte er sich denken können und doch war es etwas anderes es direkt von ihm zu hören. Allerdings kam er nicht umher sich zu fragen, wie nah sie sich wirklich gekommen waren... Holgers Jacke, die Philipp offensichtlich getragen hatte, warf einfach viele Fragen auf.
„Aber warum hat er sich dir anvertraut? Das soll nichts gegen dich sein, Phil, aber Mario und ich sind besser mit ihm befreundet... gewesen“, schob er hinterher.

Der Kapitän seufzte. „Ich war nun mal mit in Vail. Wäre Toni mit geflogen, hätte er sich ihm vielleicht so anvertraut, ich weiß es nicht“, er zuckte mit den Schultern. Aber eigentlich wusste er es. Es war diese komische Chemie zwischen ihnen. Toni hätte sich nicht so verhalten wie er und vermutlich hätte er Holger gestattet sich zu verschließen. Aber wer wusste das schon? Und was brachte es jetzt darüber nachzudenken? Es war ja eh nicht mehr zu ändern.

„Ist das alles?“, hakte Bastian weiter nach.

Philipp verkrampfte sich unmerklich. Nein, natürlich war es das nicht. Aber das andere konnte oder wollte er nicht in Worte fassen. „Ja“, er nickte. „Ich kann es dir gerne auch anders formulieren, wenn du Probleme hast, das zu verstehen“, zickte er etwas. Philipp schob es auf den Alkohol von dem er nicht gerade wenig getrunken hatte. Die waren eh ziemlich stark hier... vermutlich waren die Menschen auf Hawaii einfach abgehärtet oder so.

„Trotzdem musst du nicht nur an ihn denken. Mario ist doch da. Schalt mal ab, Phil. Du brauchst diesen Urlaub und du hast ihn dir auch verdient.“ Der Vize lächelte ihn an. Er meinte die Worte vollkommen ernst. Er hatte keine Lust, dass Philipps Stimmung ihm den Urlaub verderben würde. Und vielleicht bekam er sogar doch noch mehr aus ihm heraus.

„Mario weiß nicht das, was ich weiß“, gab Philipp zurück, sog an seinem Strohhalm, hustete leicht, da er sich fast verschluckt hätte. Dann wandte er sich wieder Bastian zu. „Ich rede mit Claudia nicht über Holger und werde es auch nie tun, da muss man sich niemand Sorgen machen. Ich versuche ja abzuschalten... aber es geht nicht solange ich nicht weiß, was mit Holger ist. Verstehst du das?“

„Nein, wenn ich ehrlich bin nicht.“

„Dann nicht...“

„Erklär es mir doch!“

„Hab ich Basti, ich hab es dir gerade erklärt. Mehr kann und will ich da nicht zu sagen.“

„Mensch, Phil, das kann doch nicht alles sein“, versuchte es Bastian wieder, aber Philipp hob die Hand, wehrte ihn dadurch ab.

„Das Thema ist jetzt beendet.“

Bastian wollte protestieren, aber er wusste, dass es nichts bringen würde und er wollte keinen Streit, also nickte er bloß. „Was machen wir morgen? Die Bootstour?“

~*~

„Deine Zeichenkünste waren auch schon mal besser“, lachte Ute, als sie von der Arbeit nach Hause kam, zu Holger ins Wohnzimmer trat und ihm über die Schulter schaute.

Holger hatte eine ganze Weile das gezeichnete Bild angesehen und fuhr dementsprechend erschrocken herum, da er ganz in Gedanken gewesen war. Gedanken an Philipp. An den kleinen Jungen mit seinem Trikot und an viele Begebenheiten während der vielen bestrittenen Bundesligaspiele. Auch der Traum, von dem er den Kapitän erzählte, war wieder präsent.
„Sehr witzig“, säuselte er und legte das Bild zur Seite. „Ist von einem Fan.“

Ute nickte, schaute kurz auf die Zeichnung und schüttelte lachend den Kopf, ehe sie sich geschafft auf den Sessel fallen ließ. „Hast du schon Abend gegessen? Wenn nicht, bestell ich uns einfach was.“

Noch bevor Holger antworten konnte, zog er überrascht die Augenbrauen hoch. Was grinste Ute denn so?

„Weißt du, irgendwie ist das wie in alten Zeiten. Als du aus dem Jugendhaus ausgezogen bist und zu mir in die Wohnung.“

Natürlich wusste er das noch. Er konnte sich an alles erinnern, aber ob er wollte, war eine ganz andere Geschichte.

„Ach ja, bevor ich es vergesse. Ich höre morgen früher auf, dann können wir gemeinsam zu Mama. Hermann kommt ja zu Besuch.“ Ute war anzumerken, dass sie im Moment nicht richtig wusste, was sie mit Holger anfangen sollte. Die alten Zeiten ließ sie ruhen, Holger war darüber ja nicht begeistert. Aber er schien noch weniger begeistert darüber zu sein morgen zu Kaffee und Kuchen zu Helga und dem langjährigen Freund der Familie zu gehen. Vermutlich weil es irgendwie auch wieder um den Fußball gehen würde.
„Du hast keine Lust, oder?“, sprach es Ute schließlich direkt an.

Holger sah sie an, fixierte sie mit seinen blauen Augen. Ja, da traf sie zur Abwechslung mal den Nagel auf den Kopf.
„Weil wir sowieso nur über alte Zeiten reden“, nuschelte er. Es lief doch irgendwie immer so ab. Seine Vergangenheit definierte sich ja leider ausschließlich vom Fußball.

„Was ist schlimm daran?“

„Das fragst du allen ernstes?“, brauste er sofort auf. „Schau dir mein Leben doch mal an.“ Holger erhob sich und griff unbeholfen nach seinen Krücken. „Sieh dir diese verdammten Krücken doch endlich an! Dann weißt du, warum ich nicht über alte Zeiten reden will, das tut verdammt nochmal weh darüber zu reden, dass das jetzt vorbei ist, was so gut anfing!“ Stand seine Karriere nicht schon von Beginn an unter einem schlechten Stern? Er unterschrieb seinen Profivertrag und kurz darauf verstarb sein Vater. Das konnte man doch als schlechtes Omen nehmen.

„Holger bitte... bei der Operation wird dir doch ein neu -“

„Ach, du hast keine Ahnung. Ich habe mir von den letzten drei Operationen schon so viel versprochen. Und jetzt lass mich mit dem Thema in Ruhe. Gute Nacht!“

Er verließ das Wohnzimmer und schlug die Tür vom Gästezimmer laut hinter sich zu.
Verzweifelt ließ Ute ihren Kopf in den Nacken fallen. Es war wirklich schwierig mit Holger und wenn das so weitergehen würde, schickte sie ihn wieder zurück nach München. So hatte das nämlich keinen Zweck. Wenn er morgen auch so drauf war, dann würde das gemütliche Beisammensein im totalen Fiasko enden.
Hilflos rief sie die SMS von Philipp auf. Wüsste sie nicht, dass er im Urlaub war, wäre sie jetzt in Versuchung ihn zu kontaktieren. Aber was sollte das bringen? Holger wäre dann richtig sauer auf sie... und so wie er drauf war, vermutlich auch auf den Kapitän.

~*~

Als Philipp auf Toilette war, beschloss Bastian endlich mal Mario zu antworten.

//Na, das ist doch super! Wer ist es denn? Kann man ihm da nicht etwas nachhelfen? Du weißt doch, er kann echt wen gebrauchen. Vor allem nach dem, was ich aus Phil bekommen habe. Aber richtig reden, will der nicht... vielleicht war es noch ein Cocktail zu wenig. Holger hat wohl Angst, dass er nie wieder spielen kann. Viel mehr weiß ich nicht, bzw. hätten wir uns nicht selber denken können. Phil denkt aber andauernd nur an ihn, der kann nicht mal abschalten... mir kommt das alles spanisch vor. Mal schauen, was ich noch rauskriege. Vielleicht kannst du Holger noch mal bearbeiten. Liebe Grüße und Prost!//

„Bastian Schweinsteiger, sogar im Urlaub nur am Handy, kannst du nicht abschalten?“, merkte Philipp schmunzelnd an als er wiederkam.

„Ich hab Mario nur geschrieben. Als Freund, nicht als Kollege. Hast du eigentlich Holger geschrieben, dass wir gut angekommen sind und so was?“, versuchte er es anders.

„Nein, ich werde ihm auch nicht schreiben“, gab er zurück und seine Stimme klang direkt kälter.

„Warum nicht?“, stellte Bastian die Frage, die wohl jeder gestellt hätte.

Philipp starrte auf sein Glas. „Wir sind nicht unbedingt in Frieden auseinander gegangen“, flüsterte er. „Ich will da nicht drüber reden.“

„Aber es nimmt dich scheinbar mit“, der Mittelfeldspieler legte ihm eine Hand auf die Schulter, die Philipp direkt abschüttelte.

„Lass mich einfach. Bitte.“

Stumm seufzte Bastian. Heute würde er wirklich nichts mehr bezwecken können. Es war aber auch schon spät, deshalb tranken sie aus, sammelten ihre Frauen ein uns verschwanden im Bett. Noch hatte Bastian aber nicht aufgegeben.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0