Kapitel 46 - Des einen Freud, ist des anderen Leid



Währenddessen war der Kaffee schon fertig und Holger stellte ihn schon mal mit auf den Esstisch, damit sich Philipp sofort bedienen konnte. Auch Milch und Zucker fanden den Weg auf den Tisch. Bestimmt würden sie gleich einen riesigen Bericht über den großen Triple-Sieger in der Tageszeitung vorfinden.

Okay, wirklich schlau war das nicht, wenn Philipp ehrlich war. Vielleicht hätte er sich was überziehen sollen, bevor er nur in Boxershorts und T-Shirt die Treppe runter stolperte. Und Stolpern war das richtige Wort. Er war schnell in Schuhe von Holger geschlüpft, die ihm natürlich viel zu groß waren. Beinahe hätte er sich auf dem Weg nach oben auch langgemacht.

Wieder in der Küche legte er nicht nur die Zeitung, sondern auch die Post auf den Tisch. „Kommt die bei dir immer so früh?“, fragte er. „Wir kriegen die immer erst Mittags.“
Er war so frei und setzte sich schon mal, griff nach seiner Tasse und nahm Milch und Zucker. Während er mit einem Löffel durch seinen Wachmacher rührte, nahm er die Zeitung. Natürlich war vorne ein großes Bild mit einem kurzen Text und der Verweis auf den Sonderbericht ab Seite vier. Eben diese Seite schlug Philipp auf.

Als Philipp sich setzte und sich am Kaffee bediente, ließ sich auch Holger auf einen Stuhl fallen. Er griff sofort nach der Post und begutachtete sie. Einige unwichtige Briefe, die er achtlos sinken ließ, waren wie so oft dabei. Doch einer erweckte seine Aufmerksamkeit. Die Berufsgenossenschaft. Erst jetzt bemerkte er, dass er auf die Frage des Kapitäns noch gar nicht geantwortet hatte.
„Die ist meistens immer schon ziemlich früh da. Am Tegernsee sind eben die Postboten fauler“, witzelte er, während er Philipp dabei beobachtete, wie er bewusst eine Seite in der Zeitung her blätterte. Wenn der Ältere die Zeitung für sich beschlagnahmte, konnte Holger sich derweil um seine Post kümmern. Als erstes öffnete er natürlich den Brief von der Berufsgenossenschaft. Schnell waren die Zeilen überflogen, weswegen er leise seufzte. Sie verlangten nach einer neuen Einschätzung und einen Nachweis über seine Verletzung. Musste er unbedingt diese Woche in Angriff nehmen, damit er wie gewohnt sein Geld von ihnen erhielt. Zwar war dieses Einkommen durch die vielen Zusatzversicherungen relativ nah an seinem Gehalt vom FC Bayern dran, aber es war eben nicht das selbe. Auch das war irgendwie eine Kopfsache.

„Tegernsee? Ich sprach von meiner Wohnung in München“, erklärte Philipp nebenbei und nahm einen Schluck Kaffee. „Hm, der ist gut.“

„Ach so“, erwiderte Holger und zuckte mit den Schultern, „Entweder liegts an dir oder am Stadtteil.“ Er war es jedenfalls schon immer so gewohnt, dass die Post schon zeitig im Briefkasten war. Aber ganz München war eben nicht gleich.

Philipp überflog alles einmal, ehe ein Artikel seine Aufmerksamkeit erregte. „Du hast gestern noch ein Interview gegeben?“ Fragend sah er Holger an, ehe er sich wieder dem Artikel widmete. Die Überschrift war: Gute Besserung Holger!

Holger legte den Brief beiseite und sah zu Philipp auf, der ihn einen kurzen Moment fragend ansah und dann wieder zu lesen schien.
„Steht das da drin?“, wunderte er sich. Was fragte er sich das überhaupt? Klar, wurde er erwähnt. Als traurigsten Bayernspieler betitelten sie ihn doch des Öfteren.

Philipp überflog den Artikel über Holger. „Da steht drin, dass du die Re-Ruptur hast, dass du dir dein Kreuzband zum ersten Mal im Dezember gerissen hast, wie du Profi geworden bist und dann scheinen sie dich wohl zu zitieren aus deinem Interview“, murmelte Philipp. „Das ist glaub ich ganz wichtig auch für den Heilungsprozess, dass ich einfach gut drauf bin.“ Er sah auf, suchte Holgers Blick. „Manchmal ist es leichter gesagt als getan, oder?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, aber es war wohl mehr traurig als aufmunternd.

Holger nahm sich eine Scheibe Brot und bestrich es mit Butter. Doch als Philipp immer mehr murmelte, hielt er inne und konzentrierte sich, um ihn besser verstehen zu können. Hätte er das doch gelassen. Ausdruckslos erwiderte er den Blick des Älteren und stellte sich wieder einmal die Frage, warum er die Zeitung, die ihn bereits zitierte, nochmals aufgriff und genau diesen Satz äußerte. Das Lächeln, was auf dem Gesicht des Älteren erschienen war, konnte Holger gar nicht als positiv werten. Aber er konnte es als Spiegelbild sehen. Sah er auch immer so traurig aus, wenn er versuchte zu lächeln? Wenn ja, war es kein Wunder, dass Philipp in Vail nicht mehr wollte, dass er so schlecht redete und darauf bestand, dass er besser drauf sein sollte.
„Was hätte ich im Interview sonst sagen sollen“, nuschelte er. Dass er Philipp pro Tag mindestens einmal von sich stieß oder auch anblaffte? Wohl kaum.

Philipp seufzte stumm. „Du solltest dir deine eigenen Worte aber auch zu Herzen nehmen“, erklärte er und nahm wieder einen Schluck Kaffee.

Holger ging nicht mehr auf Philipps Aussage ein. Natürlich sollte er das, aber konnte es nicht. Wie denn auch? Vor ihm saß ein Triple Held, der nicht einmal mehr stolz die Zeitung lesen und sagen konnte, dass sie es geschafft haben das Triple zu holen.
„Was steht da denn sonst noch? Über euch und so?“

„Da steht was von dem Spiel, von der Feier, vom Eintrag ins Buch und so was halt“, er zuckte mit den Schultern und klappte die Zeitung zu. Dann nahm er sich auch eine Schreibe Brot und Wurst dazu. „Musst du heute zur Säbener Straße?“ Er wollte einen Themenwechsel. Auch, wenn das vielleicht nicht das beste Thema war, aber das war etwas, was Philipp wissen wollte. Vielleicht konnte er Holger dorthin bringen und danach nach Hause fahren.

„Nein, heute nicht“, antwortete er dann und sagte bewusst nicht mehr dazu. Er wollte auch morgen nicht dahin. Nur ein einziger Gedanke an den gestrigen Tag ließ Holger klar werden, wie sehr er eigentlich schon abgeschlossen hatte. Und dafür hasste er sich. Er schwor sich zu kämpfen, aber entgegen seiner eigenen Vorsätze kämpfte er jetzt gegen seine Verzweiflung und nicht mehr nur gegen seine Verletzung. Schrieb nicht so etwas ähnliches Philipp in einer SMS? Sie gewannen das Triple für ihn und er den Kampf gegen die Verletzung für die Mannschaft?

„Sehen wir uns vor deinem Urlaub noch?“ Wieder ein Themenwechsel. Holger wusste gar nicht, wann sie denn nun nach Hawaii flogen. Irgendwie war die Frage bisher immer untergegangen.

Die Frage überraschte Philipp, aber positiv. Sofort wurde das Lächeln fröhlicher, aber das hielt nur so lange bis er daran dachte, dass er nicht fliegen würde. „Natürlich“, nickte er bloß. „Ich hab doch gesagt, dass ich dir auf die Nerven gehe“, er grinste leicht. „Und du müsstest inzwischen wissen, dass ich so was ernst meine.“ Und das meinte er. Er würde ihn nicht alleine lassen. Nicht jetzt. Nicht, solange er so drauf war.

Holger freute sich über diese Antwort, versuchte das aber nicht ganz so offensichtlich zu zeigen. Das Händchenhalten von heute Nacht reichte auch schon an ungewollten Hinweisen.
Aber irgendwie wusste er jetzt immer noch nicht, wann er denn fliegen würde. Wusste Philipp es selbst nicht oder warum erwähnte er das denn gar nicht?
„Und wann fliegst du? Wir haben zwar schon über den Urlaub gesprochen, aber nie wann du denn nun genau fliegst“, lächelte er leicht und suchte den Blick des Älteren. Wich er ihm diesbezüglich aus?

Philipp erwiderte Holgers Blick nur kurz, starrte dann auf den Teller, aß in Ruhe den Bissen auf und trank dann auch noch einen Schluck Kaffee. Er wollte Zeit gewinnen. Was sollte er antworten? Oder eher wie sollte er antworten?
„Das Flugzeug hebt Mittwoch ab.“ Ja, das war gut. So würde Holger sicher nicht auf die Idee kommen, dass Philipp nicht mitfliegen würde. Er könnte es ihm natürlich auch sagen, aber der würde es ihm ausreden wollen, ganz sicher. Vermutlich würde es wieder in einer Diskussion enden, die dann zu einem Streit wurde, bis er zurückgestoßen wurde. Eigentlich schlimm, dass er es schon so genau vorhersagen konnte.
Aber er sollte noch etwas sagen, nicht, dass Holger noch weiter nachhaken würde. Irgendwann konnte er das nicht mehr verbergen.

Mittwoch also. Wenn Philipp heute bei seiner Familie blieb, hatten sie nur noch den Dienstag zusammen. Und den würde er teilweise auch bei Julian und Claudia verbringen. Irgendetwas sagte Holger, dass er sich damit abfinden musste, die nächste Zeit sehr wenig von ihm zu haben. Wieso hatte er überhaupt so lange gezögert mit der Antwort? War es Philipp unangenehm davon zu reden, dass er übermorgen weg war und ihn ja dann sozusagen allein lassen würde? Entgegen seiner eigenen Worte...

„Wollen deine Mutter und Ute denn auch noch vorbei kommen die Tage irgendwann?“

„Ich weiß nicht genau. Ute hat gestern geschrieben, dass sie diese Woche mal vorbeikommen.“ Konnte gut sein, dass sie morgen Abend aufkreuzen würden, da seine Mutter mittwochs immer Ruhetag in ihrem Fußballshop hatte und sie demnach über Nacht bleiben könnten.
Dadurch fiel ihm aber wieder ein, dass er sein Handy gestern gar nicht mehr aufgeladen hatte. Das lag noch irgendwo im Wohnzimmer ausgeschaltet herum. Sollte er sich nach dem Frühstück gleich mal darum kümmern.

„Ach so“, nachdenklich nickte Philipp. Also konnte er sich nach ihnen nicht richten, aber er konnte ja jederzeit fahren, wenn sie auftauchen würden. Er würde ja oft bei Holger sein... was sollte er sonst machen? Es war ja niemand da. Und seinen Eltern wollte er Julian auch nicht wegnehmen, die hatten sich schon so gefreut. Aber vielleicht könnte er ihn ja mal mit Holger besuchen fahren. Immerhin hatte er ja nichts gegen Julian, sondern nur gegen Claudia. Ob er jemals erfahren würde, was das war?

„Wenn ihr übermorgen fliegt, gibt’s sicher noch etwas zu tun, oder?“ Auch Holger aß auf und trank die letzten Schlucke seines Kaffees. Bestimmt würde er jetzt abhauen. Der Jüngere versuchte das Seufzen zu unterdrücken.

„Du willst mich loswerden, hm?“ Philipp lächelte etwas. „Aber ja, ich werde wohl nicht allzu lange bleiben können.“ Er seufzte und zögerte, ehe er etwas grinste und wieder Holgers Blick suchte.

„Nein, will ich nicht.“ Genauso schnell wie er gestern abgelehnt hatte mit zu Philipp zu fahren, antwortete er jetzt, dass er ihn nicht loswerden wollte.

Philipp sah ihn an, lächelte leicht. Er glaubte es Holger, aber manchmal fragte er sich, ob dieser eigentlich wusste, was er wollte oder was er eben nicht wollte.

„Ich hab Claudia gestern geschrieben, ich wäre bei Manu feiern. Und ich sollte Zuhause sein, bevor sie da anruft, wo ich bleibe.“
Erst nachdem er so ehrlich war, stellte sich Philipp die Frage, ob Holger wohl wissen wollen würde, warum er nicht ehrlich war. Aber so lange er nicht nachfragte, würde er sich nicht dazu äußern.

Mehr als überrascht war der Innenverteidiger über die diese Äußerung. Er hatte seine Frau angelogen, weil er ihr nicht sagen konnte, dass er bei ihm war? Holger runzelte die Stirn und schaute nun seinerseits den Kapitän ziemlich unverständlich an. War es denn so schlimm, wenn sie wusste, dass er sich um ihn kümmerte? Plötzlich kam ihm aber ein Gedanken in den Sinn. Hätte Philipp gesagt, dass er unbedingt bei ihm bleiben musste, weil es ihm so schlecht ging, hätte sie vermutlich zu sehr nachgefragt und ihn damit verraten. Holgers Miene entspannte sich sichtlich. „Du wolltest mich nicht verraten, oder?“ Doch im nächsten Moment drängte sich eine andere Eingebung in den Vordergrund.

Es wunderte ihn nicht, dass Holger ihn skeptisch ansah, nachdem er die Wahrheit gesagt hatte.
„Ja, das...“

„Du willst nicht, dass sie weiß, dass du schon wieder deine Zeit bei mir verbringst, anstatt bei ihr zu Hause.“

Philipp zuckte unmerklich zusammen, trank lieber noch einen Schluck Kaffee und wich seinem Blick aus. Warum eigentlich? Das war doch kindisch! Aber vielleicht sollte er es ihm erklären.

Holger merkte erst danach, dass er Philipp unterbrochen hatte. Aber das war ihm egal, er wollte eine Antwort und konnte nicht beurteilen, warum der Kapitän seinen Blicken auswich. Der glaubte wohl, er würde mit dem Kaffeetrinken Zeit schinden können!

„Sie versteht das nicht, weißt du“, jetzt suchte er wieder Holgers Augen mit seinen. „Sie... ich hab dich in Vail gesehen, sie nicht. Sie wird mich nie verstehen, was das angeht. Und ja, ich wollte dich auch irgendwie schützen.“ Aber eigentlich war das gelogen oder zumindest nicht ganz die Wahrheit. Da hatte er in dem Moment nicht dran gedacht. Es war auch eine Absicht von ihm, mit Sicherheit, aber nicht die Bewusste als er die SMS schrieb.

„Willst du mir damit sagen, wer mich sieht, hat Mitleid und würde es verstehen?“, hakte er verständnislos nach. Sah er denn so fertig aus? Holger atmete tief durch um einen klaren Gedanken fassen zu können. Er wusste einfach nicht, wie er das zuordnen sollte. Positiv, oder doch eher negativ?

Philipp seufzte und ließ Holger erst mal ausreden.
„Ich bin bei dir, weil ich mir Sorgen mache, ich in der schweren Zeit für dich da sein will und du mir verdammt noch mal wichtig bist, Holger. Aber ich... ich meinte das nicht so. Ich kann nicht beurteilen, ob wirklich jeder Mitleid empfindet, wenn er dich sieht, aber empfindet man es nicht schon, wenn man deine Geschichte hört?“ Zumindest erging es ihm so.

Er glaubte Philipp auch, dass er ihn schützen wollte. Dafür war er ihm auch dankbar, dass er dieses „Geheimnis“ hüten wollte. In gewisser Weise verstand er auch, was der Kapitän damit sagen wollte. „Vermutlich würde es sowieso keiner verstehen... ich verstehe es ja manchmal selbst nicht, warum du trotz allem bei mir bleibst.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern und versuchte zu lächeln. „Ich seh mich selbst ja nicht, vielleicht hast du Recht, aber... beeil dich lieber, nicht, dass sie wirklich Manu anruft und der weiß nicht Bescheid.“ Philipp hätte den Torhüter vielleicht auch einweihen sollen... zur Sicherheit eben.

„Claudia kann nicht verstehen, was der Fußball für dich bedeutet. Vor allem würde sie es aber jetzt nicht verstehen, weil ich ja schon fast zwei Wochen bei dir war. Sie hat es beim ersten mal akzeptiert und auch beim zweiten Mal, aber wirklich verstanden hat sie es nicht. Toni hätte ja auch fliegen können. Und dann noch wo zwei wichtige Spiele anstanden. Aber sie wusste, ich würde wiederkommen und wäre dann wieder Zuhause. Ja, war ich auch... für wie lange? Ich bin schon wieder weg. Schon wieder bei dir. Sie wäre verletzt und sauer. Womöglich sogar auf dich, aber das hier ist meine Entscheidung. Ganz allein meine. Ich weiß, dass es nicht richtig war sie gestern anzulügen, ich werde ihr auch die Wahrheit sagen, aber ich konnte ihr das schlecht in einer SMS schreiben, dass ich bei dir bleibe.“
Philipp hoffte, dass Holger das verstehen würde. Er aß das Brot auf. Sein Kaffee war auch fast leer. Dann musste er sich nur anziehen und schon könnte er gehen.

Starr war Holgers Blick auf Philipp gerichtet. Mit einem Mal fühlte er sich wieder schlecht ihn fast schon wieder angefahren zu haben. Wie konnte er nur so werden? Auf dem Feld war er zwar schon immer so, aber durch diese verdammte Verletzung übertrug sich das auf sein gesamtes Leben.
Und wieder bedeuteten diese Worte Schmerz und Freude zugleich. Könnte er Philipp doch nur so wichtig, werden, dass Claudia keine Rolle mehr spielte... aber er konnte nicht dafür sorgen, dass sie sich stritten. Dann ging es dem Kapitän schlecht und das würde Holger in der Situation das Herz brechen. Wenigstens ihm sollte doch gut gehen.
„Mag sein. So als tragische Figur des FC Bayern“, sprach er fast schon höhnisch aus. Er mochte diese Bezeichnung nicht besonders.

Philipp ignorierte die Aussage zu ihm als tragische Figur. Er war es, was sollte man da noch schön reden? Vor allem jetzt. Das ging nicht.

„Sie würde es auch nicht verstehen, wenn du ihr persönlich die Wahrheit sagst. Lass es sein, Phil. Du warst bei Manu und fertig. Hak das einfach ab“, gab er ihm den Rat. Es brachte doch nichts, wenn sie sich vor dem Urlaub zerstritten, auch wenn das hieß, dass Philipp dann vielleicht bei ihm bleiben würde. Kein so schlechter Gedanke, aber nein. Das ging einfach nicht.

Über Holgers Rat konnte er nur den Kopf schütteln. „Ich muss ihr die Wahrheit sagen“, widersprach Philipp. „Wenn sie die irgendwann von jemand anderen erfährt, wird es nur noch schlimmer sein.“ Außerdem konnte sie sich im Urlaub abreagieren...

„Weißt du...“ Aus einem Impuls heraus legte er seine Hand auf Philipps und lächelte schüchtern. „Es ist schön zu wissen, dass ich dir wichtig bin. Dass du dadurch sogar Streit mit deiner Frau in Kauf nimmst... ich meine, ich will das einfach nicht, dass du dann deshalb Stress hast. Fahr zu ihr und freu dich auf euren gemeinsamen Urlaub.“ Holger wollte nicht, dass sich dieser Schmerz bemerkbar machte, den er erneut spürte bei seinen letzten Worten. Der Schmerz, der sich einschlich, ohne zu fragen und sich nicht irgendwo in seinem Körper lokalisieren ließ.

Aus Reflex hob er den Blick, als er Holgers Hand auf seiner spürte. Seine Worte zauberten ein Lächeln auf seine Lippen, auch, wenn es zum Ende wieder etwas traurig wurde.

Sich seiner eigenen Geste plötzlich bewusst werdend, zog Holger hastig seine Hand zurück.

Gerade als Philipp etwas erwidern wollte, zog Holger ruckartig seine Hand weg. Überrascht sah er auf eben jene Hand und dann wieder in Holgers blaue Augen.
„Ich mag es, wenn du so ehrlich bist“, gab er zu. „Und irgendwie auch sentimental bist“, neckend grinste er. „Das steht dir, Holger. Du musst nicht immer so brummig und abweisend sein.“ Er stand auf und fuhr durch die blonden Haare. „Ich zieh mich mal an.“

Holger konnte nicht verhindern, dass er leicht rot wurde. Aber irgendwie erweckte es durch diese Komplimente doch nur den Eindruck, dass Philipp ihn wirklich für schwul hielt. Sentimental passte ja auch nicht zu einem Holger Badstuber. Einem heterosexuellen Holger Badstuber. Philipp strich durch seine Haare, bevor er die Küche verließ und zauberte erneut dieses schüchterne Lächeln in sein Gesicht.

Philipp verließ die Küche mit einem Lächeln auf den Lippen. Es war gut zu hören, dass Holger es wichtig war, wenn Philipp ihm so etwas sagte. Es war wirklich die richtige Entscheidung hier zu bleiben.
Er zog sich das Shirt über den Kopf und hielt es in der Hand, während er sich überlegte, ob er es aufs Bett legen oder zum Waschen mitnehmen sollte. Dabei fiel ihm wieder ein, dass er ja sein eigenes Shirt hier gesehen hatte. Der Kapitän hob das Kissen an auf dem Holger geschlafen hatte. Tatsache. Sein Kaffee-Shirt. Er hob es hoch und betrachtete es nachdenklich. Warum nur lag es hier unter dem Kopfkissen?

Es war seltsam, wenn man es damit verglich, wie er sonst mit Philipp auf dem Spielfeld umgesprungen war. Die gute alte Zeit eben.
Seufzend erhob auch Holger sich, um im Wohnzimmer nach seinem Handy zu suchen, aber davor blieb er an der Schlafzimmertür hängen. Philipp stand da mit dem Shirt in der Hand. Über diese Tatsache, welches Kleidungsstück da in seinen Händen lag, riss Holger seine Augen weit auf und jegliche Gesichtsfarbe verließ sein eben noch leicht gerötetes Gesicht. Nein... wie sollte er das denn jetzt erklären? Warum wühlte er überhaupt in seinem Bett? Hatte er es gestern doch gesehen? Fragen über Fragen...

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